Die südliche Fondamenta Venedigs, die “Zattere” in Dorsoduro kann man schon als die schönste Fondamenta Venedigs bezeichnen. Sie führt am sogenannten “harten Rücken” (Dorsoduro) im Westen bis nach Osten auf die Spitze zur Santa Maria della Salute, wo der Canale Grande hineinfließt und dort auch am breitesten ist. Ich sage immer, dass die Zattere die Liebes- und Todesmeile ist, gut für Phase 1 einer Liebe und gut für ein Ausscheiden aus dem Leben. Ich wählte für meinen 5. Aufenthalt in Venedig ein Hotel direkt an der Zattere, dessen Lage man schon als inkommensurabel (lat. unübertreffbar) bezeichnen kann. Im ruhigen Stadtteil Dorsoduro, nahe der Accademia-Brücke, was gut ist für die Orientierung, in der Nähe eines Fährenanlegepunktes, nahe bei einem der wenigen Supermärkte…und eben an der Liebesmeile (bzw. Todesmeile). Dieses Hotel hatte im Innenhof einen nachts beleuchteten Brunnen (sh. Foto), “…nichts besonderes”, denkt man da als erstes. Nur der Clou kam dann in später Stunde, als ich mir diesen Innenhof einmal im Dunkeln ansehen wollte. Ein kleiner Raum war ausgestattet mit Polstermöbel und Sofas und dieser Raum war nach vorne zum Brunnen hin offen, man saß also nicht unter freiem Himmel, hatte aber einen ungestörten Blick zum beleuchteten Brunnen. Jetzt stelle man sich einmal vor, man liegt in diesen Sofas in abendlicher Stunde mit dem Blick zum Brunnen mit seiner großen Liebe in Phase 1 (!) – es wäre kaum mit Worten zu beschreiben…danach könnte man sich dann umbringen. Ich glaube, ich muss doch einmal mit meiner großen Liebe nach Venedig, nur dass es diese nicht gibt, und um sich umzubringen, ist es einfach noch ein bisschen zu früh.
Die Geschichte hinter dem Bild
Tintorettos Werkstadt – Cannaregio (Venedig 2019)
Nachdem “Attentäter” der Richard-Wagner-Büste und der Verdi-Büste in Castello im Osten Venedigs bei einer Nacht- und Nebel-Aktion die Nasen abgeschlagen haben, machte man (?) auch vor Tintorettos Werkstatt im südlichen Cannaregio keinen Halt. Dieses Gebäude an einer Fondamenta ist ohne Anmeldung nicht zu besuchen, ob es sich überhaupt lohnt dieses zu besuchen, ist eine andere Frage. Wahrscheinlich als Schmuck hat man an der Fassade des rötlichen Gebäudes von außen einzelne Figuren in die Fassade integriert – diese sehen aus wie turbantragende Weise aus dem Morgenland. Bei meinem Besuch in Venedig im Jahre 2016 hatte ich ganz in der Nähe mein Hotel und kannte das Gebäude vom Sehen her. In diesem Jahr (2019) zog es mich bei sommerlichen Temperaturen wieder nach Cannaregio, doch diesmal staunte ich nicht schlecht über eine “Nasen-Korrektur” (sh. Foto) an der von Attentätern geschändeten Figur, denn man hatte ihr die Attrappe einer Nase aufgesetzt. Da kann man ja geteilter Meinung sein, aber wie eine Nase sieht dies eher weniger aus.
Die Geschichte hinter dem Bild
“Dies ist kein Arschloch”
An vielen Stellen fand ich in Venedig in diesem Jahr (2019) ein auffälliges kleines “Gemälde”. Es wirkt schon etwas religiös – ein Herr, der in eine Kutte gekleidet ist und leicht abhebend in den Lüften schwebt…(?) Rechts oben eine Art runde Scheibe, wie die Scheibe eines Baumes oder eine Sonne (?). Ich habe es etwas erstaunt erst einmal fotografiert. Daheim habe ich den Spruch, der darunter steht, versucht zu übersetzen, obwohl meine Französisch-Kenntnisse eher mager sind, aber als Französisch habe ich es noch definieren können. Beziehungsweise es ist eine Kombination von Französisch mit Englisch (“Asshole”) und nach meiner Recherche heißt es : “Dies ist kein Arschloch”. Schwer zu definieren, was der schon fast fliegende Herr mit diesem Spruch zu tun hat (?). Wenn man jetzt noch etwas genauer hinsieht, erkennt man rechts unten in gekippter Schrift das deutsche (!) Wort “Maluntergrund” – hä, was soll das denn bedeuten ? Gut, nun denn – denn gut ist immer das, was man nicht sofort versteht, aber den Sinn dieses “Gemäldes” habe ich bis heute nicht ganz verstanden…
Die Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners anhand choraler Scenen des “Tannhäusers” und deren Realisierung im Festsaal der Wartburg bei Eisenach
Teil 3
(D.) Chorale Stellen im “Tannhäuser” mit der Realisierung vor Ort
Der Festsaal der Wartburg bei Eisenach zeigt nicht nur eine hervorragende Akustik, sondern auch gute Platzierungsmöglichkeiten. Ohne auf nähere Details einzugehen, bringt die trapezförmig angelegte Decke des Saales ein überraschendes Klangerlebnis – der Klang des im vorderen Bereich platzierten Orchesters scheint in die Höhe zu steigen und verteilt sich nach hinten über die Köpfe der “Zuschauer” hinweg.
“Dich teure Halle grüß ich wieder…”
Dieses Phänomen fällt einem geübten Hörer am besten auf, wenn er das erste Mal dieses erlebt. Hierbei ist auch die Platzwahl zu beachten. Platzierungstechnisch gibt es die Möglichkeit den Chor außerhalb der Scene (z.B. im Foyer) zu lokalisieren, was für den Rezipienten eine Erweiterung der Vision zur Folge hat. Genauso ist ein Aufstellen auf dem seitlich des Saales verlaufenden Balkons möglich, was das Stimmvolumen des Chores über die Köpfe hinweg führt. Letztendlich schreitet der im “Tannhäuser” oftmals sich bewegende Chor von hinten durch das Spalier in den Saal, was die Implikation in das Werk immens steigert.
Sitzplan Festsaal
Der oben zu sehende Sitzplan des Festsaals der Wartburg zeigt rechts einen Erweiterungsbau Podium, was man als “Bühne” annehmen kann. Dieses ist allerdings nur ein fiktiv fixiertes Zentrum, da das Werk im kompletten Saal spielt. Plätze an der Fensterfront oben haben den Vorteil, dass man den ganzen Saalüberblicken kann. Die Balkonseite (unten) zeigt einen spalierförmigen Ausgang Richtung Foyer, auf diesem ist oberhalb der Balkon, der zur Platzierung von Chöre gut verwendbar ist. Die mit rot markierten Plätze zeigen die Plätze, die ich bisher in den Jahren hatte. Im hinterer Bereich rechts (vom Podium aus gesehen) herrscht die beste Akustik und Optik (nach meiner Erfahrung).
Platzierung einer Podiumsbühne
E.) Umsetzung choraler Scenen im Festsaal der Wartburg
Im Folgenden fünf ausgewählte chorale Stellen im “Tannhäuser”, und deren Realisierung im Wartburg-Festsaal, die weit über die Bedeutung eines normalen Chores hinausgehen und somit hier nennenswert sind. Der 1. und 3. Act beherbergt auch einen sogenannten A‑Capella-Chor, also chorale Stellen ohne konzertante Begleitung, was zeigt, dass hier der Chor auch das einzige Mittel der Darstellung sein kann.
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“Naht Euch dem Lande, naht Euch dem Strande…”
(Gesang der Sirenen und Nymphen, 1.Act, 1. Scene)
Das sogenannte “Sirenenbad” in der Pariser Fassung im Eröffnungs-Bacchanal im Venusberg zeigt, dass es sich hier (auf Wartburg) um eine Mischfassung handelt. Vor Ort wird durch die außer-scenische Platzierung des Chores im Foyer (außerhalb des Festsaales) die räumlichen Erweiterung der Vision gesteigert. Das restliche Bacchanal fällt weg und der 1. Act beginnt mit der 1. Scene der Dresdener Fassung im Venusberg (“Geliebter, sag’, wo weilt dein Sinn?”)
Nach der Rückkehr Tannhäusers in die Welt, spielt ein Hirte auf einer Schalmei. Ein auf- und abtretender A‑Capella-Chor der älteren Pilger zeigt ein optisch und akustisch multimediales Geschick der Visionserweiterung. Im 1. Act wird eine Strophe des Chores (“Ach, schwer drückt mich der Sünde Last…”) von dem nach Reue rufenden Tannhäuser wiederholt. Es geschieht ein Übergang aus der Scheinwelt des Venusberges in die geordnete Wartburg-Gesellschaft mit dem Wunsch nach Vergebung.
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“Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen…”
(Pilgerchor kehrt aus Rom zurück, 3. Act, 1. Scene) *
Nach einigen Minuten A‑Capella setzt das Orchester mit peitschenden Streichern langsam ein. Es gewinnt immer mehr an Stärke, bis an einem Punkt, als die vorher getrennten Frauen- und Männerchöre sich vereinen und alles steigert in ein ziemliches Klangvolumen untermalt mit Orchester. Die Ouvertüre der Dresdener Fassung nimmt schon viel Stimmung für die Melodik des Pilgerchores vorweg. (Hörbeispiel der Rückkehr des Chores aus Rom – sh. unten)
Pilgerchor 3. Aufzug, 1. Scene
“Heil ! Heil ! Der Gnade Wunder Heil!”
(Pilgerchor – Verkündung d. Stabwunders, 3. Act, 3. Scene) *
Rückkehr des Pilgerchores aus Rom im Finale mit jüngeren Pilgern. Wiederaufnahme und Fortführung des Pilgerchors aus der 1. Scene des 3. Actes. Die letzte Strophe wird vom gesamten Chor getragen (Alle in höchsterErgriffenheit - Regieanweisung). Es entsteht eine starke Steigerung des Stimm-Volumens als finaler Effekt. Vor Ort wird der Zuschauers in die Scene mit eingebettet und impliziert, es geschieht eine Aufhebung der Rolle des Zuschauers in die Rolle des mitwissenden Statisten durch den von hinten einschreitenden Chor (bei der Aufführung 2019 schritt der Chor allerdings seitlich ein, was den Effekt sinken ließ).
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“Freudig begrüßen wir die edle Halle…”
(Einzug der Gäste des Sängerstreits in den Festsaal, 2. Act, 4. Scene)
Unter Trompetenklängen beginnt der Einzug der Gäste in die Sangeshalle, der den Beginn des Sängerwettstreites markiert und von der Masse-Volk-Gäste gehuldigt wird. Vor Ort wird der Chor (bzw. die Chöre) auf dem seitlichen Balkon positioniert, oben Frauen – unten Männer…(wie es sich gehört). Es wechselt mehrfach die Ebene von Frauen zu Männer(-Chor). Eine dreifache Anhebung und Wiederholung der Strophe lässt die Huldigung ins Unermessliche steigen. Vor der letzten wiederholenden Steigerung glaubt man als geübter Hörer ein chorales Ende, was allerdings nicht der Fall ist – es lässt die Einzigartigkeit dieses Ereignisses (Sängerwettstreit) symbolisch hervortreten.
