“Castell’ Arquato bei 45° Grad”
Meine erste größere Wanderung hatte noch seine jungfräulichen Schwächen, das muss ich zum jetzigen Zeitpunkt zurückblickend zugeben.
Zwei Dinge, die in der folgenden Zeit von hoher Bedeutung werden sollten, fehlten noch, und zwar meine Wanderschuhe und mein Schrittzähler. Mein erster Aufenthalt in BOLOGNA im Jahre 2011 war leider durch eine Grippe geprägt, die ich mir allerdings vorher in Deutschland zugezogen hatte.
Nord-Westlich von PARMA liegt das Landgut Giuseppe Verdis bei Sant’Agata oberhalb seines Geburtsortes Le Roncole, welches der Komponist lange Jahre auch selbst bewirtschaftet hat und das heute in privatem Besitz ist.
Als Verehrer des Werkes Richard Wagner habe ich schon ganz Europa durchreist, um an die Stätten zu kommen, wo Wagner gewirkt hat.
Wagner und Verdi sind sich nie persönlich begegnet, Verdi wird auch immer fälschlicherweise als Kontrahent Wagners bezeichnet, obwohl dies eigentlich Rossini war.
Bei der damaligen Spaltung in Italien in Wagnerianer und Anti-Wagnerianer stand komischerweise Rossini auf der Seite Wagners, trotzdem ist er der Antipode und nicht Giuseppe Verdi. Dies hatte damals alles einen anderen Stellenwert als heute.
Verdi ist ja nun in Italien schon ein Volksheld und schon lange nicht mehr nur ein Komponist, während Wagner in seinem Mutterland immer zwiespältig betrachtet wird.
Wagner ist eben unter Deutschen ein Missverständnis, deshalb hat er sich auch mehr im Ausland aufgehalten, als in seinem Heimatland.
Wenn Sant’Agata das Landgut Richard Wagners gewesen wäre, dann wäre ich in dieser heißen Augustwoche sicherlich zum Landgut gepilgert oder gekrochen .…
BOLOGNA ist die heilige Stadt des italienischen Wagnerismus, hier wurde Wagners “Lohengrin” als erstes Werk auf italienischen Boden im Teatro Communale 1871 aufgeführt und zwar in Gegenwart Verdis incognito. Es ist die höchste Summe, die jemals im Teatro Communale eingenommen wurde und alles war bis auf den letzten Platz, auf den Fluren und im Foyer mit Menschen überfüllt. Alle wollten ein Werk des “verrückten” Deutschen sehen, dessen Theaterreform-Ideen damals durch ganz Europa gingen.
Verdi soll sich ein paar Notizen gemacht haben und war nach der Aufführung schnell wieder verschwunden.
Dadurch ist Bologna für mich ein bedeutender Punkt auf meiner Wagner-Europa-Karte. Darum soll es jetzt ja eigentlich gar nicht gehen.
Bei den Vorbereitungen zu dieser Reise gab es zwei Möglichkeiten.
Die eine, das Landgut Verdis zu erwandern, die zweite ein südlicher gelegenes Kastell aufzusuchen mit dem Namen…
C A S T E L L´ A R Q U A T O
Ich muss herausstellen, dass Burgen und Kastelle mich schon immer begeistert haben, dies kommt sicher daher, dass ich als Kind eine Ritterburg hatte, da kann ich mich noch genau dran erinnern.
Nach einigem Hin und Her der Planung entschied ich mich dann für das Kastell.
In diesem August habe ich hier Temperaturen erlebt, wie ich sie bisher in Italien noch nicht erlebt habe, in der Mittagszeit stieg das Thermometer auf über 45 ° Grad, sodass man oftmals keine Luft mehr bekam und die Menschen beim Warten auf die Bahn nicht auf die Bahnsteige gingen, sondern im Bahnhofsgebäude blieben.
Ich wollte von der Strecke von ca. 20 km hin und her nicht ablassen, auch wenn 20 km ja als solches keine Schwierigkeit bedeuten.
