Fürstengruft Weimar (2003/​04)

           “Über den Verbleib von Schillers Schädel”
                                Eine Tragödie in 4 Akten

In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer unge­löste Rätsel, die zu viel Nachdenken, Rätseln, zu Legenden und Mythen geführt haben.
Das verschwun­dene Bernsteinzimmer, die verschol­lene Original-​Partitur von Richard Wagners Frühwerk “Rienzi” nach 1945, die Frage nach der Echtheit des Blutes in den beiden Ampullen des Stadtpatrons Neapels San Gennaro , das angeb­lich im Alatsee bei Füssen versenkte Nazi-​Gold und vieles mehr.

Vieles bleibt ein ewiges Rätsel und wird nie geklärt werden, bzw. führt mit der Zeit in eine Art “Tunnel-​Forschung”, wo man versucht, immer tiefer einzu­dringen, aber alles immer dunkler wird.

Eines dieser Rätsel betrifft einen großen deut­schen Dichter, der neben Goethe immer als der größte (oder zweit­größte) gilt.
Die Rede ist von Friedrich Schiller.
Und dieses Rätsel ist der Verbleib von Schillers Schädel nach seinem Tode am 8. Mai 1805, denn seit dem ist man auf der Suche danach.

Der Dichterfreund

Meine Mutter kannte Geburts- und Todesdaten der beiden großen Dichter auswendig und sagte immer, dass Goethe ja sehr alt geworden wäre (1749–1832), nämlich genau 83 Jahre, was für die dama­ligen Verhältnisse schon eine Leistung war, während Schiller sehr jung gestorben sei (1759–1805), also nur 46 Jahre alt.                                                                 Goethe über­lebte ihn um 27 Jahre.                                                                  Soviel zum Wissen meiner Mutter und ein paar grund­le­gende Daten.                                                                                                                                        Um einmal die Geschichte aufrollen zu lassen, passierte Folgendes. Es fing alles mit Schillers Beerdigung drei Tage nach seinem Tod am 11. Mai 1805 gegen 0:00 Uhr in der Nacht an. Alles klingt ein biss­chen makaber, aber es zeigt, welche komi­schen Wege oft große Geister nach ihrem Tode gehen können.                                      

Schiller Wohnhaus an der Esplanade

Die wenigen Jahre, die Schiller in Weimar lebte, waren durch Krankheit stark getrübt, was die Schaffenskraft des jungen Dichters aller­dings nicht lahm legte, im Gegenteil, er stand auf der Höhe seines Ruhmes und jeder verneigte sich ehrfurchts­voll, der ihm auf der Straße begegnete.

Schillers Schädel Prolog

Als Schiller am 8. Mai 1805 verstarb, verbrei­tete sich unter den Bewohnern Weimars allge­meine Bestürzung und Trauer.
Es sollen nur wenige an der Bestattung Schillers teil­ge­nommen haben, dies liegt aller­dings daran, dass in dama­liger Zeit in Weimar die Sitte herrschte, den Leichnam gegen Mitternacht mit einer kleinen Zahl von Sargträgern zur letzten Ruhestätte zu bringen, während die Totenfeierlichkeiten am Tage darauf folgten.

Im soge­nannten Kassengewölbe auf dem Weimarer Kirchhof wurde Schiller von einem kleinen, aber feier­li­chen Kondukt begleitet, von den Totengräbern und seinen Gehilfen durch eine im Fußboden des Gewölbes befind­liche Falltür in die Tiefe gelassen.
Eine Art Sammelgrab, was der jungen Dichter nicht gerade verdient hatte.
Am folgende Nachmittage fand in der Gottesackerkirche die eigent­liche Trauerfeier für Schiller statt, die sehr pompös und unter Anteilnahme einer großen Anzahl von Menschen stattfand.
Nur einer fehlte, und das war der große Freund Johann Wolfgang v. Goethe.
Viele fragten sich, warum gerade der eng vertraute Dichterfreund bei der Totenfeier seines Freundes fehlte ?
Die Antwort lautet, weil Goethe damals selber bedenk­lich krank war und man es sich nicht traute, ihm die trau­rige Nachricht zu überbringen.
Goethe erfuhr erst einige Tage nach der Beerdigung, dass Schiller gestorben sei, was ihn tief berührte.
Dieses war nun nur der Prolog des Trauerspiels um Schillers Schädel.

