“Über den Verbleib von Schillers Schädel”
Eine Tragödie in 4 Akten
In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer ungelöste Rätsel, die zu viel Nachdenken, Rätseln, zu Legenden und Mythen geführt haben.
Das verschwundene Bernsteinzimmer, die verschollene Original-Partitur von Richard Wagners Frühwerk “Rienzi” nach 1945, die Frage nach der Echtheit des Blutes in den beiden Ampullen des Stadtpatrons Neapels San Gennaro , das angeblich im Alatsee bei Füssen versenkte Nazi-Gold und vieles mehr.
Vieles bleibt ein ewiges Rätsel und wird nie geklärt werden, bzw. führt mit der Zeit in eine Art “Tunnel-Forschung”, wo man versucht, immer tiefer einzudringen, aber alles immer dunkler wird.
Eines dieser Rätsel betrifft einen großen deutschen Dichter, der neben Goethe immer als der größte (oder zweitgrößte) gilt.
Die Rede ist von Friedrich Schiller.
Und dieses Rätsel ist der Verbleib von Schillers Schädel nach seinem Tode am 8. Mai 1805, denn seit dem ist man auf der Suche danach.
Meine Mutter kannte Geburts- und Todesdaten der beiden großen Dichter auswendig und sagte immer, dass Goethe ja sehr alt geworden wäre (1749–1832), nämlich genau 83 Jahre, was für die damaligen Verhältnisse schon eine Leistung war, während Schiller sehr jung gestorben sei (1759–1805), also nur 46 Jahre alt. Goethe überlebte ihn um 27 Jahre. Soviel zum Wissen meiner Mutter und ein paar grundlegende Daten. Um einmal die Geschichte aufrollen zu lassen, passierte Folgendes. Es fing alles mit Schillers Beerdigung drei Tage nach seinem Tod am 11. Mai 1805 gegen 0:00 Uhr in der Nacht an. Alles klingt ein bisschen makaber, aber es zeigt, welche komischen Wege oft große Geister nach ihrem Tode gehen können.
Die wenigen Jahre, die Schiller in Weimar lebte, waren durch Krankheit stark getrübt, was die Schaffenskraft des jungen Dichters allerdings nicht lahm legte, im Gegenteil, er stand auf der Höhe seines Ruhmes und jeder verneigte sich ehrfurchtsvoll, der ihm auf der Straße begegnete.
Schillers Schädel Prolog
Als Schiller am 8. Mai 1805 verstarb, verbreitete sich unter den Bewohnern Weimars allgemeine Bestürzung und Trauer.
Es sollen nur wenige an der Bestattung Schillers teilgenommen haben, dies liegt allerdings daran, dass in damaliger Zeit in Weimar die Sitte herrschte, den Leichnam gegen Mitternacht mit einer kleinen Zahl von Sargträgern zur letzten Ruhestätte zu bringen, während die Totenfeierlichkeiten am Tage darauf folgten.
Im sogenannten Kassengewölbe auf dem Weimarer Kirchhof wurde Schiller von einem kleinen, aber feierlichen Kondukt begleitet, von den Totengräbern und seinen Gehilfen durch eine im Fußboden des Gewölbes befindliche Falltür in die Tiefe gelassen.
Eine Art Sammelgrab, was der jungen Dichter nicht gerade verdient hatte.
Am folgende Nachmittage fand in der Gottesackerkirche die eigentliche Trauerfeier für Schiller statt, die sehr pompös und unter Anteilnahme einer großen Anzahl von Menschen stattfand.
Nur einer fehlte, und das war der große Freund Johann Wolfgang v. Goethe.
Viele fragten sich, warum gerade der eng vertraute Dichterfreund bei der Totenfeier seines Freundes fehlte ?
Die Antwort lautet, weil Goethe damals selber bedenklich krank war und man es sich nicht traute, ihm die traurige Nachricht zu überbringen.
Goethe erfuhr erst einige Tage nach der Beerdigung, dass Schiller gestorben sei, was ihn tief berührte.
Dieses war nun nur der Prolog des Trauerspiels um Schillers Schädel.
