“Willkommen, ungetreuer Mann…”
Über die Gestik und Mimik bei der Rückkehr-Scene der
Venusgöttin im 3. Act von Richard Wagners “Tannhäuser”
(Festsaal Wartburg Eisenach)
Die Aufhebung des Zuschauers in die Rolle des mitwissenden
Statisten.
Dies war und ist eine der Grundideen, die Richard Wagner vorschwebte, um seine Werke dem Rezipienten näher zu bringen.
Man soll das Werk also nicht von weit her betrachten, sondern man soll mit im Werk integriert und impliziert sein, also körperlich und geistig.
Durch die verschiedenen Fassung, die Wagner bei dem Umbruchswerk “Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg” geschrieben hat (alleine 4 festgelegte autorisierte Fassungen, viele Misch-Fassungen und unzählige Misch-Misch-Fassungen), kann man schnell durcheinander kommen.
Eine Fülle von Einzel-Motive und Bruchstücke widerstreben noch der Idee des durchkomponierten Gesamtkunstwerkes, was Wagner mit dem folgenden Werk, dem “Lohengrin” erreicht hat.
Hier erscheint das Ideal die musikalischen Nummern in der Kunst des Übergangs aufzulösen, und genau dies ist im “Tannhäuser” noch nicht erreicht.
Das kompositorische Gerüst aus emotionalen Gefühlswegweisern der Vorahnung durch Erinnerung und der nahtlosen Übergänge ist noch nicht zu der Geschmeidigkeit ausgereift, wie in späteren
Werken.
Es widerstrebt der wagnerschen Idee, aber andersherum kann man es auch positiv sehen, da der Protagonist Tannhäuser gespalten und hin- und hergerissen ist.
Ein innerer Kampf mit sich selbst zwischen dem Trieb des Lustgewinnes und der Erlösung davon.
Das “Fegefeuer der Versuchung” erscheint schon in den peitschenden Streicherklängen der Ouvertüre (der Dresdener Fassung) zum ersten Mal und nimmt plakativer Klanggestalt an.
In fast allen Fassungen kommt eine Scene durch ihre Dramaturgie, Gestik und Mimik stark hervor und bildet nahe dem Finale eine Art letzten Umbruch.
Dadurch kann sie nicht ganz weggelassen werden.
Nämlich die Rückkehr der Venusgöttin in die Scenerie im herannahenden Finale des 3. Actes in der 3. Scene.
Eine Ausnahme bringt der Ur-Tannhäuser von 1845, hier erglüht noch einmal der Venusberg nahe der Wartburg (Hörselberg), wenn Tannhäuser die Venusgöttin anruft (die in dieser Fassung nicht mehr erscheint).
Im Vorfeld ist zu sagen, dass der Protagonist eine gespaltene Persönlichkeit hat.
Im Rausch des Eros und im Bordell-Glanz des Venusberges ist es Tannhäuser (nach Heinrich Heine) und in der geordneten Gesellschaft der Wartburg ist es Heinrich von Ofterdingen.
Die Venusgöttin symbolisiert den rauschhaften Erostrieb, dem Tannhäuser entfliehen will und die Elisabeth die reine Liebe der geordneten Wartburg-Gesellschaft.
Dies zeigt, dass der Mensch im Trieb des Eros ein anderer ist, als im normalen Leben, man ist nicht mehr der, der man eigentlich ist.
Man handelt nicht verstandesgemäß, sondern triebhaft – sobald der Verstand einsetzt, ist die Lust vorbei und man knickt ab (im wahrsten Sinne des Wortes).
Man versucht die Lust hinauszuzögern, sie zu verlängern bis in alle Ewigkeit, auf dass sie nie endet, was auch schnell zur Sucht werden kann und nur ein Schein und ein Wunschdenken ist.
Der Eros-Trieb ist ein Trieb, der Wonne, Lust und Fluch gleichermaßen bedeutet, der aber auch nach Höherem trachtet und nach Erlösung strebt.
In jeder Frau ist ein Teil Hexe, Hure und Heilige, das Ewig-Weibliche, was den Mann hinan– und hinabzieht und auch zerstören kann – ein Stück Tannhäuser steckt auch in jedem Mann.
Da ja jeder Mensch Künstler ist, bietet der “Tannhäuser” auch viel Spielraum für Interpretationen, individuelle Auslegung und symbolhafte Ergüsse.
