“Die Erste, die gar nicht die erste ist”
Ende des Jahre 1864 war ANTON BRUCKNER bereits im 40. Lebensjahr.
Dass er eine Art Spätentwickler war, wusste er selber, aber hier setzte sein Freund und Mentor Moritz v. Mayfeld an, er wollte ihn nicht überreden, sondern überzeugen.
Nach der Aufführung der Messe in d‑Moll drängte sein Mentor und auch das Linzer Publikum Bruckner sich an das Symphonische heranzutrauen.
Von Mayfeld erkannte das, was Bruckner zu dem Zeitpunkt noch nicht erkannt hatte, nämlich, dass dieser Komponist ein Talent für die Kunst- und Musikgattung Symphonie hatte.
Trotz später Entwicklung und Hinwendung zum Symphonischen hinterläßt Bruckner ein Gesamtwerk, was seines gleichen sucht mit 9 Symphonien von Weltruhm.
Anfang des Jahres 1865 beginnt Bruckner mit der Komposition seiner Erste Symphonie.
Die sogenannte “Linzer Fassung” bildet den Urstein des Werkes und ist die Fassung, die bis heute, auch wenn eher selten, gespielt wird.
1866 sollte die Uraufführung des Werkes im Redoutensaal in Linz stattfinden, dieses wurde allerdings immer wieder verschoben, sodass sie erst 1868 zum ersten Mal aufgeführt wurde, und zwar dann doch im österreichischen Linz unter der Leitung des Schöpfers selbst.
Bruckners Erste Symphonie, um die es hier gehen soll, hatte nach ihrer Ur-Aufführung 1868 nur gewisse Erfolge im lokalen Raum, war aber ein Anschub für Bruckner den Weg zur Symphonie einzuschlagen.
Studiensymphonie in f‑Moll
Allerdings muss der Wahrheit wegen erwähnt werden, dass Bruckner bereits 1863 die sogenannte Studiensymphonie in f‑Moll durch ein Inspirationserlebnis und die Eindrücke einer “Tannhäuser”-Aufführung in Linz, komponierte.
Nicht außer Acht lassen sollte man den Einfluss von Liszts “Faust-Symphonie”, die Bruckner mehrfach gehört haben muss.
Chorale Einstreuungen wie bei der Faust-Symphonie und auch bei Beethoven werden von Bruckner ignoriert, bzw. kommen nicht zum Tragen.
Bruckner dehnt im Gegensatz zu Wagner so ein Erlebniss (Tannhäuser in Linz) nicht als göttliche Eingebungen aus, was bei Richard Wagner schon ins Utopische der Inspirationslegenden geht.
Davon aber einmal abgesehen, entsteht diese Studiensymphonie (eine Art “Schularbeit”) in nur 4 Monaten und zeigt trotz dem Kopiercharakter bereits gewisse Eigenständigkeit.
Strukturelle Ähnlichkeiten zum Pilgerchor im Tannhäuser werden ein traditioneller Bezugspunkt zum “Wagner-Erlebnis” von 1863, als dessen Folge diese Studiensymphonie anzusehen ist.
Die Studiensymphonie in f‑Moll kommt nicht in der Auflistung der Symphonien Bruckners vor.
Wenn man bedenkt, dass Bruckner erst mit dem 40. Lebensjahr mit Symphonien begonnen hat und erst mit dem 60. Lebensjahr gewisse Anerkennung genoß, ist die Frage, was wäre der Menschheit entgangen, wenn der Komponist früher gestorben wäre (?)
…die Annullierte (Die Nullte)
Bruckner Erste Symphonie war und ist als solches gar nicht seine erste Symphonie.
Denn die Symphonie in d‑moll aus dem Jahre 1869 wurde von Bruckner selbst schriftlich als ungültig (annulliert) erklärt.
“Diese Symphonie ist ist ganz ungiltig – nur ein Versuch” (Vermerk Bruckners auf der Partitur).
Da er das Werk selber schriftlich rückgängig machte, wird sie immer wieder logischerweise als Die Nullte bezeichnet (sie ist aus der Liste der Symphonien ausgeschlossen).