Vereint in Leben und Tod

Denn 21 Jahre vergingen, seit die sterb­li­chen Reste Schillers in die fins­tere Gruft versenkt worden waren.
Das soge­nannte Kassengewölbe war ein kleiner düsterer Bau neben dem Eingange in den Kirchhof.
Eine keller­ar­tige, fens­ter­lose Gruft, in der die Särge einer nach dem anderen herab­ge­lassen wurden.
Laut Tradition wurde alle dreißig Jahre das Kassengewölbe “gerei­nigt” und neu “geordnet”.
Es wurden die vermo­derten Sargteile beiseite geschafft, die Knochenrest zusam­men­ge­kehrt und in einer Ecke des Friedhofs verscharrt.
Es musste neuer Platz geschaffen werden für kommende “Gäste”.

Nun beginnt es span­nend zu werden.
Denn zu Anfang des Jahres 1826 erging vom Landschaftskollegium der Befehl, das Kassengewölbe aber­mals “aufzu­räumen”, was den 1. Act um den Verbleib von Schillers Schädel ins Rollen bringt.
Zu diesem Zeitpunkt war der Schiller-Verehrer Carl Leberecht Schwabe Bürgermeister von Weimar.

Schillers Schädel 1. Act

Als er die Kunde bzw. den Befehl zur “Aufräumung” vernahm, setzte er alle Hebel in Bewegung, den Schillerschen Sarg und dessen kost­baren “Inhalt” vor dem Verscharren zu bewahren.
Der sehr enga­gierte Bürgermeister ergriff die Initiative zur Auffindung der Überreste Schillers, fand aller­dings nur durch Feuchtigkeit vermo­derte Holzreste, halb verfaulte Knochenteile und alles in einem mode­rigen Geruch, was aller­dings auch an so einem Ort nicht anders zu erwarten war.

Doch leicht entmu­tigt ließ Carl Leberecht Schwabe nicht nach.
Er hatte in der Gruft einige Schädel entdeckt und kam auf die Idee zu mindes­tens den Schädel Schillers zu eruieren und vor dem voll­kom­menen Verschwinden zu retten.
Das war der erste Schritt auf der “Jagd” nach Schillers Schädel.
Es begann ein Jahrzehnte langes Suchen nach dem Schädel, indem das Gehirn des großen Dichters einst unter­ge­bracht war.

In dem Kopfe steckt viel drin…

Und jetzt wurde es nämlich schwierig, denn ein weiteres “Aufräumen” wurde unter­sagt und es erhob sich Protest von Seiten der Geistlichen der Stadt.

Doch jetzt kam etwas, was schon an einen Edgar-​Wallace-​Krimi erin­nert, denn gegen den Protest bestieg der enga­gierte Bürgermeister an drei aufein­an­der­fol­genden Nächten im März 1826 gegen 1 Uhr des nachts mit mehreren Arbeitern heim­lich die Gruft des Kassengewölbes – eine Art “Nacht- und Nebel-Aktion”.
Noch einmal wurde in der vermo­derten Gruft alles in nächt­li­cher Stunde in Bewegung gesetzt, um die Schädel und Gebeine zu ordnen.
Bei Laternenlicht wurden 23 Schädel geortet und zur Seite gelegt.
Laut den Akten waren auch genau 23 Tote seit der letzten Räumung beigesetzt worden. Also musste der Schädel Schillers dabei sein.
Voller Euphorie und sieges­ge­wiss ließ der über­glück­liche Bürgermeister die 23 Schädel in seine Wohnung bringen, wo sie penibel gesäu­bert und gewa­schen wurden.
Als alle Schädel auf einem langen Tische lagen, hob sich ein Schädel allein schon durch seine Größe heraus, woraufhin es allen aus dem Mund schoss : “…das ist er!”
Viele andere  gaben auch an Hand der noch vorhan­denen Zähne an, dass einzig und allein dies der Schädel Schillers sein musste.
Zeitgenossen wurden zur Begutachtung einge­laden, Vermessungen fanden statt und alle waren sich sicher, dass der Schädel Schillers gefunden worden wäre.
Von den gefun­denen 23 Schädeln war der angeb­lich Schillersche Schädel auch der größte und es gab sogar Studien von einem  Wiener Arzt für Schädelkunde Franz Joseph Gall, die besagt, dass große Genies auch große Schädel brauchen.
Diese nicht ganz trag­bare Theorie war Goethe damals wohl bekannt.
Nun befahl der Herzog Carl August, die (angeb­li­chen) Reste Schillers im Sockel einer Büste in der Bibliothek in einem feier­li­chen Akt zu deponieren.

