“Eine Pilgerfahrt zu Arthur Schopenhauer nach Frankfurt a. M.”
Wie häufig bin ich schon daran vorbei gefahren auf meiner Strecke nach Mannheim ? Immer habe ich sie links liegen lassen und nur eines kurzen Blickes gewürdigt.
Als ich mich nun wieder auf der Strecke der Skyline von Frankfurt näherte, dachte ich, dass ich die Chance endlich nutzen sollte und ich verließ die Autobahn am Westhafen und fuhr die Gutleutestraße am oberen Mainufer entlang.
Der Name der sich lang hinziehende Straße klingt schon gut und hinter der Alten Brücke beginnt die Schöne Aussicht, eine Straße, die ihrem Namen alle Ehre macht, denn der Blick über den Main ist nicht der Schlechteste.
…ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße
Ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße und strebte sofort zur Schönen Aussicht Haus-Nummer 17.
An der Schelle stand auch der Name und nachdem ich geschellt hatte, öffnete mir eine Magd.
“Ist Herr Schopenhauer zu Hause, ich hätte ihn gerne einmal gesprochen…” (?), sagte ich etwas verlegen - “…nein, er ist gerade mit dem Hund draußen, aber kommen Sie doch herein – Herr Schopenhauer wird gleich sicher wieder da sein”, sagte die Magd einladend.
So viel Gastfreundschaft hatte ich gar nicht erwartet.
…seine Wohnung war spartanisch eingerichtet
Seine Wohnung war spartanisch eingerichtet, ein großer Schreibtisch mit allerlei Manuskripten und Büchern, mehrere Regale mit Literatur, ein altes ausgesessenes Sofa, ein schon leicht müffig riechender Teppich auf der Erde – aber ein herrlicher Blick über den Fluss aus einem großen Fenster nach Norden hin.
“Tja…”, dachte ich, “…die Wohnung als Spiegel des inneren Ichs…”, dies hatte ich auch schon in Goethes Haus am Frauenplan in Weimar erkannt.
Schon leicht angetan stand ich vor dem Panoramafenster und genoss den Blick auf den Main und die Alte Brücke.
…auf einmal hörte ich Schritte
Auf einmal hörte ich Schritte und drehte mich schnell um – der Pudel war am kläffen, als er mich sah.
“Sie wollten mich sprechen…?”, sagte Schopenhauer, “…was kann ich für Sie tun?”
In dem Moment war ich schon etwas überrascht und ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell dem großen Philosophen einmal gegenüber stehen würde.
Seine Körpergröße maß allerdings knapp über 1,60 Meter, aber die Kleinsten haben immer die meiste Energie.
…auf der Durchreise nach Mannheim
“Ja…”, sagte ich etwas verlegen und zögerlich, “…ich bin auf der Durchreise nach Mannheim und ich dachte…”
“Herr Schopenhauer, ich habe alle Ihre Schriften gelesen, Ihr Hauptwerk alleine dreimal…”
“Ja und…”, sagte er schon leicht abwertend.
Die Magd brachte uns einen Kaffee und Schopenhauer setzte sich an seinen großen Schreibtisch, ich ließ mich auf dem ausgesessenen Sofa nieder.
“Sie haben ja hier einen tollen Blick…”, sagte ich schon leicht ablenkend, um wieder etwas zur Ruhe zu kommen.
“Durch viel Ärger mit meinen ehemaligen Nachbarn, habe ich mich seit einem halben Jahr hier in der Schönen Aussicht niedergelassen, der Blick bringt auch etwas Anregendes für mein Schaffen!“
Da war das entscheidende Wort gefallen, was ich irgendwann hätte ansprechen müssen.
“Ja, ich habe, wie gesagt, viel von Ihnen gelesen und einiges hat mich so begeistert, dass ich es mehrfach gelesen habe, aber…”
“Aber, was…(?)”, wiederholte er.
“Tja, es ist alles sehr gut geschrieben, aber eines kann ich einfach nicht verstehen.“
Langsam erhob er sein Haupt.
Nun musste ich endlich zur eigentlichen Kernfrage kommen, die ich mir vor dem Besuch auf die Fahne geschrieben hatte.
…was haben Sie gegen Hegel ?
“Was haben Sie eigentlich gegen Hegel, dem großen deutschen Philosophen, der hat Ihnen doch gar nichts getan?”