Warum er sie aus dem Kanon seiner Symphonien herausnahm, ist und bleibt ein Rätsel.
Ob Die Nullte vor oder nach der heutigen Ersten Symphonie entstanden ist, ist ein Streitthema, allerdings steht der Zeitpunkt 1869 als Abschluss bzw. Entstehungsjahr fest.
Dieses Annullieren zeigt schon im frühen Stadium Bruckners schwaches Selbstwertgefühl und seinen Selbstzweifel gegenüber seinen eigenen Schöpfungen.
Man kann nun die hier zu besprechende Erste Symphonie Bruckners auch als Lernprozeß zwischen Der Nullten und Der Zweiten deuten, quasi eine Übergangsfunktion, denn sie ist zwar als die Erste tituliert, obwohl es gar nicht die erste Symphonie Bruckners ist.
Die Erste Symphonie (No. 1 in C minor)
Von der Ersten Symphonie, die der Universität Wien gewidmet ist, existieren zwei Fassungen :
*Linzer Fassung (1865–66)
*Wiener Fassung (1890–91)
Die Linzer Fassung ist die frühe Fassung und auch die erfolgreichere.
Diese ist die mir vorliegende in der unten aufgeführten Aufnahme mit Valery Gergiev in der Stiftsbasilika St. Florian bei Linz.
Bei dem Studieren der Komposition sind schon einzelne “Wesensmerkmale” späterer Bruckner-Symphonien zu erkennen, nämlich gewisse Neigung zu Steigerungswellen, enorme Kraftausbrüche des vollen Orchesters und ausschwingende Melodiebögen, was bei späteren Werken das Markenzeichen Bruckners werden sollte.
1890 wurde das Werk allerdings einer gründlichen Revision unterzogen.
Die Abänderung der Ersten Symphonie (Wiener Fassung) bis ins Jahr 1891 hinein, ändert nichts am Charakter des Werkes.
Sie stellt keine Verbesserung dar und erreicht den Schwung, Frische und Wildheit der Linzer Fassung nicht.
1891 wurde die Wiener Fassung erstmals in Wien aufgeführt.
Allerdings bleibt die Linzer Fassung die am häufigsten gespielte.
Die Ur-Aufführung der Linzer Fassung am 09.05.1868 im Redoutensaal in Linz stand unter räumlichen und besetzungstechnischen Problemen – trotzdem wurde das Werk von den eher wenigen Anwesenden warm aufgenommen.
Die Kritiken in der Lokalpresse waren eher positiv.
Bei diesem Thema war Bruckner ja immer sehr empfindlich und leicht beeinflussbar.
Trotz ihrer hohen Qualität führt die Erste Symphonie eine Art Schattendasein und wurde später oftmals nur in einzelnen Sätzen aufgeführt.
Die Orchesterbesetzung des Werkes richtet sich nach von Bruckner geschriebenen Messen (Messe in d‑Moll), was man schon als einen taktischen Schachzug Bruckners ansehen kann, sich nach den Erwartungen des Publikums, die bisher nur den Schöpfer großer religiöser Werke kennengelernt hatten, zu richten.
Allegro (1. Satz)
Das erste fast 15minütige Allegro (1. Satz) macht jeden geübten Bruckner-Hörer stutzig.
Es hat noch einen ziemlich kantigen und ungeschliffenen Charakter.
Es wirkt manchmal schon etwas verworren und kühn, sodass Bruckner es selbst als “kecken Besen” bezeichnete (Briefverkehr).
Wenn man bedenkt, dass die Erste Symphonie Buckners wirklicher Start in die symphonische Welt darstellen sollte, was ihm ja bewußt war (trotz vorheriger Versuche), ist es ja verständlich, dass er erst einmal mit seinem “kecken Besen” komponierte, der noch gewisse Borstigkeit aufwies.
Man kann allerdings auch vermuten, dass Bruckner hier eher spontan komponierte ohne an konventionelle Sonatenformen zu denken.
Das gewagte Allegro steht im Vergleich zu vielen anderen eher singulär in der symphonischen Literatur da.
Mit etwas Fantasie erscheint das Allegro wie eine Allusion an das Tannhäuser-Erlebnis von 1863 in Linz und die Anlehnung an den Pilgerchor der Tannhäuser-Ouvertüre.
