“Wo der Lohengrin entstand…”
Der “Lohengrin” ist das dritte Werk des Kanons der 10 Werke Richard Wagners (ausgeschlossen der drei Frühwerke).
Es ist das erste Werk, was keiner Veränderung mehr unterzogen wurde. Die Werke davor, beginnend beim “Rienzi”, “Fliegender Holländer” und vor allem der “Tannhäuser” haben zahlreiche, oft einschneidende Veränderungen über sich ergehen lassen müssen.
Bei der Bedeutungs-Staffelung für das Gesamtwerk und der kontinuierlichen Weiterentwicklung innerhalb des Gesamtwerkes, nimmt der “Lohengrin” den Platz des ersten durchkomponierten Gesamtkunstwerkes Richard Wagners ein, wodurch der Schöpfer sein Klangideal gefunden hatte.
Die klassische Ouvertüre wird aufgegeben und bei allen folgenden Werken durch das nahtlose Vorspiel ersetzt, was in die erste Scene (!) des
Actes einführt.
Mit dem “Lohengrin” ist ein weiterer Schritt zur Verwirklichung der dramatischen Idee und der Abkehr von der “Nummern-Oper” vollzogen.
…Rückzug-Stätten
Große Schöpfer suchen immer den “Rückzug” an Stätten, wo sie die Ruhe finden, ihre Werke weiter auszuführen oder zu vollenden.
Genauso Wagner, der mit dem “Lohengrin”-Text im Gepäck am 15. Mai 1846 die Ruhe der Natur sucht, und hierfür für drei Monate (Mai bis Mitte Aug. 1846) das damalige Schäfersche Gut in Graupa auswählt, auf halben Wege zwischen Dresden-Pillnitz und Pirna östlich von Dresden, wo er zu diesem Zeitpunkt die ihm bereits überdrüssige Stelle des königlich-sächsischen Kapell-Meisters der Dresdener Hof-Oper bekleidet.
“Zu meiner Erholung von allen überstandenen Mühseligkeiten und Bekümmerungen hatte ich mir nun als höchste Gunstbezeugung von meiner Direktion einen dreimonatigen Urlaub ausgewirkt, um in ländlicher Zurückgezogenheit sowohl mich erholen als reinen Atem zum Beginn einer neuen Arbeit schöpfen zu können.
Ich hatte hierzu ein Bauernhaus auf dem halben Wege zwischen Pillnitz und dem Eintritt in die Sächsische Schweiz gelegenen Dorfe Groß-Graupa ausgesucht…” (Richard Wagner “Mein Leben”)
…Farben hören
Ohne in eine differenzierte Analyse der “Lohengrin”- Komposition einzutauchen, gibt es zwei Besonderheiten (event. auch Neuerungen) im
“Lohengrin” herauszuheben.
Wagner setzt als einer der ersten die Klänge der Musik einer Farb-Scala (Newton-Goethe) gleich.
Der Komponist erschloss sich der koloristischen Dimensionen der Musik und der Instrumentierung.
Die achtfache Teilung der Violinen suggerieren durch ihr unerhörtes Ausdrucksmittel eine Sinnlichkeit der Farbgebung.
“…dem verzückten Blicke höchster, überirdischer Liebessehnsucht scheint im Beginne sich der klarste, blaue Himmelsäther zu einer wundervollen, kaum wahrnehmbaren und doch das Gesicht zauberhaft einnehmenden Erscheinung zu verdichten.”
(Richard Wagner – Lohengrin-Vorspiel, Zürich 1853)
Wiederum ein Zeichen, dass Schöpfer mehr sehen (oder hören), als andere und die Sphären der Tonkunst und der Farbenkunst vereinen und somit eine Fusion aller Lebenseindrücke optischen und akustischen Charakters darlegen.
… Chöre im Lohengrin
Des Weiteren ist im “Lohengrin” die Platzierung und Reaktivität des
Chores interessant.
Der “Lohengrin” gilt als das Werk mit dem größten Choranteil.
Der Chor, also die gebündelte menschliche Stimme, als Urform der Musik, stammt aus einer Zeit, als es noch gar keine Instrumente gab.
Genau wie im “Holländer” und im “Tristan” wird der Chor oftmals wie eine einzelne Sing-Stimme verwendet und eingesetzt.
Im “Lohengrin” werden große Chorsätze allerdings vermieden.
Die Eigenständigkeit des Chores wird aufgehoben, trotzdem ist der Chor fast ständig präsent.
Als aktiver Partner, der an der Handlung teilnimmt, ist der Chor im
“Lohengrin” allerdings sehr passiv.
Er ist immer nur zur Reaktion fähig, nicht zur Aktion und ist der Melodik des Orchesters angepasst, er ordnet sich unter und agiert, wenn er zur Stellungnahme aufgefordert wird.
In der Orchestersprache der wagnerschen Komposition nimmt der Chor im “Lohengrin” nicht nur die Rolle einer handelnden Person, sondern einzelner Instrumente ein.
Hierdurch wird der Chor zum mitspielenden und mithandelnden Instrument des Werkes.
Zur besondere Bedeutung des Chores in der Griechischen Tragödie äußert sich Fr. Nietzsche in einem seiner frühen Werke :
“Diese Überlieferung sagt uns mit voller Entschiedenheit, daß die Tragödie aus tragischen Chore entstanden ist und ursprünglich nur Chor und nichts als Chor war…” (Nietzsche “Geburt der Tragödie” – 1871)
…Wagner in Graupa
Im damaligen Schäferschen Gut (Lohengrin-Haus seit 1907) bewohnte Wagner die im Biedermeier einfühlsam möblierten Räume, die stimmungsvolles Ambiente auszustrahlen scheinen, die der Schöpfer für Kompositions-Skizzen brauchte.
Genauso ergründete der Natur- und Wanderfreund (!) Richard Wagner die Wege der nahen Umgebung, dem Elbe-Flussbad und vor allem den Lochmühlenweg im Liebethaler Grund, bei denen Wagner in seiner Fantasie aufgeht.
Der Liebethaler Grund wird durchzogen von einem sturzartigen Wildbach – der Wesenitz.
Und bei diesen Wanderungen zeigte sich wiederum die schöpferische Kraft und umsetzende Fantasie großer Geister.
Denn Wagner soll an der damaligen Gastronomie “Lochmühle” auf einer Bank gesessen haben und in den Klängen und Rauschen des strömenden Wassers sich Aufzeichnungen gemacht haben, die er dann in der Komposition verwendete.
Umsetzungen der Klänge des Wildbaches in die Musik-Skizze und Komposition des “Lohengrin”-Vorspiels zeigt nicht nur eine Synästhesie der Natur durch die Klänge, sondern ein aus der Natur heraus entstandenes akustisches Symptom.
Die Naturklänge sind nicht nur kompositorische Inspirationsquelle, sondern konkrete Umsetzung.
Genau wie die Umsetzung der Klänge in Farben.
Die Kunst ist eben die Weiterführung der Natur in die Schöpfungen des Menschen.
Wie auf dem obigen Foto zu sehen ist, saß auch ich im September 2005 bei einer Wanderung im Liebethaler Grund immer auf den Spuren des “Meisters” schon fast im Wildbach und legte meine alte Minolta auf einen Felsen und hielt so das Schauspiel der Natur nicht akustisch, sondern optisch fest.
Schon ein leicht gewagtes Unternehmen, aber was habe ich nicht alles schon für Wagner gemacht (?).
Zur Sicherung der Lokalisierung fertigte ich mir vorher einen Plan an, um den von Graupa ca. 5 km weit entfernte Liebethaler Grund zu erreichen.
…Wagner-Monument
Hier begegnet man noch etwas anderem, nämlich dem größten Wagner-Monument der Welt (!).
Wagner-Denkmäler gibt es ja nur sehr wenige, da das Werk Wagner ja selbst ein Denkmal ist.
Doch hier hat ein Bildhauer (Richard Guhr 1873 –1956) aus Eigenmittel ein Denkmal errichtet, was erst 1912 aus Marmor für den Großen Garten in Dresden entworfen worden war – dieses sollte allerdings nicht realisiert werden.
Doch dann kam dem Maler und Bildhauer Guhr eine gute Idee, nämlich das Denkmal dort zu platzieren, wo Wagner bei seinen Wanderungen Ideen und Anregungen zum “Lohengrin” fand, nämlich direkt in die Sandstein-Kulisse neben der Wesenitz am Lochmühlen-Weg, denn besser hätte es ja nicht platziert werden können.
Somit überlebte das Denkmal an diesem Orte auch die Wirren des 2. Weltkrieges.
Die Bronzefigur ist über 4 Meter hoch und zeigt Wagner überlebensgroß als Gralsritter in fallenden Gewand, mit einer Harfe in der linken und der Schale des Heiligen Grals in der rechten Hand.
Umgeben ist der “Meister” von fünf weiblichen und männlichen Figuren zu seinen Füßen, die die wichtigsten Elemente seiner Musik darstellen :
das Sphärische, das Lyrische, das Dämonische, das Dramatisch und das
Dionysisch.
Dieses 12,5 Meter (einschließlich Sockel) hohe, 1928 in Bronze gefertigte Denkmal gilt als das größtes, voll erhaltenes Wagner-Denkmal der Welt – und dies aus Eigenmitteln errichtet.
Es wurde am 21. Mai 1933, dem Vorabend von Wagners 120. Geburtstag, eingeweiht.
Eine Bronzetafel erinnert an seinen Schöpfer und widmet das Denkmal dem Werke Richard Wagners.
“Unter dem Schutze der Amtshauptmannschaft Pirna wurde hier an der Werdestätte des Lohengrin dem Meister von dankbaren Verehrern das erste Denkmal in Sachsen errichtet mit freiwilliger Hilfe der werktätigen Jugend aus den umliegenden Gemeinden.”
(Muehlsdorf-Lochmuehle / im Wagnerjahr 1933)
Eine kleinere Tafel darunter ist dem Schöpfer des Denkmals gewidmet :
“Schöpfer des Richard Wagner-Denkmals
Professor Richard Guhr
geb. am 30. Sept. 1873 in Schwerin
gest. am 27. Okt. 1956 in Höckendorf-Dresden
Aus eigenen Mitteln erstellt”
…Uraufführung
Die Uraufführung seines “Lohengrin” erlebte der “Meister” allerdings selber nicht.
Diese fand nämlich einige Jahre später unter der Leitung von Franz Liszt in Weimar am 28. Aug. 1850 statt, in Abwesenheit des im schweizer Exil lebenden Wagners.
Im Mutterland der Oper, in Italien, hatten Wagners Werke es nicht
einfach.
Das erste Werk auf italienischen Boden war der “Lohengrin” im vollkommen überfüllten Teatro Communale di Bologna am 1. November 1871, das die höchste jemals eingespielte Summe in ihrer Kasse zu verzeichnen hatte.
Verdi soll inkognito anwesend gewesen und nach ein paar Notizen schnell wieder verschwunden sein.
Daraufhin wurde Richard Wagner die Ehrenbürgerschaft der Stadt Bologna überreicht, der Dankesbrief an den damaligen Bürgermeister ist heute im Museo internazionale biblioteca della musica im Palazzo Sanguinetti in einer beleuchteten Schublade unter Panzerglas zu bewundern.
Bei meinen mehrfachen Aufenthalten in Bologna und dem Pal. Sanguinetti habe ich den Dankesbrief immer wieder gelesen, da Wagner eine sehr gute Handschrift hatte.
Unter Wagnerianern gilt Bologna als die heilige Stadt des italienischen Wagnerismus, da von hier der Siegeszug von Wagners Werken durch Italien seinen Anfang nahm.
Nach meinem ersten Aufenthalt in Graupa und einer Wanderung im Liebethaler Grund im September 2005, wurde 4 Wochen später das Lohengrinhaus wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.
Bei einem zweiten Aufenthalt im Mai 2008 war die Ausstellung in einer Schule platziert und das Jagdschloss wurde renoviert.
Im Jahre 2009 wurde die Renovierung des Lohengrinhauses abgeschlossen und ist wieder der Öffentlichkeit zugänglich.
Es stellt einen bedeutenden Punkt auf der “Wagner-Europakarte” dar.
Da hatte ich bei meiner Stations-Tour im Sept. 2005 aber Glück, dass ich kurz vor der Schließung noch die Räume einblicken konnte, wo Teile der Komposition dieses wundervollen Werkes entstanden sind.
“Ich kann den Geist der Liebe
nicht anders fassen als in Musik”
(Richard Wagner)
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* Lohengrinhaus und Wagner-Stätten in Graupa
(http://www.wagnerstaetten.de/)
* weitere Berichte zu Pilgerorte für die Entstehung der
Werke Richard Wagners :
(https://herrrothwandertwieder.de/villa-rufolo-ravello-18802012/)
(https://herrrothwandertwieder.de/palazzo-giustiniani-venedig-18582013/)
(https://herrrothwandertwieder.de/villa-wagner-biebrich-a-rhein-mai-2019/)
https://herrrothwandertwieder.de/grand-hotel-des-palmes-palermo-18822008/
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* sh. auch meinen Beitrag :
*Fotos Pirna-Graupa und Liebethaler Grund :