*Anmerkung : Der Pilgerchor der älteren und jüngeren Pilger (nach Rom – von Rom zurück) ist immer in Bewegung. Langsam einherschreitend, in die Scene hinein und aus der Scene heraus (…dem Zuge der Pilger), bewegt sich der Pilgerchor. Somit entsteht ein an- und abschwellendes Klangvolumen durch Auftauchen und Ausschreiten des Chores mit einer räumlichen Erweiterung durch Kommen und Gehen. Als Folge ergibt sich eine optische und akustische Erweiterung durch die Platzierung und Abfolge der choralen Scenen.
(***) Resümee
Erst einmal sei als Resümee zu sagen, dass Chöre ein gelungenes Instrument bis zurück ins antike Griechenland waren und sind. Neben dem Einsatz von Chören bei vielen Komponisten sieht man Wagners Aufgreifen des Chores als Mittel die Präsenz seines Gesamtkunstwerkes besser in Scenen zu stellen. Das wagnersche “Gesamtkunstwerk” sollte alle Kunstformen, also auch Chöre, fusionieren. Man sieht, dass die Platzierung eines Chores im Werk eine bedeutende Rolle spielt, genau wie der Unterschied von einem bewegendem Chor zu einem stehenden Chor. Der “antwortende” Chor in einzelnene Werken Richard Wagners ist als integrierter Statist zu sehen, der auch choreografisch eingesetzt wird, ähnlich den Chören in Bellinis Werken, die auch als Brücke zu einer neuen Scene anzusehen sind. Des Weiteren erkennt man unweigerlich die Nähe der halb-szenischen Inszenierung des “Tannhäusers” im Festsaal der Wartburg zu dem Idealbild der multi-medialen wagnerschen Idee.
“Wenn man das Werk Richard Wagners verstanden hat, merkt man, dass sich einem ganz andere Welten öffnen, und diese Welten gilt es zu ergründen…”
Bei den Hör-Beispielen hat man den Pilgerchor, der an zwei Stellen im 3. Act auftaucht (1. und 3. Scene) fusioniert und für konzertante Aufführungen vereint.
Die Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners mit einem Vergleich der Chöre Vincenzo Bellinis
Teil 2
(B.) Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners
Richard Wagner nahm erst Abstand vom klassischen Chor als Integrations-Element in seinen Werken. In seiner umfangreichen Schrift “Oper und Drama” erteilt er dem Chor in der Oper eine Absage. Dies sollte aber nicht so bleiben, denn rückblickend kann man sagen, dass in (fast) jedem Werk chorale Stellen sind, und zwar sehr geschickt platzierte, und wohl-dimensionierte und demgemäß sehr wirkungsvolle. Der Chor wird hierbei von Wagner oftmals als einzelne Singstimme verwendet, das heißt, dass der Chor nicht einzeln steht, sondern direkt in die Handlung integriert ist (wie ein weiterer Statist). Da die Komposition bei Wagner immer einen Bezug zum Handelnden auf der Bühne hat, hat der Chor eine weit bedeutendere Rolle in der Handlung, als normalerweise ein Chor allein stehend hat.
Bei der Zuschauer-Werk-Fusion in Wagners Idealbild, hebt sich der Zuschauer auf und begibt sich in eine Rolle, nämlich die Rolle des “mitwissenden Statisten”.
Der Zuschauer in der Masse ist schnell im Chor zu erkennen, da die Zuschauer ja (meistens) eine größere Anzahl von Personen sind und der Chor auch, und somit lässt sich das Stimm-Volumen steigern. In einzelnen sehr umfangreichen Werken, wie zum Beispiel im “Ring des Nibelungen” gibt es komischerweise nur eine chorale Stelle, nämlich den Chor der “Gibichungen-Mannen” in der “Götterdämmerung” im 2. Act. Im “Ungetüm” der Frühwerke “Rienzi, der letzte der Tribunen” steht der “Chor der Friedensboten” isoliert als eine der sehr wenigen Chorstellen in diesem 5 Stunden Werk. Anders sieht das im “Lohengrin” aus, mit dem Wagner seinen angestrebten Kompositionsstil erreicht hatte.
Lohengrin – Chöre
Hier ist es nämlich eine besondere Art von Chor (“Lohengrin”) im Werk mit dem größten Choranteil aller Werke, da hier der Chor fast ständig auf der Bühne präsent ist. Das Besondere ist allerdings auch das Fehlen großer ausgedehnter Chorsätze – man hat beim Hören das Gefühl, dass Wagner großen Chorsätzen geradezu aus dem Weg geht – es fehlt eine Selbstdarstellung des Chores, der reserviert und passiv dasteht.
Partitur Lohengrin im Lohengrinhaus Graupa
Genauso fehlt ein chorales Tableau, was viele andere Komponisten im Übermaß verwendet haben. Die eher kurzen Chorstellen (im “Lohengrin”) sind eher Reaktionen auf das jeweilige Geschehen. Das Wirkungsvolle ist in diesem Werk die Platzierung und die Reaktivität des Chores (oder Teilchores). Als Partner im Werk steht er hier sehr passiv da – eine Äußerung erscheint immer als Reaktion, nie als Aktion und stellt eine Unterordnung unter dem Orchester dar.
Entstehungsort des Lohengrin
Er (der Chor) ist immer nur zur Reaktion fähig, nicht zur Aktion und ist der Melodik des Orchesters angepasst, er ordnet sich unter und agiert, wenn er zur Stellungnahme aufgefordert wird. Hierdurch wird der Chor zum mitspielenden und mithandelnden Instrument des Werkes. In der Orchestersprache der wagnerschen Komposition nimmt der Chor im “Lohengrin” nicht nur die Rolle einer handelnden Person ein, sondern auch die Rolle einzelnen Instrumente.
(C.) Wagner – Bellini
Vorbilder für seine Kunst hat Wagner immer vielfach verleugnet, weil er nicht als Kopierer des Werkes eines anderen Komponisten hingestellt werden wollte. Als Ausnahmen kann man Wagners euphorische Verehrung für Beethoven und Carl. M. v. Weber, als Schöpfer der deutschen Oper, ansehen.
Bei den Italienern gibt es eigentlich nur einen, den Wagner (zwar nur hinter vorgehaltener Hand) anerkannt und verehrt hat, und das ist Vincenzo Bellini(von Spontini einmal abgesehen, den Wagner persönlich in Dresden kennengelernt hatte). Bellini ist ja nicht der Schöpfer der Werke, er hat sie als solches “nur” vertont, bzw. eine äußerst fruchtbare Künstlerfreundschaft gepflegt und zwar mit dem Textdichter Felice Romani. Die Werke stammen (fast) alle von Felice Romani, wobei man sagen muss, dass es diese wundervollen Belcanto-Werke nicht geben würde, ohne die Hand Bellinis. Die drei Elemente in diesen Werken sind die Kompositionslinie, der Belcanto-Gesang und der Chor. Quasi eine Fusion kreativer Ergüsse zweier Schöpfer, was bei Wagner unvorstellbar wäre.
Zwei Paradebespiele sind die Werke “Norma” und “I Capuleti e i Montecchi”. Beide sind lyrische Tragödien in 2 Acten mit einer Aufteilung nach Bildern oder Scenen mit Arien, Kavatinen, Romanzen und Chöre. Was Wagner allerdings eher gereizt haben muss, ist das reine Belcanto bei Bellini, sodass er Bellini sogar einen Text in seinen gesammelten Schriften widmete (* “Bellini – Ein Wort zu seiner Zeit”).
Gesammelte Schriften
Der sogenannte Wagner-Gesang ist absolut kein Belcanto mit Arien und Kavatinen, sondern eine besondere Form eines Rezitativs, es erscheint eine teilweise Opferung der Gesangslinie zugunsten der Deklamation. Wie vielfach in der Literatur zu finden ist, stand Wagner allerdings nicht ganz ablehnend dem Balcanto-Gesang gegenüber, er hat sich oftmals dessen sogar für sein Schaffen bedient. Somit sind die Chöre bei Bellini nennenswert und sicher ein Vorbild für Wagner gewesen. Sie sind bei Bellini öfter als Verbindungsglied von einer Scene in die andere benutzt worden (Brücken-Effekt). Des Weiteren erscheint der Chor bei Bellini oft als ein Statist auf der Bühne und fungiert antwortend, das heißt, dass eine Frage gestellt wird und der Chor antwortet geschlossen. Was sicher nicht im Sinne Wagners war, ist, dass Bellini in einem frühen Werk (“Bianca e Fernando”) eine sehr gefühlvoll klingenden chorale Scene komponierte, bei der Konzeption der “Norma” benutzt er diese chorale Scene wieder mit anderem Text – eine derartige “Flickenteppich-Technik” ist bei Wagner nicht vorstellbar. Dies zeigt, dass Wagner nicht alles blind übernahm, auch von einem Komponisten, den er verehrt.
Somit wird der Chor (“I Capuleti e i Montecchi”) als “Antwortender Chor” verwendet und von Bellini in den Dialog der Darsteller integriert (1. Act, 1. Bild), was wiederum Parallelen zu den Chören im “Lohengrin” erkennen lässt. In einem aktuell von mir rezipierten späten Werk Bellinis/Romanis (“Beatrice di Tenda”) zeigt sich in dem eher unbekannten Werk kompositorisch am Anfang des Vorspiels eine ca. 30sekündige Dissonanz (Missklang), die 4–5 Mal noch im kompletten Werk oft fragmentarisch auftaucht (im 2. Act). Eine Technik, die Wagner perfektioniert hat (Erinnerungsmotive) durch ein Gerüst von emotionale Gefühlswegweisern durch seine Werke.
Als Resümee kann man sagen, dass Wagner das Bellinische Belcanto überwindet und seine eigene Gesangsart (Wagner-Gesang) entwickelt, ohne Gesang, Arien etc., nur mit Dialogen und ohne Monologe. Der vormals erwähnte “Antwortende Chor” und der Chor als Bindeglied in Bellinis Werken hat allerdings ohne Zweifel Wagner Fantasie für seine eigenen choralen Konstruktionen angeregt.
*Zu den sehr umfangreichen Schriften Wagners ist zu sagen, dass sie keinen Schlüssel zumVerständnis des Werkes darstellen, sondern die Werke eher ein Schlüssel zum Verständnis der Schriften. Dadurch ist ein Heranziehen der Gesammelten Schriften schwierig und sie sollen hier im Hintergrund bleiben.
“Musik ist nicht die Darstellung einer Idee, Musik ist die Idee selbst”
Die Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners und der griechischen Tragödie anhand von exemplarischen Beispielen
Teil 1
Vorwort
Der Chor an sich war schon immer ein wirkungsvolles “Instrument” für Einleitungen, Überbrückungen, Interludes in einem kompositorischen Werk. Aber nicht nur Komponisten haben sich über dieses Symptom Gedanken gemacht, neben Philosophen gibt es auch Schriftsteller, für die das Symptom des Chores von Interesse war/ist. Neben Fr. Schiller, allen voran natürlich Fr. Nietzsche, der in einem seiner frühen Werke den Chor sogar als Auslöser der griechischen Tragödie hinstellt. Wenn man sich nun dem Werk Wagners nähert, wird man als Uneingeweihter nicht annehmen, welche immense Rolle die Chöre im Gesamtkunstwerk Wagners haben. Hierbei geht es neben den menschlichen Stimmen und Stimmvolumen schon um einen Teil der Gesamtkomposition und der Choreografie durch die geschickte Platzierung, Bewegung und Dichte. Hier sei neben soviel Theorie die Praxis anhand der alljährlich stattfindenden halb-szenischen Inszenierung von Wagners “Tannhäuser” im Festsaal der Wartburg bei Eisenach als exemplarisches Beispiel zu betrachten. Denn diese Inszenierung bringt neben der hervorragenden Akustik, vieles, was eine normale Opernaufführung nicht erreicht und erreichen kann. Daher wird diese von mir als Musterbeispiel in Teil 3verwendet.
