Leidenschaft für Italien, die Musik und die Liebe
Der Italien‑, Belcanto- und Rossinifreund Marie-Henri Beyle (1783–1842) war ja ein fleißiger Verfasser und Autor zum Teil sehr umfangreicher Literatur, sodass er sogar noch heute eine gewisse Verehrerschaft hat.
Er stammt aus einer Ära in der Geschichte der Menschheit, als das Bühnenwesen hochgehalten wurde und der Haupt-Arbeitgeber war und aus der große Philosophen, Schriftsteller und Komponisten entsprungen sind.
Er war neben seinen beiden oben genannten Leidenschaften auch ein Hochhalter eines der größten Rätsel der Menscheit, nämlich der “Liebe”, was man immer darunter verstehen mag, er meinte natürlich als Frauenheld und Dandy die Liebe zu einer Frau, was sich allerdings oftmals nur als Wunschdenken und Hinterherrennen hinter dem Glück herausstellte.
Des Weiteren war er auch ein Verehrer Napoleons, nahm an dessen Feldzügen teil und im politischen Sektor als Konsul in einer italienischen Stadt in der Nähe von Rom für ein Jahr abkommandiert, was allerdings seinen kreativen literarischen Ergüssen nach seinen eigenen Angaben nicht so förderlich war.
Man sieht, dass auch der richtige Ort oder Ortschaft für die Kreativität wichtig ist und dass ein Schöpfer nicht überall seine Werke erschaffen kann.
Allerdings ist Stendhal bei seinen ausgiebigen Italienreisen, was er auch in einem Buch festhielt, in gewissen Städten, vor allem in Florenz, ins Schwärmen geraten und sogar in eine Art Rausch (Stendhal-Syndrom), was man ja gut nachvollziehen kann, wenn man bestimmte italienische Städte schon einmal aufgesucht hat, was sich oftmals weder beschreiben noch vergessen läßt.
Um auf Stendhals Rossini-Leidenschaft zurückzukommen, hat er es nicht verpasst Rossini im Jahre 1824 auch ein Buch zu widmen (“Vie de Rossini”, Deutsche Erstausgabe athenäum-Verlag Frankfurt 1988).
Als solches gesehen ist es eigentlich kein Buch, obwohl es diesmal kein Plagiat war, jedes Wort wohl überlegt mit Werkverzeichnis und umfangreichen von Monsieur Beyle alias Stendhal selbst verfassten Anhang.
Es zeigt in 46 Kapiteln eher Stendhals Liebe zu Italien, zu den Opern-Ergüssen und zum freien italienischen Lebensstil.
Stendhal hatte es geschickt zeitlich 1824 in London und Paris publiziert, da zu dem Zeitpunkt Rossini und seine Werke in aller Munde waren und einen Siegeszug über die Bühnen Europas antraten, da kam dieses Buch wie gelegen.
Allerdings will Stendhal in diesem Buch auch jemand anderen als Rossini präsentieren, nämlich sich selbst und damit seinen Schriftstellerruhm festigen.
Bis heute zählt die Schrift zu den Basisbüchern der Rossini-Forschung.
Sich selber bezeichnet Stendhal als einen „Rossinisten des Jahrgangs 1815“.
Aber trotzdem liebt er nicht alle Werke des Protagonisten (Rossini), denn nach einer gewissen Wende in Rossinis Schaffen, hält seine Liebe zu dessen Werken nicht an.
Verantwortlich dafür macht er die Operndiva und Primadonna Isabella Colbran, die 1822 Rossinis Gattin wurde.
Stendhal schreibt über sie ziemlich fiese Sachen, auch dass ihre Stimme bereits im Jahre 1815 Anzeichen eines Niederganges zeigte, was allerdings von Fachleuten in der damaligen Zeit widerlegt wurde.
Viele Rollen hatte Rossini für seiner Frau geschrieben und das hat ja auch gewirkt, also mehr als nur eine Künstlerfreundschaft, sondern eine Art Synergetik des Schöpfers und der ausführenden Person auf der Bühne.
Stendhals Ausführungen in seinem Buch sind weder eine Hymne auf den verehrten Rossini noch eine Streitschrift gegen ihn.
Aber eins hat er mit seinem manchmal abwegigen Schreibstil geschafft, er hat das Herz des musikalischen Europas 1824 getroffen, in der Rossini bzw. seine Werke in aller Munde, waren.
Er hebt sein Idol (Rossini) nicht hagiographisch in den Himmel, sondern geht auch auf andere Komponisten ein, eher eine Huldigung der Musik allgemein und an sein Lieblingsland Italien.
Vielleicht hat der Autor diese Schrift eher an sich selbst adressiert, als an andere.
Im “Phänomen Rossini” glaubt Stendhal eine Art Tendenz des musikalischen 19. Jahrhunderts aufzuspüren und auch gewisse Qualitäten, die in den Jahren danach nur noch Verdi und seinem Antipoden Wagner zugeschrieben werden.
Was die Person Richard Wagner betrifft, ist mir aufgefallen, dass nicht nur in diesem Rossini-Buch, sondern in keinem von Stendhals Romanen, Tagebüchern, Briefen, Autobiographie, Italienbuch (die ich alle teilweise mehrfach gelesen habe) der Name Wagner auftaucht oder in Abwandlung angesprochen wird, obwohl es zwischen Richard Wagner (und dessen Werk) und Rossini einen engen Bezug gibt und sogar ein persönliches Treffen in Paris 1860 stattgefunden hat.
Ich glaube kaum, dass dies ein Versehen ist, sondern eher gewollt, weil Stendhal den großen deutschen Konkurrenten ausschließen und verheimlichen wollte, um den Ruf Rossinis nicht zu trüben.
Man muss wissen, dass Stendhal sehr viel Fantasie hatte und in seinem Italienbuch (“Reisen in Italien” Rom – Neapel – Florenz 1817) auch Stätten erwähnt, wo er nie war, aber vorgab diese bereist zu haben, genauso erfindet er ein fiktives Treffen mit seinem Vorbild Gioachino Rossini in der Stadt Terracina (gelegen zwischen Rom und Neapel) im Jahre 1817, wo er nie war.
Ein fiktives Treffen, welchem er ein kleines Kapitel in seinem Italien-Buch widmet.
Dies zeigt seine Liebe zu Rossini und dessen Werke und seine Fantasie nicht immer bei der Wahrheit zu bleiben, also künstlerische Freiheit, was es in der Geschichte oftmals gegeben hat.
Im Vorfeld zu diesem Rossini-Buch gab er sogar zwei Plagiate über die Komponisten Haydn und Mozart heraus und diese frech und dreist als Bücher von sich hinstellte, im Folgenden tarnte er sich aber als ein “Herrn von Stendhal”, was allerdings auffiel, er hielt aber den Namen Stendhal bei (was wiederum eine gute Idee war/ist).
Also kein Betrug, sondern Fantasie und künstlerische Freiheit, außerdem klingt Stendhal auch besser als Marie-Henri Beyle – ich frage mich manchmal, was für einen Namen ich benutzt hätte, um mich zu decken und meinen wahren Namen zu verschleiern (?)
„Le present livre n’est donc pas un livre.“
Stendhal kommentierte sein fünftes Buch schon im Vorwort mit dem Satz :
“Le present livre n’est donc pas un livre”
In der Tat ist Stendhals “Vie de Rossini” kein normales Buch, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, denn die Abschweifungen vom eigentlichen Thema machen den Reiz dieser Schrift aus.
Abschließend sei zu sagen, dass hier als solches zwei große Schöpfer aufeinandertreffen, die sich persönlich nie begegnet sind, wahrscheinlich war das Rossini egal, was Stendhal über ihn schrieb, anders herum allerdings bestimmt nicht.
Nur Stendhal nimmt alles eher wie schon öfter, als Plattform seine Lieben und Leidenschaften zu präsentieren und natürlich um sich selbst zu präsentieren.
Museo Nazionale Rossini
Palazzo Montani Antaldi
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*siehe auch meinen Beitrag Stendhal “Rot und Schwarz”: