“Die Zukunfts-Symphonie No.5”
Was ist Kontrapunktisch ?
Zitat :
“Als Kontrapunkt in der Musik wird das Prinzip bezeichnet, bei dem sich zwei gleichberechtigte Stimmen gegeneinander verhalten, aber im Rahmen der Harmonie miteinander verbunden sind. Man nennt diese Konstellation „Gegenstimme“ bzw. Kontrapunkt.”
“Kompositionstechnik, bei der eine Gegenstimme, die in Melodie, Tondauer und Rhythmus einen eigenständigen Verlauf geschaffen hat, womit die Mehrstimmigkeit (Polyphonie) zustande kommt.”
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Mit seiner Fünften Symphonie (in B‑Dur) erreichte Bruckner den Gipfel symphonischer Gestaltung, Steigerungsentwicklung und kontinuierlicher thematischer Verarbeitung.
Sie ist mit über 80 Minuten eine der längsten Symphonien, die Bruckner komponiert hat.
Sie gehört von Anfang an zu den komplexeren Symphonien Bruckners, was die Anforderungen an Musiker und Publikum betrifft, was nicht unbedingt eine Aussage über die Qualität des Werkes sein muss.
Es erscheint bei Bruckner immer eine Hürde der Rezeption und der Aufnahme von der Hörerwelt zu sein, die sich an den Dimensionen, Monumentalität und Ausweitung der Form anstößt und alles sich zeitlich oftmals sehr lang hinzieht, bis die Werke anerkannt werden, dadurch ist der Name “Zukunfts-Symphonie” gerechtfertigt.
Sinfonie Nr. 5 in B‑Dur
*Erste Fassung 1875–1876
*Umarbeitung 1877–1878
Trotz späterer kleinerer Änderungen (1877–78) entstand keine komplett neue Partitur, im Falle der Fünften Symphonie blieb es also bei einer einzigen originalen Fassung.
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Armin Knabs “Die thematische Entwicklung in Anton Bruckners Fünfter” (1908) – dtsch. Komponist, Musiker
“In den ersten 22 Takten der Symphonie sind bereits alle Keime des gesamten Tonwerkes enthalten. Es gibt kein Thema, kein Motiv, ja nicht einmal eine Passage, die sich nicht auf die Eingangstongedanken zurückführen ließ.“
“Bei Bruckner gibt es nichts Isoliertes, nichts Fremdes, keine willkürlichen Einfälle. In Hinsicht auf organische Ausbildung der Thematik stellt er in der symphonischen Literatur einen Gipfel dar.”
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Alle Themen (Themengruppen) der Fünften entwickeln sich in thematischer Substanzgemeinschaft.
Thematische Wiederholungen sind im stetigen Prozeß der Weiterentwicklung.
Diese Entwicklung aller Themen aus einem gemeinsamen Urgestein ermöglicht ein breites Spektrum von Variantenbildungen (ähnlich der “Leitmotiv”-Technik in Wagnerschen Musikdramen), die bei aller Vielfalt ein einheitliches Bild ergeben (ich hoffe, es stimmt).
Dabei bot das kontrapunktische Verfahren die Möglichkeit einer Verdichtung und teilweise immensen Spannungsaufladungung des Materials.
Die ganze Entwicklung zielt auf thematischen Durchbruch und polyphone Zusammenführung im finalen Höhepunkt hin.
Die Fünfte ist eine Symphonie mit unerhörter Hochspannung – Gestaltungsprinzipien des energetischen, hochaufgeladenen Brucknerschen Steigerungstypus.
So konnte Bruckner in technischer und künstlerischer Souveränität eine monumentale Schöpfung vollbringen, die er selbst als sein “kontrapunktisches Meisterstück” bezeichnete.
*Introduction. Adagio – Allegro (1. Satz)
Der mächtige Kopfsatz mit über 22 Minuten Spieldauer, hebt schon alle wichtigen Themengestalten der ganzen Symphonie heraus und wird von einer langsamen Einleitung (Introduction) von gerade einmal 1 Minute begonnen (schrittweise absteigende Pizzicato-Bässe).
In diesem Satz scheinen bereits alle Keime des gesamten Tonwerks enthalten zu sein.
Das Hauptthema erscheint als ein wandlungsfähiges Element symphonischer Verarbeitung.
Appellartige Fanfaren tauchen öfter in diesem Satz auf, genau wie immense Steigerungswellen mit peitschendene Streichern (was schon ein Markenzeichen Brucknerscher Machart ist).
Der Satz klingt aus mit einer enormen Steigerung und Paukenwirbel, was alles bisher gehörte hinter sich zu lassen scheint.
Notenbeispiel 1 : Fünfte Symphonie, 1. Satz, Str., T. 1–6.
*Adagio (2. Satz)
“Sehr langsam” (Tempoangabe)
Was schon bei anderen Symphonien auffällt, so zeigt sich auch hier das Adagio immer wieder als eine Art Ruhepol (Wohlklang), in der Fünften zumindestens am Anfang (wiederum als eine Art Voranstellung).
Das Adagio beginnt also nicht sofort mit dem Thema – einige Takte später setzt das Thema erst ein – das Thema ist nicht sofort ein Thema, es muss erst eines werden.