Mit Schädel im Sockel


 Schillers Schädel 2. Act

Nun begann der 2. Act in der Tragödie um Schillers Schädel.
Denn Goethe hatte an allem warmen Anteil genommen und war ja zu allem auch ein Kenner der Osteologie (Knochenkunde).
Er hatte die Oberaufsicht über alle Anstalten für Wissenschaft und Kunst des Herzogtums Weimar.

              “Wie Schillers Schädel in die Hände Goethes kam”

Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins. Eigentlich sollte ich eine neue Lebensweise anfangen ; aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg mehr.
Ich sehe also jetzt nur jeden Tag unmit­telbar vor mich hin, und tue das Nächste, ohne an eine weitre Folge zu denken.”
(Brief an Carl Friedrich Zelter, 1.6.1805)

Goethe wurde beim Anblick von Schillers Schädel doch leicht melan­cho­lisch, ob nun geschau­spielt oder nicht…

Goethe wollte nun aber seine Studien weiter ausdehnen und ließ sich am 24. September 1826 den (angeb­li­chen) Schädel Schillers in sein Haus am Frauenplan bringen.
Er bettete ihn auf einem Samtkissen mit einer gläsernen Glocke darüber und zeigte ihn nur sehr wenigen Besuchern.
Mit einiger Sicherheit hat Goethe durch sein Interesse auch Studien an dem Schädel durch­ge­führt, die an den oben erwähnten öster­rei­chi­schen Arzt der modi­schen Phrenologie anlehnten.
Heute haben sich die Theorien der Schädelform in Bezug auf die geis­tige Stärke des Schädel-​Trägers als irrig erwiesen.
Aber die Forschung um den Intellekt des Menschen muss ja immer weiter­gehen.

Schillers Schädel ? Schaufenster Aix-​en-​Provence Süd-Frankreich

Da Goethe nun einmal auch ein großer Dichter war, hatte er beim Betrachten von Schillers Schädel natür­lich sofort einen krea­tiven Erguss auf den Lippen, den ich mir erlaube hier zu zitieren :

Im ernsten Beinhaus war’s, wo ich beschaute
Wie Schädel Schädeln ange­ordnet paßten ;
Die alte Zeit gedacht’ ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih’ geklemmt’ die sonst sich haßten,
Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
Sie liegen kreuz­weis, zahm allhier zu rasten.
Entrenkte Schulterblätter ! was sie trugen
Fragt niemand mehr, und zier­lich tät’ge Glieder,
Die Hand, der Fuß, zerstreut aus Lebensfugen.
Ihr Müden also lagt verge­bens nieder,
Nicht Ruh im Grabe ließ man euch, vertrieben
Seid ihr herauf zum lichten Tage wieder,
Und niemand kann die dürre Schale lieben,
Welch herr­lich edlen Kern sie auch bewahrte.
Doch mir Adepten war die Schrift geschrieben,
Die heil’gen Sinn nicht jedem offenbarte,
Als ich in Mitten solcher starren Menge
Unschätzbar herr­lich ein Gebild gewahrte,
Daß in des Raumes Moderkält und Enge
ich frei und wärme­füh­lend mich erquickte,
Als ob ein Lebensquell dem Tod entspränge.
Wie mich geheim­nis­voll die Form entzückte !
Die gott­ge­dachte Spur, die sich erhalten !
Ein Blick der mich an jenes Meer entrückte
Das flutend strömt gestei­gerte Gestalten.
Geheim Gefäß ! Orakelsprüche spendend,
Wie bin ich wert dich in der Hand zu halten ?
Dich höchsten Schatz aus Moder fromm entwendend,
Und in die freie Luft, zu freiem Sinnen,
Zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend.
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als daß sich Gott-​Natur ihm offenbare ?
Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,
Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.

Nun war dies aller­dings nicht das Ende der Tragödie, denn im August 1827 gestat­tete König Ludwig v. Bayern Weimar einen Besuch ab und signa­li­sierte Interesse an einem Grab-Besuch.
Es musste also sehr schnell der Schädel wieder in die Kiste im Sockel der Büste Schillers in der Bibliothek gebracht werden.

Zurück mit dem Schädel in die Bibliothek

Als nun diese eher provi­so­ri­sche Unterbringung der leib­li­chen Überreste Schillers in der Bibliothek den könig­li­chen Besucher nicht unbe­dingt als dauer­hafte Lösung erschien und er dieses auch kundgab, zeich­nete sich schon der 3. Act der Tragödie um Schillers Schädel am Horizont ab.

Wo ist bloß Schillers Schädel ? (Garten Goethehaus Frauenplan)

Nun wurde unter großer Anteilnahme am 16. Dezember 1827 die leib­li­chen Überreste in der heutigen “Fürstengruft” auf dem Weimarer Friedhof für jeden frei zugäng­lich über­führt, wo seit dem 26. März 1831 auch sein Dichterfreund Goethe neben ihm fried­lich “ruht”.
Dieses “Happy-​End” wäre aller­dings für die Geschichte ein biss­chen zu einfach gewesen, auch wenn der Weg bisher ein nicht gerade normaler war.

 Schillers Schädel 3. Act

August 1911 trat aller­dings der Tübinger Anatom August von Froriep die “Bühne” und bekun­dete bei dieser “Tunnel-​Forschung” Zweifel an der Echtheit und dem Wahrheitsgehalt der ganzen (bishe­rigen) Tragödie.
Er bekam es bei offi­zi­ellen Stellen durch, eine weitere Grabung auf der Jagd nach Schillers (echten) Schädel durch­führen zu können.

Er präsen­tierte als Ergebnis der Grabungen an den bekannten Stellen einen weiteren Schädel, den er als den wirk­lich echten Schädel Schillers vorlegte (unter weiteren 62 anderen Schädeln). 

Trotz starker Zweifel und Proteste wurde nun auch der von Froriep bezeich­nete Schädel mit den dazu­ge­hö­rigen Knochenresten in einem kleinen Sarg am 9. März 1914 in der Fürstengruft beigesetzt.
Jetzt hatte Schiller sich verdop­pelt und war seit dem doppelt zu bewun­dern, nachdem er erst gar nicht zu bewun­dern war.

Fürstengruft Weimar – für alle zugänglich

Wie die Geschichte nun einmal spielt, deutete sich 1945 ja das Ende an, was auch an den Resten Schillers und Goethes keinen Stopp machte.
Die beiden Särge (plus die Überreste der Froriep Grabung) wurden gesi­chert in einen Stollen ausge­la­gert, um sie vor der Zerstörung zu schützen.
Nach 1945 wurden dann die beiden Särge wieder zurück in die Fürstengruft nach Weimar gebracht, womit der 4. Act der Tragödie um Schillers Schädel beginnt.

Schillers Schädel 4. Act

Goethes “Überreste” wurden in der Zeit der DDR ins “Helle” beför­dert, indem man den Sarg öffnete und alles “rein­wusch”, d.h., dass man alles, was man vorfand, etwas ordnete, alles Verrottete entfernte (?), alles wusch und wieder neu für die kommenden Jahrzehnte im Sarg bettete.

Der Experten-​Streit hielt aller­dings an, denn ein Faktum ist ja, dass im Schillerschen Sarg ein Schiller lag und in dem kleinen Sarg daneben auch, einmal der Froriepsche und einmal der Schwabesche.
Es ist also kein Wunder, dass diese Tatsache vielen keine Ruhe ließ, weil man immer noch nicht defi­nitiv wusste, welcher nun der wirk­liche Schädel Schillers war.
Neuere morpho­lo­gi­sche Studien tendieren wieder zu der Schwabeschen Ausgrabungen.
“Tendieren” aller­dings nur…

…er macht es der Nachwelt nicht einfach

Es ist auch nicht klar, ob einer der beiden (!) Schiller-Schädel über­haupt zum Haupte des großen Dichters gehört.
Und es ist durchaus möglich, dass Schiller in den 2 Jahrhunderten doch wesent­lich ruhiger an anderer Stelle gelegen hatte.

Die Stiftung Weimarer Klassik hüllt sich eher im Schweigen, wahr­schein­lich erkennt sie, dass alles immer dunkler wird, um so tiefer man bohrt, es wird zwar alles immer breiter, aber auch immer undurchsichtiger.
Aber letzt­end­liche Ruhe gibt keiner, schon aufgrund der Tatsache, dass man weiß, dass so ein großer deut­scher Geist, der soviel der Menschheit hinter­lassen hat, ohne Kopf ist – zu mindes­tens nach seinem Ableben.

Letztendliche Klarheit gibt es nicht, trotzdem hat die Universität Jena ein Projekt gestartet, dass sich “Der Schiller-​Code” nennt – moderne DNA-​Analysen sollen die Echtheit einer der Schädel (denn Schiller kann ja nur einen gehabt haben) dahin­ge­hend fest­stellen, dass man Analysen und Ergebnisse aus der Schiller-Familie mit den Schädeln vergleicht (soweit ich dies verstanden habe).
Beim Stand 2007 sind aller­dings konkrete Ergebnisse noch nicht ans Tageslicht gekommen. Schiller macht es uns nicht einfach.

Doch wurde im Mai 2008 (was ja auch schon wieder 10 Jahre her ist) erstes Konkretes veröf­fent­licht, was ich zum Ausklang des 4. Actes der Tragödie um Schillers Schädel nutze.

Jetzt glaubt man, dass es nun span­nend wird und die Wahrheit ans Tageslicht kommt, doch muss man bedenken, dass eine “Tunnelforschung” nie zu Ende ist, egal in welchem Jahr man sie startet, und wenn man natür­lich glaubt, man sei heute schlauer als damals, so ist die Menschheit ja schon oftmals eines Besseren belehrt worden.

Schillers Schädel – Epilog

* Der Schädel, den Carl Leberecht Schwabe als den Schillerschen (auch Fürstengruftschädel genannt) 1826 hinge­stellt hat, gehört nach gentech­no­lo­gi­schen (verläß­li­chen?) Untersuchungen einem Unbekannten, keinem, der mit Schillers Schwester oder Söhne verwandt sein kann.
Außerdem soll er bevor er in Goethes Hand über­ging, mani­pu­liert worden sein (Herbert Ullrich, 1959).

* Die Skelettteile, die jahre­lang im Sarg Schillers (in der Fürstengruft) gelegen hatten, stammen von mindes­tens drei Individuen, die nichts mit Schiller zu tun hatten.

* Das Auffinden eines Doppelgängers von Schiller wird nicht ausgeschlossen.

* Der von August v. Froriep 1911 ans Tageslicht gebrachte Schädel stammt sogar von einer Frau, es scheinen hier ekla­tante Fehler gemacht worden zu sein.

Bei der Todesursache handelt es sich nicht um einen gezielten Anschlag Außenstehender, primäre Todesursache bleibt eine lang währende, verschleppte Tbc-Erkrankung.

* Eine weitere schon bizarre Theorie aus dem Jahre 2008 stellt die Theorie auf, dass es sich auch um einen Grabräuber handeln kann, der in der Zeit zwischen 1805 (Begräbnis) und 1826 (erste Wiederaufsuchung durch Schwabe) gezielt vorge­gangen sein muss.
Der von Schwab gefun­dene Schädel gleicht sehr auffal­lend der Totenmaske und den Merkmalen von Schillers Physiognomie.

Theoretisch ist es ja möglich, dass eine Person sich des echten Schiller-Schädels bemäch­tigt hat und ein genaues Duplikat (profes­sio­nelle Fälschung) in die Gruft (bzw. in den Sarg) gelegt hat (Reliquienräuber-​Theorie).  

Bei dieser These ruht Schiller voll­kommen uner­kannt (und fried­lich) in einer Reliquien-​Sammlung oder in einem (privatem) Schaukasten (Panoptikum).

Hierbei wäre natür­lich Fachwissen, Geschicklichkeit, Professionalität und Dreistheit vonnöten gewesen.
Bei dem schon erwähnten Wiener Arzt für Schädelkunde Franz Josef Gall waren Schädel immer gefragte und gesuchte Objekte, vor allem Prominenten-​Schädel, da dieser Arzt ja die These vertrat, dass die Höhe des Geistes eine große Schädel-​Größe benö­tige (was heute als irrig verworfen worden ist).
Und diese “Promi-​Schädel” waren ja auf legale Weise nicht zu besorgen, man musste schon (bei Nacht und Nebel) Gräber öffnen, hinein­steigen und Schädel ans Tageslicht bringen.
Klingt ein biss­chen skurril, möglich ist es aber…
Bei dieser Theorie kann man eigent­lich nur hoffen, dass sie nicht stimmt und ein weiterer Teil der soge­nannten “Tunnel-​Forschung” ist, bei der man nach immer neuen Möglichkeiten sucht und sogar zu solch schon fast perversen Theorien vordringt.

