Ein Besuch bei Abbé Liszt

Die Rettung der Symphonie”

Direkt neben der pompösen Villa Wahnfried Richard Wagners, quasi nur ein paar Meter entfernt, liegt die leicht im Schatten der Villa des Meisters liegende Villa FRANZ LISZTS.

Ein roter Backsteinbau mit einem leicht verwil­derten Garten und einem Zaun, eine Büste des großen Pianisten, Dirigenten und Komponisten thront davor.
Leicht mit Efeu bewachsen macht sie sich eher als ein nobles Wohnhaus früher Jahre aus, wenn man natür­lich weiß, wer hier wohnte, wird einem schon komisch…

Ein roter Backsteinbau (2003)

Nun wartete ich schon eine halbe Stunde und als sich nichts regte, ging ich mutig an die bläu­lich gehal­tene Holztür, es war kein Name zu lesen, ich schaute durch das abge­dun­kelte Glas, konnte aber kein Licht sehen.
Nachdem ich dreimal geklopft hatte und sich nichts regte, wollte ich schon leicht enttäuscht wieder von dannen ziehen zu meiner Pension außerhalb. 

Dass eine Kutsche auf der Straße gehalten hatte, hatte ich gar nicht bemerkt und schaute mich leicht über­rascht um.

...in ihr saß Liszt

Vorne saß der Kutscher und hinten wie auf einem Thron saß das große Genie, auf den ich seit gut einer Stunde gewartet hatte.

Ich musste erst einmal Luft holen und schloss kurz die Augen und als ich diese wieder öffnete, merkte ich, dass ich mich nicht getäuscht hatte.

Er war gekleidet wie ein Priester mit einem wein­roten Samtumhang.
Mir war nicht entgangen, dass er geplant hatte ins Kloster zu gehen, was für so einen viel­be­schäf­tigten und beliebten Musiker, der an den größten Höfen Europas gastierte, schon ein biss­chen komisch war.
Aber die Ideen und Handlungen großer Schöpfer sind ja oftmals nicht so ganz nachvollziehbar. 

Er schien gar nicht zu bemerken, dass jemand vor der Tür seines Wohnhauses stand.
Als er die schmie­de­ei­serne Tür mit einem großen Schlüssel öffnete, trat ich ganz dreist ihm entgegen. 

…schön war er gerade nicht

Schön war er gerade nicht, er hatte ein paar Warzen im Gesicht, hatte aber noch die Frisur, die man von soge­nannten “schönen Männern” her kennt, seine silber­grauen Haare waren stark nach hinten gekämmt – es sah einfach toll aus und ich dachte, wie er wohl vor 20 Jahren ausge­sehen haben mag, aber keiner bleibt jung. 

Schöne Männer – zumin­dest die Frisur

Genauso wusste ich, dass die Frauen ihm zu Füßen lagen, vor allem bei seinen Klavierkonzerten, bei denen er sich oftmals schon in eine Art Ekstase spiele und die Damen reihen­weise in Ohnmacht fielen.

Dies sollte aber gar nicht der Grund meines Warten gewesen sein.

Das Symphonische hielt mich von je her gefangen, die “Absolute Musik”, denn letzt­end­lich sagt alles die Musik…
Die Symphonie hatte ein Tief und wie mir zu Ohren gekommen war, wollte Liszt etwas dagegen tun, er plante eine größere Anzahl von kürzeren Symphonien, so hieß es in der Presse, aber da wird ja vieles geschrieben.
Somit wollte ich Näheres und Genaueres über seine “Symphonischen Dichtungen” von ihm selbst erfahren.

Als Schwiegervater Richard Wagners nannte man ihn “Papa Liszt” und genau dieser stand nun mit erho­benen Kopf und Seidenumhang vor mir.

...Sie wünschen

Sie wünschen…”, sagte er eher einla­dend, als abweisend.

Herr Liszt…”, sagte ich etwas schüch­tern, “…wie mir zu Ohren kam…”
Weiter kam ich nicht.