Zwischen Liebesgenuss und Liebesfluch bzw. ‑tod ist Tannhäusers Weg im Werk aufgezeigt. Dieses muss mit ekstatischer Ausdrucksgewalt dargestellt werden.
Eine Rolle des stetig Gespaltenen, der hin- und hereilt und sein Heil sucht.
Die Scene, um die es hier geht, ist die 3. Scene des 3. Actes.
Tannhäuser alias Heinrich von Ofterdingen ist verzweifelt Wolfram von Eschenbach am berichten, wie ihm in Rom vom Papst die Sünden nicht vergeben worden sind (“Inbrunst im Herzen…”).
In seiner Verzweiflung kommt ihm die Erinnerung an die betäubende Wollust in den Armen der Venusgöttin, als letzte Hoffnung :
“Dahin zog’s mich, wo ich der Wonn’ und Lust
so viel genoß, an ihre warme Brust ! -
Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder,
zu deiner Zauber holde Nacht ;
zu deinem Hof steig’ ich danieder,
wo nun dein Reiz mir ewig lacht!”
Wolfram v. Eschenbach versucht ihn verzweifelt zurückzuhalten :
“Halt’ ein ! Halt’ ein ! Unseliger!”
Durch das flehende Anrufen Tannhäusers an die Göttin eröffnet sich langsam der Zauber des Venusberges.
Es ergibt sich ein wirres Anbeten, der verzweifelte Versuch Wolframs des Zurückhaltens, ein Wortgefecht, was allerdings das Erscheinen der Venusgöttin (außer in Ur-Tannhäuser) nicht verhindern kann.
Die Scene des Erscheinens bzw. Wieder-Erscheinens der Venusgöttin ist eine Scene, bei der die drei Darsteller der Rollen (Venus, Heinrich v. Ofterdingen und Wolfram) Höchstleistungen vollbringen müssen.
Hier tritt das in den Vordergrund, was man Deklamation nennt.
Das eigentliche Rezitativ wird nicht aufgehoben, sondern es geht in die Form eines “Deklamatorischen Rezitativs” über (Wagner-Gesang).
Das bedeutet, dass die Gestik und Mimik (Deklamationsschiene) die Überhand gewinnt und die Wort- und Ton-Ebene leicht in den Hintergrund rücken lässt.
Die Ausdruckskraft dieser Scene beruht nicht auf der Handlung, nicht auf der Komposition oder dem Libretto, sondern auf der Deklamation und vor allem auf der kongruenten Fusion der drei Schienen (Tonebene, Dichtung und Deklamation), die wie drei verknüpfte Seile halten und fest zusammengebunden sind (und sich zeitweilig auch gegenseitig steigern können). Dieses ist u.a. eine Folge der Tatsache, dass die wagnersche Komposition immer Bezug nimmt auf das jeweilige szenische Geschehen.
Nach soviel Theorie ist es nötig den Blick in den Festsaal der Wartburg zu werfen, an den Originalschauplatz des Werkes.
Seit dem Jahr 2006 besuche ich alljährlich die halb-szenische Aufführung des Werkes.
Der 300 Personen fassende Saal beinhaltet keine Bühne, sondern ist ganz “Bühne”, man ist nicht mehr Zuschauer im herkömmlichen Sinnen, sondern man ist im Werk impliziert, man spielt mit, es verschwimmen die Grenzen zwischen Werk und Rezipient und man wird unwillkürlich mitwissender Statist.
Mein 12. Tannhäuser brachte wieder neue “Frische” durch zwei neue Gastsolisten (Tannhäuser und Elisabeth) und durch leicht veränderte Scenenabläufe, die den vorgegebenen Gang der Handlung aber nicht veränderten.
Nachdem nun Tannhäuser die Göttin wieder angerufen hat, schreitet majestätisch langsam, Schritt für Schritt aus dem Dunkeln die Darstellerin der Göttin in feuerrotem Kleid mit rotem Schleier durch das Mittel-Spalier von hinten in den Saal ein (atemlose Stille).
Sie erhebt langsam ihren rechten Arm und streckt ihn in Richtung Tannhäuser aus, als wollte sie ihn wieder magnetisch zu sich hinziehen.
Ihr unbewegter Blick richtet sich auf den mit Wolfram kämpfenden Tannhäuser, quasi auf ihr Opfer.
