“Adelson e Salvini”
Sogenannte Frühwerke haben ja den Vorteil, dass sie nicht jeder kennt.
Das, was jeder kennt, verliert irgendwann seinen Reiz, egal, ob es eine Oper, ein Musikwerk oder ein Roman ist.
Wenn man sich nun für die Werke des Schöpfers (Bellini) begeistert, dann kennt man natürlich “Norma”, “I Capuleti e i Montecchi”, “I Puritani”, “La sonnambula” oder “Il pirata”.
Man muss immer bedenken, dass die Werke großer Komponisten der Programmmusik immer daran zu messen sind, was nach dem Ableben des Schöpfers noch aufgeführt wird.
VINCENZO BELLINI (1801–1835) hat in seinem kurzen Leben 10 Werke geschrieben, von denen heute noch 5–6 auf den Bühnen der Welt aufgeführt werden, was eine ungeheure Leistung darstellt.
Zur Erläuterung hat Bellini die Werke “nur” vertont, die Libretti schrieb immer ein anderer, eine gute “Teamarbeit”.
Im Fall des zu besprechenden Werkes, war es ein Herr namens Andrea Leone Tottola (1750–1831), der auch mit anderen Weggefährten Bellinis zusammengearbeitet (Rossini, Gaetano Donizetti u.a.) hat.
Andrea ist ein italienischer Vorname, genau wie Maria ja auch ein deutscher Zweit-Vorname ist, nur am Rande erwähnt.
Das oben zu sehende Mosaik, bzw. Bildnis aus Fliesen ist nicht etwa von mir in einem Museum entdeckt worden, sondern in der Altstadt von Neapel (San Lorenzo, Via Santa Maria di Constantinopoli) hinter dem Piazza Dante im Herzen Neapels.
Es ist über dem Eingang zu einem italienischen Restaurant, was zeigt, dass die Italiener ihre Komponisten schätzen, was in Deutschland eher weniger der Fall ist, oder gibt es ein Restaurant, was Wagner heißt (?).
Ganz in der Nähe zu diesem Restaurant liegt das Konservatorium (Conservatorio San Pietro a Majella di Napoli) wo Bellini als Kommilitone in den Jahren 1819–25 ein Studium absolvierte, was für Neapel-Kundige direkt hinter dem Porta Alba, dem “Tor zur Altstadt” Neapel leicht versteckt liegt.
Bei meinen beiden Neapel-Aufenthalte bin ich öfter dort vorbei gegangen, nur zu dem Zeitpunkt (2009-12) wußte ich noch nicht, dass hier der große Belcanto-Komponist als Schüler tätig war.
Porta Alba am Piazza Dante
Das Werk (Adelson e Salvini) war damals eher zur Belustigung der anderen Kommilitonen geschrieben worden, also als Unterhaltung gedacht.
Die weiblichen Rollen wurden allerdings von jungen Männern übernommen, denn an dieser Hochschule gab es keine Frauen.
Es wurde damals schon geschätzt und von dem italienischen Komponisten Gaetano Donizetti gelobt.
Zum diesem Zeitpunkt war kein anderer als Rossini musikalischer Direktor des Teatro San Carlo in Neapel - verschiedene Arien klingen nach Rossini pur.
Eine Art “Meisterwerk” für einen 23jährigen Studenten, nicht nur eine Belustigung seiner Mitschüler.
Die Uraufführung am 12. Februar 1825 kam gut an und sie wurde an diesem Konservatorium ein Jahr jeden Sonntag aufgeführt.
Aber es war noch etwas ganz anderes, es war und ist das erste Werk des großen Belcanto-Komponisten Vincenzo Bellini.
Man muss wissen, dass Bellinis Werke (außer “I puritani”) alles 2‑Akter sind, bei denen die Handlung in zwei Akten gebündelt ist – Adelson e Salvini ist allerdings zu dem damaligen Zeitpunkt als 3‑Akter von Bellini komponiert worden, was er allerdings später abänderte, indem er das Werk auf zwei Akte reduzierte.
Die erste Version entstand 1825 und die zweite 1826–29.
Adelson e Salvini
Das Werke ist ein Singspiel, oft schon komödienhaft (Opera semiseria) und umfasst ca. 140 Minuten.
Es basiert auf der Novelle Épreuves du Sentiment von François-Thomas-Marie de Baculard d’Arnaud (1718–1805), einem französischen Dichter und Dramatiker, der Romane, Theaterstücke und Trauerspiele schrieb.
Es spielt in Irland (!) im 17. Jahrhundert.
Die Handlung beinhaltet eine Reihe Verwicklungen, Missverständnissen, Täuschungsversuchen und Intrigen mit oftmals humorvollen Scenen.
Ort der Handlung ist ein Schloß des Lords Adelson in Irland, das eine Malschule beherbergt.
Die wunderschöne Schloßanlage enthält zwei Tempel, die zwei markante Sprüche eingemeißelt haben “Der Liebe gewidmet” und “Dem Schmerz gewidmet”.