Schopenhauer wurde leicht rot im Gesicht und erschien etwas verkrampft.
“Hegel, Hegel, wie kommen Sie auf Hegel…?”
“Na ja, wenn man Ihre Werke ließt, kommt man ja nicht um diesen Namen herum !”, sagte ich schon etwas vorsichtig.
“Sie haben nichts verstanden, Hegel ist ein nichtsnütziger, dreckiger Schmierfink und Scharlatan…”, sagte er stark erregt.
“Aber Herr Schopenhauer, sie können doch nicht so unanständig über diesen großen Philosophen reden!”, sagte ich ziemlich geschockt.
Plötzlich sprang Schopenhauer wie von einem Blitz getroffen auf, “…Hegel ist ein Miststück und elender Tintenklekser mit langem Bart, mit einem kastrierten Denken, der nur mit hohlem Wortkram um sich wirft…”,
schrie er stark erregt.
Die Magd kam herein, um zu sehen, was passiert war – verließ uns aber wieder – sie schien derartige wutentbrannte Monologe bereits zu kennen.
Schopenhauer rannte zu einem seiner überfüllten Regale und zog zielsicher ein schon stark zerfleddertes Buch heraus.
Ich kam schon leicht in Verlegenheit, weil ich ja Schopenhauer nur einen friedlichen Besuch abstatten wollte.
…in seiner Hand hielt er das Hauptwerk Hegels
In seiner Hand hielt er das Hauptwerk Hegels, “Die Phänomenologie des Geistes”, und ich war überrascht, dass er es überhaupt in seiner Wohnung duldete.
Er blätterte wild darin herum, zitierte ein paar Stellen, “…sehen Sie – alles nur Schmierereien von diesem elenden Gelehrten mit seinem impotenten Gehabe.”
“Fichte und Schelling haben der Welt gezeigt, wie man es nicht machen sollte, aber Hegel hat mit seinen Schmierereien die deutsche Sprache verhunzt, er macht sich daraus ein Gewerbe die Sprache zu demolieren und einen verrenkten Jargon daraus zu machen…aber das Schlimmste bei der Sache ist, dass nun eine ganze junge Generation heranwächst, die dieses Geschmiere ernst nimmt und Hegel als seinen Heiligen kürt”, schrie er völlig ungehalten und schon cholerisch.
…ich wurde immer ruhiger
Ich wurde immer ruhiger, es blieb mir auch nichts anderes übrig.
“In widerwärtigster Art und Weise schafft dieser Flachkopf seine Adepten in sein sinnloses Geschmiere hineinzuziehen, Worte, die man nur in Tollhäusern zu hören bekommen hat!”
Ich kam leicht in Verlegenheit, und hatte nicht gedacht, dass ich so eine Welle der Empörung auslösen konnte.
“Aber Herr Schopenhauer…”, sagte ich, um ihn leicht zu beruhigen, “bedenken Sie, dass Richard Wagner Ihre Schriften hoch schätzt und Nietzsche Sie als sein Erzieher huldigt!”
“Und beide haben nichts gegen Hegel…”
“Ach lassen Sie diesen Verrückten mit seinen revolutionären Ideen und der andere soll in seiner Klappsmühle bleiben..”, sagte er wutentbrannt.
…die Magd brachte uns noch einen Kaffee herein
Die Magd brachte uns noch einen Kaffee herein und ich blickte sie schon leicht hilflos an.
Er nahm das Buch Hegels und schleuderte es in die Ecke, dies hatte er sicher schon mehrfach damit gemacht, denn so sah es mittlerweile aus.
Der Pudel fing an zu bellen und sprang aus seinem Korb heraus.
Ich musste erst einmal tief Luft holen, wollte aber die Diskussion nicht ganz abbrechen.
Um etwas abzulenken, fragte ich Schopenhauer nach seiner jetzigen Schöpfung und an was er denn zur Zeit arbeite (?).
Er zeigte mir einen Ausschnitt aus einem Manuskript, an dem er gerade arbeiten würde und was noch ziemlich wirr aussah, “Senilia – Gedanken im Alter”, so solle es heißen, wie er mich aufklärte und was zur Zeit nur fragmentarisch vorliegen würde.
…er hatte sich mittlerweile leicht beruhigt
Er hatte sich mittlerweile leicht beruhigt.