An einem Tag vor meiner Wanderung war ich kurz in PARMA, wo von dem Fluss Parma nichts mehr zu sehen war.
Eine Schokolade, die ich mir in einem Supermarkt gekauft hatte, war nach meinem Verlassen des Marktes nach kurzer Zeit geschmolzen.
Als Startpunkt hatte ich mir den kleinen Ort Fiorenzuola d’Arda ausgesucht, der nord-westlich von Parma gelegen ist – d´ heisst immer “am”, also am Arda, nur von dem Fluss Arda war auch hier nichts mehr übrig.
Nach meiner Recherche sollte die Strecke immer flachweg durch die Felder mit den einsam liegenden Landgütern laufen, was auch der Fall war, doch hat sich ja schon oft gezeigt, dass die Theorie und die Praxis starke Unterschiede aufweisen.
Es war also nicht nur weit über 40° Grad, sondern eine Grippe zehrte auch ganz schön an meiner Kraft, das kennt jeder, der sich schon einmal mit einer schweren Grippe zur Arbeit geschleppt hat, weil er Bedenken hatte, sich krankschreiben zu lassen.
Außerdem hatte ich meine Wanderschuhe noch nicht, die mir später gute Dienste leisten sollten. Aber, wenn ich mir einmal etwas in der Kopf gesetzt habe, dann gibt es kein Wenn und Aber. Noch einige Tage vor der Abreise, als ich die Grippe schon spürte, notierte ich in mein Tagebuch : “Bologna wird durchgezogen…!”
Und so kam es dann auch.
Mit dem Zug über Modena – Parma – Fidenza bis zum Startpunkt Fiorenzuola d’Arda, wo ich in den späten Vormittagsstunden eintraf.
Die Strecke ging flachweg über die SP4 (Strada Provinziale) durch die großen Felder, wo allerdings die Sonnenblumen sehr verbrannt aussahen und durch Wassersprüher ständig befeuchtet wurden.
Wie heisst es doch, im Osten geht die Sonne auf und im Westen geht sie unter.
Das heisst, dass nicht nur die Sonnenblumen verbrannt aussahen, sondern ich hinterher die ganze linke Körperseite von der kochenden Sonne verbrannt hatte.
Aber nur die linke, denn mittags bin ich ja gen Süden gelaufen, hatte somit die Sonne zu meiner Linken und retour nachmittags Richtung Norden, als ich die Sonne auch zur Linken hatte.
Meine später entstandene Kategorisierung “Gewaltmarsch” zählt eigentlich nur bei Strecken über 40 km, nur hier war die Zahl egal, es war ein ziemlicher Kampf und es zeigte mir, dass sich der Überlebenstrieb schneller zeigt, als man denkt.
Verfallene Ruinen von alten Scheunen gaben mir ein Gefühl von .….…na ja, so schnell habe ich bei solchen Aktionen ja keine Angst, doch ist diese Strecke mit allen da folgenden Wanderungen, die viel größeren Umfang haben sollten, nicht zu vergleichen.
Es ging zwar immer gerade weg an der Straße, doch die kochende Hitze und meine Grippe brachten Probleme, aber ich wollte es ja nicht anders…
Eine Strecke von 10 km ist normalerweise in 2 Stunden gepackt, nur hier verlor ich das Gefühl für Zeit und Raum.
Etwas mehr als die halbe Strecke mußte ich schon hinter mir gehabt haben, als unterhalb von Castellana ein Supermarkt erschien, schon fast eine Halluzination.
Man sprach hier zwar kein Englisch, trozdem schaffte ich es etwas Trinkbares und auch Essbares zu ergattern und vor der Tür im Schatten zu mir zu nehmen, auch wenn ich so starke Halsschmerzen hatte, dass ich es kaum runter bekam.
CASTELL’ ARQUATO ist als solches ja eher ein kleiner Ort um das frühere mittelalterliche Kastell aus dem 12. Jahrhundert auf einer Höhe von 220 Meter über dem (nicht mehr vorhandenen ) Fluss Arda.
