“Wagner in der roten Stadt”
BOLOGNA hat ja nicht nur die älteste Universität der westlichen Welt (seit dem Jahre 1088 n. Chr.), sie hat auch ein Kunst- und Kulturwerk, was auf so engem Raum schon einzigartig ist.
Als Besucher fällt einem schnell auf, dass die unzähligen Museen Eintrittspreise haben, die eher einem kleinen Obolus oder Spende gleichkommt, denn ausgenommen privaten Sammlungen, wird hier das Meiste durch die Universität getragen.
Des Weiteren besitzt Bologna eine der best erhaltendsten zusammenhängenden (!) Altstädte Italiens und sie zählt zu den roten Städten (Marrakesch, Toulouse).
Die Fassaden und deren verschiedenen Rot-Gelb-Schattierungen geben viele Ideen für fotografische Tätigkeiten.
Rot-Gelb-Schattierungen
Neben den Kunstschätzen, der Universität und der Altstadt, hat allerdings Bologna noch eine immense Bedeutung durch etwas anderes.
Denn hier fand am 01.11.1871 zum ersten Mal auf italienischen Boden eine Aufführung eines Werkes von RICHARD WAGNER statt.
Gegen heftige Proteste der heimischen Presse hatte der Gemeinderat der Stadt mit seinem damaligen Bürgermeister Camillo Casarini ( und dem Verleger Franceso Lucca) eine Aufführung des “Lohengrin” im Teatro Communale di Bologna durchgesetzt, was in damaliger Zeit eine Sensation war.
Hierzu sind ein paar Worte nötig.
In damaliger Zeit hatte die Oper generell einen wesentlich höheren Stellenwert als heute.
Dort spielte das öffentliche Leben und die Aufführungen waren ein Spiegel der Kultur der jeweiligen Stadt oder des jeweiligen Landes.
Italien gilt ja als das Mutterland der Oper und des Belcanto mit seiner ersten Garde,allen voran natürlich VERDI, der schon als Volksheld gefeiert wird, direkt gefolgt von ROSSINI, den eher nicht so bekannten Gaetano DONIZETTI und dem sizilianischen Dramatiker Vincenzo BELLINI.
Die zwei Giganten
Man kann sich vorstellen, dass das revolutionäre wagnersche Werk es in Italien nicht einfach hatte.
Die Aufführung des “Lohengrin” in Bologna war allerdings der Beginn des Siegeszuges von Wagners Werk durch ganz Italien.
Unter Wagnerianer gilt Bologna als die “heilige Stadt” des italienischen Wagnerismus.
Diese denkwürdige Aufführung am Abend des 01. Nov. 1871 bedeutete neben dem künstlerisch/kulturellen nicht zu messenden Wert, materiell die jemals höchst eingespielte Summe des seit dem 17. Jahrhundert existierende Hauses bis zu dem Zeitpunkt.
Hier erlaube ich mir eine Notiz von einem gewissen Herren A. Fano in der damaligen Musik-Zeitschrift “Il mondo Artistico” Mailand 1871 zu zitieren :
“An dem Abend des 01. Nov. 1871 überschwemmte eine riesige Menschenmenge das Teatro Communale in Bologna. Man drängte sich in den Logen, jeder kleinste Zwischenraum im Parkett war besetzt, und nicht alleine an der Tür sondern auch im Eingangssaale standen die Zuhörer dicht gedrängt. Die wenigen Schreie >Viva Verdi, Viva Rossini< tauchten unter in dem Applaus eines intelligenten und aufmerksamen Publikums, dem vielleicht wegen der Auserlesenheit des musikalischen Empfindens der erste Rang in Italien gebührte…”
Ein weiterer Musikkritiker mit dem Namen Monaldi schreibt zu demselben Ereignis.
An jenem ersten Abend des LOHENGRIN hatten die mehr als 2.000 Personen, die den schönen und weiten Saal des Teatro Communale betraten, niemals vermutet, daß sie ihn mit der inneren Überzeugung einem musikalischen Meisterwerk beigewohnt zu haben, wieder verlassen würden.”
