“Bruckners Achte”
Durch die ungeheure Verehrung Anton Bruckners für die Musik bzw. tondramaturgischen Strukturen Richard Wagners nennt man Bruckner oftmals den “Wagner der Symphonie”.
Bruckner sah trotz seinen umfangreichen religiösen Werken seinen “Lebensberuf” als Symphoniker.
Die sich steigernde Bombastizität in seinen Werken zeigen eine Anlehnung an die großen Bühnenwerke Richard Wagners mit sogenannten Peripetien (Wendepunkte und Umschwünge in Musikdramen) und immensen musikalischen Steigerungen ins Unermessliche.
Die gewaltigen Maße und Längen von Bruckners Symphonien stießen oftmals in damaligen Zeiten auf Ablehnung, die Beethovenschen Symphonien umfassen etwas mehr als eine halbe Stunde, während Bruckners Monumental-Symphonien vielfach mehr als doppelt so lang sind, was das damaligen Publikum, Rezensenten und Presse stark überforderte.
Und jeder weiß von sich selbst, dass man eher auf Abstand geht, wenn man etwas nicht versteht bzw. glaubt, damit überfordert zu sein – nur gut ist immer das, was man nicht sofort versteht…
Ob Bruckner sich als Symphoniker durch Extrem-Eindrücke der Wagnerschen Werke angesprochen fühlte, lässt sich nicht klar beurteilen.
Jedenfalls ist es problematisch, von persönlichen Eindrücken Bruckners auf die Bedeutung bestimmter Passagen oder Merkmale in seinen Kunstwerken zu schließen.
Bruckners Handschrift weist das Überschreiten der Grenzen des Sinfonischen zum Dramatischen auf.
…der lebendige Klang
Das wichtigste instrumentationstechnische Weiterbildungsmittel blieb für Bruckner auch in späterer Zeit aber immer wieder der „lebendige Klang“, Hörerlebnisse, Klangsprache und auch Franz Liszts “Faust-Symphonie”, die ein chorales Finale hat.
Wenn man an die zahlreichen choralen Passagen in den Werken Richard Wagners denkt, hat dies Bruckner sicher auch interessiert, allerdings kommt in keiner seiner Symphonien eine chorale Passage vor, was die “Faust-Symphonie” Liszts und Beethovens Werke oftmals auszeichnet.
Zum Zeitpunkt der Vollendung der Komposition der Achten Symphonie (1890) kamen Anregungen instrumentaler Hinsicht – neben Hörerfahrungen, die er mit eigenen Werken sammeln konnte – zweifelsohne nur noch von Wagners späten Musikdramen (Der Ring des Nibelungen, Parsifal), was sich in Bruckners Werk an manchem klanglichen Detail aufzeigen lässt (sh. unten).
Die letzte Vollendete….
Bruckners Achte Sinfonie ist nicht nur seine längste von über 80 Minuten, sie ist auch die letzte Vollendete und gilt als eines seiner Hauptwerke.
In der Phase der Komposition der zwei Fassungen (1884–87 / 1887–90) stand Bruckner vom Alter her bereits in den Sechzigern.
Bruckner gehört zu den Komponisten, die erst sehr spät Geltung bekommen haben und auch viel belächelt und unterschätzt worden sind.
Allerdings sollte die Achte dies ändern, denn sie brachte dem Komponisten den Durchbruch zu internationalem Ruhm.
Die Ablehnung, die die Achte erst hatte, konnte natürlich auch an dem Fassungsvermögen des Dirigenten, den Rezipienten und Kritikern liegen, was Bruckner nicht in den Sinn kam, er zweifelte zu viel an sich selbst.
Nach den genannten Ablehnungen und negativen Äußerungen unterzog Bruckner das Werk sofort mehrerer Veränderungen, sodass es zwei Fassungen gibt ; die mir vorliegende, die in diesem Beitrag als Basis zu sehen ist, ist die zweite Fassung (1890 version) aus den Bruckner Gesamt-Aufnahmen der Münchener Philharmoniker unter Valery Gergiev aus dem Jahre 2018 (sh. weitere Angaben unten).
Diese 1890er Version stand bei der Uraufführung 1892 in Wien und wurde zu einem großen Triumph für den Komponisten.
Interpretationen und Deutungen kommen wieder willkürlich von Zeitgenossen, insbesondere dem Musikwissenschaftler und Schriftsteller Josef Schalk, eher ein Vertreter Bruckners und einem doch ihm positiv gegenüberstehenden Publizisten.
Allerdings sind die Deutungsversuche Schalks absolut nicht belegt und auch durch keinerlei Belege gefestigt, dass Bruckner diese selbst hat verlauten lassen.
Dieses ist ein Beispiel dafür, dass man sich als Rezipient nicht von Äußerungen anderer oder der Nachwelt zu den Werken von Komponisten etc. beeinflussen lassen sollte.
Wenn man an das Hinzudichten und Worterfindungen zu den Werken Richard Wagners denkt, zeigt es zwar Phantasie anderer, darf aber nicht mit dem vom Schöpfer der Werke verwechselt werden.
Das Quellenmaterial der Achten Symphonie stellt die bei weitem größte Menge noch vorhandener Skizzen, Entwürfe und Partituren unter den Kompositionen Bruckners dar.
Dies zeigt wiederum, dass Bruckner seine Werke immer im Auge hatte und sich auf Veränderungen eingestellt hatte, um ein perfektes Werk zu schaffen, was nicht nur in seiner Zeit Geltung bekommen sollte, sondern auch für die Nachwelt geschaffen werden sollte.
