“Symphonische Selbstfindung”
Es stellt sich einem ja die Frage, warum bei einer Reihe von Werken immer einzelne dabei sind, die eher Außenseiter-Rollen einnehmen ?
Wie wir im letzten Beitrag über die Erste Symphonie Anton Bruckners schon erkennen konnten, spielt ja die Erste kaum eine Rolle und wird auch kaum noch aufgeführt, außer nur in einzelnen Sätzen.
Dies könnte man dadurch erklären, dass es als solches ja die erste Symphonie des Schöpfers ist (obwohl es gar nicht seine erste war!).
Denn jeder Schöpfer muß sich ja erst einmal “einschießen” und seinen Weg finden oder wie Wagner seinen richtigen Kompositionsstil.
Klingt für jeden verständlich, auch wenn es für begeisterte Hörer oftmals interessanter ist, die Werke zu rezipieren, die nicht schon oftmals gebracht worden sind und die jeder kennt, sondern die, die nur wenige kennen. Dies ist nicht nur bei Komponisten so.
Der Organist – der Komponist – der Christ
Bei Bruckners Zweiter Symphonie stellt sich einem die Frage , warum dieses Werk im internationalen Konzertleben eher selten zu finden ist (?), denn wir erleben hier einen klangmächtigen und lyrischen Bruckner mit großer Ausgewogenheit.
Bei einer zweiten Symphonie erwartet ja jeder Freund der wahren Kunst ein Jugendwerk.
Dies muss allerdings nicht unbedingt der Fall sein, zumindestens nicht bei Anton Bruckner.
Bruckner schrieb seine Zweite Symphonie 1872 im Alter von 48 Jahren, also eine Lebensphase, die man nicht mehr als die “Jugendjahre” bezeichnen kann.
Wie bereits vormals erwähnt, begann Bruckner erst mit dem 40. Lebensjahr Symphonien zu schreiben und genoss erst mit dem 60. Lebensjahr gewissen Ruhm.
Bruckners Persönlichkeit und Wesenszüge hatten eine späte Reife als Markenzeichen, allerdings hatte Bruckner ja vor seinen symphonischen Tätigkeiten als tief religiöser Mensch eine große Anzahl christlicher Werke geschrieben und war ein gefragter Orgel-Virtuose.
Das heißt, dass Bruckner sich auch vor der Zweiten einiges an Erfahrungen hat aneignen können.
Umfangreiche christliche Werke, Orgel-Kompositionen und drei Vorgängerwerke vor der Zweiten - die Erste, die Nullte und die Studiensymphonie in f‑Moll. Dies war ja nicht gerade wenig.
Trotz allem bleibt die Frage offen, warum die offizielle Zweite Symphonie von der Musikwelt eher unbeachtet geblieben ist (?)
Vielleicht geht man von dem Vorurteil des Rufes von sogenannten “Frühwerken” aus, bzw. vermutet noch nicht erreichte kompositorische Reife, was ja durch die vielen Vorgängerwerke widerlegt ist.
Allerdings sind sich hier auch Kenner uneinig, warum die Zweite eher ein “Stiefmütterchendasein” führt, obwohl ja die Erste und die Sechste die am wenigsten aufgeführten Symphonien Bruckners sind.
Dies sind Spekulationen, auf die es oftmals keine Antwort gibt, logisch ist ja nun allerdings die Tatsache, dass bei einer größeren Anzahl von Werken immer einige Werke dabei sind, die eher unbeachtet bleiben – vielleicht auch eine Frage des Zeitpunktes und vielleicht kommt einmal der Zeitpunkt, an dem diese eher ein Schattendasein führenden Werke ans “Tageslicht” kommen und mehr Beachtung bekommen. Wer weiß ?
Die Pausensymphonie (No. 2 in C minor)
Wie so häufig blieb es nicht bei einer Fassung der Zweiten Symphonie (Symphonie Nr. 2 c‑moll).
