“Ein vergessenes Werk”
Es gibt ja nicht nur verschwundene Werke, sondern auch vergessene.
Dies kann verschiedene Gründe haben, einer dieser Gründe ist die Erfolgslosigkeit zu Lebzeit des Schöpfers und wenn er auf die Einnahmen von Aufführungen seiner Werke angewiesen ist, sind erfolglose Werke schnell vergessen und von den Spielplänen genommen.
Bellinis “Zaira” ist so ein Werk, was unter einem schlechten Stern geboren wurde, aber nicht, weil es keine Qualität hat (im Gegenteil), sondern, weil es nicht ankam und aus diesem Grund nach der Ur-Aufführung kaum oder gar nicht mehr gespielt wurde.
Der Mißerfolg
Das hier zu besprechende Werk wurde am 16. Mai 1829 im “Nouvo Teatro Ducale” in Parma (heute Teatro Regio di Parma) aufgeführt.
Dieses stellte sich allerdings nach kurzer Zeit als Mißerfolg heraus und Bellini benutzte es, um Teile in kommenden Werke, vor allem “I Capuleti e I Montecchi” zu verwenden – so eine Art “Steinbruch”, in dem kommende Werke (auch die “Norma”) mit gefüllt wurden.
Das dieses vom Komponisten so realisiert werden konnte, zeigt, dass die Bellinischen Melodramen und Tragödien immer noch aus Einzelteilen bestehen, die auswechelbar sind, eine perfekte durchfließende Komposition ist demgemäß bei Bellini (zumindestens bei den Werke im ersten Teil seines Schaffens) noch nicht vorhanden.
Allerdings erscheinen diese einzelne Scenen, Nummern oder Bilder schon vor allem durch chorale Übergänge verknüpft, Bellini war schon weit in Richtung eines durchfließenden Werkes geschritten.
Eine gute Möglichkeit, vor allem der Komposition nahe zu kommen, ist (immer) ein durchfließendes Hören und auf sich wirken lassen, was bei Live-Aufnahmen (sh.unten) leider durch Applaus gestört werden kann.
… die Rolle des Chores
Die Rolle des Chores in diesem Werk ist als unterstützend und antwortend zu klassifizieren, da der Chor immer wieder eingestreut wird, was Bellini bestimmt nicht ohne Hintergedanken gemacht hat (sh. meinen Beitrag “Bewegte und antwortende Chöre”).
Das heißt, der Chor wird geschickt benutzt (sh. Wagners “Lohengrin”), nicht nur um eventuelle Lücken zu füllen, sondern um ihn als eigenständig handelnden Statisten im Rahmen des Kompositionsbaus zu verwenden (antwortende Chöre).
Er spielt als solches mit, er antwortet und unterstützt das Handelnde.
Ein geschickter (kompositorischer) Trick, der der Komposition mehr Leben und Bewegung einhaucht.
Wenn man den Beginn des Werkes ansieht bzw. anhört, folgt nach einer kurzen instrumentalen Introduction (Einleitung) sofort der volle Chor und führt die Scene (fast) zum Ende, nach einem kurzen Abbruch lenkt erneut der Chor kurz eine Cabaletta (Arienform) von Corasmino ein.
Diese Arie wird mehrfach durch den Chor unterstützt und zu Ende gebracht.
Neben der Gesangslinie und der Komposition als Koloratur mischt der Chor (fast) immer mit.
Der wunderbare Chor der Cavalieri bei der “Zaira” im 2. Act (“Più non e”), hat eine Spieldauer von 7 Minuten.
Dieser wurde von Bellini für die Komposition der “Norma” (“Non Parti”) als Chor der Gallier leicht gekürzt wieder verwendet.
Das Chorale wird erst durch eine instrumentale längere Einleitung begonnen, bzw. es wird dem Chor ein langsames (konzertantes) Vorspiel vorausgesetzt, was die Wirkung des Chores m.E. durch ein langsames Hinleiten besser zur Geltung kommen läßt.
“Zaira” ist eine tragische Oper (“tragedia lirica”) mit 2 Acten und einem Libretto von Felice Romani, als Grundlage diente die 1732 entstandene Tragödie “Zaira” von Voltaire, ein Repertoire-Stück auf den Spielplänen gerade auch italienischer Theater.
…orientalischer Flair
Der orientalische Flair des Werkes läßt sich nicht leugnen, dieses hat ja schon viele Schöpfer zu Werken angeregt, weil es einen märchenhafte Charakter des Werkes vermuten läßt.