Struktur : Vorwort (*) Chorale Scenen in den Werken Richard Wagners (**) Voranstellung A.) Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie B.) Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners C.) Chöre Wagner - Bellini D.) Chorale Scenen in Wagners “Tannhäuser” (5 Beispiele) E.) Umsetzung choraler Scenen in der halbszenischen Inszenierung im Festsaal der Wartburg Eisenach (***) Resümee
(*) Chorale Scenen in den Werken Richard Wagners (8 Beispiele):
a) Rienzi der letzte der Tribunen : Chor der Friedensboten (2. Act) b) Der Fliegende Holländer : Chor der Seeleute (1./3. Act) c) Tannhäuser : Pilgerchor (1./3. Act) d) Lohengrin : Brautzug (3. Act) e) Tristan und Isolde : Chor der Seeleute (1. Act) f) Die Meistersinger von Nürnberg : Aufzug der Zünfte Festwiese (3. Act) g) Götterdämmerung : Chor der Gibichungen-Mannen (2. Act) h) Parsifal : Chor der Knappen und Gralsritter (1. Act)
(**) Voranstellung
Im Vorfeld sei gesagt, dass in (fast) jedem Werk Richard Wagners chorale Scenen auftauchen, sich platzieren und in die Handlung eintreten. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um fest stehende Chöre als Einzelteil, sondern um geschickt platzierte und kompositorisch verwendete chorale Scenen. Der Vollständigkeit halber seien hier einige genannt.
Schon im kriegerischen Frühwerk “Rienzi, der letzte der Tribunen” wird der sogenannte Chor der Friedensboten im 2. Act noch einzeln hingestellt, während in den Folge-Werken eine Einzelstellung selten wird. Der Chor der Seeleute im “Fliegenden Holländer” im 1. und 3. Act symbolisiert das Tosen des Ozeans und die Verfluchtheit des Meeres, wobei einem der Wind schon ins Gesicht bläst und dieses im Chor auf seine Weise erscheint. Im Problem- und Umbruchswerk “Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg” wird das weihe- und würdevolle im Pilgerchor gezeigt, der immer in Bewegung (!) in verschiedenen Acten auftritt. Der “Lohengrin” zeigt gebündelt, wie ein Chor als einzelner Statist von Wagner geschickt eingesetzt wird, aber dem nicht genug, die besonderen Chöre in diesem frühen Werk agieren immer reaktiv und reagierend, sie treten antwortend ein, es wird eine Frage gestellt und der Chor antwortet und wird, wenn man es ernst nimmt, der Rolle eines Chores enthoben. In “Tristan und Isolde” ist der Chor der Seeleute im 1. Act auch als einzelner mitspielender Statist zu sehen, es dreht sich alles um die Hauptfiguren (Tristan und Isolde) , aber die Außergewöhnlichkeit des Tristan ist, dass die Handlung in den Hintergrund tritt und der Hauptstatist auf der Bühne das Orchester wird. Es wird die Beziehung kompositorischer Elemente zu außermusikalischen Verhältnissen von Wagner auf die Spitze getrieben. Somit passt der Chor des 1. Actes auch sehr gut in die Gesamt-Struktur, da er ja ein Teil der Komposition ist, aber gleichzeitig als Handelnder auf der Bühne erscheint. Die “Meistersinger von Nürnberg” ist das Werk, bei dem die meisten Statisten auf der Bühne sind, somit ist der Chor oftmals präsent, vor allem im Finale wo Hans Sachs die deutsche Kunst preist (“Huldigungsgesang”) und dem Aufzug der Zünfte in der Mitte des 3. Actes. Die Bandbreite eines Genies zeigt sich ja immer durch Überraschungen und Gegensätze gegenüber den eigenen Regeln. Denn die “Meistersinger” sind die einzige “Komische Oper” Wagners. Komischerweise präsentiert der komplette “Ring des Nibelungen” mit seinen vier Werken und insgesamt über 16 Stunden reine Laufzeit, nur eine (!) chorale Scene, und die ist der “Chor der Gibichungenmannen” unter Hagen im 2. Act der “Götterdämmerung”. Hier wächst der Chor innerhalb dieser choralen Stelle und nimmt an Personen ständig zu, sodass er immer mehr Volumen und (männliche) Macht symbolisiert. Das dies die einzige Chor-Stelle ist, kann man darauf schieben, dass Wagner in der “Götterdämmerung” noch einmal mit dem gesamten kompositorischen Material, was sich in den 3 vorangehenden Werken angesammelt hat, arbeitet und sogar eine Terzett-Stelle (“Rache-Terzett” im 2. Act) einsetzt, was außergewöhnlich ist – es ist die einzige Terzett-Stelle in allen Werk (ausgenommen der Frühwerke). Aber woran es wirklich liegen mag, weiß nur der Schöpfer selbst – es ist halt künstlerische Freiheit, die die Logik außer Kraft setzt. Abschließend symbolisiert sich im Weltüberwindungswerk “Parsifal” das Weihevolle und Liturgische im Chor der Knappen und Gralsritter, der im Werk, vor allem in der Scenerie innerhalb des Gralstempels, fast immer zugegen ist. Hier werden sogar junge Frauen eingesetzt, um die “Jungheit” der Knappen besser akustisch darzustellen. Soweit ein kurzer Querschnitt choraler Scenen in Wagners Werken, der sicher noch weit ausbaubar ist.
(A.) Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie
Die Geschichte des antiken Griechenlands, das die Entwicklung der europäischen Zivilisation maßgeblich mitgeprägt hat, umfasst etwa den Zeitraum vom 16. Jahrhundert v. Chr. bis 146 v. Chr. Die unzähligen Reste und Ruinen von griechischen Amphitheatern zeigen, dass in früher Vorzeit hier das geistige Leben gespielt haben muss (im wahrsten Sinne des Wortes). Durch fehlende Instrumente, die zu dieser Zeit noch nicht erfunden waren, gab es nur ein Instrument, nämlich die menschliche Stimme, das Ur-Instrument des Menschen. Eine Fusion im Volk und im Geist ließ auch eine Fusion aller Stimmen ans Tageslicht treten, was die ureigenste Geburt des klassischen Chores als gebündelte menschliche Stimme war. Auch wenn diese (meine) Hypothese etwas gewagt klingen mag, zeigt sie allerdings, ohne viel Fachwissen, eine logische Erklärung der Erkennung der Wirkung eines Chores mit mehr Stimmvolumen. Eine weitere These (die allerdings bewiesen ist) ist ja die Frage, warum gerade in einer (damals) so blühenden Hochkultur eher (oftmals traurige) Tragödien aufgeführt wurden (?), die sich bis heute (!) als Kunstform gehalten haben. Der Grund ist psychologischen Charakters (oder auch massen-suggestiven), denn man wollte dem Volk (durch diese Werke) zeigen, wie gut es Ihnen noch geht im Vergleich mit den Menschen anderer Kulturen oder anderer Zeiten. Eine gute Idee, die heute auch Anwendung finden könnte.
Nietzsches Huldigungsschrift auf die Tragödie
Nietzsche stellt im “Tragödien-Buch” die These in den Raum, dass die griechische Tragödie einst nur Chor war und aus dem Chor hervorgegangen ist.
“Diese Überlieferung sagt uns mit voller Entschiedenheit, daß die Tragödie aus tragischen Chore entstanden ist und ursprünglich nur Chor und nichts als Chor war…” (“Geburt der Tragödie” 1871)
Hiermit stellt Nietzsche (wie schon öfter) eine gewagte These auf. Nietzsche bezieht sich in dieser Passage aber eher auf das Publikum, und zwar ein ästhetisches Publikum, welches sich darüber bewusst ist oder sein sollte, ein Kunstwerk vor sich zu haben und nicht die auf Erfahrung beruhende Realität. Somit sollte im antiken Griechenland und in deren Kultur der mitwissenden Zuschauer geschaffen und geformt werden, der in seiner Anzahl sich im Chore wiederentdecken sollte. Nietzsche bezeichnet dieses als höchste und reinste Art des Zuschauers. Nach dieser These ist Nietzsches Idee, dass erst der Chor da war und dann aus diesem die Tragödie entstanden ist, gar nicht so abwegig und entfernt sich von einer gewagten These zu einer verstandesmäßigen Erklärung. Nietzsches Wagnernähe manifestiert sich in diesem Frühwerk, in dem er unausweichlich Richard Wagner als Neubegründer einer griechischen vergleichbaren Kunst und Kultur sah, bzw. zu sehen glaubte. Eine Idee, die er später verwarf.
“Das Werk Richard Wagners ist nicht irgendein Werk, es ist das Werk an sich”
“Wandrer schreite ruhig und still, weil der Drachen nicht geweckt sein will!”
Wer hat sich als Kind nicht für Drachen, Hexen, Geister und Ungeheuer interessiert, der stehe jetzt auf (?). Es bleiben alle sitzen, was zeigt, dass die Jugend in jedem noch lange Jahre später schlummert. Ich habe mich eher für Burgen begeistert, aber da kann es ja auch Geister geben.
Aber nicht jeder, der nicht aufgestanden ist, weiß, dass es doch noch Orte gibt, an denen Drachen leben oder gelebt haben – sie dürfen allerdings nicht geweckt werden.
Und einer dieser Ort ist …
…die Drachenschlucht bei Eisenach
Denn unterhalb der Wartburg, leicht südlich, liegt ein “Naturwunder”, was man in unseren Gefilden nicht so häufig zu sehen bekommt.
Der Weg zur Drachenschlucht
Wenn man von der Wartburg Richtung Süden in das Tal hinabsteigt, kommt man als erstes zu der sogenannten “Sängerwiese”. Hier sollen in frühen Jahren die Sänger um die Hand der Frauen in einer Art Kampf und Streit geworben haben – heute ist dies hier nicht mehr der Fall, denn dieses findet etwas weiter oben alljährlich im Festsaal der Wartburgstatt.
Ein Tipp für den schleichenden Wanderer sei noch ausgesprochen – hier gibt es nämlich Waldmeisterbrause und dies findet man auch nicht so häufig – ich nehme mir einen großen Krug zur Brust.
“Wohl bekomms…”
Schon im Mittelalter soll die Schlucht erwähnt worden sein, als Begegnungsort mit der Natur für Jäger, Sammler und Wanderer. Die Erschließung der Schlucht sollte nun nutzbar gemacht werden, heute würde man sagen, für die Öffentlichkeit zugänglich. Allerdings gab es in damaligen Jahren noch nicht so viele, die sich dort hin trauten, vielleicht hatte man das Bildnis eines Drachen vor Augen… …wie dies ?
Der Drachentöter
Wenn man durch die Altstadt von Eisenach bummelt, erkennt man unschwer auf dem Marktplatz den Georgsbrunnen, in der Mitte leicht erhöht, sieht man den Eisenacher Stadtpatron “Der heilige Georg” am Werk, und dieses Werk ist die Tötung eines Drachen. Dieser Drachen sieht allerdings eher aus wie ein Wurm, aber ein Wurm ist ja für so eine enge Schlucht wie die Drachenschlucht eher geeignet, als ein großer Drachen. Aber schon oftmals haben sich ja Würmer in Drachen verwandelt, um erst einmal den Herannahenden zu täuschen. Verwandlungen sind ja in Sagen und Märchen sehr beliebt, um die Spannung zu erhöhen.
Der Öffentlichkeit zugänglich
Mit zunehmender Zeit erkannte man schnell, dass hier mehr draus zu machen sei. Wege wurden sogar angelegt und Bohlen und Eisengestänge gelegt, um die Schlucht begehbar zu machen und unter einem fließt der Quellbach.
Wecket mir den Drachen nicht !
Wenn man durch die Enge der oftmals über einem zusammengehenden Felsen kriecht, wird einem schon Angst und Bange, zudem hört man tröpfelndes Wasser, sieht moosüberwucherte Felspartie, umgestürzte Bäume und kleine Wasserfälle. Worte können dies nur schwer festhalten, auch Bilder nicht, denn vor Ort wirkt es natürlich auf jeden anders.
Wirkt bedrohlich eng
“Jeden” bedeutet, dass man hier eher auf weitere Menschen(mengen) stoßen kann, als auf Drachen, die schlummern ja, der Zulauf der Besucher aber nicht. Da kann es schon einmal sehr eng werden, wenn einem jemand entgegen kommt.
Moosüberwuchert
Wenn man sich die anderen Menschen einmal wegdenkt und die Sache mit dem Drachen verdrängt, werden hier viele Sinne angesprochen, die Geräusche des Quellbachs, das Grün der moosüberwachsenen Wände und der Duft der Natur.
Der Duft der Natur
Die eigentliche Drachenschlucht hat eine ungefähre Länge von ca. 200 Metern, auch wenn man dies bei dem verschlungenen Weg nicht genau sagen kann.
Schwer zu berechnen
Nach ca. 200 bis 300 Metern soll sie sich wieder auflösen und in einen normalen Wanderweg übergehen, soll… – …Sie haben richtig gelesen, denn bis dorthin bin ich nämlich bei meinen 3 oder 4 Besuchen der Drachenschlucht noch nicht gekommen, nicht unbedingt aus Angst vor dem Drachen, sondern eher, weil es mich in das leicht unterhalb im Mariental liegende kroatische Restaurant zog, wenn der Drachen schon seinen Hunger nicht stillen kann, so brauche ich zu mindestens etwas Essbares nach so einem beeindruckenden Erlebnis.
Gibt es überhaupt noch Punkte auf der Wagner-Europakarte, wo ich noch nicht war ? Ja, es gibt sie, denn kaum einer schafft es an alle Stätten zu kommen, wo Richard Wagner geschaffen und gelebt hat, seine Ideen hatte oder vorgegeben hat, diese gehabt zu haben.
Und so ein (jetzt geschlossener) Punkt ist die…
Villa Wagner in Biebrich am Rhein
Die einstige “Villa Annica” liegt damals wie heute in der Rheingaustr. 137 direkt an der Promenade am Rhein nahe dem Biebricher Schloss.
Wiesbaden – Biebrich
Zur Geschichte dieser mondänen Villa, die jeden Vorbeischreitenden stoppen lässt, sei folgendes gesagt.
Dieses Anwesen wurde 1862 von einem Architekten mit dem Namen Wilhelm Frickhofen fertiggestellt. Diese imposante Villa weist auf der Südseite zum Rhein hin drei Risalite (Fassadengliedernde hervorspringender Gebäudeteil in ganzer Höhe des Gebäudes zur Fassadengestaltung) auf – dieser architektonische Trick gibt der Villa etwas Verspieltes. Zudem wird die Fassade durch rote Backsteinbänder gegliedert. Architektur war schon immer eine Kunst auch fürs Auge. Nun wurde das Gebäude nebst einem umfangreichen Garten an einen türkischen Gesandten mit dem Namen Aristarchi Bey und dessen Frau Anna verkauft und bekam den Namen “Villa Annika”.
Villa Wagner – einst Villa Annika
Allerdings hielt sich dieser Name nicht lange, denn kurz nach der Fertigstellung zog hier im Jahre 1862 eine (heute) wesentlich bedeutendere Persönlichkeit ein.
RICHARDWAGNER mietete nämlich zwei Zimmer, nachdem er die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Mainzer Verleger Franz Schott übernommen hatte, um hier seine “Meistersinger von Nürnberg” zu komponieren. Die Lage der Villa war für Wagner ideal, weil er die Theater von Wiesbaden und Mainz gut erreichen konnte, genau wie die unmittelbare Nachbarschaft zum Biebricher Schloss, dessen reizender Park zu erquickenden Spaziergängen damals, wie heute einlädt.
Unmittelbare Nachbarschaft
Allerdings muss man der Vollständigkeit halber sagen, dass hier, wie so oft nur Teile der “Meistersinger” vollendet wurden. Die Versdichtung und Teile der Komposition wurden hier realisiert.
Und um das ganze zu heroisieren erfand Wagner, wie fast zu jedem Werk auch hier eine Inspirationslegende, nämlich die sogenannte “Erleuchtung von Biebrich”.
Das pompöse und majestätische Vorspiel des Werkes war, wie man heute weiß, schon lange vorher in Wagners Kopf entstanden, was er auch in seiner Autobiographie “Mein Leben” zugibt.
Ideal zur Legendenbildung
Dieses ist es Wert von der heroisierenden Struktur her, einmal etwas näher unter die Lupe zu nehmen.
Aber zuvor möchte ich Wagner (als Schriftsteller) selber zu Wort kommen lassen.
“Beim Herannahmen der schönen Jahreszeit kam mir unter derarthigen gemüthlichen Eindrücken, zu denen die häufigen Promenaden in dem schönen Parke des Biebrichen Schlosses das Ihrige beitrugen, endlich auch die Arbeitslaune wieder an. Bei einem schönen Sonnenuntergange, welcher mich von dem Balkon meiner Wohnung aus dem prachtvollen Anblick des “goldenen” Mainz mit dem vor ihm dahinströmenden majestätischen Rhein in verklärender Beleuchtung betrachten ließ, trat auch plötzlich das Vorspiel zu meinen “Meistersingern”,wie ich es einst aus trüber Stimmung als fernes Luftbild vor mir gesehen hatte, nahe und deutlich wieder vor die Seele. Ich ging daran, das Vorspiel aufzuzeichnen, und zwar ganz so, wie es heutein der Partitur steht, demnach die Hauptmotive des ganzen Dramas mit größter Bestimmtheit in sich fassend.” (Mein Leben Seite 924)
Richard Wagner – Mein Leben
Soweit der kurze Ausschnitt in Wagners (diktierter) Auto-Biografie.
Dieses ist ein exemplarisches Beispiel einer Legendenbildung mit zeitversetzter Überraschungssemantik. Wieso ?
Wagner gibt in diesen Zeilen selber zu, dass das Vorspiel schon längst vorher von ihm geschrieben worden ist (“…wie ich es einst aus trüber Stimmung als fernes Luftbild vor mir gesehen hatte…”). Sehr geschickt – denn Wagner setzt die vorherige Schaffung dieses symphonischen Vorspiels stark abwertend herunter, es war also (angeblich) in trüber Stimmung nur als Luftbild ihm erschienen, also vollkommen unbedeutend und noch kaum Form habend. (sh. hierzu mein Beitrag “Das Assunta-Erlebnis von Venedig”)
Reizende Lage – reizvolle Stimmung – reizvolles Schaffen
Dass dieses Prachtstück einer Künstler-Residenz mit so einer Lage und so einem Ausblick jeden begeistert, kann man nicht leugnen, auch wenn man wie ich bei Traumwetter Ende Mai nur auf der darunterliegenden Promenade wandelt. Wie mag erst der Blick vom Balkon sein und dann in abendlicher Stunde… (?), dachte ich, insgeheim immer mit dem Blicke hoch zum Balkon.
Und hier zeigt Wagner sein Geschick, etwas in ein anderes Licht (im wahrsten Sinne des Wortes) zu stellen, um es höher und bedeutender zu machen. Denn diese Art “Erleuchtung” kam ja nicht am Tage, sondern bei einem schönen Sonnenuntergange… und damit nicht genug, denn alles war in verklärter (?) Beleuchtung. Beleuchtungstechnisch ist kaum noch eine Steigerung möglich.
Aber Wagner hebt die ganze Szenerie noch höher, denn sein Blick richtete sich (wie er vorgibt) zum goldenen (!) Mainz und dem davor majestätisch (!) dahinströmenden Rhein, und alles noch in einem prachtvollen Anblick… …und dann kommt die Überraschung, denn plötzlich trat das Vorspiel wieder klar und deutlich vor seine Seele. Also nicht vor die Augen, sondern vor die Seele (!) Die verwendeten symbolhaften Worte zeigen den Fluss der Musik an.
Eine geniale zeitversetze Überraschungssemantik, wie ich immer zu sagen pflege.
Und als Beweis heißt es weiter, dass es (das Vorspiel) genauso war, wie es heute in der Partitur steht, da gibt es nichts dran zu rütteln und zu zweifeln, aus basta…!
…in diesem Hause
Wenn man nun die Wirkung des Vorspiels des “Meistersinger” kennt, was ja schon ein bombastisches symphonisches Werk ist und auch für Konzerte als Einzelstück mit einem komponierten Abschluss vom Schöpfer autorisiert ist, merkt man, wie geschickt Wagner es versteht, die musikalischen Themen so bildhaft darzustellen, als wären sie durch den optischen Eindruck entstanden. Also eine Inspirationsquelle für ein Umsetzung in Töne, wie sie nicht besser sein kann.
Soweit Wagners schriftstellerische Geschicktheit, seine Ideen auch durch Worte noch besser plastisch in Scene zu setzen, um alles noch stärker ins Göttliche zu erheben.
Für alle Ewigkeit manifestiert
Von der Kompositions-Struktur her setzt dieses Vorspiel (was noch die Form eine Ouvertüre hat) strahlend ein, was den Stolz der Zunft der Meistersinger symbolisiert. Festlich bewegt und majestätisch dahinschreitend, löst es sich zögerlich und weich auf, die Trompeten schmettern dann eine Art wuchtigen Marsch, was den finalen Aufzug der Meistersinger auf der Festwiese symbolisieren und antizipieren soll (?). Ausdrucksvoll, fast sehnsüchtig, so hat es Wagner selbst gefordert. Eine weitergehende Analyse dieses oft besprochenen Vorspiels will ich mir sparen – es ist, und das lässt sich nicht leugnen, ein polyphones (mehrstimmiges) Kunststück ersten Ranges. Im Anhang ein Hörbeispiel dieses Wunderwerkes der Musik.