Die erste Fassung ist auf 1872 datiert.
Bis 1877 folgten mehrere Revisionen (Überarbeitungen).
Verschiedene Umarbeitungen fanden in den Jahren 1873, 1876 und 1877 statt. Um es nicht zu kompliziert für Rezipienten und Hörer zu machen, kann man von grundlegend zwei Fassungen reden, nämlich 1872 und 1877.
Die mir vorliegende Aufnahme ist die 2. Fassung von 1877 unter dem Dirigat von Valery Gergiev (sh. unten).
Mit einer Gesamtspieldauer von knapp über 55 Minuten (1877) zählt diese Symphonie zu den eher kürzeren, die Bruckner geschaffen hat.
Ohne zu stark in die Tiefe gehen zu wollen (und zu können), erscheint wieder Bruckners Gepflogenheit mit “Themengruppen” zu arbeiten (1. Satz).
In einem geschaffenen “Klangraum” entfalten sich Hauptthemengruppen, die den Satz durchziehen.
Immer wieder kommen charakteristisch gewisse Pausen und Generalpausen ins Spiel, Themenkomplexe werden penibel durch Pausenzäsuren voneinander getrennt, was als kurzes und knappes Gliederungselement anzusehen ist – somit entstand unter den Musikers der spöttische Beiname “Pausensymphonie”.
Dies ist nicht unbedingt etwas Besonderes, denn über diese Eigenschaften verfügen kommende Symphonien (die Dritte und Vierte) auch, aber in dieser Zweiten konnten sie vom Hörer zum ersten Mal beobachtet werden.
Mehrfach erscheinen, auch wenn nur in Andeutung, musikalische Elemente aus frühen religiösen Werken und eigene Messen an sogenannten “Scharnierstellen”, die in der Fassung von 1877 leicht reduziert worden sind.
Auch die “Pausen” wurden in dieser späteren Fassung reduziert, aber nicht beseitigt. Pausen können natürlich auch verbinden nicht nur trennen und können auch den Weg für Kommendes frei räumen.
Wieder erkennt man “Wagner-Allusionen” und zum ersten Mal erscheinen souverän beherrscht, die zwei Modelle einer Anlage : das Wagner‘sche Musikdrama und die eigene großbesetzte Kirchenmusik.
Notenbeispiel :
Zweite Symphonie (1./2. Fsg.), 1. Satz, Fl. 1, Ob. 1, Fg. 1 und 2, T. 161–166.
Den Weg, den die Erste Symphonie vom Kozept her eingeschlagen hatte, wird von der Zweiten konsequent fortgeführt.
So erweist sich die Zweite als die folgenreichste eines Gesamtwerkes, dessen Bedeutung in der unerhörten Ausweitung des symphonischen Raumes liegt.
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*Moderato (1. Satz)
Das Moderato (1. Satz) ist von der Spieldauer der längste Satz von knapp 18 Minuten.
Er zeigt ziemlich breit angelegte kompositorische Gebilde.
Plastisch gesehen entwickelt Bruckner hier (und auch bei anderen Symphonien) einen “Klangraum” (Klangkosmos ist vielleicht zu hoch gegriffen), in dem sich die Hauptthemengruppen entfalten können.
Im Moderato auftretende peitschende Streicher lassen schon an wagnersche Streicher im “Tannhäuser” denken und geben der Musik eine ungeheure Geschwindigkeit und ein rasantes Tempo, sodass man die 18 Minuten gar nicht merkt.
Der 1. Satz klingt in einem enormen Kraftausbruch des kompletten Orchesters aus, was in den kommenden Symphonien Bruckners ein sogenanntes Markenzeichen seiner Kunst wurde und man als konzentrierter Hörer gar nicht mehr an noch Kommendes denkt.
*Andante (2. Satz)
Das Andante (2. Satz) erscheint wie ein lyrischer Ruhepol des kompletten Werkes
“Zauberhafte Mondnachtstimmung” – so empfand der Bruckner-Biograph Max Auer die Atmosphäre dieses Satzes.
