“…can I have a look?”
Richard Wagner führte ein sehr unstetes Leben, meist war er auf der Flucht, vor allem, wenn es ums Geld ging und den größten Teil seines Lebens lebte er außerhalb von seinem Heimatland.
Das Angebot einer Kapellmeisterstelle in RIGA war für den damals vollkommen unbekannten und in Geldsorgen steckenden Konzertmeister, ein Hoffnungsschimmer und so siedelte er mit seiner ersten Frau 1837 in die lettische Hauptstadt.
Das kleine Theater in der heutigen Richard-Wagner-Str. 4 (Riharda Vagnera iela 4) war schon vor Wagners Erscheinen ein Zentrum kulturellen Lebens.
Fast ein Jahrhundert war dieses Theater, das Schauspiel‑, Opern- und Ballett-Truppe hatte, Zentrum der Kultur Rigas.
Bedeutende Musiker und Komponisten hatten hier ihre Wirkungsstätte, darunter Franz Liszt, Hector Berlioz, Robert Schumann und Anton Rubinstein.
Von 1837 bis 1839 war Richard Wagner hier als erster Kapellmeister tätig und studierte über 20 Opern ein und dirigierte zahlreiche symphonische Konzerte – durch die Leistung des damals 25jährigen Wagners etablierte sich die Stadt zu einer aufblühenden Kunstmetropole.
Es bedeutete eine Stärkung des Ansehens der Kunstgattung Oper, vor allen Dingen nach der Renovierung des Theaters Anfang der 30er-Jahre des 19. Jh.
Außerdem arbeitete Wagner an dem Werk, von dem er sich die Hoffnung machte, dass es ihm zum Durchbruch verhalf, nämlich der großen Tragischen Oper “Rienzi, der letzte der Tribunen”.
Den Roman des englischen Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton hatte er gelesen (ich auch und zwar dreimal) und er wollte durch sein Werk alles in den Schatten stellen, was es bis dato gab (und das hat er auch geschafft!).
Genauso ist zum Inspirationsimpuls zu sagen, dass der “Meister” hier folkloristische Bräuche der Menschen studierte und Anregungen bekam, sich auf mythologische Themen zu fixieren.
Bei den Wagnerschen “Inspirationslegenden” muss man vom Wahrheitsgehalt immer vorsichtig sein, trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Besonderheit des damaligen Theaterbaus Wagner auch für die besondere Architektur des von ihm mit entworfenen späteren Festspielhauses angeregt haben muss.
Anstieg des Parketts in Form eines Amphitheaters, Abdunkelung im Saal während der Vorstellungen und der Orchestergraben. Dies alles waren Neuigkeiten in damaligen Opernhäusern.
1839 kam allerdings die Stunde, in der der wieder hochverschuldete Wagner fluchtartig die Stadt verlassen musste, mit seiner ersten Frau und seiner “Rienzi”-Partitur im Gepäck.
Auf der abenteuerlichen “Reise” über die Ostsee Richtung London kamen, durch das in Seenot geratenen Schiff, erste Ideen zum “Fliegenden Holländer” auf.
1863 (also 24 Jahre nach Wagners Zeit) zog die Theater-Truppe in andere Räumlichkeiten und der heute so titulierte “Wagner-Saal” stand leer, bzw. er wurde nur noch als Lager oder Bibliothek genutzt.
Es folgten mehrere Umbauten und die oben liegenden Räumlichkeiten wurden in den 80er Jahren des letzten Jahrhundert zu Konzerten genutzt.
Ab dem Jahr 2007 wurde allerdings alles gestoppt, weil die finanziellen Mittel sich auf andere Projekte fixierten. Der Zustand des Gebäudes verschlechterte sich zusehens.
Das Gebäude steht nun, trotz seiner musik-geschichtlichen Bedeutung, seitdem leer und verlassen.
Wieder einmal hapert alles am Geld, denn die staatlichen Mittel sind sehr begrenzt.
Soviel zur Vorgeschichte.
Fast 170 Jahre später erscheint im Sommer 2008 der Wagner-Enthusiast HerrRoth aus Deutschland, genauso mittellos wie einst Wagner, vor dem Gebäude …
Wie das…?
Jedes Jahr findet im Opernhaus der Stadt (Latvijas Nacionala Opera) ein Opernfestival statt, das sogenannte ROF (Rigas Operas Festivals).
In dem besagten Jahr (2008) lief Wagners “Siegfried” (auf lettisch “Zigfrids”).
Da ich ja nun HerrRoth bin, muss ich ehrlich sagen, dass die “Inszenierung” eher eine bessere Interpretation war und seit einem gewissen Zeitpunkt kommen keine Interpretationen mehr für mich in Frage und damit hat man es natürlich nicht einfach.
Das bedeutet, dass man als der, der das Werk verstanden hat, kaum noch irgendwo hinfahren kann, weil es kaum noch vernünftige Inszenierungen gibt, sondern nur noch teilweise minderwertigen Interpretationen.
Ein Thema, was HerrRoth immer sehr in Rage versetzt.
Riga ist der nördlichste Punkt auf der Wagner-Europakarte (und Palermo der südlichste).
Nun weiß ja jeder, der schon einmal in Riga war, was für eine tolle Stadt dies ist.
Die unzähligen Jugendstil-Fassaden, ein künstlich durch die Altstadt gelegter Kanal mit Grünstreifen (Pilsetas kanals), mehrere Parks, riesige Markthallen (Rigas centraltirgus), Brücken (Vansu tilts) über die Düna, ein sehenswertes Schloss (Rigas pils), Baudenkmäler ohne Ende, ein Dom (Rigas doms), eine saubere zusammenhängende Altstadt und eben ein …
… immer mehr verfallender WAGNER-SAAL (Vagnera Zale).
Nach meiner Ankunft in dem an einem Park (Kronvalda parks) liegenden, festungsartigen Hotel, stürzte ich mit Kamera bewaffnet, sofort Richtung Altstadt zur Riharda Vagnera iela 4 , dessen Name ich vorher auswendig gelernt hatte.
Es gab einmal in Deutschland eine Zeit, als die Hausnummern alle gleich auf einem kleinen blauen Schild an den Häusern angebracht waren – dann allerdings meinte irgendwann jeder, dass er individuell seine eigene Hausnummer haben müsste.
Dieses hatte zur Folge, dass man seitdem in Deutschland kaum noch ein Haus in einer fremden Stadt ohne Navigator finden kann.
Dies bedarf keines Kommentares.
Daran musste ich denken, als ich das Schild mit der Hausnummer 4 betrachtete.
Die Schilder mit der Hausnummern in Riga beinhalten sogar noch mehr Informationen, denen ich allerdings noch nicht ganz auf den Grund gekommen bin.
Aber dies war ja auch gar nicht der Grund meines Erscheinens an diesem lauen Juni-Nachmittags im Jahre 2008.
Dass das ganze Gebäude leicht rissig und in schlechtem baulichen Zustand war, konnte man nicht übersehen.
Reisegruppen rannten vorüber, ohne einen ernsthaften Blick zu dem leicht eingezwängt wirkenden Haus zu werfen …
… und ich kniete nieder, wie an vielen Wagnerorten in Europa und betrachtete das marode wirkende Gebäude.
“Na ja…”, dachte ich und schritt mit meiner Kamera im Anschlag durch die mit abgeblätterter Farbe entstellte Tür…und dann kam das obligatorische…
“…can I have a look in the rooms, where Riharda works?”
Die Dame im Eingangsbereich schaute mich leicht entsetzt an, aber ich ließ nicht locker…
“I am a great friend of the work from Riharda Vagnera
and I come from Germany!”
Die kaum ein Wort Englisch sprechende Dame machte mir gestisch klar, dass alles noch im Umbau sei und ich gefälligst verschwinden solle…
“Na ja…”, nach einer weiteren halben Stunde vor der Tür, tat ich dieses auch.
Ein Poster mit dem Abbild Wagners im Fenster konnte über die nackten Tatsachen der baulichen Substanz nicht hinweg täuschen.
“Hier fehlt mal wieder ein reicher König…”, dachte ich doch leicht enttäuscht, aber davon bin ich weit entfernt.
“Vollendet das ewige Werk…” sagt Wotan beim Betrachten der Götterburg Wallhall.
Dieses kann man auch im Fall des Wagner-Saals von Riga erhoffen, auch wenn Wagner mit dem “ewigen Werk” eher das seinige gemeint haben mag.
Denn dieses ist unsterblich, egal ob der Wagner-Saal nun noch stehen bleibt oder nicht…
Nach meiner Recherche ist der letzte Stand der, dass im Jahre 2014 eine Stiftung (Stiftung Renovierung Richard Wagner-Theater Riga) ins Leben gerufen worden ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, das ehemalige Stadttheater als Objekt des Kultur-Tourismus wieder in einen baulichen Zustand zu versetzen, der Konzerte und Besuche möglich macht…
Nur fehlt es wie oftmals am Geld, ich hätte gerne etwas gespendet, wenn die Dame mich nach meinem Betreten nicht wieder aus der maroden Tür gescheucht hätte…
Was lernen wir daraus :
“Alles, was eine Preis hat, ist nichts wert”
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*Fotos Riga in meiner Bildergalerie Baltikum :