Doch dann holte ich aus, “…Herr Liszt, es ist mir eine Ehre, darf ich mich vorstellen, nein besser nicht…“
Jetzt oder nie, dachte ich.
“Herr Liszt, die Symphonie ist am absterben, große Symphoniker werden Seltenheit und werden höchs­tens nur noch kopiert, wir alle müssen etwas tun, um wieder richtig Feuer in die Massen zu streuen und die bombas­ti­schen Werke eines Beethoven und Bruckners nicht in Vergessenheit geraten zu lassen!”

Ihm schien meine Einstellung und die begeis­terte Rhetorik zu gefallen…

…er schloss die Tür auf

Er schloss mit einem großen Schlüssel die bläu­liche Holztür auf.
Ich schritt mit dem großen Pianisten und Komponisten in seine “heiligen Gemächer”, ich wusste, dass die Wohnorte vieler Schöpfer schon einiges über sie und deren Werke aussagen konnten.
Im Salon stand sein schwarzer Flügel schon fast wie ein Thron und ich fühlte mich wie bei einer Audienz beim Papst.

Fast wie ein Thron (2003)

Alles mit licht­durch­läs­sigen Samtgardinen geziert, durch welche die schon leicht unter­ge­hende Sonne schien – dicke Polstermöbel, über­füllte Buchregeale, ein wert­voller Ohrensessel mit blauem Polster…und hier schafft er seine Werke (?), fragte ich mich.

Ihr Wohnsitz gibt schon etwas her, Herr Liszt…”, sagte ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Er wäre ja in den langen Jahren viel in Rom und in Budapest gewesen, Weimar wäre nur so ein Durchgangsstopp, und Bayreuth sollte sein Altersruhesitz werden, argu­men­tierte er.

Ja, was ist denn jetzt mit der Zukunft der Symphonie ?”, womit wir wieder beim Thema waren.
Einen Kaffee lehnte ich ab, ich habe schon immer Kaffee gehasst…

…er setzte sich an sein Klavier

Er setzte sich an sein Klavier, ich musste schon leicht schlu­cken, hier neben Liszt zu sitzen, ein Moment, der sicher nicht noch einmal in meinem Leben kommen würde.

Tja, junger Mann, Sie erwähnten Beethoven und Bruckner, die können aller­dings nicht alles retten, ich arbeite nicht an einer großen Symphonie, die die Zuhörer über­for­dern würde und von der sich viele eher unwis­send abwenden.”

Sondern…”, streute ich ein.

“Sondern an Symphonischen Dichtungen…”, sagte er.
“Es werden mehrere klei­neren und kürzere sympho­ni­sche Werke sein mit nur einem Satz, es sind die musi­ka­li­schen Umsetzungen einer lite­ra­ri­schen Gattung”.
“Es geht darum den Ausdruck und den beson­deren Tonfall der lite­ra­ri­schen Gattung musi­ka­lisch umzusetzen.”

…ich verstand kein Wort

Ich verstand kein Wort.

“Poetische Kompositionsabsichten mit außer­mu­si­ka­li­schen Programmen werden in sympho­ni­sche Gleise gelenkt, das heißt, die Fusion von zwei Kunstformen, die nahe beiein­ander liegen…

…die Dichtung und die Musik”, erläu­terte er mit stolzen Worten.

Was der Dichter verschweigt, bringt der Musiker zum vollen Erklingen”, warf ich als ein Zitat seines Schwiegersohnes ein.
Aha, Sie scheinen sich ja doch etwas auszu­kennen”, sagte er schon leicht über­heb­lich.

“Das vorlie­gende lite­ra­ri­sche Werk ist der Kern – die Musik wird zum Ausdruck einer dich­te­ri­schen Absicht.”
“Das Ziel sind erst einmal ca. 12 klei­nere Werke, quasi Dichtungen in Tönen, man hat die Dichtung vor Augen, wandelt sie aber in Töne um..also poeti­sche Musik”.

So langsam begann ich ihn zu verstehen.