Dieses zeigt, dass die Liebe (und dieses ist ja auch das Kolorit des Werkes) nicht nur die Lust und das Positive beinhaltet, sondern auch den Schmerz.
Es geht mal wieder wie in vielen Werken um die Kette Liebe-Leidenschaft-Verzweifelung- Verrat-Rache-Wahn.
Nach vielen Liebes-Bekundungen, Selbstmord-Gedanken, fällt sogar ein Schuss, worauf alle sogar an Mord denken, das Werk endet mit einer Art “Happy End” durch die Verlobung von Salvini und Fanny und der Hochzeit von Adelson und Nelly.
So eine Art “Doppelhochzeit” (Richard Wagner “Götterdämmerung”), was Probleme zu beiderseitiger Zufriedenheit aus dem Weg räumt.
Also kein Ende einer Tragödie oder eines Melodramas, sondern eher zur gemeinsamen Belustigung der jungen Männer oder auch um sie auf die Härte und die Zwiespältigkeit der Liebe vorzubereiten.
…keine einfache Liebesgeschichte
Bellini schafft hier also mehr als eine einfache Liebesgeschichte, er schafft hier schon ein tiefgreifendes Werk von menschlichen Gefühlen, das die Liebe, die Eifersucht, Rache, Neid auslösen kann, allerdings läßt er das Werk positiv enden.
Bellini bringt hier schon Elemente seines späteren Könnens ansatzweise zur Geltung, hervorragenden Belcanto-Gesang, fließende kompositorische Linien, chorale Einlagen und vor allem kommt etwas, was Bellini in keinem seiner kommenden Werke wieder aufgreift, es sind ganze Passagen und Dialoge gesprochen (!), was den Ablauf wie die Handlung in einem Spielfilm erscheinen läßt.
Sinfonia – Introduktionen – Arien – Cavatinen – Chöre – Romanzen und Dialoge. Alles zeigt schon die Vorformen des späteren Musik-Genies.
Opera Rara
Das englische Label OperaRara hat sich zur Aufgabe gemacht, eher vergessene und unbekanntere Werke italienische Belcanto-Komponisten in Studio-Aufnahmen zu veröffentlichen.
Sehr lobenswert, denn dies ist die einzige mir bekannte Studioaufnahme des Werkes, hier vom BBC Studio Symphonie Orchestra aus dem Jahre 2016 in London eingespielt.
Wie bereits erwähnt, gibt es von dem Werk verschiedene Fassung, schon allein auf Grund der Tatsache, dass Bellini das Werk später in einen Zweiakter wandelte.
Man hat sich bei Opera Rara entschieden, die ursprüngliche Partitur als Grundlage der Einspielung zu wählen, die damals aufgeführt worden ist.
Bei dieser hervorragenden Studio-Einspielung hat man als Anhang einzelne Duette, Arien und Romanzen aus späteren Versionen als Vergleich angeklammert.
In späteren anderen Werken hat Bellini auch gerne auf Nummern aus diesem Werk zurückgegriffen.
In den Werken „Bianca e Fernando“, „La Straniera“ und „I Capuleti e i Montecchi“ erkennt der geübte Hörer Teile dieses Frühwerkes wieder.
Die Ouvertüre (Sinfonia) erscheint eins zu eins im später “Il Pirata“.
In dieser Neuaufnahme wird kräftig gesungen – Arien, Cavatinen, Romanzen, chorale Passagen und gesprochene Dialoge, es wird also auf die menschliche Stimme als erstes Instrument der Menschheit zurückgegriffen.
Insgesamt liegt hier eine musikalisch gute erste Studioaufnahme dieses “Studentenstreiches” aus der Feder Bellinis vor.
Das Booklet ist hochwertig und informativ mit allen Fakten zur Aufnahme, das Libretto ist komplett allerdings nur in Italienisch und in Englisch abgedruckt. Alles ist mit Fotos bereichert.
Wenn man dieses CD-Paket mit Schuber in der Hand hält, weiß man, dass sich die Geldanlage gelohnt hat.
Teatro Pergolesi Jesi
Wenn man von solchen eher selten gespielten Werken auf den Bühnen der Welt gelungene Inszenierungen sucht, wird man es schwer haben.
Im kleinen Jesi Region Marken oberhalb von Ancona hat man dieses im Jahr 2016 allerdings geschafft.
Die hervorragende (werktreue) Inszenierung am örtlichen Teatro Pergolesi zeigt, dass man in Italien auch die unbekannten Werke italienischer Komponisten hoch ehrt.
Diese Inszenierung ist auch im Internet auf der Plattform “Opera On Video” zu genießen. Wohl gelungen für die Ohren und die Augen.
https://opera-rara.com/shopcatalogue/adelson-e-salvini
https://www.operaonvideo.com/category/bellini/
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Conservatorio di Musica San Pietro a Majella Napoli :
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sh. auch meinen Beitrag :