Ein weiterer wagnertreuer Beiwohner, der Wiener Musiker Ernst Frank verzeichnet zu dieser Lohengrin-Aufführung :
“Das Vorspiel begann, eine in Italien noch nicht da gewesenen Ruhe im Zuschauerraum war die sofortige Wirkung dieses merkwürdigen Tonstückes ; langsam stieg das Gralsmotiv aus seiner überirdischen Geigenhöhe herab in die realeren Bläserexistenzen, immer wachsend, immer neue Farben spielend, und als endlich das ganze wohltönende Orchester einstimmte, da wollte schon der erste Jubel losdonnern…”
Diese drei gekürzten Zitate sind entnommen einer sehr zu empfehlenden Studie zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts Band 35 von Ute Jung aus dem Jahre 1974 (“Die Rezeption der Kunst Richard Wagners in Italien”, Bosse-Verlag Regensburg 1974).
Die Zitate zeigen, dass das Publikum damaliger Zeit in Bologna fachwissend gewesen sein muss, genauso brauchte man erst einmal etwas Gewöhnung, um den neuen Klängen Gefallen zu schenken.
Aber in weiteren Beschreibungen schien die Begeisterung von Aufführung zu Aufführung stetig zu steigen, der Ruf Wagners, seiner Musik und seinem Werk ist in Italien die Bahn gebrochen worden, und dies nicht nur in Italien…
Dieser berühmte Aufführung folgten weitere, sodass am 19.11.1871 auch Guiseppe Verdi dem nicht widerstehen konnte und aus Busseto angereist kam.
Hierüber ist viel geschrieben worden.
Verdi soll versucht haben sich inkognito in der 23. Loge zu platziert, dem Werk zu folgen, trotz Huldigungsrufen des Publikums, erschien er nicht an der Brüstung.
Er soll sich in der mitgebrachten Partitur einige Notizen gemacht haben und verschwand wieder unauffällig und kehrte nachts nach Busseto oberhalb von Parma zurück.
Verdi soll sich über dieses “Erlebnis” eher negativ und abwertend geäußert haben, vielleicht merkte er aber, dass die wagnersche Kunst langsam im Heimatlande Italien niedersinkt und Bologna diesem Werk den Weg ebnete durch ganz Italien seinen Siegeszug zu feiern.
Nach meiner Interpretation merkte der große Meister (Verdi), dass die Zeiten seiner alleinigen Herrschaft auf der italienischen Opernbühne langsam dem Ende zugingen.
Allerdings kann man immer wieder lesen, dass zu dem Zeitpunkt bei Verdi doch auch gewisser Neid aufkam und sein Verhältnis zu dem Dirigenten Angelo Mariani, der die Aufführung leitete, war nicht (mehr) das beste.
Dieses kann man allerdings nur erahnen, denn die Wege, Gedanken und Ideen großer Schöpfer sind ja oftmals nicht leicht nachzuvollziehen.
Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, diese bedeutende Aufführung als einen Wagner-Verdi-Kampfplatz zu miss-interpretieren.
Denn durch viele Schriften und Briefe scheint Verdi im Laufe der Zeit Wagners Werk immer mehr positiv beeinflusst zu haben, sodass ihn Wagners Tod am 13.02.1883 getroffen hat.
Wenn Verdi natürlich glaubte, dass es bei den Lohengrin-Aufführungen des Jahres 1871 bleiben würde, so hatte er sich getäuscht.
Im Mai 1894, also 23 Jahre nach der Uraufführung im Teatro Communale, konnte man die 100. Aufführung des Werkes in diesem Hause verzeichnen und zwar mit einem Publikum, was genauso enthusiastisch und ehrfurchtsvoll den Klängen des Werkes folgte, wie bei seiner ersten Aufführung.
Die später aufgeführten anderen Werke Wagners schafften nicht diesen enormen Erfolg des Lohengrin zu erreichen.