“Willkommen, ungetreuer Mann !
Schlug dich die Welt mit Ach und Bann ?
Und findest nirgends du Erbarmen,
Suchst Liebe du in meinen Armen?”
Durch die dezente Lichtregie wird der Saal in ein leicht weinrotes rosiges Licht gehüllt. Sie schreitet immer näher auf ihr Opfer zu.
“Nahst du dich wieder meiner Schwelle,
sei dir dein Übermut verziehen ;
Ewig fließe dir der Freuden Quelle,
Und nimmer sollst du von mir fliehn!”
Immer stärker wird der Kampf von Tannhäuser mit Wolfram und Tannhäusers Blick richtet sich einzig und allein zur Göttin.
“O komm’! Auf ewig sei nun mein !”
Die Göttin will ihr Opfer wieder voll für sich haben.
“Komm’, o komm ! Zu mir!”
Beide stehen Auge in Auge gegenüber, die Göttin ist sich in ihrem Blick und ihrem Reiz der Macht bewusst und sicher den Ungetreuen wieder zurückzugewinnen.
Die Dramaturgie ist an dem Punkt kaum zu überbieten, als der Abstand zwischen Göttin und Opfer (Tannhäuser) nicht mehr kleiner zu machen ist. Stur und steif bleibt sie stehen (welche Symbolik!).
Doch dann kommt der Umbruch.
Wolfram sagt die entscheidenden Worte, bzw. nennt den entscheidenden Namen der Erlösung :
“Ein Engel bat für dich auf Erden, bald schwebt er segnend über dir.
…Elisabeth!”
Tannhäuser bleibt wie von einem heftigen Schlag gelähmt an die Stelle geheftet (Regieanweisungen) und wiederholt den erlösenden Namen :
“Elisabeth…!”
Langsam erhört man im Hintergrund (noch außerhalb des Saals) den Trauerzug mit der Leiche Elisabeths.
Wolfram bestätigt noch einmal durch seine letzten Librettozeilen :
“Dein Engel fleht für dich an Gottes Thron,
– er wird erhört !
Heinrich, du bist erlöst!”
Die Macht der Göttin ist gebrochen und durch Ihre Gestikulation läßt sich dieses erkennen, ihre letzten Zeilen geben es auch verbal wieder :
“Weh ! Mir verloren!”
Sie merkt, dass sie nicht nur Tannhäuser verloren hat, sondern ganz verloren hat. Im Libretto verschwindet der Venusberg in seiner zauberischen Erscheinung.
Vor Ort dreht sich die Göttin (bzw. deren Darstellerin) blitzartig herum und läuft schreiend durch das Mittelspalier aus dem Saal.
Am offenen Sarg der Elisabeth kniet Tannhäuser und stirbt :
“Heilige Elisabeth, bitte für mich!”
Wiederum aus dem Hintergrund verteilt sich langsam der in Kutten gehüllte Pilgerchor der aus Rom zurückkehrenden Pilger in die Ränge und das Spalier zwischen die “Zuschauer” (die keine mehr sind).
Man fließt als mitwissender Statist in die Scene hinein und verlässt suggestiv die Rolle des Zuschauers und geht über in die Rolle des Mitspielenden.
Die Leistung und Aussagekraft der Darsteller, allen voran die Erotik der Venusgöttin, hat hier eine Dimension des fast Nicht-zu-Übertreffenden erreicht, was keine Opernbühne der Welt in dieser Stärke darstellen kann, von der im Festsaal herrschenden Akustik ganz zu schweigen.
Die Schlüssel- und oftmals dramaturgisch schwierigen Scenen, wie der Holländer-Monolg im 1. Act, die Totenfeier Titurels im 3. Act des “Parsifals”, genau wie das Wieder-Erscheinen der Venusgöttin im Finale des “Tannhäusers”, zeigen immer die Qualität der Inszenierung.
Die wagnersche Grundidee habe ich nirgendwo so dargestellt gesehen und dem ersten “Tannhäuser” im Festsaal der Wartburg im Jahre 2006 kann ich bis heute nichts anderes zur Seite stellen…
Literatur :
* Martin Knust
– “Ein Leben für die Bühne”, Böhlau-Verlag Köln Weimar Wien, 2013
- “Sprachvertonung und Gestik in den Werken Richard Wagners”
Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft 16
Frank&Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 2007