… und damit wollen Sie die Symphonie retten ?

Und damit wollen Sie die Symphonie oder deren Niedergang retten?”, fragte ich ihn leicht unglaub­würdig anschauend.

“Die Aufweichung alter starrer Formen und die Überschreitung tradi­tio­neller Gattungsgrenzen geben mehr Freiräume für die Fantasie junger Komponisten, denn es muss ja weiter­gehen, und ich bin auch nicht mehr der jüngste”, sagte er leicht ironisch.

“Die normale Ouvertüre wird über­troffen von dieser Gattungsbezeichnungen der Sinfonischen Dichtung, die eine höhere Gattungsbezeichnung darstellen soll.
Der Inhalt wird nicht bloß illus­triert oder nach­er­zählt, er dient als Basis.
Das nicht Darstellbare wird durch die Musik plas­tisch erkennbar…”


“Das Orchester spricht immer die Sprache des Unaussprechbaren…”, zitierte ich wieder stolz.

Er lachte…“tja mein Schwiegersohn kann zwar gut reden, aber von Symphonien hat er keine Ahnung.“
Ich wurde schon leicht verlegen, dass er so über den großen Meister Wagner sprach.

“Tja die paar Dinger hätte er sich auch sparen können”.

Er hatte recht, die wenigen Symphonien Wagners umfassen nur ein Jugendwerk und zwei klei­nere Symphonien, von der er eine sogar mitten­drin abge­bro­chen hatte.

Musik wird zur Dichtung und die Dichtung zur Musik”.
Ein Dichten in Tönen und die Musik erzählen lassen“

Ich saß in meinem Sofa in einem Zustand der Gebanntheit hier vom großen Genie so etwas erläu­tert zu bekommen. 

In jungen Jahren

Als die Sonne draußen unter­ging und durch die Samtgardinen ihre Strahlen warf, kam ich schon in eine Art Trance, als er anfing am Klavier zu spielen.

…das hätte ich niemals gedacht

Das hätte ich niemals gedacht, ich versinke in einem Polstersessel, schließe die Augen und lausche den Klängen des großen Meisters und Lehrers aller Pianisten.
Ich glaubte mich ein einem Traum oder in einem LSD-​Rausch.

Als ich erwachte hatte Liszt sich schon zurück­ge­zogen, er hatte mir gesagt, dass er am Wochenende wieder Richtung Heimat nach Budapest fahren wolle.

Seine halb ausge­trun­kene Tasse Kaffee stand noch auf dem Flügel.

…langsam schlich ich zur Tür

Langsam schlich ich zur Tür, ich wollte mich nicht verab­schieden, viel­leicht hatte er sich ja bereits zur Ruhe gelegt.

Ein letzter Blick durchs Gitter (2003)

Ich schloss leise die Tür und lies das rote Backsteinhaus hinter mir.
Die Brandenburger Str. hoch ging ich dann bei lauen Temperaturen zu meiner leicht auswärts liegenden Pension.

Eine neue musi­ka­li­sche Gattung … erläu­tert von seinem bedeu­tendsten Vertreter, hoffent­lich macht sie Schule und wird die Symphonie retten.

Letztendlich sagt alles die Musik”
(Richard Wagner)

*sh. weitere Beiträge :

Wagner in Verona”

“Friedrich Nietzsche in Weimar”

“Schopenhauer in Frankfurt”

“Goethe in Weimar”

———————————————————————————-

*Liszts sinfo­ni­sche Dichtungen

*Musikermuseen Deutschland

*Franz-​Liszt-​Museum Bayreuth

*Liszt-​Haus in Raiding

——————————————————————————–


*zur akus­ti­schen Illustration : Symphonische Dichtungen (YouTube)

*Eingedenk meiner Besuche im Liszt-​Museum in Budapest, dem Liszt-​Haus in Weimar, der Liszt-​Villa in Bayreuth und der Grabkapelle auf dem Bayreuther Friedhof. 


Sonstiges

Impressum