Aus strategischen Gründen hier errichtet, ist es heute ein Touristen-Ziel.
Das Kastell hat allerdings seinen mittelalterlichen Charakter vollständig behalten und beherbergt auch gastronomische Betriebe.
Der Aufstieg zieht sich noch durch die Gassen von mittelalterlich erscheinenden Häusern bis zu einem wuchtigen Eingangstor.
Da ich immer die Kamera dabei habe und mich vorher auch orientiere, was gute Motive betrifft, hatte ich einiges zu tun, auch wenn meine Kräfte durch die äußeren Gegebenheiten ziemlich am Ende waren.
Aber, nehmen wie es kommt und das Beste draus machen, das dachte ich eigentlich von Anfang an bei dieser Reise.
Der Aufstieg war als solches keine Mühe, doch bei diesem “Projekt” war alles mühevoll.
Das Kastell weist einen Innenhof mit einem zinnengekrönten Palazzo (Pal. del Podesta) aus dem Jahre 1292 auf, die Wehrtürme und auch die angrenzenden festungsartigen Gebäude und Mauern haben als Markenzeichen Zinnen.
Dieses Markenzeichen prägt auch Bologna, wo die festungsartigen Bauten an das oberitalienische Mittelalter erinnen.
Hier (Bologna) wurde ja jedes Gebäude zur Festung aus Angst vor dem diebischen Eingreifen der anderen konkurrierenden, wohlhabenden Familen.
Dies wird auch eher zynisch humoristisch von Goethe in seiner “Italienischen Reise” erwähnt.
Alles ist geprägt im früh mitteralterlichen Bologna durch den Seiden- und Stoffhandel (Drapperie).
Und wo Geld ist, da muss man sich verteidigen – damals, wie heute.
Im Castell’ Arquato ging es in frühen Jahren allerdings nicht um Samt und Seide.
Das Kastell hatte im frühen Mittelalter eine strategisch gute Lage am Fluss Arda und liegt fast mittig zwischen PARMA und PIACENZA.
Der seitlich des Innenhofes liegende Burg-Garten bietet einen guten Ausblick über die Emilia Romagna Richtung Süden nach Ligurien.
Ich hatte geplant beide Strecken hin und zurück zu Fuß zurückzulegen, wäre ja auch kein Problem gewesen, aber mit gewissen Gegebenheiten hatte ich nicht gerechnet.
Das ist natürlich immer so, so wie man es zuhause plant, kommt es natürlich nie.
Der unterhalb des Kastells liegende Busbahnhof zeigte mir, wie es ist, wenn man auf dem Land wohnt
(auch in Deutschland), denn es fuhren nur 2 Busse am Tag und der Bus zurück war gerade weg.
Das Kastell wird von den Touristen eher per Auto besucht, seltener mit dem Linienbus und nur einmal zu Fuß und zwar von mir.
Das heißt, ich musste die Strecke über die SP4 wiederum zu Fuß zurücklegen.
Zurück am Supermarkt vorbei (immer noch kein Englisch), an den verfallenen Scheunen, an den verbrannten Sonnenblumenfeldern, an Bushaltestellen – die rechte Körperhälfte war bei den über 40° Grad am kochen und brennen.
In den späten Nachmittagsstunden dann doch wieder in Fiorenzuola d’Arda angekommen.
Dies war eine der anstrengendsten Strecke, obwohl es ja nur 20 km waren, aber da die Rahmenbedingungen nicht schlechter sein konnten – Grippe, kochende Hitze, nur an der Straße her und noch keine richtigen Wanderschuhe …
… aber ich hatte zumindestens Castell’ Arquato gesehen.
Was lernen wir daraus :
“Nehmen wie es kommt, das beste draus machen”
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* Zur Ergänzung hier mein Beitrag zu “Castell Arquato”
*sh. meine Bildergalerie Castell Arquato :