“Die blauen Türen von Essaouira”
Essaouira gilt ja insgeheim als Kontrapunkt zum hektischen Marrakesch und wird von vielen Besuchern der Stadt der roten Mauern besucht.
Die Stadt (Essaouira) liegt auf einer Halbinsel und hat eine teilweise gut erhaltene Festungsanlage zum Wasser hin (Scala del la Kasbah), die auf die portugiesische Geschichte hinweist – mit dem Bau der Mauer wurde im 16. Jahrhundert begonnen, als die Portugiesen einige Landstriche hier eroberten.
In den Schießscharten stehen heute noch eine Anzahl von Kanonen, die wie zum Abschuss bereit zu stehen scheinen.
Zeitweise war Essaouira der größte Seehafen Marokkos und gelangte durch den Karawanenhandel zu erheblichen Wohlstand.
Aber wie man aus der Geschichte kennt, ist alles ein Auf und Ab, denn im 20. Jahrhundert verlor die Stadt zunehmend an Bedeutung, da die Handelsverbindungen unterbrochen wurden.
Wieder ins Gedächtnis gerufen wurde die Hafenstadt Ende der 60er-Jahre als Zentrum der Hippie-Bewegung, was ja heute schon lange in Vergessenheit geraten ist.
Genauso ist Essaouira noch heute das Zentrum der hohen Kunst der
INTARSIEN und deren Manufakturen.
Produkte aus dem harten Thuja-Holz mit fantasiereich eingelegten, miniaturgroßen Mustern aus Zitrusholz.
In einer Manufaktur bewunderte ich hunderte von Hand angefertigte Produkte wie Tische, Zigarrenkisten, Buchstützen, Schachbretter, Regalen, bis hin zu größeren Möbelstücken.
Die aus den Berberdörfern zugewanderte Bevölkerung lebt hauptsächlich neben dem Tourismus vom Fischfang.
Nach Süden erstreckt sich ein ca. 5 km langer Sandstrand – hier wurden für die Besucher alte Stadtpaläste in mondäne Luxushotels umgewandelt, denn das ganzjährig milde Klima zieht viele auch zu einem längeren Aufenthalt in diese einst so mächtige Stadt.
Der symmetrische Grundriss der Straßen und Gassen hinter dem zentralen Platz Moulay Hassan ist für eine marokkanische Stadt eher ungewöhnlich, wenn man an das Gewirr der Gassen und Souks im Handelszentrum Marrakesch denkt.
Das erste, was mir beim Bummeln durch die Gassen auffiel, ist die große Anzahl von Katzen.
Wenn man die Tagesbesucher abzieht, scheint es hier mehr Katzen zu geben als Einheimische.
Aus vorher studierter Literatur wusste ich, dass Essaouira aus dem Arabischen übersetzt “die Eingeschlossene” heißt.
Eigentlich komisch, denn der Ort liegt ja frei zum Atlantik hin.
Vielleicht stammt das Wort aus früheren kriegstechnischen Begebenheiten… (?)
Doch dann kam mir eine eher abwegige Idee der Herkunft des Namens.
Denn, was jedem Besucher ins Auge fällt, sind die unzähligen blauen Türen und Tore.
Es ist schon komisch, wie man mit etwas Fantasie den Namensursprung frei interpretieren kann, auch wenn die Idee des Eingeschlossen-Seins eher abwegig ist, denn der Blick über das weite Meer und die oftmals hellen Häuser zeigen einem ja eher die Freiheit.
Dieses ließ mich an die berühmten Türschlösser Bolognas
denken, wo es auch interessant ist, einmal die mächtigen, torähnlichen Türen dort zu öffnen und hineinzuschreiten.
In Essaouira sind die Türen aber fast ausschließlich Eingänge zu den Wohnungen der Einheimischen, wobei sich Türgriffe, Kachelkunst und schmiedeeiserne Gitter mit dem jeweiligen Blauton der Tür oder des Tores vereinen.
Ähnliche noch geometrischere Formen fand ich ein halbes später im nördlichen Tallinn.
Dass die Türen in Essaouira schon mehrfach leicht renovierungsbedürftig sind, macht ja eher ihren Reiz aus. Denn man erahnt die Schönheit von einst und sieht den Verfall von heute in dieser Art von Orten häufiger.
Das Verfallene aus frühen Jahren hat wesentlich mehr Aussagekraft, als das blitz und blank Herausgeputzte der heutigen Zeit.
Wenn man bedenkt, dass Essaouira auch viele Künstler angezogen haben muss, ist es nicht verwunderlich, dass geschickt angelegte, nur teilweise realisierte Graffitis an den Wänden einzelner Gassen die Perspektive und die Vision der Szenerie erweitern.
Beim Durchwandeln der schmalen Gassen, glaubt man sich oftmals in einer anderen Welt und es kann auch durchaus sein, dass man die Orientierung dadurch verliert.
Von den blauen Türen fotografierte ich über 20 Stück, doch irgendwann wich für den Farbenlehren-Interessierten der Blauton immer mehr ab.
Wie man aus der Schule wissen sollte, sind Blau und Rot Primärfarben im Farbkreis und deren Mischung ergibt die Sekundärfarbe Violett.
Mehr Rot-Anteile ergibt ein eher rötliches Violett.
Man sieht, dass man auch ohne Goethes und Newtons Farbenlehre zu kennen, von einheitlichen Blautönen irgendwann einmal abgewichen ist.
Über der rot-violetten Tür, die die einzige ist, die ich unter den über 20 blauen Türen in diesem Farbton gefunden habe, stehen die Worte “La Cle de Voute”.
Wenn ich jetzt in der Schule Französisch als zweite Fremdsprache gehabt hätte, und mich nicht mit Latein hätte herumquälen müssen, hätte ich schon in dem Moment wissen müssen, was ich erst im Nachhinein recherchierte.
Denn “La Cle de Voute” heißt nämlich allgemein “Schlussstein” und im übertragenen Sinne “Dreh- und Angelpunkt”.
Gut, dass ich es vor Ort nicht gewusst habe, sonst wäre ich wieder ins Philosophische abgeglitten oder hätte einmal die Tür interessenshalber geöffnet und hineingeschaut.
Trotzdem komisch und fragwürdig, was dort hinter dieser Tür verborgen gewesen sein mag… (?)
Aber ein Geheimnis muss bleiben, was wieder eines meiner Zitate aus der (Intarsien-)Kiste springen lässt…
…denn, was lernen wir daraus :
“Faszinierend ist nur das Unergründliche”
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(HerrRothBesucht / Sonstiges)