“Ein Besuch beim Dichterfürst in Weimar”
“Warum willst Du Dich von uns Allen
Und unsere Meinung entfernen ?
Ich schreibe nicht euch zu gefallen
Ihr sollt was lernen”.
GOETHE
Als Samstags in der Früh das Telefon schellte, rechnete ich mit allem, aber damit nicht. Es meldete sich ein gewisser John aus Weimar, was mich leicht verdutzt machte.
“Wie kann ich Ihnen helfen Herr John…?”, antwortete ich leicht verwirrt.
Er wäre der Schreiber und Freund von Goethe.
Ich glaubte erst, dass es ein Witz sei, aber der 1. April war ja schon längst vorbei.
Herr Goethe hätte meine Texte gelesen und ihn stört immens meine Darlegung der beiden schiefen Türme von Bologna, wo ich versuche, seine These des “Schiefen” zu widerlegen.
“Tja”, sagte ich leicht stolz, “es ist kein Versuch, sondern ein Beweis!”.
Und genau darüber wolle der Herr des Hauses mit mir reden und mich aus diesem Grunde zu sich in sein Gartenhaus nach Weimar einladen.
Ich war doch leicht geschockt, holte aber intuitiv meinen Kalender aus der Schublade.
“Geben Sie etwas vor…”
“Was halten Sie von Pfingsten ?”, meinte John und ich willigte ein.
Als sich nun die Pfingsttage näherten, machte ich mich bei strahlendem Sonnenschein mit meinem neuen Volvo auf den Weg nach Weimar, schon fünf Mal war ich dort und hatte mein Lieblingshotel am Park an der Ilm für 2 Nächte gebucht.
Für Sonntag Nachmittag um 14 Uhr war ich zum Tee eingeladen.
Goethes Gartenhaus gehört ja zu den meist fotografierten Häusers Deutschlands und auch ich habe es bei meinen zahlreichen Besuchen mehrfach festgehalten.
Noch leicht zu früh, ging ich an diesem lauen Pfingst-Sonntag siegesbewusst durch das weiße Tor in Goethes Garten.
An der rückseitigen Tür war keine Schelle zu erkennen, deshalb benutzte ich den Türklopfer, allerdings war es gar nicht nötig, denn ich wurde ja erwartet, und John machte mir sofort die Tür auf.
“Schön, dass Sie gekommen sind, Herr Goethe erwartet Sie bereits.”
Die Möbel, das Stehpult, der Sitzbock und die Farben der Wände zeigten, dass es eine Art Rückzugsstätte des viel beschäftigten Goethe war … aber warum nimmt er sich die Zeit gerade mich zu empfangen ?
John führte mich in die erste Etage in ein privates Zimmer des Hausherren.
…als ich doch leicht nervös das Zimmer betrat
Als ich doch leicht nervös das Zimmer betrat, saß Goethe mit dem Rücken zu mir und schaute aus dem Fenster hinaus in den Park.
“…Herr Goethe”, ich traute mich gar nicht laut zu sprechen, “Sie wünschten mich zu sprechen”.
Goethe drehte sich schnell auf seinem Hocker herum.
Er sah aus…tja, wie ein normaler Mensch, im Morgenrock mit einer schwarzen Hose und Lackschuhe, ein hoher weißer Kragen ließ seinen Kopf schon leicht versinken.
“Es ist mir eine Ehre Herr Goethe, dass Sie mir die Freude machen…”, stotterte ich – Goethe lachte leicht zynisch.
Erst einmal bestellte er bei der Magd einen Tee und bot mir einen Stuhl an.
“Ich wusste gar nicht, dass Sie Teefreund sind…”, sagte ich etwas verlegen.
…kommen wir zur Sache
“Na ja”, sagte Goethe, “kommen wir zur Sache…”
“Meine Zeit ist knapp…Sie behaupten, dass meine These zu den beiden schiefen Türmen von Bologna nicht stimmen würde, Sie erlauben sich dieses zu behaupten”, sagte Goethe schon leicht erregt und angriffslustig.
Ich holte erst einmal Luft, behielt aber die Fassung und konterte.
“Ich war dreimal in Bologna und habe dort Einiges erforscht, auch den mittelalterlichen Turmbau…”
Goethe hatte meinen Bericht über die beiden Türme vor sich auf dem Tisch liegen.
“Sie müssen immer bedenken Herr Goethe, auch große Geister können einmal irren.”
Nachdem wir einen Tee genossen hatten, legte ich siegesbewusst los…
“Der Torre Asinelli hat wie jeder weiß, eine ziemliche Neigung und Sie glauben, dass er schräg gebaut worden wäre, und da liegen Sie falsch…“
Goethe schaute ziemlich aggressiv und griesgrämisch aus dem Fenster.
“Und Sie meinen dies besser wissen zu müssen…?”, konterte er.
“Sie müssen immer bedenken, wie viele Jahre die Türme schon stehen, durch das langsame Neigen der Schale des Turmes hat sich ja auch sein Innenleben, also sein Treppenaufgang und seine Stufen geneigt und wenn man hochsteigt, steht man ja im geneigten Turm geneigt.
Man merkt dies aber kaum…eine Art optische Täuschung..”
…Goethe fing immer mehr an zu grübeln
Goethe fing immer mehr an zu grübeln und ich merkte, dass seine Gehirnzellen arbeiteten, er schwieg einen Moment.
“Sie behaupten in Ihrem Buch, die Backsteinschichten liegen horizontal, natürlich liegen sie horizontal, aber dies ist ja kein Beweis, dass der Turm schräg gebaut worden ist.”
Hiermit holte ich voll gegen Goethe aus.
“Der Bau eines solchen Turmes war ja in der damaligen Zeit ein ziemlich mühevolles Unterfangen und zeitaufwendig, aber ihn dann auch noch schräg zu bauen, das war kaum möglich, da liegen bzw. stehen Sie komplett schief Herr Goethe…”
Goethe sagte kein Wort mehr und merkte, dass ich ihn in die Enge treiben wollte.
“Aber es war doch klar”, konterte Goethe, “dass damals alles mit Türmen zugebaut war in Bologna, da musste ja etwas her, was auffiel…”
“Schön und gut, aber das beweist ja nicht, dass der Turm schräg gebaut worden ist”, erwiderte ich.
“Wenn Sie nämlich den Nachbarturm, den Torre Garisenda, betrachten, so sieht man, dass dieser wesentlich kleiner ist, nur er ist auch geneigt, er war damals nämlich schon fast fertig, als man mit Erschütterung sah, wie er sich immer mehr neigte und damit er nicht einstürzte, hat man ihn bis auf eine gewisse Höhe abgetragen, dadurch steht er heute noch.
Er steht ja direkt neben dem hohen Turm, was zeigt, dass das Fundament nicht nur unter dem kleinen schlecht war und ist, sondern auch unter dem großen…”
“Halt…”, rief Goethe und unterbrach mich in meinen umfangreichen Ausführungen.
…er machte einen merkwürdigen Eindruck
Goethe machte einen merkwürdigen Eindruck, er merkte, dass ich ihn mit Fachwissen in die Enge getrieben hatte, er konnte und wollte aber von seiner These nicht abgehen, sonst hätte er ja die Stelle in seinem Buch revidieren müssen, er war in einer Zwickmühle.
Wahrscheinlich hat sich noch kaum jemand getraut, ihm zu widersprechen und er merkte, dass dieses doch möglich ist.
Was nun ? Keiner sagte mehr ein Wort.
Goethe merkte, dass er sich geirrt hatte und ich wollte nicht noch mehr Beweise und Belege auf den Tisch bringen.
…wir tranken noch einen Tee
Wir tranken noch einen Tee und nach ein paar Minuten stand Goethe auf und machte eine Geste des Abschieds.
Tja, dachte ich, auch die Stärksten haben ihre müden Stunden.
Er geleitet mich persönlich bis zum weißen Eingangstor und ich verabschiedete mich dankend für seine Einladung.
“Wir können es dabei belassen”, sagte er mir zum Abschied.
Als ich am nächsten Morgen Weimar verließ, dachte ich, er soll bei seinem Glauben bleiben und ich bei meinem.
Was lernen wir daraus :
“Auch die Stärksten haben ihre müden Stunden”
Nachtrag :
Goethes These, dass die horizontale Schichtung der Backsteinschichten der Beweis dafür wäre, dass der Torre degli Asinelli, der größere der zwei Türme, schief gebaut worden ist, ist nicht tragbar.
Genauso ist es nicht 100prozentig beweisbar, dass durch die Schrägung des “Innenleben” und die schräge Stellung des Hinaufsteigenden, der Turm schräg geworden ist.
Trotzdem deuten fast alle anderen Argumente darauf hin, dass es kaum möglich war, so einen Turm schief zu bauen und dass die Chance, dass er schräg geworden ist, so gut wie sicher ist.
Aber große Geister können sich eben auch einmal irren, sowohl Goethe, wie auch ich.
*sh. auch meine Beiträge zu fiktiven Besuchen und Treffen mit bedeutenden Persönlichkeiten :
“Friedrich Nietzsche in Weimar”
“Schopenhauer in Frankfurt”
“Ein Besuch bei Abbé Liszt”
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*sh. Beitrag Torre degli Asinelli :
*sh. auch meine Fotos in meiner Bildergalerie Weimar :