Und welche Szenerie hätte als Inspirationsquelle besser gepasst, als der Blick von dem Balkon dieses “Zukunftsschlösschens” in abendlicher Stunde bei einem Sonnenuntergang mit dem Blick über den Rhein…(?)
Zukunfts-Schlösschen
Geschichtlich ging es dann 1889 nach Wagners Tod so weiter, dass ein Zementforscher mit dem Namen Rudolf Dyckerhoff die Villa erwarb und sich hier mit Familie niederließ. Der nach Osten sich streckende Garten ist noch so erhalten, wie er damals war, der sich nach Westen streckende Teil des Gartens wurde allerdings nach für nach in den letzten Jahren mit Villen bebaut. Man kann somit die ganze Pracht des Anwesens, wie es bei Wagners Aufenthalt dort ausgesehen haben muss, nur erahnen. Man sieht, dass Künstler und Schöpfer immer eine geeignete Kulisse brauchen, um ihre Werke richtig niederzulegen.
Nach Osten hin erhalten – nach Westen zugebaut (Google-Maps)
An diesem lauwarmen Nachmittag Ende Mai diesen Jahres, ging ich wie verklärt die unter der Villa her führende Promenade auf und ab und hatte immer die Motive des berühmten und majestätischen Vorspiels im Ohr. Der Weg zurück ins würdevolle Wiesbaden führte an blühenden Rosenhecken und prachtvollen Villen vorbei. Wieder im Hotel angekommen, setzte ich mich sofort an eine Tisch und wie urplötzlich kam es aus mir heraus – ich verfasste diesen Beitrag wie ich ihn in trüben Tagen schon vor meinem geistigen Auge hatte und zwar so, wie Sie ihn jetzt in diesen holden Zeilen auf meinen Blog lesen können und zwar für immer und für alle Ewigkeit … Amen.
“Verachtet mir die Meister nicht und ehret mir die Kunst Was ihnen hoch zum Lobe spricht, fiel reichlich Euch zur Gunst!” (3. Act, 5. Scene)
Als die Sommermonate in diesem Jahr nahten, machte ich mich auf den Weg zum Musensitz Weimar, die Stadt mit der langen Tradition, die die Kultur unzähliger Jahre geprägt hat. Doch es gab auch etwas eher Trauriges hier in Weimar.
Leicht oberhalb des Alten Friedhofes stellte ich den Wagen am Anfang der Humboldt-Straße ab – denn zu bedeutenden Orten hinaufzugehen ist immer besser, als hinaufzufahren.
Villa Silberblick
Die Temperaturen konnte man schon als leichte Hitze bezeichnen und nach einer Viertelstunde zeigte sich von der Straße her auf der rechten Seite ein Zaun. Wenn man näher herankommt, kann man vorher schon erahnen, dass hier etwas Überraschendes kommen wird.
Ich hatte im Vorfeld gelesen, dass dieses Villa “Villa Silberblick” genannt wird. Man kann also vermuten oder erahnen, dass hier ein guter Blick über Weimar zu genießen ist. Und den wollte ich erst einmal erblicken.
…die Villa ist herrschaftlich und archaisch
Die Villa ist herrschaftlich und archaisch, ganz im Stil einer Künstlervilla, die man oft bei bedeutenden Personen aus der Kultur und bei Schöpfern anfindet.
…herrschaftliche Künstlervilla
Somit ging ich über den mit Kieselsteinen belegten Vorhof herein und umrundete seitlich die Villa und kam in eine leicht am Hang liegende Gartenanlage. Ein Gärtner war bei der Arbeit und mähte den Rasen. Ich sagte zu ihm, dass schon das Umfeld zu der Villa wirklich sehenswert sei, aber er reagierte nicht.
Sinn für Natur
Einen Sinn für Natur musste die Herrin des Hauses schon haben. Ich wusste, dass der Philosoph nach seinem geistigen Zusammenbruch durch seine Schwester gepflegt wurde, mehr nicht.
…ich hatte alles von Nietzsche gelesen
Ich hatte alles von Nietzsche gelesen, manches bis zu viermal. Meine einstige Begeisterung hatte allerdings nachgelassen, das Radikale und sich selbst Widersprechende nimmt zu schnell die Überhand und es gibt eine Grundregel : um so mehr Schopenhauer, um so weniger Nietzsche.
Ich winkte dem Gärtner noch einmal kurz zu und kam wieder zu dem kieselbedeckten Vorhof. Die hölzerne mächtige Eingangstür löste bei mir Erinnerungen an Jugendstil-Architektur aus.
Ein Pfleger kam mir entgegen und ich fragte nach der Herrin des Hauses, doch da stand sie mir schon im Innenbereich gegenüber und ich grüßte mit etwas Verlegenheit. “Frau Förster-Nietzsche”, sagte ich, “…meine Hochachtung Sie hier anzutreffen.”
…sie war klein von Statur
Sie war klein von Statur und ich hatte nachgelesen, dass sie schon einiges erlebt hatte und sehr aktiv in der Vergangenheit war. “Kommen Sie doch herein…”, erwiderte sie.
Ich stellte mich kurz und anständig vor und sagte ihr, dass ich sehr viel von ihrem Bruder gelesen habe, meine kritischen Anmerkungen ließ ich allerdings zur Seite.
Dafür, dass sich ihr Mann in einer Siedlungskolonie in Paraguay das Leben genommen hatte und sie hier die Arbeit mit dem hilfsbedürftigen Bruder erledigen musste, machte sie einen durchaus stabilen und resoluten Eindruck. Ich musste zurückdenken, einige sehr resolute Frauen haben schon viel bewegen können, und da gehört Frau Förster-Nietzsche dazu.
…ich wollte nicht in Komplimente ausufern
Ich wollte nicht in Komplimente ausufern, sprach ihr aber meine Hochachtung für ihre Mühen bei der Vollzeit-Pflege an ihrem Bruder aus – Ehre wem Ehre gebührt.
N wie Nietzsche
Nun kam ich zum eigentlichen Grund meines Besuches…
…kann ich ihn sehen ?
“… kann ich ihn sehen?”
Sie sagte, dass er die ganze Nacht nicht geschlafen hätte, was öfter vorkommen würde und sie habe mit dem Blick zum Garten eine Art Wintergarten einrichten lassen, wo er sich nachmittags befinden würde.
Nun kam mir ins Gedächtnis, dass dieses herrschaftliche Gebäude eigentlich gar keine Künstlervilla im herkömmlichen Sinne ist, wo ein Künstler seiner Tätigkeit nachgeht, sondern eher die “Pflegestation” eines Krankenhauses.
So wie ich wusste, hatte man Nietzsche nach einer Anzahl von wirren Briefen und nach einem Zusammenbruch in Turin in eine Irrenanstalt nach Basel verwiesen. Sämtliche Heilungsversuche scheiterten, sodass man ihn erst zu seiner Mutter nach Naumburg brachte. Da müssen, wie schon oft, die Mütter wieder einspringen.
Die Schwester machte sich damals auf den Weg nach Deutschland und nahm der bereits betagten Mutter die Arbeit ab … lobenswert. Allerdings wusste ich auch, dass sie die Kontrolle seiner Werke in Form einer Gesamt-Ausgabe hatte, bzw. immer mehr in ihrer Hand vereinte. Dieses ließ ich aber bei der Fortführung der Unterhaltung weg.
…sie führte mich durch wahrlich stilvoll eingerichtete Zimmer
Sie führte mich durch wahrlich stilvoll eingerichtete Zimmer und sagte mir sehr offen, dass sie vor habe, hier eine Art Archiv der Werke ihres Bruders einzurichten, sie wollte es “Nietzsche-Archiv” nennen und es solle das Werk der Nachwelt erhalten. Ich wurde schon leicht stumm und war begeistert von der Idee.
In einer Ecke stand eine große, bestimmt fast 1,50 Meter hohe Büste aus einem Block weißem Marmor angefertigt, die am oberen Ende das Haupt Nietzsches zeigte.
Massiv-Marmor
Noch mit einiger Ehrfurcht blieb ich davor stehen, sehr beeindruckt, egal wie man dem Werk gegenüberstehen mag. “Nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt an die Quelle”, zitierte ich mich mal wieder selbst. Sie lachte und sagte, dass ein guter Freund es sich nicht hätte nehmen lassen, schon vor dem Tod ihres Bruders ihn in Marmor zu verewigen. “Passt aber sehr gut zum Ambiente…”, erwiderte ich.
…es waren teilweise schon einige Schaukästen erstellt
Es waren teilweise schon einige Schaukästen erstellt, in denen man Dokumente aus dem Leben ihres Bruders sehen konnte – ich hatte das Gefühl, dass er schon lange tot sei. Da dieses ja nicht der Fall war, drängte ich leicht auf einen persönlichen Anblick Nietzsches.
Platz im Wintergarten
Der Wintergarten mit dem Blick in den traumhaft schönen Garten, war fast leer.
…in einem Lehnstuhl saß Nietzsche
In einen Lehnstuhl saß Nietzsche mit einer Wolldecke umwickelt. Er zeigte keinerlei Regung, als ob er unser Hereinkommen gar nicht gemerkt hätte.
“Schau mal Fritzchen, du hast wieder Besuch…!”, sagte die Herrin. Ich neigte mich leicht herunter, um Nietzsche ins Gesicht sehen zu können. Er reagierte überhaupt nicht und ich hatte das Gefühl, dass ihm auch gewisse Lähmungen zu schaffen machten.
In dem Moment dachte ich, was aus so einem großen Geist doch werden kann und dass der Geist und der Körper doch zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sind.
…Nietzsche versuchte seine Hand zu heben
Nietzsche versuchte seine Hand zu heben, ich gab ihm kurz die Hand, seine schien gar keine Kraft mehr zu haben.
“Er ist ziemlich geschwächt…”, sagte die Schwester. “Es ist immer eine ziemliche Tortur, bis wir ihn aus dem Schlafzimmer im ersten Stock hier herunter geschafft haben…” “Ja, das glaube ich…”, sagte ich zustimmend. “Es ist ja schon einmal gut, dass sie gewisse Helfer und Unterstützer haben…”
…ich hatte mich leicht von Nietzsche abgewandt
Ich hatte mich leicht von Nietzsche abgewandt und schaute durch die Fenster in den Garten. Tja…”, dachte ich, “…Leben ist Leiden – nur die einen trifft es mehr, die anderen weniger.”
Frau Förster-Nietzsche meinte, dass es besser wäre, wenn wir ihn nicht weiter anstrengen sollten, da Gesprächsversuche immer für ihn sehr kräfteraubend seien.
Man kam einfach nicht herum bei der Einrichtung der Räume und den Utensilien, die Nietzsches Lebensweg symbolisierten, zu erahnen, dass hier einmal eine richtige Begegnungsstätte und ein zentrales Archiv aller Nietzsche-Verehrer entstehen sollte. Aber noch lebte er ja.
Als wir uns wieder in den Ess-Saal begeben hatten, brannte mir eine Frage auf der Zunge, die ich der resoluten Dame noch stellen wollte. “Ihr Bruder ist ja in seinen Werken gegen manches ganz schönangegangen, man denke da nur an seine Haltung zur Kirche”, sagte ich und zeigte gewisse Fachkenntnisse.
“Aber, was wird denn nun aus dem umfangreichen Nachlass und allgemein aus seinen Schriften, wie wollen Sie das ganze archivieren und publizieren?”
“Wir haben uns bereits zusammengesetzt”, sagte sie konternd, “und wollen nach Fritzchens Tod eine allgemeingültige Gesamtausgabe herausbringen, ich habe schon andere Versuche des Publikmachens unterbunden.” “Es soll alles von hier ausgehen, auch der Nachlass, er soll nicht unter den Tisch fallen, wir wollen ihn in einer größeren Anzahl von Büchern auch zugänglich machen.”
…ich habe alle Hauptwerke bis zu viermal gelesen
“Ich habe alle Hauptwerke bis zu viermal gelesen, vor allem das Tragödienbuch und den Zarathustra”, erwiderte ich schon ein bisschen mit Stolz. “Ihr Bruder hat ein breites Spektrum, vor allem für die Jugend geeignet, wenn man noch auf der Suche ist !”, sagte ich mit einem Lächeln.
“Wir planen hier ein Zentrum für alt und jung”, meinte sie, “alle sollen hier Zugang zum Werk haben und Erfahrungen austauschen können, es haben sich schon einige bekannte Freunde und Förderer gefunden…”
Es war bereits Spätnachmittag und sie führte mich gemächlich zurück in den Eingangsbereich.
“Meine Verehrung und Hochachtung vor Ihrer Arbeit…”, sagte ich schon ein bisschen unterwürfig. “Ich werde die Werke Ihres Bruders immer in meinem Regal, bzw. in meinem Kopf haben.”
“Seien Sie gespannt auf die neue Gesamt-Ausgabe, die wir demnächst planen auf den Markt zu bringen”, sagte sie im Abschied begriffen.
Gesamtausgabe
Als ich die Humboldtstraße wieder am lauen Abend herunter Richtung Auto ging, dachte ich, ob so eine Gesamt-Ausgabe wirklich dem entspricht, was Nietzsche geschrieben und gemeint hat (?), aber da sind ja bis heute die Geister geschieden.
“Der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss”
“Eine Pilgerfahrt zu Arthur Schopenhauer nach Frankfurt a. M.”
Wie häufig bin ich schon daran vorbei gefahren auf meiner Strecke nach Mannheim ? Immer habe ich sie links liegen lassen und nur eines kurzen Blickes gewürdigt. Als ich mich nun wieder auf der Strecke der Skyline von Frankfurt näherte, dachte ich, dass ich die Chance endlich nutzen sollte und ich verließ die Autobahn am Westhafen und fuhr die Gutleutestraße am oberen Mainufer entlang. Der Name der sich lang hinziehende Straße klingt schon gut und hinter der Alten Brücke beginnt die Schöne Aussicht, eine Straße, die ihrem Namen alle Ehre macht, denn der Blick über den Main ist nicht der Schlechteste.
…ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße
Ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße und strebte sofort zur Schönen Aussicht Haus-Nummer 17. An der Schelle stand auch der Name und nachdem ich geschellt hatte, öffnete mir eine Magd. “Ist Herr Schopenhauer zu Hause, ich hätte ihn gerne einmal gesprochen…” (?), sagte ich etwas verlegen - “…nein, er ist gerade mit dem Hund draußen, aber kommen Sie doch herein – Herr Schopenhauer wird gleich sicher wieder da sein”, sagte die Magd einladend. So viel Gastfreundschaft hatte ich gar nicht erwartet.
…seine Wohnung war spartanisch eingerichtet
Seine Wohnung war spartanisch eingerichtet, ein großer Schreibtisch mit allerlei Manuskripten und Büchern, mehrere Regale mit Literatur, ein altes ausgesessenes Sofa, ein schon leicht müffig riechender Teppich auf der Erde – aber ein herrlicher Blick über den Fluss aus einem großen Fenster nach Norden hin. “Tja…”, dachte ich, “…die Wohnung als Spiegel des inneren Ichs…”, dies hatte ich auch schon in Goethes Haus am Frauenplan in Weimar erkannt. Schon leicht angetan stand ich vor dem Panoramafenster und genoss den Blick auf den Main und die Alte Brücke.
…auf einmal hörte ich Schritte
Auf einmal hörte ich Schritte und drehte mich schnell um – der Pudel war am kläffen, als er mich sah. “Sie wollten mich sprechen…?”, sagte Schopenhauer, “…was kann ich für Sie tun?”
In dem Moment war ich schon etwas überrascht und ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell dem großen Philosophen einmal gegenüber stehen würde. Seine Körpergröße maß allerdings knapp über 1,60 Meter, aber die Kleinsten haben immer die meiste Energie.
…auf der Durchreise nach Mannheim
“Ja…”, sagte ich etwas verlegen und zögerlich, “…ich bin auf der Durchreise nach Mannheim und ich dachte…” “Herr Schopenhauer, ich habe alle Ihre Schriften gelesen, Ihr Hauptwerk alleine dreimal…”
…alleine dreimal gelesen
“Ja und…”, sagte er schon leicht abwertend. Die Magd brachte uns einen Kaffee und Schopenhauer setzte sich an seinen großen Schreibtisch, ich ließ mich auf dem ausgesessenen Sofa nieder. “Sie haben ja hier einen tollen Blick…”, sagte ich schon leicht ablenkend, um wieder etwas zur Ruhe zu kommen.
“Durch viel Ärger mit meinen ehemaligen Nachbarn, habe ich mich seit einem halben Jahr hier in der Schönen Aussicht niedergelassen, der Blick bringt auch etwas Anregendes für mein Schaffen!“ Da war das entscheidende Wort gefallen, was ich irgendwann hätte ansprechen müssen. “Ja, ich habe, wie gesagt, viel von Ihnen gelesen und einiges hat mich so begeistert, dass ich es mehrfach gelesen habe, aber…”
Die Bibel der Weltenverneinung
“Aber, was…(?)”, wiederholte er. “Tja, es ist alles sehr gut geschrieben, aber eines kann ich einfach nicht verstehen.“ Langsam erhob er sein Haupt. Nun musste ich endlich zur eigentlichen Kernfrage kommen, die ich mir vor dem Besuch auf die Fahne geschrieben hatte.
…was haben Sie gegen Hegel ?
“Was haben Sie eigentlich gegen Hegel, dem großen deutschen Philosophen, der hat Ihnen doch gar nichts getan?”
Schopenhauer wurde leicht rot im Gesicht und erschien etwas verkrampft. “Hegel, Hegel, wie kommen Sie auf Hegel…?”
“Na ja, wenn man Ihre Werke ließt, kommt man ja nicht um diesen Namen herum !”, sagte ich schon etwas vorsichtig. “Sie haben nichts verstanden, Hegel ist ein nichtsnütziger, dreckiger Schmierfink und Scharlatan…”, sagte er stark erregt.
Einen widerlichen, geistlosen Scharlatan und beispiellosen Unsinnschmierer…
“Aber Herr Schopenhauer, sie können doch nicht so unanständig über diesen großen Philosophen reden!”, sagte ich ziemlich geschockt.
Plötzlich sprang Schopenhauer wie von einem Blitz getroffen auf, “…Hegel ist ein Miststück und elender Tintenklekser mit langem Bart, mit einem kastrierten Denken, der nur mit hohlem Wortkram um sich wirft…”, schrie er stark erregt. Die Magd kam herein, um zu sehen, was passiert war – verließ uns aber wieder – sie schien derartige wutentbrannte Monologe bereits zu kennen.
Schopenhauer rannte zu einem seiner überfüllten Regale und zog zielsicher ein schon stark zerfleddertes Buch heraus. Ich kam schon leicht in Verlegenheit, weil ich ja Schopenhauer nur einen friedlichen Besuch abstatten wollte.
…in seiner Hand hielt er das Hauptwerk Hegels
In seiner Hand hielt er das Hauptwerk Hegels, “Die Phänomenologie desGeistes”, und ich war überrascht, dass er es überhaupt in seiner Wohnung duldete. Er blätterte wild darin herum, zitierte ein paar Stellen, “…sehen Sie – alles nur Schmierereien von diesem elenden Gelehrten mit seinem impotenten Gehabe.” “Fichte und Schelling haben der Welt gezeigt, wie man es nicht machen sollte, aber Hegel hat mit seinen Schmierereien die deutsche Sprache verhunzt,er macht sich daraus ein Gewerbe die Sprache zu demolieren und einen verrenkten Jargon daraus zu machen…aber das Schlimmste bei der Sache ist, dass nun eine ganze junge Generation heranwächst, die dieses Geschmiere ernst nimmt und Hegel als seinen Heiligen kürt”, schrie er völlig ungehalten und schon cholerisch.
…ich wurde immer ruhiger
Ich wurde immer ruhiger, es blieb mir auch nichts anderes übrig.
“In widerwärtigster Art und Weise schafft dieser Flachkopf seine Adepten in sein sinnloses Geschmiere hineinzuziehen, Worte, die man nur in Tollhäusern zu hören bekommen hat!”
Ich kam leicht in Verlegenheit, und hatte nicht gedacht, dass ich so eine Welle der Empörung auslösen konnte.
“Aber Herr Schopenhauer…”, sagte ich, um ihn leicht zu beruhigen, “bedenken Sie, dass Richard Wagner Ihre Schriften hoch schätzt und NietzscheSie als sein Erzieher huldigt!” “Und beide haben nichts gegen Hegel…”
“Ach lassen Sie diesen Verrückten mit seinen revolutionären Ideen und der andere soll in seiner Klappsmühle bleiben..”, sagte er wutentbrannt.
…die Magd brachte uns noch einen Kaffee herein
Die Magd brachte uns noch einen Kaffee herein und ich blickte sie schon leicht hilflos an. Er nahm das Buch Hegels und schleuderte es in die Ecke, dies hatte er sicher schon mehrfach damit gemacht, denn so sah es mittlerweile aus. Der Pudel fing an zu bellen und sprang aus seinem Korb heraus.
…den Pudel immer dabei
Ich musste erst einmal tief Luft holen, wollte aber die Diskussion nicht ganz abbrechen. Um etwas abzulenken, fragte ich Schopenhauer nach seiner jetzigen Schöpfung und an was er denn zur Zeit arbeite (?).
Gedanken im Alter
Er zeigte mir einen Ausschnitt aus einem Manuskript, an dem er gerade arbeiten würde und was noch ziemlich wirr aussah, “Senilia – Gedanken im Alter”, so solle es heißen, wie er mich aufklärte und was zur Zeit nur fragmentarisch vorliegen würde.
…er hatte sich mittlerweile leicht beruhigt
Er hatte sich mittlerweile leicht beruhigt. “Aber darin kommt doch sicher auch Hegel vor…” – ich biss mir auf die Zunge, wieder den Namen genannt zu haben.
“Dieser frech hingeschmierte Unsinn dieses Nichtnutzes unterbindet redliches Bemühen um die Wahrheit ehrlicher Philosophen, und alles von so einem Schmierfinken wie Hegel…da kann man auch nicht herumkommen!”, sagte er wiederum stark empört.
“Mit alle dem haben Sie aber erst aufgetischt, als Hegel unter der Erde war…”, sagte ich schon leicht gewagt, “…warum haben Sie es ihm nicht zu Lebzeiten ins Gesicht gesagt?”
…Schopenhauer wurde knallrot
Schopenhauer wurde knallrot, beruhigte sich aber schnell wieder.
“Verzeihen Sie, aber ich wollte Sie nicht angreifen!”, sagte ich verlegen.
“Wenn etwas der deutschen Sprache und der ganzen Philosophie geschadet hat, dann ist es das dumme Geschwätz eines Hegels, wo nur Strohköpfe ihr Gefallen daran haben, der landauf und landab als die größte Philosophie der Deutschen angeprangert wird, obwohl es nur ein dreckiger, hohler Unfug ist, der im wirren Kopfe eines geisteskranken Heiligen entstanden ist, der die Universität verschandelt.”
…langsam bekam ich Hunger
Langsam bekam ich Hunger, wollte aber nicht einfach Schopenhauers bescheidendes Quartier so verlassen. Ich schaute mir noch einzelne schon fertig gestellte Fragmente seines nächsten Werkes an, nachdem ich ihn um Erlaubnis gefragt hatte, denn die Schöpfungen vieler Künstler sind demjenigen am heiligsten, der sie selbst geschaffen hat.
Schopenhauer lächelte ein bisschen und sein Pudel knurrte in seinem Körbchen in der Ecke.
“Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen zur Genüge beantwortet habe, junger Mann”, sagte er schon leicht ungeduldig.
“Ja, beziehungsweise fast, aber gewisse Fragen müssen immer offen bleiben, sonst verliert alles ja seinen Reiz”, sagte ich schon im Aufbruch befindend.
“Ihre Wohnung ist wirklich sehr schön, vor allem der Ausblick…”, sagte ich nochmals eher ablenkend, um Schopenhauer in Ruhe zu halten.
Nach einer kurzen Verabschiedung, erreichte ich doch noch leicht erregt und außer Atem meinen Wagen in der Seitenstraße der Schönen Aussicht und ich musste tief Luft holen, bevor ich meine Fahrt Richtung Mannheim fortsetzte.
…dass Schopenhauer gestorben sei
Zwei Wochen später las ich daheim in der Zeitung, dass Schopenhauer gestorben sei und die Magd ihn beim Schreiben an seinem Tisch tot gefunden hätte. Ich musste schlucken, aber bei seinen Aufregungen über Hegel hat wahrscheinlich das Herz nicht mehr mitgespielt.
Wenn ich nun jeden Sonntag durch die Uni am Hegel-Archiv vorbei jogge, denke ich, was man hier wohl sagen würde, wenn man wüsste, dass ich begeisterter Leser Arthur Schopenhauers bin und ihn sogar noch persönlich kennengelernt habe. Man würde mich wahrscheinlich herausschmeißen und verjagen.
Wenn dann auch noch ein Gewitter aufzieht, merke ich doch, wie Hegel im Himmel schimpft… …aber die Frage, warum Schopenhauer Hegel so gehasst hat, ist bis heute für mich nicht beantwortet worden.
“Die Welt hat etwas von mir gelernt, das sie nicht wieder vergessen wird”
*Zitate und Fotos teilweise entnommen der folgenden Ausgabe :
“Sämtliche Werke nach den Ausgaben letzter Hand” Haffmans Verlag Zürich bei Zweitausendeins, 2006 1. Auflage der Neuausgabe Herbst 2006 Limitierte Ausgabe in 5 Bänden
Die schon oftmals lasziv aufdringlich wirkenden Werbung für DUB (Damen-Unterbekleidung) und Parfüme auf der Prunkmeile Via Mazzini im oberitalienischen Verona im Zentrum der Liebe, sticht einem an jeder Ecke gerade zu in die Augen – man würde heute sagen “Eye-Catcher”. Ich fotografierte im August 2017 dort bestimmt 5 oder 6 dieser aufgeilenden Werbeplakate und Eier-Catcher, quatsch … Eye-Catcher. Doch hier wurden sie abgenommen (sh. Foto), die Werbewand hat gewiss ein Gewicht, sodass eine Person die Dame gar nicht stemmen kann, um die verführerisch dreinblickende Person von der Fassade zu nehmen. Dieses wurde allerdings aus einem einzigen Grunde angegangen, nicht um des Jugendschutzes willen, sondern, um eine weitere neue Dame an dieser Stelle aufzuhängen und zwar nicht in Rückenlage, sondern stehend. Wie die aussah, habe ich dann nicht mehr gesehen – ich hatte nicht die Geduld zu warten – es hätte ja auch eine bisschen komisch ausgesehen, wenn ich mich mit Kamera positioniert hätte, um die neue Damen-Unterbekleidung fotografisch festzuhalten…
Die Geschichte hinter dem Bild
Franz-Liszt-Museum Bayreuth
Bei meiner ersten Pilgertour im Jahre 2003, die als Hauptziel das Zentrum der geistigen Welt hatte, nämlich Villa Wahnfried in Bayreuth und das Grab Richard Wagners, besuchte ich auch die Villa dessen Schwiegervaters und Gönners Franz Liszt, einem der größten Klavier-Virtuosen seiner Zeit, Komponist und Dirigent. Die herrschaftliche Künstlervilla gibt schon viel her und neben einer umfangreichen Sammlung steht dort auch das Klavier Liszt, an dem Wagner und Liszt saßen und spielten. Nun sagte mir die Dame am Empfang, dass hier sogar Verehrer aus Japan kommen und den Boden küssen würden – ich wollte es nicht übertreiben und bat sie, von mir ein Foto am Klavier stehend zu machen – ich durfte sogar die Hand darauf legen. Ein Moment, der nicht so oft in diesem Leben wiederkommen wird – hört sich zwar blöd an, ist aber so, ob man aus Japan kommt oder aus dem Ruhrpott. So ganz lichttechnisch gut ist das Foto mit der alten Minolta-Kamera nicht geworden. Nun zeigte ich ca. 10 Jahre später das Foto voller Begeisterung einer (ehemalige) Arbeitskollegin und versuchte ihr die Einzigartigkeit dieses Momentes klar zu machen. Sie schaute mich mit ihren Kugelaugen fragend an… ………es war mir in dem Moment schon etwas peinlich, aber ich hatte ganz vergessen, dass nicht jeder Franz Liszt kennt.
Die Geschichte hinter dem Bild
Dante-Pizza (Verona)
Wenn man in Italien um jemanden nicht herum kommt und zwar in keiner Stadt und an keinem Ort, dann ist dies Dante. Besser gesagt, Dante Alighieri, der große italienischen Dichter und Schöpfer des Werkes “Die Göttliche Tragödie”, der damit nicht nur ein epochales Werk schuf, sondern im 13. Jahrhundert (angeblich) auch das dominierende Latein überwunden haben soll und das sogenannte Italienisch zur Literatursprache eingeführt haben soll. Es gibt fast keinen Ort, in dem der Name des Dichters nicht irgendwo verwendet wird – Straßen, Parks, Häuser, Brücken…fast mit unserem Goethe vergleichbar. In Dantes Geburtsstadt Florenz hatte ich im Jahre 2014 auch sein (angebliches) Geburtshaus aufgesucht und u.a. seine Totenmaske bewundert. Im heimatlichen Florenz gibt es ja fast keinen Stein und keine Toilette, die nicht entweder nach Michelangelo oder Dante benannt ist. Denkmäler und Büsten ohne Ende, Skulpturen, Plastiken säumen die Gassen, Wege und Plätze. Auch in Verona kann man auf dem Piazza dei Signori ein Dante-Denkmal bewundern, wo Dante auf einem hohen Sockel mit einer Kutte bekleidet und seiner markanten Kopfbedeckung grübelnd und nachsinnend steht. Fast unerreichbar für den normalen Besucher der Etsch-Stadt. Als ich nun doch ergriffen im Oktober 2017 und voll Ehrfurcht vor dem großen Genie von dem genannten Platze wechselte auf den nahe liegenden Piazza delle Erbe, dachte ich…“na, wann läuft er dir wiederüber den Weg, der große Dichter (?)” – dieses dauerte dann auch nicht sehr lange (sh. Foto), denn zum Verkauf von italienischen Pizzas (ob nun auf Lateinisch oder auf Italienisch) ist werbewirksam Dante mit seinem sturen Blick auch gut geeignet…man muss halt gute Ideen haben. Man sollte eigentlich im werbeüberfluteten Deutschland eine Pizza mit dem Namen Goethes auf den Markt bringen, eine Idee, auf die noch keiner gekommen ist…
Wer kennt aus unserer Generation der 60er-Jahre sie nicht – die Mietshäuser der Arbeiterklasse, die grundsätzlich einen Dachboden hatten. Hier wurde die Wäsche zum Trocknen aufgehängt, die Kartoffeln und die Kohle waren meistens im Keller im Dunkeln untergebracht. Nur als Kind hatte man meist ein Verbot den Dachboden zu betreten, warum auch immer. Den Schlüssel hatten die Eltern meist gut versteckt.
Und diese Dachböden waren ja oftmals vom Platz her nicht gerade klein – es reizte uns als Kinder immer dort zu spielen, unter dem Dach, wo sich im Sommer die Hitze staute – es herrschte ein leicht muffiger Geruch, der durch das Waschpulver angereichert wurde. Fast so gut, wie ein Heuboden auf einem Bauernhof.
Wenn man nun die obere Etage, wo andere glaubten, hier sei Schluss, erreicht hatte, führte noch eine kleinere Treppe leicht spiralförmig weiter in die Höhe, was erforschungswillige Kinder ja noch mehr reizt – wo mag das wohl hinführen ? Wenn man diese spiralförmige Treppe auch noch erklommen hatte, stand man meist vor einer verschlossenen Tür, die nicht gerade einladend aussah und die die letzte Hürde zum “Paradies” bedeutete. Wenn nun eine Nachbarin die Wäsche aufgehangen hatte, konnte es vorkommen, dass sie vergessen hatte, die Tür abzuschließen – das war die Chance endlich dahin zu gelangen, wo man immer hin wollte, aber nicht durfte…auf den unheimlich zaubervollen Dachboden…
Nach dieser einstimmenden Vorbereitung nun zum Eigentlichen. Mein Hotel in der Altstadt von Sevilla (Santa Cruz) in der Weihnachtszeit des Jahres 2014 zeigte in der Vor-Recherche im Internet eine Art Dach-Terrasse als ihr Eigen.
Das weiß getünchte Paradies
Nun glaubte ich, dass diese im Winter geschlossen sei, es war auch im Foyer des Hotels kein Schild mit einem Hinweis zu finden, dass auf die Existenz einer Dach-Terrasse hinwies. Noch nicht einmal an den Wänden des in Weinrot gehaltenen Hotels konnte man einen Hinweis in Form eines Schildes finden. Als ich durch das Treppenhaus die oberste Etage erreicht hatte, kamen bei mir die oben geschilderten Erinnerungen an meine Kindheit hoch. Schon ein bisschen dreist ging ich die letzten Stufen in die Höhe und stand wie in die Kindheit zurückversetzt vor so einer Tür, die ja fast immer abgeschlossen war. Nun hielt ich den Atem an und ergriff die Türklinke … und die Tür ging auf … Als ich durch die Tür nach draußen ging, stand ich wie gebannt in einem “Paradies”, aber diesmal nicht auf dem Dachboden eines Mietshauses der 50er und 60er Jahre in der Heimat, sondern auf einer mit Palmen und Kakteen gezierten Dach-Terrasse mit weiß getünchten Wänden, an denen Blumentöpfe hingen, die lange Schatten warfen.
Mit Palmen geschmückter Paradiesgarten
Erst einmal wurde ich stumm, wie immer wenn etwas kommt, wo man nicht mit gerechnet hat und was einem die Sprache verschlägt. Auf den gefliesten Mauern standen Töpfe mit fantasievollen Kakteen-Sammlungen, kleine Bilder an den Wänden, Kerzen für die Abendstunden auf einer Art Theke, Korbstühle luden zum Hinsetzen ein … ich fiel vor Überwältigung rückwärts in so einen Stuhl und sah nun die absolute Krönung des Ganzen – der Blick zum schon leicht erleuchteten La Giralda, dem Glockenturm der Catedral de Sevilla, der schon an ein Minarett einer Moschee erinnert.
Fast wie in einem orientalischen Traum
Wie in einem Traum saß ich über eine halbe Stunde ohne mich von der Stelle rühren zu können. Nun hatte die Dämmerung bereits begonnen und die “Blaue Stunde” neigte sich ihrem Ende und das alles bei 18° Grad Ende Dezember.
Kakteen-Zauber
Kein Mensch war außer mir hier oben, vielleicht war vielen nicht bewusst, welches Juwel das weinrote Hotel auf seinem Dache beherbergte. Gegen 22:00 Uhr erhob ich mich dann doch, denn es war schon empfindlich abgekühlt in diesen Wintermonaten, wo man die Kühle erst des Nachts spürte.
Stacheliger Blick
Ich hatte etwas Schwierigkeiten die kleine Tür wieder zu finden und hatte schon Bedenken, dass sie mittlerweile abgeschlossen worden wär, was allerdings nicht der Fall war. Am nächsten Morgen wachte ich in meinem Zimmer im Bett auf und ich wusste nicht, ob ich es geträumt hatte oder ob es Realität war. Somit machte ich mich vor dem Frühstück erst einmal wieder die Treppe hoch … war es Realität oder Traum ?
Träume in Grün
Die Dachterrasse war in ihrem Zauber noch da, diesmal im strahlenden Sonnenschein über den Dächern von Sevilla… Ich dachte, dass es besser wäre, erst einmal zu frühstücken, bevor ich mich wieder vom Zauber des “Dach-Paradieses” in den Bann reißen lasse. In den Nachmittagsstunden konnte ich dem allerdings nicht widerstehen.
Man sieht, wie nah Realität und Traum beieinander liegen… Vielleicht haben die anderen Gäste des Hotels nicht die Zeit der 60er-Jahre in Deutschland mit 8 bis 10 Parteien-Mietshäuser und ihre Dachböden miterlebt, sonst wären ja oben auf der Dachterrasse mehr Menschen gewesen außer mir.
Was lernen wir daraus :
“Die Eindrücke der Jugend bestimmen den Geist des Lebens”
Meine Stationstour Mai/Juni 2003 war die erste Tour in dieser Form, auf die noch 5 weitere folgen sollten. Nur “Nichts ist so schön wie beim ersten Mal!“ Dadurch ist mir von dieser Tour, obwohl es 16 Jahre her ist, auch viel in meinem (emotionalen) Gedächtnis geblieben. Zum Beispiel der “schönste Parkplatz in Deutschland”. Hört sich nicht schlecht an, war es auch nicht. Denn auf dem Rückweg von Bayern über Bamberg Richtung Kassel machte ich Station in Fulda. Auf einem Parkplatz an der Weimarer Straße fand ich ein richtiges Idyll direkt an der Fulda mit einem Blick nach Kloster Frauenberg. So etwas bleibt hängen, genau wie ich dort hängen blieb. In meinem moosgrünen Omega, der zu dem Zeitpunkt schon stark auf die 200.000 km ging, habe ich dann 2 Nächte im Auto auf diesem Parkplatz verbracht und natürlich Fulda genossen. Somit ist dieser Parkplatz in meinem Gedächtnis verankert. Es ist übrigens das einzige Foto, was ich von dem Wagen habe, denn ich bin nicht der Typ, der seine Autos fotografiert, die ja eher (teure) Gebrauchsgegenstände sind, trotzdem hat er mich auf einigen meiner Touren (auch als Bett) begleitet – Ehre wem Ehre gebührt…
Die Geschichte hinter dem Bild
Elbtal – Loschwitz
Die äußere Neustadt von Dresden mit ihrem Szenenviertel beherbergte mich bei meiner Stations-Tour 2005. Hier bietet es sich geradezu an, einmal eine Strecke auf sich zu nehmen, die nicht nur mit dem Schiff ihren Reiz hat, sondern auch zu Fuß. Und dies ist die Strecke Richtung Osten nach Loschwitz durch das Elbtal. Vorbei an Weinhängen und kleinen Schlössern nähert man sich dem Wunder einer Brücke, dem Blauen Wunder(Loschwitzer Brücke). Und unter diesem “Brücken-Wunder” gibt es noch etwas Wunderbares, nämlich eine eisgekühlte Waldmeister-Brause, die ich in unseren Gefilden selten zu Gesicht bzw. auf die Zunge bekommen habe. Jetzt näherte ich mich im September 2005 auf der oberen Seite der Elbe dem kleinen Ort Loschwitz. Die ersten Fachwerkhäuser zeigen interessante “Kunstwerke” auf ihren Fassaden. Bei einem blieb ich interessiert stehen (sh. Foto), denn es wurde von einem schlauen Spruch geziert : “Wer sein Geld verlieren will und weiß nicht wie, der baue alte Häuser aus, oder spiele Lotterie“ Das machte mich doch stutzig, denn ich hatte gerade die Probezeit meiner Tätigkeitbei dem größten Anbieter von Systemlotto überstanden, und dann dieser Spruch (?) Da fragte ich mich doch, ob dieses wirklich der richtige Arbeitsplatz sei…
Die Geschichte hinter dem Bild
Teatro Comunale di Ferrara
Bei meinem dritten Bologna-Aufenthalt im Jahre 2016 machte ich einen Abstecher in das nördlich gelegene Ferrara. Ferrara klammert einen nicht unbedingt, neben der Altstadt, der Kathedrale und dem mittelalterlichen Castello Estense ist ein Besuch schon nach 2–3 Stunden erledigt. Das dort ansässige TeatroComunale di Ferrara hat einen guten Ruf, auch wenn große Opernaufführungen eher selten sind. Wie überall in Italien, so hat man auch hier keine Chance das Theater einmal zu besichtigen, die Häuser sind den Italienern “heilig” und sind nur zu Veranstaltungen für Besucher dieser geöffnet. Im oval gebauten Innenhof (Rotonda Foschini), der ausnahmsweise für das normale Fußvolk zu betreten ist, hat man Fenster so gestaltet, dass sie gar keine Fenster mehr sind, sondern eine Art Rahmen für Fotos von Veranstaltungen. Eine sehr gute Idee, besser als normale Plakate. Eines dieser “Fenster” zeigt ein Foto aus einer Veranstaltung aus dem Jahre 2006 (10 Jahre her), laut Untertitel etwas Choreografisches, was das Thema des Phänomens der Maria Callas, der großen Opern-Diva als Inhalt gehabt haben muss. Eine Reihe von Damen sitzen mit dem Rücken (sh. Foto) zum Betrachter und mit Phantasie erkennt man darin die Callas von hinten. Als beste Darstellerin der Norma in Bellinis “Norma”, was ich im Jahre 2018 rezipiert habe, ist die Callas für mich schon interessant, aber leider war ich 10 Jahre zu spät in Ferrara…aber es war ja anscheinend nur eine choreografische Hommage an die Callas und nicht Bellinis “Norma”…aber nun mal 10 Jahre zu spät.
Als Ergänzung der wagnerschen Kompositions-Strukturen bin ich unumgehbar zu Bellinis “Lyrische Tragödien” gekommen. Die Paraderolle der Callas (Norma) in Bellinis “Norma” (2018) und die Paraderolle der Operndiva Wilhelmine Schröder-Devrient (Romeo) in Bellinis “I Capuleti e i Montecchi” (2019). Man muss natürlich von der Schiene des wagnerschen Rezitativs zu Bellinis Belcanto-Gesang hinüberspringen. Auch eine Kongruenz von Wort-Ton-Ebene ist nicht einfach, da ja die Bellinischen Werke in italienischen Sprache sind. Aber davon abgesehen, ist es ja auch eine geistige Herausforderung sich an die Werke eines eher als Komponisten geschätzten Schöpfers wie Bellini zu machen, besonders als Ergänzung zum wagnerschen Gesamtkunstwerk. Als ich nun im Oktober des Jahres 2017 in Verona vom Piazza Bra Richtung Portoni della Brà schritt, hing an der Außenfassade der Accademia Filarmonica di Verona das oben zu sehende Plakat, worauf man entnehmen kann,dass beide (!) Werke im Februar bzw. mehrfach im April dortzu sehen gewesen waren. “Mist…!”, dachte ich – “jetzt bin ich schon einmal hier, aber halt 8 Monate zu spät…“ Jetzt ist es auch noch so, dass das zweite Werk (“I Capuleti e i Montecchi”) auch in Verona spielt (!) – welche Zufälle (?), nur ist leider alles schon vorbei, wie oftmals im Leben…
Die Geschichte hinter dem Bild
Bambuszimmer
Nachdem das Alternativhotel in der Dresdener Neustadt bei meiner Tour 2005 in die Geschichte meines “Reise-Lebens” eingegangen war, suchte ich es im Jahre 2008 bei einer kleineren Tour gen Osten wieder für ein paar Tage auf. Diesmal war ich vorbereitet auf dieses “Kunstwerk”, wo jedes Zimmer anders ist und von einheimischen Künstlern individuell und phantasievoll gestaltet ist und wo jedes Zimmer einen anderen Namen hat. Diesmal schlüpfte ich durch die Zimmer um Fotos zu machen, und zwar, als die Putzfrauen tätig waren. Mein Zimmer für ein paar Tage war diesmal das “Bambuszimmer”. Wirklich schwer in Worte zu fassen, aber wie der Name schon sagt, irgendetwas aus Bambus. Alles in diesem Zimmer war aus Bambusrohren gestaltet und gebaut, das aus diesen Rohren gebaute Bett konnte man im Dunkeln von unten beleuchten, von der Decke herunter hingen Bambusstange mit Glühbirnen darin, als eine Art Lampe – meine damalige noch analoge Kamera hatte Schwierigkeiten diese Raum-Effekte festzuhalten. Man konnte das (von unten) beleuchtete Bambusbett auch stufenlos heller und dunkler beleuchten und man lag im Bett wie auf einem strahlenden Boot im Urwald (mit Phantasie). An der Wand hingen Teile von Bambusrohren (sh. Foto), hinter denen auch eine Lampe installiert war und ergaben an den unebenen Wänden gute Effekte – farblich ging der Farbton der Wände auch ganz herum an die Decke, sodass man kaum noch oben oder unten unterscheiden konnte (ohne einen Joint!). Nach meinem ersten Aufenthalt “hinter den Kulissen” dieses “Hotels” habe ich daheim meine Diele rundherum in einem Taubenblauton gestrichen…und dieser ziert meine Diele heute noch nach fast 15 Jahren…