Die 100. Aufführung des Lohengrin stand symbolisch für die Vertiefung der freundschaftlichen Bande und Ehrung des wagnerschem Werk in einer der geistvollsten Städte Europas.
Nun blieb es allerdings nicht bei den Aufführungen, denn Wagner wurde 1872 durch das Magistrat der Stadt die Ehre eines Ehrenbürgers von Bologna zuteil.
Der umfangreichen Dankesbrief (1872) an den damaligen Bürgermeister der Stadt Bologna Camillo Casarini liegt in einer Panzerglasschublade beleuchtet im Museo internazionale e biblioteca della musica in der Strada Maggiore (Palazzo Sanguinetti) in Bologna.
Bei meinem 3. Aufenthalt 2016 habe ich ihn im fast leeren Museum laut vorgelesen, denn die Handschrift Wagners ist gut und deutlich lesbar.
Ich erlaube mir den Anfang und eine Passage zum Ende hin zu zitieren :
“Hochzuverehrender Herr Bürgermeister !
Es wird mir schwer fallen, in der nötigen Kürze die Worte für die Gefühl zu finden, welche die durch Ihre herrliche Vaterstadt mir erwiesene Ehre in mir erweckt hat.
Durfte ich vor einiger Zeit den italienischen Freunden meiner Kunst die unvergleichliche Freude ausdrücken, welche ich über den so viel sagenden Erfolg der Aufführung meines Lohengrin in Bologna empfand, so habe ich nun mein inniges Erstaunen darüber kundzugeben, daß diesem Erfolge selbst von den bürgerlichen Behörden Ihrer Stadt die wichtige Bedeutung zugemessen wird, welche ich in dem Beschlusse derselben, mich zu ihrem Ehrenbürger zu erwählen, zu erkennen habe…”
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”…ein Erfolg, wie der meines “Lohengrins” in Bologna, ist in keiner Stadt Frankreichs denkbar.
Unter dem Zeichen der “Libertas” war es einzig möglich, daß ein Werk, welches zunächst allen Gewohnheiten eines Publikums so gänzlich fremd gegenüberstand, wie das meinige, dem der Bologneser, sofort als ein innig vertrauter Gast begrüßt werden konnte.
Hiermit bekundete der Italiener, daß seine eigene produktive Kraft noch unerschöpft ist, daß der Mutterschoß, aus welchem der italienische Geist die Welt des Schönen wiedergebar, noch jeder edlen Befruchtung fähig ist :
…denn nur wer selbst schaffen kann, fühlt sich frei und jeder Schranke ledig, um die fremden Schöpfungen willig in sich aufzunehmen.”
In dem noch wesentlich umfangreicheren Brief erkennt man erst einmal Wagners erotische Rhetorik und dass er seine Werke als eine gottgesandte Zeugung ansah.
Seinen Hass und seine Verachtung gegenüber dem ablehnenden Frankreichs lässt er nicht aus. Der letzte Satz geht nur schwer aus dem Kopf und entspricht voll der Realität.
Unter dem Zeichen der Libertas
Nun hatte ich bereits bei meinen zahlreichen Italien-Aufenthalten der letzten 20 Jahre immer wieder bemerkt, dass (auch heute noch) die Opernhäuser für die Italiener heilig sind und in so ein Heiligtum kommt man als Besucher nicht herein.
Somit auch in Bologna, wo ich es höchstens bis ins Foyer schaffte, bevor ich vor verschlossener Tür stand.
Die Büste Wagners ist links an der Wand und die Verdis rechts an der Wand neben der Eingangstür zu finden.
…weiter kommt man nicht.
Gut, dass Wagners Werk es weiter geschafft hat als bis ins Foyer.
“Die großen Ideen kommen immer aus dem Herzen
nicht aus dem Kopf”
*sh. auch folgende Beiträge :
*sh. meine Bilder-Galerie Bologna :
Original Dankesbrief zwecks Verleihung der Ehrenbürgerschaft
von Richard Wagner an den Bürgermeister 1872
*Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna