“Bruckners Vierte”
Was ist romantisch…?
Eine bewußte Überschreitung des Rationalen in Richtung des Unendlichen.
Denn die wahre Welt fängt immer da an, wo man aufhört sie zu sehen. Dieses klingt eher nach Metaphysik und nicht nach Romantik.
Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte wie Schleiermacher, Novalis und Schlegel sahen in ihren romantischen Ideen das Gemüt inmitten des Endlichen mit dem Unendlichen eins werden.
Dieses sollte das höchste Ziel der romantischen Kunst sein.
Aber warum untertitelte Bruckner seine Vierte als die “Romantische”?
Bildhafte Vorstellungen und Hinweise waren ja in anderen Symphonien Bruckners äußerst selten, während er sich in dieser Vierten dazu zumindestens äußert.
Ein “Programm”, also einen gewissen Handlungsablauf findet man allerdings nicht.
Eine Illustration oder Koloration stellt somit die Komposition nicht dar und der Versuch romantische Merkmale in der Musik festzustellen ist nur mit viel Phantasie, bzw. kaum möglich.
Bruckner sah neben seinem tiefem Glauben und seinen christlichen Werken seinen “Lebensberuf” als Symphoniker.
Durch diese Konzentration auf die Instrumentalmusik ist es quasi unmöglich “romantische” Stoffe oder Vorstellungsmuster nachzuweisen.
Die Bedeutungshinweise des Kopfsatzes, die Bruckner gibt, sind eher widersprüchlich und nicht mit dem zu Analysierenden in Übereinstimmung zu bringen.
Erster Satz (Bewegt, nicht zu schnell):
“Mittelalterliche Stadt – Morgendämmerung – von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe - die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie - der Zauber des Waldes umfängt sie – Waldesrauschen, Vogelgesang – und so entwickelt sich das romantische Bild weiter”
Mit einiger Fantasie ist diese Beschreibung durchaus nachvollziehbar.
Man kann es sicher als Inspirationsquelle aus Erlebnissen in der Natur deuten, eine sogenannte Naturomantik.
Kolorit, Sphäre, Impression, Inspiration…es sagt allerdings nichts über die Struktur dieser Vierten Symphonie aus, allerdings ist hier der Begriff “Naturklang” benutzbar.
Franz Liszt Symphonische Dichtungen beinhaltet auch einiges an Natur-Erlebnissen – Liszt vertont aber die poetische Idee (Dichtung).
Er versucht die literarische Gattung musiklisch umzusetzen.
Poetische Kompositionsabsichten mit außermusikalischen Programmen werden in symphonische Gleise gelenkt, das heißt, die Fusion von zwei Kunstformen, die nahe beieinander liegen…
Davon kann man bei Bruckner nun absolut nicht sprechen.
Man kommt bei näherer Betrachtung zu der Erkenntnis, dass Bruckners Erläuterungen lediglich in einem allgemein charakterisierendem Sinne zu sehen sind.
Beziehungsweise sieht man als geübter Hörer immer wieder Bruckners Wagner-Euphorie, wo derartige Naturscenen oftmals Verwendung finden (Waldweben im Siegfried, Winterstürme wichen Wonnemond in der Walküre, Wartburg im Umfeld des Thüringer Waldes im Tannhäuser, das Gralsgebiet nahe der Gralsburg im Parsifal u.v.m.)
Ein Erweckungserlebnis durch Wagners “Tannhäuser” ist nicht auszuschließen.
Auch Wagners “Lohengrin” scheint Bruckner hier angeregt zu haben… “romantisch, religiös-mysteriös und besonders frei von allem Unreinen.“
Die Szenenangaben bzw. Anweisungen Richard Wagners (Lohengrin 2. Act, 3. Scene) sind in Bruckners programmatischen Äußerungen (“…morgendliche Türmer Hornruf in einer mittelalterlichen Stadt”) wiederzuerkennen.
Die örtliche “Färbung” durchzieht diese Symphonie ganz und ist als ein Bild des Waldes- und Naturerlebnisses zu interpretieren.
Trotz dieser atmosphärischen Färbung bleibt Bruckner hier der symphonischen Tradition treu (traditionelle Formschemata à la Beethoven, denen sich Bruckner anschloss), allerdings werden die Sätze wesentlich großräumiger ausgeweitet.
Bruckners Symphonien zeichnet ein klarer, konstruktivistischer Kompositionsbau aus.
Er arbeitet hier, um etwas tiefgreifender zu gehen, nicht mit Themen, wie man es annehmen könnte, sondern mit Themengruppen, die verwandschaftlich aufeinander bezogen sind und mit monumentalen typischen Steigerungszügen, die jeden Hörer in Staunen versetzen.
Auch diese sich oftmals steigernde Bombastizität läßt die Idee von Romantik als Formtypus eher in den Hintergrund treten.
Bruckners Satzdimensionen waren immer Kritikpunkte, sodass der eher naïve Bruckner oft Veränderungen, bzw. Kürzungen vornahm.
Die 4. Symphonie liegt in drei Fassungen vor…
*Erste Fassung 1874
*Zweite Fassung 1878–1880
*Dritte Fassung 1887–1889
Dies ist immer ein Zeichen, wenn der Schöpfer mit seinem Werk oder Teilen seines Werkes nicht voll zufrieden ist oder ihn, im Falle Bruckners, Selbstzweifel quälen oder Ablehnung bei der Presse oder den Zuhörern befürchtet werden.
Einzig und allein in einer Fassung existieren die 6. und die 7. Symphonie.
Dieser innere Drang nach Veränderungen zwecks Verbesserungen (was ja nicht unbedingt immer eine Verbesserung sein muss) hat Bruckner immer wieder überfallen.
Somit wurde auch der dritte Satz der Vierten Symphonie (“Jagd-Scherzo”) angegangen. Bruckner kündigt schon 1878 eine Revision des dritten Satzes an und ihn durch eine Neukomposition zu ersetzen, was zeigt, wie energisch und strebsam Bruckner auf eine perfekte Vollendung hin arbeitet (romantisch ist dies allerdings auch nicht unbedingt zu nennen).
Bruckners eigener brieflicher Kommentar :
“Nur das neue Scherzo bleibt mir noch übrig, welches die Jagd vorstellt, während das Trio eine Tanzweise bildet, welche den Jägern während der Mahlzeit aufgespielt wird. ”
Dieses zeigt die Nähe von Natur und Romantik, was ja nun fast jeder nachempfinden kann.
In diesem Werk (Vierte Symphonie) äußert sich der Schöpfer überraschenderweise häufiger zu seinem Werk, nicht nur zur Gattungsbezeichnung, sondern auch in Briefform, was bei einem eher verschlossenen Menschen wie Bruckner auch selten ist.
Dieser dritte Satz (Scherzo und Trio) verdankt seine ausdrucksstarke Kraft nicht nur den Äußerungen Bruckners, sondern auch seinem Streben nach Veränderung zwecks besserer Qualität.
Nach der Umarbeitung und Revision des Finales (Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell) erhält dieses Werk in seiner dritten Fassung 1880 seine letztendliche Gestalt (2. Fassung mit 3. Finale).
Nach neuerer Quellenlage sah Bruckner aber die 1888 Fassung als seine Endfassung an.
Dies zeigt, welche Probleme der Rezeption entstehen können, wenn die Werke vom Schöpfer oftmals verändert werden, was es der Nachwelt schwer macht.
Die mir vorliegende unten erwähnte Aufnahme mit dem Dirigat von Valery Gergiev (2017) stellt die 2. Fassung mit dem 1880 Finale dar.
Diese Vierte Symphonie in Es-Dur “Die Romantische” brachte seinem Schöpfer Genugtuung und ist eine der populärsten und relativ häufig aufgeführten Symphonien Bruckners.
Sie ist eine der beliebtesten, wozu der Ruf der Fusion von Romantik und Natur sicher auch beigetragen haben mag, einen Ruf, den sie bis in die Gegenwart beibehalten hat.
“…auch die Widerwilligen und früher Kühlgesinnten haben der imposanten Macht Ihrer Musik nicht widerstehen können” (Paul Heyse, 1890)
CD-Tipp :
“Sämtliche Symphonien No.1–9“
Valery Gergiev – Münchner Philharmoniker
Label : MPhil DDD, 2017–2019
Erscheinungstermin : 20.11.2020
Aufnahme aus der Stiftsbasilika St. Florian / Linz
9 CD-Box mit hochwertigem Booklet
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*eingefügte Grafiken hauptsächlich entnommen aus
(https://www.abruckner.com)
*Gewisse Passagen meines Beitrages wären nicht möglich
ohne teilweise Übernahme und Rückgriffe aus Fachquellen
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*Weitere Beiträge in meiner Bruckner-Reihe :
(Sonstiges / Bruckner)