Denn 21 Jahre vergingen, seit die sterblichen Reste Schillers in die finstere Gruft versenkt worden waren.
Das sogenannte Kassengewölbe war ein kleiner düsterer Bau neben dem Eingange in den Kirchhof.
Eine kellerartige, fensterlose Gruft, in der die Särge einer nach dem anderen herabgelassen wurden.
Laut Tradition wurde alle dreißig Jahre das Kassengewölbe “gereinigt” und neu “geordnet”.
Es wurden die vermoderten Sargteile beiseite geschafft, die Knochenrest zusammengekehrt und in einer Ecke des Friedhofs verscharrt.
Es musste neuer Platz geschaffen werden für kommende “Gäste”.
Nun beginnt es spannend zu werden.
Denn zu Anfang des Jahres 1826 erging vom Landschaftskollegium der Befehl, das Kassengewölbe abermals “aufzuräumen”, was den 1. Act um den Verbleib von Schillers Schädel ins Rollen bringt.
Zu diesem Zeitpunkt war der Schiller-Verehrer Carl Leberecht Schwabe Bürgermeister von Weimar.
Schillers Schädel 1. Act
Als er die Kunde bzw. den Befehl zur “Aufräumung” vernahm, setzte er alle Hebel in Bewegung, den Schillerschen Sarg und dessen kostbaren “Inhalt” vor dem Verscharren zu bewahren.
Der sehr engagierte Bürgermeister ergriff die Initiative zur Auffindung der Überreste Schillers, fand allerdings nur durch Feuchtigkeit vermoderte Holzreste, halb verfaulte Knochenteile und alles in einem moderigen Geruch, was allerdings auch an so einem Ort nicht anders zu erwarten war.
Doch leicht entmutigt ließ Carl Leberecht Schwabe nicht nach.
Er hatte in der Gruft einige Schädel entdeckt und kam auf die Idee zu mindestens den Schädel Schillers zu eruieren und vor dem vollkommenen Verschwinden zu retten.
Das war der erste Schritt auf der “Jagd” nach Schillers Schädel.
Es begann ein Jahrzehnte langes Suchen nach dem Schädel, indem das Gehirn des großen Dichters einst untergebracht war.
Und jetzt wurde es nämlich schwierig, denn ein weiteres “Aufräumen” wurde untersagt und es erhob sich Protest von Seiten der Geistlichen der Stadt.
Doch jetzt kam etwas, was schon an einen Edgar-Wallace-Krimi erinnert, denn gegen den Protest bestieg der engagierte Bürgermeister an drei aufeinanderfolgenden Nächten im März 1826 gegen 1 Uhr des nachts mit mehreren Arbeitern heimlich die Gruft des Kassengewölbes – eine Art “Nacht- und Nebel-Aktion”.
Noch einmal wurde in der vermoderten Gruft alles in nächtlicher Stunde in Bewegung gesetzt, um die Schädel und Gebeine zu ordnen.
Bei Laternenlicht wurden 23 Schädel geortet und zur Seite gelegt.
Laut den Akten waren auch genau 23 Tote seit der letzten Räumung beigesetzt worden. Also musste der Schädel Schillers dabei sein.
Voller Euphorie und siegesgewiss ließ der überglückliche Bürgermeister die 23 Schädel in seine Wohnung bringen, wo sie penibel gesäubert und gewaschen wurden.
Als alle Schädel auf einem langen Tische lagen, hob sich ein Schädel allein schon durch seine Größe heraus, woraufhin es allen aus dem Mund schoss : “…das ist er!”
Viele andere gaben auch an Hand der noch vorhandenen Zähne an, dass einzig und allein dies der Schädel Schillers sein musste.
Zeitgenossen wurden zur Begutachtung eingeladen, Vermessungen fanden statt und alle waren sich sicher, dass der Schädel Schillers gefunden worden wäre.
Von den gefundenen 23 Schädeln war der angeblich Schillersche Schädel auch der größte und es gab sogar Studien von einem Wiener Arzt für Schädelkunde Franz Joseph Gall, die besagt, dass große Genies auch große Schädel brauchen.
