“…ernste Stimmung, Größe, Schönheit und Verfall
dicht nebeneinander.”
(Richard Wagner an Mathilde Wesendonck, 1858)
Die Bedeutung VENEDIGS für das Schaffen vieler Künstler und Schöpfer ist oftmals schwer einzuschätzen, aber eins ist klar – es gibt kaum eine “Stadt”, die so viele große Geister zum Schaffen ihrer Werke inspiriert hat, wie Venedig.
Impression – Inspiration – Faszination
Eine niemals logisch zu sehende Kette, sondern eine reinmenschliche.
Große Werke kommen immer aus dem Herzen und nicht aus dem Kopf.
Venedig besitzt einen ungeheuren todeserotischen Sog (Thomas Mann) und dieser spiegelt sich in der Verschlungenheit einer versinkenden Stadt und immensen Reichtümern mit dem Tod.
Bei den sechs Aufenthalten RICHARD WAGNERs in der Lagunenstadt gibt es zwei, die als äußerst bedeutend herauszuheben sind, und zwar nicht nur für Wagners Leben und Werk, sondern für viel mehr.
Der im sehnsuchtsvollen Rausch und dem “Tristan-Fieber”, in dem Wagner 1858 im Pal. Giustiniani in Dorsoduro am ersten Knick des Canale Grande den zweiten Tristan-Act komponierte, ist der eine.
“…sie werden einen Traum hören, den ich hier zum Klingen gebracht habe”, schreibt der “Meister” an seine Muse in der Schweiz, der Frau des wohlhabenden Industriellen Otto Wesendonck.
Diese vielfach erforschte “Beziehung” Wagners zu der wesentlich jüngeren talentierten Frau, bringt sich in das Werk “Tristan und Isolde” ein.
“…den Tristan danke ich Ihnen von ganzen Herzen”, so wiederum Wagner an die einzig wahre Liebe seines Lebens.
Den “Tristan” gebe es auch ohne Mathilde, die Rolle der Isolde auch, aber eben nicht so…
Die Verschmelzung von sehnsuchtsvoller Liebe, die nie in Erfüllung gehen konnte, und der Todes-Sehnsucht, löst die musikalische (!) Struktur des “Liebestodes” aus (nicht die Handlung!).
Das heißt, dass der “Liebestod” nur in der Komposition (Tristan-Akkord) vollzogen wird – dieses aber auf die Handlung überschlägt, der “Tod” Isoldes im “Schlussgesang” ist also kein handlungsmäßig reeller Tod, sondern ein sterbendes Untergehen in den Wogen der Orchesterklänge des Finales.
(Für spätere konzertante Aufführungen gedachte Regieanweisungen heißen : “…wie sterbend sinkt Isolde über dem toten Tristan nieder…”
“Wie sterbend…” heißt noch lange nicht, dass sie tot ist!)
Das Orchester ist in diesem “Ausnahmewerk” der Haupt-Protagonist, der die gesamte Handlung trägt.
Hierbei wird die Beziehung einer musikalischen Struktur auf einen außermusikalischen Zusammenhang von Wagner auf die Spitze getrieben.
Die Gattungsbezeichnung dieses Werkes ist demgemäß auch nicht Oper oder Romantische Oper, sondern ganz einfach Handlung.
Das alles bedeutet, dass eine Erfüllung der Liebe nur im gemeinsamen Tod gelingt, wozu Venedig natürlich die passende Kulisse bietet.
Ganze Selbstmordepidemien zog Wagner Werk hinter sich her, was zeigt, wie tiefgreifend das Werk wirkt und was sehnsuchtsvolle Liebe auslösen kann.
So kam nun der letzte und bedeutendste Aufenthalt Wagners in Venedig, als der “Meister” nämlich am 13. Februar 1883 um 15:00 Uhr im Pal. Vendramin-Calergie mit dem Blick auf den Canale Grande (!) starb.
Wagner starb allerdings im Mezzanin (Mittel-Etage) des Seitenflügels – er starb also nicht direkt im Palazzo, was heute das Casino beherbergt, sondern im leicht zurückliegenden Seitenflügel, vor dem Platz für einen kleinen Garten zum Wasser hin bleibt.
Unzählige Biographen irren sich bis heute bei dieser wichtigen Lokalisierung.
Wenn man die Bedeutung dieser beiden Aufenthalte in Venedig im Leben Wagners zum Anlass nimmt, kann man sagen, dass Venedig quasi symbolhaft ein Portal des Lebens zum Tode ist.
Diese meine These kann jeder bestätigen, der einmal zu verschiedenen Uhrzeiten, des nachts oder im dichten Nebel durch die Gassen der Lagunenstadt geschlichen ist.
Bei meinem vierten Venedig-Besuch zum Karneval im Februar 2016 lag mein Quartier weit im Norden in Cannaregio, was ja vom nahestehendsten Orientierungspunkt (RIALTO) weit entfernt liegt.
Aber nicht von der Luftlinie her, die ist sehr nahe, sondern von der Schwierigkeit der Orientierung und dem Gefühl einer gewissen Hilfslosigkeit.
Denn an dem eher düsteren Mittwoch, fing es an zu regnen, und ich bewegte mich kurz vor Sonnenuntergang in der Nähe bzw. am Anfang der ZATTERE, als immer dunklere Wolken aufzogen.
Bis Rialto war es noch machbar, doch dann…(?)
Ich brauche diesen Rückweg zum Hotel bei Dauerregen im Dunkeln kaum zu schildern, weil man es nicht schildern kann – man merkt allerdings eins, wie nah der Tod sein kann und wie hilflos der Mensch dagegen ist.
Es war anstrengender als manche exzessive Wanderung.
Die Wagner-Büste im Giardini pubblici im Stadtteil CASTELLO im Osten, worum es hier eigentlich gehen soll, war mir im Jahre 2007 bei meinem ersten Aufenthalt in Venedig bei den rauschhaften Ergüssen des “ersten Mals” entgangen.
Beim zweiten Besuch im Jahre 2010 zum Karneval sollte sich diese Lücke füllen.
Ich hatte es sogar geschafft am Todestag (13. Februar) dort zu sein, der in das Abschlusswochenende des Karnevals in diesem Jahr (2010) fiel.
Zufall oder Verheißung ?
Stolz schaut der “Meister” über die Stadt, der er so viel zu verdanken hat, sogar seinen Tod.
Somit war dieses geschafft, aber bei diesem Aufenthalt stand ja der Karneval im Mittelpunkt, von dem ich mit 600 Fotos von dannen zog.
Der dritte Venedig-Aufenthalt stand ganz im Zeichen des “Tristan” und des 200. Geburtstags Richard Wagners.
Denn in diesem Jahr rezipierte ich ein Jahr lang das Ausnahmewerk, den “Tristan” und suchte auch den Entstehungsort des 2. Actes in Dorsoduro auf, was ein nicht ganz einfaches Unterfangen war.
Am 30. August 1858 (bis vor kurzem tendierte ich noch auf den 29. August) zog Wagner damals in den Palazzo am Canale Grande ein und somit musste ich meinen Aufenthalt in diese Woche platzieren.
Um es klar zu sagen, ich stand genau 155 Jahre später vor dem Eingang Dorsoduro 3228 des Palazzo Giustiniani (linke Palasthälfte vom Wasser aus und rechte Palasthälfte von hinten gesehen!), wo der “Meister” im 2. Piano Nobili (?) im Liebesrausch den 2. Act des schönsten Liebesdramas der Weltmusik-Geschichte komponiert hat.
Ein individueller Erguss, der anderen kaum verständlich erscheint … das ist eben Religion.
Das Wetter war lau in diesem August und so hatte ich mir vorgenommen, noch einmal zur Wagner-Büste nach Castello zu pilgern, um sie bei Sonnenuntergang Richtung Westen zu fotografieren.
Das Ganze war wie immer genau durchkalkuliert, im Westen geht die Sonne unter und demgemäß ist der Blick Wagners bei untergehender Sonne wie für einen Fotografen geschaffen.
Somit machte ich mich mit Stativ auf den Schultern die Riva degli Schiavoni in San Marco nachmittags entlang Richtung Castello.
Als ich mich dann dem Giardini des Biennale-Geländes weit im Osten Castellos näherte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen – die Büste war zwar noch da, aber …
… man hatte Wagner die Nase abgeschlagen (!?)
Von dem Schock musste ich mich erst einmal erholen und nahm Platz auf einer nahestehenden Bank.
“…na…, das hat er ja nun nicht verdient.”
Trotz allem erinnerte ich mich dem eigentlichen Grund meines Erscheinens.
Es war ja noch später Nachmittag und ich musste mich mit einem Sonnenuntergang noch etwas gedulden.
Immer wieder schoben sich Wolkendecken vor die “kämpfende” Sonne, was ich mir als gutes Motiv nicht entgehen lassen wollte.
Nun wollte ich natürlich die Gesichtsstrukturen im Schattenriss ohne Wolken haben.
Und wenn ich mir etwas vorgenommen habe, dann …
Die Ergebnisse, nach über einer Stunde des Wartens, haben mich dann bei der Auswertung der Fotos daheim nur teilweise befriedigt, schon alleine aus dem Grund, dass Wagner ja die Nase fehlte, was einer Gesichts-Struktur zu wider läuft.
Als ich dann nach über 2 Stunden meinen Weg Richtung San Marco einschlagen wollte, kam bei einem Zurückblicken ein zweiter “Schock” … der nahestehenden Büste Giuseppe Verdis, der ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte, war auch die Nase abgeschlagen worden (!?)
Es musste also ein gezielt geplantes Attentat gegen die beiden Antipoden des Musiktheaters gewesen sein, sonst hätten ja nicht beide (!) ihre Nase opfern müssen.
Auch wenn sich Wagner und Verdi nie persönlich begegnet sind, sind sie hier im Tode friedlich vereint, allerdings beide ohne Nase…
Da muss man schon einen feinen Geruchssinn haben, um herauszufinden, was dies zu bedeuten hat … (?)
Was lernen wir daraus :
“Nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende”
(Nietzsche)
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* weitere Fotos Venedig auf meiner Bildergalerie Venedig :