Dieses Thema tritt einzeln auf und ohne eine spätere Wiederaufnahme, was man durch die thematische Ähnlichkeit als Huldigung an Wagners Werk deuten könnte.
Außerdem zeigt es ja auch Bruckners tief religiöse Einstellung (Pilgerchor).
Adagio (2. Satz)
Schon der Beginn des 2. Satzes (Adagio) entwickelt die Idee eines “Läuterungsprozesses” (Säuberung, Verfeinerung) und es erhebt sich eine eher düstere, melancholische Stimmung.
Das Adagio in Bruckners Ersten Symphonie liegt von der Spieldauer mit 12 Minuten nur knapp unter der Spieldauer des Allegro.
Nach einer Steigerung mit zarten Streichern klingt das Adagio eher trübsinnig lang ausgedehnt aus.
Wenn man einmal versucht es menschlich zu interpretieren, kann man annehmen, dass Bruckner beim Komponieren dieses Satzes eher in trübsinnige Stimmung verfallen war, oder dass eines seiner Versuche ein jüngeres weibliches Wesen zu ergattern wieder gescheitert war.
Selbst die Presse äußerte sich positiv über das Adagio und dass es seit Beethoven kein bedeutenderes geschrieben worden wäre.
Scherzo (3. Satz)
Das Scherzo (3. Satz) hat mit 8 Minuten die kürzeste Spieldauer der vier Sätze.
Von der Tempoangabe “Schnell” ist es mit ihrem kontrastierenden thematischen Charakteren in einem sehr schnellen Tempo.
Die figurativen und lautstarken Passagen halten den Satz in Gang, von der Introduktion an über bewegte Klangflächen bis hin zum Ende des Satzes.
Das Trio im Scherzo (Tempoangabe : “Langsamer”) ein nur scheinbar simples Hornmotiv stößt eine kunstvoll chromatisch aufwärts geführte Holzbläserphrase an, die an die Entstehungszeit des Trios während Bruckners Tristan-Aufenthalts in München erinnert (Hornruf in Wagners “Tristan und Isolde”).
Finale (4. Satz)
Aus wenigen kurzen, prägnanten Gedanken entspinnt Bruckner im Finale der Ersten Symphonie einen fantastischen symphonischen Satz.
Das Finale hat die Tempoangabe : “Bewegt, feurig” und ist von der Spieldauer her der längste Satz der Symphonie mit knapp über 15 Minuten.
Vor allem im Anfangsteil zeigt sich Bruckners Lust, das klangliche Potential eines Orchesters auszureizen und auf spätere Kraftausbrüche hinzudeuten.
Die feurige und bewegte Komposition führt zum furiosen Schluss des Satzes und der ganzen Symphonie.
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Von der Gesamtspieldauer stellt die Erste Symphonie die kürzeste der neun Symphonien Bruckners dar (knapp über 50 min.).
Laut Aufführungsstatistik werden Die Erste und Die Sechste am seltesten gespielt.
Die Erste Symphonie führt trotz späteren Aufgreifens der Linzer Fassung als eine Art “unverfälschten” Bruckner immer noch die Stellung einer Randerscheinung.
Aber eins ist klar, mit der Ersten Symphonie beginnt Bruckner den erfolgreichen Lauf seiner beachtenswerten Monumental-Symphonien, die mit der unvollendeten Neunten endet, nur als wahre Kunst werden sie natürlich niemals enden…
“Wo der Wissenschaft Schranken gesetzt sind,
da beginnt das Reich der Kunst”
CD-Tipp :
“Sämtliche Symphonien No.1–9“
Valery Gergiev – Münchner Philharmoniker
Label : MPhil DDD, 2017–2019
Erscheinungstermin : 20.11.2020
Aufnahme aus der Stiftsbasilika St. Florian / Linz
9 CD-Box mit hochwertigem Booklet
*eingefügte Grafiken hauptsächlich entnommen aus
(https://www.abruckner.com)
*Gewisse Passagen meines Beitrags wären nicht möglich
ohne teilweise Übernahme und Rückgriffe aus Fachquellen
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