Diese nicht ganz tragbare Theorie war Goethe damals wohl bekannt.
Nun befahl der Herzog Carl August, die (angeblichen) Reste Schillers im Sockel einer Büste in der Bibliothek in einem feierlichen Akt zu deponieren.
Schillers Schädel 2. Act
Nun begann der 2. Act in der Tragödie um Schillers Schädel.
Denn Goethe hatte an allem warmen Anteil genommen und war ja zu allem auch ein Kenner der Osteologie (Knochenkunde).
Er hatte die Oberaufsicht über alle Anstalten für Wissenschaft und Kunst des Herzogtums Weimar.
“Wie Schillers Schädel in die Hände Goethes kam”
“Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins. Eigentlich sollte ich eine neue Lebensweise anfangen ; aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg mehr.
Ich sehe also jetzt nur jeden Tag unmittelbar vor mich hin, und tue das Nächste, ohne an eine weitre Folge zu denken.”
(Brief an Carl Friedrich Zelter, 1.6.1805)
Goethe wurde beim Anblick von Schillers Schädel doch leicht melancholisch, ob nun geschauspielt oder nicht…
Goethe wollte nun aber seine Studien weiter ausdehnen und ließ sich am 24. September 1826 den (angeblichen) Schädel Schillers in sein Haus am Frauenplan bringen.
Er bettete ihn auf einem Samtkissen mit einer gläsernen Glocke darüber und zeigte ihn nur sehr wenigen Besuchern.
Mit einiger Sicherheit hat Goethe durch sein Interesse auch Studien an dem Schädel durchgeführt, die an den oben erwähnten österreichischen Arzt der modischen Phrenologie anlehnten.
Heute haben sich die Theorien der Schädelform in Bezug auf die geistige Stärke des Schädel-Trägers als irrig erwiesen.
Aber die Forschung um den Intellekt des Menschen muss ja immer weitergehen.
Da Goethe nun einmal auch ein großer Dichter war, hatte er beim Betrachten von Schillers Schädel natürlich sofort einen kreativen Erguss auf den Lippen, den ich mir erlaube hier zu zitieren :
Im ernsten Beinhaus war’s, wo ich beschaute
Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten ;
Die alte Zeit gedacht’ ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih’ geklemmt’ die sonst sich haßten,
Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten.
Entrenkte Schulterblätter ! was sie trugen
Fragt niemand mehr, und zierlich tät’ge Glieder,
Die Hand, der Fuß, zerstreut aus Lebensfugen.
Ihr Müden also lagt vergebens nieder,
Nicht Ruh im Grabe ließ man euch, vertrieben
Seid ihr herauf zum lichten Tage wieder,
Und niemand kann die dürre Schale lieben,
Welch herrlich edlen Kern sie auch bewahrte.
Doch mir Adepten war die Schrift geschrieben,
Die heil’gen Sinn nicht jedem offenbarte,
Als ich in Mitten solcher starren Menge
Unschätzbar herrlich ein Gebild gewahrte,
Daß in des Raumes Moderkält und Enge
ich frei und wärmefühlend mich erquickte,
Als ob ein Lebensquell dem Tod entspränge.
Wie mich geheimnisvoll die Form entzückte !
Die gottgedachte Spur, die sich erhalten !
Ein Blick der mich an jenes Meer entrückte
Das flutend strömt gesteigerte Gestalten.
Geheim Gefäß ! Orakelsprüche spendend,
Wie bin ich wert dich in der Hand zu halten ?
Dich höchsten Schatz aus Moder fromm entwendend,
Und in die freie Luft, zu freiem Sinnen,
Zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend.
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare ?
Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,
Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.
Nun war dies allerdings nicht das Ende der Tragödie, denn im August 1827 gestattete König Ludwig v. Bayern Weimar einen Besuch ab und signalisierte Interesse an einem Grab-Besuch.
Es musste also sehr schnell der Schädel wieder in die Kiste im Sockel der Büste Schillers in der Bibliothek gebracht werden.