“Aber darin kommt doch sicher auch Hegel vor…” – ich biss mir auf die Zunge, wieder den Namen genannt zu haben.
“Dieser frech hingeschmierte Unsinn dieses Nichtnutzes unterbindet redliches Bemühen um die Wahrheit ehrlicher Philosophen, und alles von so einem Schmierfinken wie Hegel…da kann man auch nicht herumkommen!”, sagte er wiederum stark empört.
“Mit alle dem haben Sie aber erst aufgetischt, als Hegel unter der Erde war…”, sagte ich schon leicht gewagt, “…warum haben Sie es ihm nicht zu Lebzeiten ins Gesicht gesagt?”
…Schopenhauer wurde knallrot
Schopenhauer wurde knallrot, beruhigte sich aber schnell wieder.
“Verzeihen Sie, aber ich wollte Sie nicht angreifen!”, sagte ich verlegen.
“Wenn etwas der deutschen Sprache und der ganzen Philosophie geschadet hat, dann ist es das dumme Geschwätz eines Hegels, wo nur Strohköpfe ihr Gefallen daran haben, der landauf und landab als die größte Philosophie der Deutschen angeprangert wird, obwohl es nur ein dreckiger, hohler Unfug ist, der im wirren Kopfe eines geisteskranken Heiligen entstanden ist, der die Universität verschandelt.”
…langsam bekam ich Hunger
Langsam bekam ich Hunger, wollte aber nicht einfach Schopenhauers bescheidendes Quartier so verlassen.
Ich schaute mir noch einzelne schon fertig gestellte Fragmente seines nächsten Werkes an, nachdem ich ihn um Erlaubnis gefragt hatte, denn die Schöpfungen vieler Künstler sind demjenigen am heiligsten, der sie selbst geschaffen hat.
Schopenhauer lächelte ein bisschen und sein Pudel knurrte in seinem Körbchen in der Ecke.
“Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen zur Genüge beantwortet habe, junger Mann”, sagte er schon leicht ungeduldig.
“Ja, beziehungsweise fast, aber gewisse Fragen müssen immer offen bleiben, sonst verliert alles ja seinen Reiz”, sagte ich schon im Aufbruch befindend.
“Ihre Wohnung ist wirklich sehr schön, vor allem der Ausblick…”, sagte ich nochmals eher ablenkend, um Schopenhauer in Ruhe zu halten.
Nach einer kurzen Verabschiedung, erreichte ich doch noch leicht erregt und außer Atem meinen Wagen in der Seitenstraße der Schönen Aussicht und ich musste tief Luft holen, bevor ich meine Fahrt Richtung Mannheim fortsetzte.
…dass Schopenhauer gestorben sei
Zwei Wochen später las ich daheim in der Zeitung, dass Schopenhauer gestorben sei und die Magd ihn beim Schreiben an seinem Tisch tot gefunden hätte.
Ich musste schlucken, aber bei seinen Aufregungen über Hegel hat wahrscheinlich das Herz nicht mehr mitgespielt.
Wenn ich nun jeden Sonntag durch die Uni am Hegel-Archiv vorbei jogge, denke ich, was man hier wohl sagen würde, wenn man wüsste, dass ich begeisterter Leser Arthur Schopenhauers bin und ihn sogar noch persönlich kennengelernt habe.
Man würde mich wahrscheinlich herausschmeißen und verjagen.
Wenn dann auch noch ein Gewitter aufzieht, merke ich doch, wie Hegel im Himmel schimpft…
…aber die Frage, warum Schopenhauer Hegel so gehasst hat, ist bis heute für mich nicht beantwortet worden.
“Die Welt hat etwas von mir gelernt,
das sie nicht wieder vergessen wird”
(Schopenhauer)
Weiterführende Beiträge :
*“Wagner in Verona”
*“Nietzsche in Weimar”
*“Goethe in Weimar”
*“Ein Besuch bei Abbé Liszt”
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*sh. auch meinen Beitrag :
*Zitate und Fotos teilweise entnommen der folgenden Ausgabe :
“Sämtliche Werke nach den Ausgaben letzter Hand”
Haffmans Verlag Zürich bei Zweitausendeins, 2006
1. Auflage der Neuausgabe Herbst 2006
Limitierte Ausgabe in 5 Bänden