Wagners “Karfreitagszauber” – Bruckners Adagio der 8. Symphonie
Wie bereits mehrfach erwähnt, lehnte sich Bruckner stark an die Ton-Konstruktionen der Wagnerschen Musikdramen an, allerdings mehr an die Komposition als an das Werk an sich.
Wagners letztes Werk “Parsifal” enstand ja zu den 2. Festspielen 1882 und wurde vom Meister vollendet in Palermo am 13. Januar 1882.
Der sogenannte “Karfreitagszauber” (mit der folgenden “Verwandlungsmusik”) im dritten Act ist ja eine der Kernscenen des ganzen “Parsifal”.
Hier entwickelt sich der Übergang bzw. die Einleitung zur Totenfeier Titurels im Gralstempel Monsalvat, die Umwandlung aus der Natur heraus in den Saal der Handlung nahtlos hinein.
Demgemäß ist von Wagner die Komposition entworfen, es geschieht ein langsames würdevolles Herausschreiten und ein weihevolles Hineinschreiten übergangslos, was den Hörer plastisch nachvollziehbar einen Übergang von dem Grundelement (Natur) in das Heiligste (Gralstempel) kaum erkennen läßt.
Über diese (nicht aus der Gesamtheit herauszuschneidenden) markante Passage läßt sich viel schreiben und es gibt kaum ein Werk (“Parsifal”) über das so viel gerätselt worden ist und was auch von so vielen Seiten vereinnahmt wurde, wie Wagners letztes Werk.
Bruckners fast 30 minütiges Adagio (Tempoangabe : Feierlich langsam, doch nicht schleppend), der 3. Satz der Achten, läßt dem geübten Hörer sofort erkennen, dass Bruckner sich hier an Wagners “Karfreitagszauber”-Konstruktion angelehnt hat (meine Interpretation).
Die Achte Symphonie entstand in ihrer 2. Fassung 1890, Bruckner muss also diesen zaubervollen Klang des letzten Werkes Wagners mehrfach gehört haben.
Man kann also nicht leugnen, dass die begeisterte Verehrung für die Kompositionen Wagners schon tiefergreifend in sein Schaffen, bzw. in die Anlage und Konzeption der Achte Symphonie eingeflossen ist.
Klangkathedralen…
Um ein bißchen poetische Fantasie zu benutzen, kann man die Brucknerschen Werke schon als Klang gewordenen Kathedralen bezeichnen und Wagners “Parsifal” als eine vierdimensionale Klangkathedrale aus Blut und feuriger Symbolik.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Bruckner im 3. Satz seiner Achten, genau wie in der Vierten (“Die Romantische”) den Naturklang anzusprechen versucht (Deutungsversuche von mir !), denn Wagners “Karfreitagzauber” zählt zu den schönsten Naturscenen aller Wagner-Werke.
“Das Finale ist der bedeutendste Satz meines Lebens”
(Brief an Franz Schalk 1885)
Der apotheotische Schluss des Werkes (Finale. Feierlich, nicht schnell) wirkt als Ziel der gesamten Symphonie, nicht zuletzt aufgrund des von Bruckner geschickt gehandhabten langsam sich reduzierende Ausklangs des 1. Satzes.
Problem Finali
Schon immer gab es in den Brucknerschen Symphonien und in den Symphonien allgemein das Streitthema der Finali.
Es gibt intuitiv beim Hörer und Rezipienten eine vorgeformte Erwartungshaltung dem Finale gegenüber.
Man erwartet einen Hochpunkt und dass der Schöpfer etwas Großes geschaffen hat und es mit dem Finale vollendet.
Nur was ?
Interpretationen und ‑versuche lenken in die Richtung “symphonischer Ausklang mit Macht”, “Objektivität eines Naturschauspiels” oder “Zusammenfassung und Synthese des jeweiligen Gesamtwerkes”.
Im Falle Bruckners liegt wohl eher eine Synthese der vorangegangenen Sätze nahe.
Ob es eine gelungene Synthese ist, darf bezweifelt werden.
“Auffüllung einer akustischen Schlußapotheose mit der thematischen Substanz auch der vorhergehenden drei Sätze…” (Werner Korte).
Das rauschhafte, apotheotische Finale der Achten Symphonie (Schlussapotheose) beginnt sehr feierlich und pompös.
Es dominieren zeitweise die peitschenden schon fast schreiende Streicher und wechselt in bombastischen brucknerschen Steigerungen über.
Erst nach über 20 Minuten Laufzeit leitet ein leichter Paukenwirbel dieses Finale des Finales ein, was von immenser Steigerungskraft ist.
Ob Bruckner bei seinem Schaffensvorgang von Anfang an bildliche Assoziationen hatte, bleibt ungeklärt, nur jedem Hörer sollte klar sein, dass dies nicht ein normales Finale ist, sondern schon eine apotheotische (vielleicht sogar apokalyptische) Vollendung, als Antizipation auf die kommenden Neunte als (unvollendete) Schöpfungs-Symphonie, als sein letztes Werk.
CD-Tipp :
“Sämtliche Symphonien No.1–9“
Valery Gergiev – Münchner Philharmoniker
Label : MPhil DDD, 2017–2019
Erscheinungstermin : 20.11.2020
Aufnahme aus der Stiftsbasilika St. Florian / Linz
9 CD-Box mit hochwertigem Booklet
*eingefügte Grafiken hauptsächlich entnommen aus
(https://www.abruckner.com)
*Gewisse Passagen meines Beitrages wären nicht möglich
ohne teilweise Übernahme und Rückgriffe aus Fachquellen
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*Weitere Beiträge in meiner Bruckner-Reihe :
(Sonstiges / Bruckner)