Als nun diese eher provisorische Unterbringung der leiblichen Überreste Schillers in der Bibliothek den königlichen Besucher nicht unbedingt als dauerhafte Lösung erschien und er dieses auch kundgab, zeichnete sich schon der 3. Act der Tragödie um Schillers Schädel am Horizont ab.
Nun wurde unter großer Anteilnahme am 16. Dezember 1827 die leiblichen Überreste in der heutigen “Fürstengruft” auf dem Weimarer Friedhof für jeden frei zugänglich überführt, wo seit dem 26. März 1831 auch sein Dichterfreund Goethe neben ihm friedlich “ruht”.
Dieses “Happy-End” wäre allerdings für die Geschichte ein bisschen zu einfach gewesen, auch wenn der Weg bisher ein nicht gerade normaler war.
Schillers Schädel 3. Act
August 1911 trat allerdings der Tübinger Anatom August von Froriep die “Bühne” und bekundete bei dieser “Tunnel-Forschung” Zweifel an der Echtheit und dem Wahrheitsgehalt der ganzen (bisherigen) Tragödie.
Er bekam es bei offiziellen Stellen durch, eine weitere Grabung auf der Jagd nach Schillers (echten) Schädel durchführen zu können.
Er präsentierte als Ergebnis der Grabungen an den bekannten Stellen einen weiteren Schädel, den er als den wirklich echten Schädel Schillers vorlegte (unter weiteren 62 anderen Schädeln).
Trotz starker Zweifel und Proteste wurde nun auch der von Froriep bezeichnete Schädel mit den dazugehörigen Knochenresten in einem kleinen Sarg am 9. März 1914 in der Fürstengruft beigesetzt.
Jetzt hatte Schiller sich verdoppelt und war seit dem doppelt zu bewundern, nachdem er erst gar nicht zu bewundern war.
Wie die Geschichte nun einmal spielt, deutete sich 1945 ja das Ende an, was auch an den Resten Schillers und Goethes keinen Stopp machte.
Die beiden Särge (plus die Überreste der Froriep Grabung) wurden gesichert in einen Stollen ausgelagert, um sie vor der Zerstörung zu schützen.
Nach 1945 wurden dann die beiden Särge wieder zurück in die Fürstengruft nach Weimar gebracht, womit der 4. Act der Tragödie um Schillers Schädel beginnt.
Schillers Schädel 4. Act
Goethes “Überreste” wurden in der Zeit der DDR ins “Helle” befördert, indem man den Sarg öffnete und alles “reinwusch”, d.h., dass man alles, was man vorfand, etwas ordnete, alles Verrottete entfernte (?), alles wusch und wieder neu für die kommenden Jahrzehnte im Sarg bettete.
Der Experten-Streit hielt allerdings an, denn ein Faktum ist ja, dass im Schillerschen Sarg ein Schiller lag und in dem kleinen Sarg daneben auch, einmal der Froriepsche und einmal der Schwabesche.
Es ist also kein Wunder, dass diese Tatsache vielen keine Ruhe ließ, weil man immer noch nicht definitiv wusste, welcher nun der wirkliche Schädel Schillers war.
Neuere morphologische Studien tendieren wieder zu der Schwabeschen Ausgrabungen.
“Tendieren” allerdings nur…
Es ist auch nicht klar, ob einer der beiden (!) Schiller-Schädel überhaupt zum Haupte des großen Dichters gehört.
Und es ist durchaus möglich, dass Schiller in den 2 Jahrhunderten doch wesentlich ruhiger an anderer Stelle gelegen hatte.
Die Stiftung Weimarer Klassik hüllt sich eher im Schweigen, wahrscheinlich erkennt sie, dass alles immer dunkler wird, um so tiefer man bohrt, es wird zwar alles immer breiter, aber auch immer undurchsichtiger.
Aber letztendliche Ruhe gibt keiner, schon aufgrund der Tatsache, dass man weiß, dass so ein großer deutscher Geist, der soviel der Menschheit hinterlassen hat, ohne Kopf ist – zu mindestens nach seinem Ableben.
Letztendliche Klarheit gibt es nicht, trotzdem hat die Universität Jena ein Projekt gestartet, dass sich “Der Schiller-Code” nennt – moderne DNA-Analysen sollen die Echtheit einer der Schädel (denn Schiller kann ja nur einen gehabt haben) dahingehend feststellen, dass man Analysen und Ergebnisse aus der Schiller-Familie mit den Schädeln vergleicht (soweit ich dies verstanden habe).
Beim Stand 2007 sind allerdings konkrete Ergebnisse noch nicht ans Tageslicht gekommen. Schiller macht es uns nicht einfach.
Doch wurde im Mai 2008 (was ja auch schon wieder 10 Jahre her ist) erstes Konkretes veröffentlicht, was ich zum Ausklang des 4. Actes der Tragödie um Schillers Schädel nutze.
Jetzt glaubt man, dass es nun spannend wird und die Wahrheit ans Tageslicht kommt, doch muss man bedenken, dass eine “Tunnelforschung” nie zu Ende ist, egal in welchem Jahr man sie startet, und wenn man natürlich glaubt, man sei heute schlauer als damals, so ist die Menschheit ja schon oftmals eines Besseren belehrt worden.
Schillers Schädel – Epilog
* Der Schädel, den Carl Leberecht Schwabe als den Schillerschen (auch Fürstengruftschädel genannt) 1826 hingestellt hat, gehört nach gentechnologischen (verläßlichen?) Untersuchungen einem Unbekannten, keinem, der mit Schillers Schwester oder Söhne verwandt sein kann.
Außerdem soll er bevor er in Goethes Hand überging, manipuliert worden sein (Herbert Ullrich, 1959).
* Die Skelettteile, die jahrelang im Sarg Schillers (in der Fürstengruft) gelegen hatten, stammen von mindestens drei Individuen, die nichts mit Schiller zu tun hatten.
* Das Auffinden eines Doppelgängers von Schiller wird nicht ausgeschlossen.
* Der von August v. Froriep 1911 ans Tageslicht gebrachte Schädel stammt sogar von einer Frau, es scheinen hier eklatante Fehler gemacht worden zu sein.
* Bei der Todesursache handelt es sich nicht um einen gezielten Anschlag Außenstehender, primäre Todesursache bleibt eine lang währende, verschleppte Tbc-Erkrankung.
* Eine weitere schon bizarre Theorie aus dem Jahre 2008 stellt die Theorie auf, dass es sich auch um einen Grabräuber handeln kann, der in der Zeit zwischen 1805 (Begräbnis) und 1826 (erste Wiederaufsuchung durch Schwabe) gezielt vorgegangen sein muss.
Der von Schwab gefundene Schädel gleicht sehr auffallend der Totenmaske und den Merkmalen von Schillers Physiognomie.
Bei dieser These ruht Schiller vollkommen unerkannt (und friedlich) in einer Reliquien-Sammlung oder in einem (privatem) Schaukasten (Panoptikum).
Hierbei wäre natürlich Fachwissen, Geschicklichkeit, Professionalität und Dreistheit vonnöten gewesen.
Bei dem schon erwähnten Wiener Arzt für Schädelkunde Franz Josef Gall waren Schädel immer gefragte und gesuchte Objekte, vor allem Prominenten-Schädel, da dieser Arzt ja die These vertrat, dass die Höhe des Geistes eine große Schädel-Größe benötige (was heute als irrig verworfen worden ist).
Und diese “Promi-Schädel” waren ja auf legale Weise nicht zu besorgen, man musste schon (bei Nacht und Nebel) Gräber öffnen, hineinsteigen und Schädel ans Tageslicht bringen.
Klingt ein bisschen skurril, möglich ist es aber…
Bei dieser Theorie kann man eigentlich nur hoffen, dass sie nicht stimmt und ein weiterer Teil der sogenannten “Tunnel-Forschung” ist, bei der man nach immer neuen Möglichkeiten sucht und sogar zu solch schon fast perversen Theorien vordringt.
Irgendwann fragt man sich, wozu eigentlich der Schädel Schillers nutze sei, denn wenn man etwas so akribisch sucht, muss das doch einen Sinn haben – wenn man den echten Schiller-Schädel gefunden hätte, was hätte das gebracht, außer dem Erfolgserlebnis etwas lang Gesuchtes endlich zu finden, schon fast wie im Kindesalter, wenn ein ans Herz gewachsenes Spielzeugt weg ist und man es nach langer Suche wieder findet.
Von den Kosten der “Schädelsuche” ganz zu schweigen, wo man sich nur an den Schädel fassen kann.
Ein rein menschliches Symptom der Ergründung :
…einmal auf die Schiene gesetzt, ist sie zum Erfolg verdammt, und wenn dieser nicht kommt, wird geforscht, geforscht und geforscht.
Man hofft auch, die oftmals hohen Kosten, durch ein schlagkräftiges unumstößliches Ergebnis zu rechtfertigen und den Ärger über die Kosten in die Vergangenheit zu befördern.
Wenn es nun definitiv seit 2008 im Sarg Schillers keinen Schiller mehr gibt, ist die Frage, warum der Sarg überhaupt noch in der Fürstengruft neben Goethe steht (?). Hier ist die Antwort eigentlich ganz einfach.
Auch wenn jedem klar ist, dass der Schiller-Sarg leer ist, gehören die beiden größten Dichter Deutschlands einfach zusammen, im Leben und im Tod.
Genauso stand nun mal der Sarg Schiller so lange Jahre neben Goethe, dass es Hohn wäre, ihn jetzt dort wegzunehmen.
Außerdem kann er als ein Kenotaphium (d.i. leeres Grabmal zur Erinnerung an diese Persönlichkeit, für den Fall, dass diese Person entweder nicht auffindbar ist, oder im fremden Lande weit entfernt beerdigt liegt), also eine Art Denkmal und ein Hinweis, dass diese Person dort hingehört.
Und dort (neben Goethe) gehört er ja auch hin !
Schiller war nie in der Fürstengruft gewesen, nur eine Vision von ihm, und diese haben unzählige Besucher aus der ganzen Welt 180 Jahre lang mit nach Hause genommen.
Auch bei meinen Weimar-Besuchen 2003 und 2004 stand ich vor den Särgen der beiden Dichter und hatte angenommen, dass neben Goethe auch Schiller in dem Eichensarg liegen würde, was ein im Nachhinein erst an Tageslicht gekommener Irrtum war.
Ganz ehrlich gesagt, befriedigend ist die unendlich Forschung, bzw. deren “Ergebnisse” nicht !
Abschließend lässt sich sagen, dass das Werk eines Schöpfers wie Schiller nun mal wesentlich wichtiger ist, auch dieses Werk zu erhalten, als seinen Schädel zu suchen.
Das Schädel-Zerbrechen über den Verbleib des (echten) Schädels ist, wenn man ehrlich ist, ja unwichtig im Vergleich zu dem Werk, was einst im Schädel entstanden ist, ob nun von Schiller oder jedem anderen Schöpfer.
Das allerletzte Wort hat dann allerdings doch der Weggefährte Schillers, nämlich unser Goethe :
“Das wirkliche Leben verliert oft dergestalt seinen Glanz, dass man es manchmal mit dem Firnis der Fiktion auffrischen muss!”
(Dichtung und Wahrheit, J.W.v. Goethe)
Was lernen wir daraus :
“Faszinierend ist nur das Unergründliche”
******************
* Der Beitrag gibt keine Gewähr auf Vollständigkeit und genaue Korrektheit – Näheres kann in unten angegebener Fachliteratur nachgelesen werden.
******************
* Literatur :
- “Schillers Schädel” (Albrecht Schöne, C.H.Beck 2005)
- “… und ewig währt der Streit um Schillers Schädel” (Herbert Ulrich, 2008)
- “Schillers Schädel : Physiognomie einer fixen Idee” (J. Maatsch, Wallstein-Verl. 2009)
* Weimarer Klassik Fürstengruft