Hier sei als Vergleich Donizettis “Dalinda” zu erwähnen, das nach 185 Jahren im letzten Jahr (2023) wieder zum Leben erweckt wurde.
Zu Bellinis Lebzeiten kam “Zaira” nach dem Misserfolg von Parma zu keiner weiteren Aufführung.
In neuerer Zeit wurde das Werk erst wieder 1976 in Catania aufgeführt.
Eine Aufführung im Stadttheater in Gießen im Januar 2022 läßt hellhörig werden, es zeigt, dass oftmals kleinere Häuser (in Deutschland!) gute Aufführungen von so einem selten gespielten Werk bringen können und den Interessierten die Gelegenheit geben, das Werk zu sehen.
Stadt-Theater Giessen 2022
Synopsis
Jerusalem im Harem des Sultans, 14.–15. Jahrhundert
*Erster Akt / Atto Primo
Orosmane ist Sultan von Jerusalem und bereitet sein Harem auf eine Hochzeit mit Zaira vor, sie ist Christin, blendet aber ihre Vergangenheit aus.
Nur ein kleines Kreuz um ihren Hals erinnert an ihr vorheriges Leben.
Orosmane bringt ihr höchste Wertschätzung entgegen.
Fatima eine Freundin Zairas ist eifersüchtig und stellt den Vorwurf in den Raum, dass Zaira Christin sei und einen Moslem heiraten will.
Kritische Stimmen am Hof wollen auch keine Christin auf dem Thron von Jerusalem sehen. Der Wesir Corasmino ist der beste Freund Orosmane und stimmt trotz Zweifel der Heirat zu.
Nerestano kommt zu Besuch aus dem Frankenland, es ist der Bruder Zairas, was der Sultan nicht weiß.
Einer der gefangenen Landsleute ist Fürst Lusignano, er erkennt am goldenen Kreuz um Zairas Hals, dass Zaira und Nerestano seine eigenen Kinder sind.
Er kann der bevorstehenden Hochzeit nicht zustimmen und übt Druck auf Zaira aus.
Ihre Liebe zum Sultan wird dadurch aber nicht gebrochen.
Trotzdem will sie aber auf eine Heirat verzichten, auch wenn ihre Liebe bestehen bleibt.
Nerestano verläßt wieder das Harem und man vermutet, dass Zaira mit ihm flüchten will.
*Zweiter Akt / Atto Secondo
Fatima drängt Zaira von der Hochzeit Abstand zu nehmen.
Sie bittet den Sultan ihr Bedenkzeit zu geben.
Lusignano stirbt und wird von seinen Rittern betrauert. Der Sultan gibt sein Einverständnis den Toten nach christlichem Ritus zu bestatten. Zaira darf an der Trauerfeier nicht teilnehmen.
Ein Brief von Nerestano an Zaira wird abgefangen. Nerestano will Zaira in der Nacht im Garten treffen. Er droht mit seinem Tod, wenn Zaira nicht erscheinen sollten.
Dem Sultan wird geraten, den Brief an Zaira kommen zu lassen.
Die Liebe und der Schwur gegenüber ihrem Vater bringt Zaira in einen Gewissenskonflikt.
Zaira hört den Trauergesang und erfährt von Tod ihres Vaters, was sie in Ohnmacht fallen läßt.
Auf einem abgelegenen Platz außerhalb des Palastes warten Orosmane und Corasmino auf Zaira.
Sie erscheint mit Fatima und erzählt, dass sie auf ihre Liebe zu Orosmane verzichten will und ins Frankenland zurückkehren will.
Kurz darauf erscheint Nerestano … aus der Dunkelheit kommt Orosmane hervor und sticht mit einem Messer auf Zaira ein.
Zu spät erfährt der Sultan, dass Nesterano nicht der Liebhaber, sondern der Bruder Zaira ist.
Der Sultan bedauert seine Eifersucht, tötet sich selbst und bricht über der Leiche Zairas zusammen.
Stadt-Theater Giessen 2021/22
Dass das Werk frisch ist und lebt, ist nicht in einer Parallelsetzung mit (heutigen) politischen Konflikten zu sehen, sondern darin, dass wahre Kunst lebt und zeitlos ist, also immer lebt, egal wann und wo und über vielem steht.
*CD-Tipp (Live 2012 im Pal. Ducale, Martina Franca 07/12)
.….….….…..Festival Della Valla D’Itria (Hintergrundgeräusche !)
Festival Della Valle D’Itria (Apulien)
*YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=TJ1sNTRfzRg)
(entspricht der Aufnahme oben – werbefrei!)
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