Das romantische Musikinstrument par excellence ist ja das Horn, was Bruckner in diesem Satz für ein träumerisches Hornthema benutzt.
Horn-Motive bringen immer gewisse romantische Stimmung mit sich.
Wagner benutzt das Horn in seinem “Tannhäuser” und im “Tristan” (Hornruf) mehrfach.
Das Andante klingt feierlich und gefühlvoll aus und umfasst knapp 14 Minuten.
*Scherzo (3. Satz)
Das Scherzo (3. Satz) dieses Werkes ist schon ganz im Stil späterer Symphonien Bruckners gehalten und rhythmisch markant.
Im eingebetteten Trio glaubt man ein idyllisches Landleben zu erkennen (wie es oftmals interpretiert worden ist).
Da Bruckner sich kaum schriftlich zu seinen Werken geäußert hat, bleibt die These des “Ländlichen” Spekulation.
Hineininterpretieren kann man natürlich alles, was ja auch individuell zu sehen ist.
Mit dem Trio ist dieses Scherzo eines der kürzesten aller Bruckner-Symphonien mit gerade einmal 7 Minuten.
*Finale (4. Satz)
Der Finalsatz (4. Satz) stellt wie schon öfter den Zuhörer vor schwierige Aufgaben (sh. auch “Problem Finalsätze”).
Im Finale der Zweiten (Tempoangabe : “Mehr schnell”), was dieses Werk 16minütig beendet, geht die Komposition in die danach heftig hervorbrechende Schlussphase in dramatische Steigerungsentwicklung über.
Der Satz verfügt über ungeheure Eruptionen, die einen Hörer schon zusammenschrecken lassen können.
In diesem Satz kann man auch ein Verfahren Bruckners erkennen, dem Hörer nicht sofort zu Anfang ein “fertiges” Thema vorzusetzen, sondern es vor seinen Augen, bzw. Ohren, entstehen zu lassen.
Eine Wiederaufnahme des Ausgangsthemas (Themenwiederkehr) zum Ende des Satzes, setzt eine Art Bogen (Kreislauf) des Zusammenhalts im symphonischen Bauplan als markanten Schlusspunkt dieses Satzes und der ganzen Symphonie.
…die missglückte Widmung
Bruckner gab jeder seiner Symphonien eine Widmung.
Im Fall der Zweiten klappte dies allerdings nicht ganz…
…denn…
“Dem Meister Franz Liszt in innigster Verehrung“
Neben Richard Wagner bewegte Bruckner auch der enge Freund und Schwiegervater Wagners, Franz Liszt durch seine “Symphonischen Dichtungen” und die “Faust-Symphonie”.
Bruckner wollte das Werk nach der Ur-Aufführung 1884 Franz Liszt widmen.
Hierzu wurde ein Widmungsexemplar erstellt – nach der Übergabe an Liszt wurde dieses Widmungsexemplar in Wien zurückgelassen, was Bruckner sehr kränkte und er dadurch die Widmung bei der Drucklegung revidierte und zurückzog.
Tja, was alles passieren kann bei so großen Schöpfern.
Allerdings soll das Widmungblatt erhalten geblieben sein.
“Es ist kein gewöhnlicher Sterblicher, der aus dieser Musik spricht…”
(Ludwig Speidel, 1873)
CD-Tipp :
“Sämtliche Symphonien No.1–9“
Valery Gergiev – Münchner Philharmoniker
Label : MPhil DDD, 2017–2019
Erscheinungstermin : 20.11.2020
Aufnahme aus der Stiftsbasilika St. Florian / Linz
9 CD-Box mit hochwertigem Booklet
*eingefügte Grafiken hauptsächlich entnommen aus
(https://www.abruckner.com)
*Gewisse Passagen meines Beitrags wären nicht möglich
ohne teilweise Übernahme und Rückgriffe aus Fachquellen
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