Irgendwann fragt man sich, wozu eigent­lich der Schädel Schillers nutze sei, denn wenn man etwas so akri­bisch sucht, muss das doch einen Sinn haben – wenn man den echten Schiller-Schädel gefunden hätte, was hätte das gebracht, außer dem Erfolgserlebnis etwas lang Gesuchtes endlich zu finden, schon fast wie im Kindesalter, wenn ein ans Herz gewach­senes Spielzeugt weg ist und man es nach langer Suche wieder findet.
Von den Kosten der “Schädelsuche” ganz zu schweigen, wo man sich nur an den Schädel fassen kann.
Ein rein mensch­li­ches Symptom der Ergründung :
…einmal auf die Schiene gesetzt, ist sie zum Erfolg verdammt, und wenn dieser nicht kommt, wird geforscht, geforscht und geforscht.
Man hofft auch, die oftmals hohen Kosten, durch ein schlag­kräf­tiges unum­stöß­li­ches Ergebnis zu recht­fer­tigen und den Ärger über die Kosten in die Vergangenheit zu befördern.

Wenn es nun defi­nitiv seit 2008 im Sarg Schillers keinen Schiller mehr gibt, ist die Frage, warum der Sarg über­haupt noch in der Fürstengruft neben Goethe steht (?). Hier ist die Antwort eigent­lich ganz einfach.
Auch wenn jedem klar ist, dass der Schiller-Sarg leer ist, gehören die beiden größten Dichter Deutschlands einfach zusammen, im Leben und im Tod.
Genauso stand nun mal der Sarg Schiller so lange Jahre neben Goethe, dass es Hohn wäre, ihn jetzt dort wegzunehmen.
Außerdem kann er als ein Kenotaphium (d.i. leeres Grabmal zur Erinnerung an diese Persönlichkeit, für den Fall, dass diese Person entweder nicht auffindbar ist, oder im fremden Lande weit entfernt beer­digt liegt), also eine Art Denkmal und ein Hinweis, dass diese Person dort hingehört.
Und dort (neben Goethe) gehört er ja auch hin !

Fürstengruft Weimar (entnommen www.klassik-stiftung.de)

Schiller war nie in der Fürstengruft gewesen, nur eine Vision von ihm, und diese haben unzäh­lige Besucher aus der ganzen Welt 180 Jahre lang mit nach Hause genommen.
Auch bei meinen Weimar-Besuchen 2003 und 2004 stand ich vor den Särgen der beiden Dichter und hatte ange­nommen, dass neben Goethe auch Schiller in dem Eichensarg liegen würde, was ein im Nachhinein erst an Tageslicht gekom­mener Irrtum war.

Ganz ehrlich gesagt, befrie­di­gend ist die unend­lich Forschung, bzw. deren “Ergebnisse” nicht !

Vereint aus der Erbschaft meines Vaters

Abschließend lässt sich sagen, dass das Werk eines Schöpfers wie Schiller nun mal wesent­lich wich­tiger ist, auch dieses Werk zu erhalten, als seinen Schädel zu suchen.
Das Schädel-​Zerbrechen über den Verbleib des (echten) Schädels ist, wenn man ehrlich ist, ja unwichtig im Vergleich zu dem Werk, was einst im Schädel entstanden ist, ob nun von Schiller oder jedem anderen Schöpfer.

Goethes letztes Wort

Das aller­letzte  Wort hat dann aller­dings doch der Weggefährte Schillers, nämlich unser Goethe :

Das wirk­liche Leben verliert oft derge­stalt seinen Glanz, dass man es manchmal mit dem Firnis der Fiktion auffri­schen muss!”
                                   (Dichtung und Wahrheit, J.W.v. Goethe)

                                                                                                                                      Was lernen wir daraus :

                  “Faszinierend ist nur das Unergründliche”

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Der Beitrag gibt keine Gewähr auf Vollständigkeit und genaue Korrektheit – Näheres kann in unten ange­ge­bener Fachliteratur nach­ge­lesen werden.

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* Literatur :

- “Schillers Schädel” (Albrecht Schöne, C.H.Beck 2005)
- “… und ewig währt der Streit um Schillers Schädel” (Herbert Ulrich, 2008)
- “Schillers Schädel : Physiognomie einer fixen Idee” (J. Maatsch, Wallstein-​Verl. 2009)

* Weimarer Klassik Fürstengruft


(HerrRothBesucht/​Sonstiges)

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