Die zwei Themen dieses langsamen 2. Satzes werden einer variationsreichen Steigerung unterworfen. Blechbläser übernehmen die Führung, während Streicher für einen gewaltigen Klang sorgen.
Der Satz klingt m.E. eher melancholisch und leicht trübsinnig aus.
Bisherige Symphonien (1–4) weisen von der Spieldauer her kürzere zweite Sätze auf, hier beträgt die Spieldauer 19 Minuten, was schon zeigt, dass die Fünfte ein Werk ist, was einiges an Dimensionen vorheriger Werke sprengt.
Das folgende Scherzo erscheint schon wie ein “kleiner Bruder” zu diesem gewaltigen Adagio-Satz.
Überraschender Weise gibt es eine enge “Beziehung” zwischen dem zweitem und dem dritten Satz, es zeigt sich schon eine Art “Paar-Symptomatik”.
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*Scherzo – Trio (3. Satz)
Scherzo - molto vivace (Schnell)
Trio (im gleichen Tempo)
Das Scherzo (3. Satz) entwickelt sich im Sinne der bekannten brucknerschen Scherzi (derb, ausgelassen, tanzbetont) und das Trio (träumerisch zurückgenommen) und hat eine traditionell dreiteilige symmetrische Form (Scherzo-Trio-Scherzo).
Die Spieldauer des Scherzos der Fünften mit einer Länge von 14 Minuten übertrifft die Länge der Scherzi vorheriger Werke oftmals um das Doppelte.
Es zeigt sich durch die Spieldauer einzelner Sätze im Vergleich mit vorherigen Symphonien Bruckners Drang wesentlich Größeres zu schaffen, was sich nach der Fünften in seiner Siebten weiterführt.
Das bisher Besprochene der letzten beiden Sätze zeigt sich als groß angelegte Vorbereitung für den gewaltigen Schlusssatz.
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*Finale (4. Satz)
Finale. Adagio - Allegro moderato
Das Finale stellt den längsten Satz der Symphonie mit 25 Minuten dar.
Dieser grandiose Finalsatz greift wiederum formal auf die Sonatenform des Kopfsatzes (1. Satz) mit langsamer Einleitung inklusive Andeutungen der Hauptthemen der Symphonie zurück.
Es wird zu einem “Etappen-Ziel” durch Bruckner‘schen Steigerungstypus hingeführt, das letztlich die von Finale-Hauptthema, Choral und Kopfsatz-Hauptthema in der alle bisherigen Höhepunkte übersteigernden Schlussapotheose vorbereiten.
Der “Wiederausbruch” des Hauptthemas des Kopfsatzes (1. Satz) und die dramatische Durchführung im Finale (4. Satz) weist noch einmal auf den zyklischen Zusammenhalt im triumphalen Abschluss hin, was das Zitat „monumentalste Finale der Weltliteratur“ von Furtwängler gut und auch nicht unbedingt übertrieben darstellt.
Bruckners stetes Ringen um die Finale-Idee (sh. Problem Finale) führt in der Fünften zu einer Lösung von Gewichtigkeit, Schlüssigkeit und Struktur, womit eine unerreichbare Höhe erreicht wird.
Falls dies zu kompliziert erscheint, bitte einmal dieses Finale konzentriert über sich ergehen lassen.
Notenbeispiel 2 : Fünfte Symphonie, 4. Satz, Klar., Va., Vc./Kb., T. 29–35
Wie man vermuten kann, habe ich den Begriff “Zukunfts-Symphonie” als Gattungs-Bezeichnung irgendwo aufgeschnappt.
Dieses Werk wurde noch mit verschiedenen anderen Namen betitelt (die Katholische, die Mittelalterliche, Glaubens-Symphonie etc.).
Alle Bezeichnungen scheitern, weil sie nicht aus der Feder des Schöpfers, also Bruckner selbst, stammen und reine Interpretationen darstellen.
Es soll immer den Zugang zu der “Riesenwelt des Riesenwerkes” öffnen, bzw. man versucht dieses dadurch zu öffnen.
Allerdings kann so eine erfundene (Gattungs-)Bezeichnung auch bei jeder anderen Symphonie Bruckners Verwendung finden, was zeigt, dass so eine Betitelung nicht tragbar ist.
Über ein Jahrzehnt musste die Fünfte warten, bis sie komplett aufgeführt wurde. Bruckner hat seine No. 5 selber nie gehört.
“Dies ist mein kontrapunktisches Meisterstück”
(Anton Bruckner)
CD-Tipp :
“Sämtliche Symphonien No.1–9“
Valery Gergiev – Münchner Philharmoniker
Label : MPhil DDD, 2017–2019
Erscheinungstermin : 20.11.2020
Aufnahme aus der Stiftsbasilika St. Florian / Linz
9 CD-Box mit hochwertigem Booklet
*eingefügte Grafiken hauptsächlich entnommen aus
(https://www.abruckner.com)
(http://www.bruckner-online.at/)
*Gewisse Passagen meines Beitrages wären nicht möglich
ohne teilweise Übernahme und Rückgriffe aus Fachquellen
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