“Einst hielt ich Paris für die schönste Stadt,
doch dann sah ich Neapel…”
(herrrothwandertwieder)
Als am 15. April 1980 Jean-Paul Sartre in Paris starb, fuhr ich mit der Bahn nach Gare du Nord, nahm mir mein schon mehrfach genutztes Quartier direkt unterhalb der Sacre Couer im 18. Arr. , stieg in die nächste Metro und fuhr schnur-stracks ‘gen Süden zum Cimetiere Montparnasse, um das frische Grab Sartres zu sehen, der 4 Tage vorher beerdigt worden war.
Hört sich eher an, wie ein Wunschdenken oder eine Erfindung.
Ist es aber nicht, nur ist die ganze Sache ja 39 Jahre her und ich war damals 20 Jahre alt.
Leider hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so viel Affinität zur Fotografie und besaß demgemäß auch keine Kamera, mit der ich alles hätte festhalten können, wie ich es in späteren Jahren tat.
Die Erinnerungen an die damaligen mehrfachen Paris-Aufenthalte sind heute auch eher verschwommen und somit ist es zwar im Langzeit-Gedächtnis bei mir hängengeblieben, aber mein emotionales Reisegedächtnis war halt noch nicht so ausgeprägt und es kommt mir a posteriori etwas lückenhaft und vernebelt vor.
Trotzdem weiß ich noch, dass ich mir auf dem eher kleinen Friedhof im Süden (14. Arr.) nicht so viel Mühe beim Suchen von Sartres Grab machen brauchte, wie anderswo.
Nachdem ich einen Bediensteten gefragt hatte, zeigte er mir das Grab (gut, wenn man Englisch sprechen kann).
Wie es nun wirklich aussah, ist mit entfallen, da ich es (leider) fotografisch nicht festgehalten habe – wie halt ein frisches Grab von einer Beerdigung ein paar Tage vorher aussieht…
Ganz in der Nähe liegt Charles Baudelaire – auch ein Philosoph, der mir damals nur von Namen her bekannt war, heute a posteriori (gut, wenn man Latein hatte) sieht das natürlich anders aus…
Denn Baudelaire war damals großer Wagnerianer und hat versucht, das Werk Wagners in Frankreich zu etablieren und den Franzosen zugänglich zu machen.
Ob ich nun damals wusste, wer Wagner ist, weiß ich auch nicht mehr, ich schwebte eher in anderen musikalischen Mode-Erscheinungen.
Soweit meine heute leicht vernebelte Erinnerung an fast 40 Jahre Vergangenem.
…das Sein und das Nichts
“Das Sein und das Nichts” – Sartres Hauptwerk hatte schon damals für mich einen interessanten Titel – es ist nun allerdings fast ein Witz, dass ich es bis heute noch nicht gelesen habe.
Aber irgendwie hatte mir damals Sartres Art und Weise des Protestes es angetan und so ergab sich aus der Kombination mit diesem Titel doch mein näheres Interesse.
Damals hielt ich Paris für die schönste Stadt…
Nur, dass ich zu dem Zeitpunkt niemals daran gedacht hätte, in eine andere Stadt zu kommen, die für mich Paris im Hintergrund untergehen ließ … und das ist Neapel.
… doch dann sah ich Neapel.
Eine ganz andere Epoche, damals ein bis zwei Jahre nach der Pubertät und dann als 49jähriger im Rausch der Gassen von Neapel bei meinem ersten Aufenthalt im Jahre 2009.
Da erkennt man erst einmal, wie man sich verändert, aber man verändert sich ja nicht nur, sondern um einen herum verändert sich ja auch alles – jeder ist quasi eine Veränderung in der Veränderung…
Jetzt wird es wieder leicht philosophisch…
Nur “Das Sein und das Nicht” passt aus der heutigen Sicht auch sehr gut zu der unvergleichlichen Metropole Neapel und meinem ersten Aufenthalt dort.
Die Erinnerungen an den ersten Aufenthalt in Neapel 2009 und an den zweiten Aufenthalt 3 Jahre später, sind ja wesentlich frischer, als an
Paris in frühen Jahren.
Die Metropole Neapel ist so vielseitig, dass man zehnmal hinfahren kann und man hat immer noch nicht alles gesehen, von den starken Unterschieden zwischen Arm und Reich ganz zu schweigen, herrschen hier starke Verschiedenheiten.
Wenn ich jetzt an Neapel denke, so denke ich als erstes an die Altstadt – an San Lorenzo.
Es geht die Via Toledo hoch vom Hafen Richtung Norden bis zum Piazza Dante, und dann direkt nach Osten in die Gassen der Altstadt und weiter zur Via Tribunali, wo ich schon zweimal dasselbe Quartier hatte.
Heute kenne ich mich in Neapel besser aus, als in manchen umliegenden Städten im Ruhrpott, da in Neapel eine Orientierung auch ohne viel Können, sehr einfach ist.
Dieses gilt allerdings nicht für den Altstadt-Kern San Lorenzo, wo das Labyrinth der Gassen seinen Höhepunkt hat.
Wenn man aber einmal in den Gassen der Altstadt Neapels ist, kann es schnell sein, dass man in eine Art “Rausch” verfällt und man denkt, bin ich im Sein oder im Nichts (?)
Die Orientierung ist hier labyrinthartig schwieriger, als anderswo in Neapel.
In frühen Jahren sah es, wie überall, ja auch in Neapel ganz anders aus.
Die imposanten Bauten und Kirchen standen alle frei und man konnte um sie herum gehen.
Heute ist alles eingebaut und sogar umbaut.
Die Dichte der Bevölkerung ist enorm und man bekommt eine der dichtest bevölkerten Metropolen Europas vor die Augen.
Dies bringt unwillkürlich den Reiz mit sich, dass man von außen oft gar nicht erkennen kann, was dahinter steckt, man treibt durch auf den
ersten Blick vergammelt erscheinenden Gassen und Gebäuden, weicht dann sporadisch in einen offenen Eingang ab…und steht plötzlich in einen Paradies.
Die in großer Anzahl vorhandenen Kunstschätze, Kirchen und Museen sind auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar und man kann auch Schwierigkeiten bekommen, wenn man etwas bestimmtes in der Altstadt San Lorenzo sucht.
Doch, wer suchet, der findet.…
Und so kommt man in prunkvolle Kapellen, Kirchen und Kirchen-Komplexe, palastähnliche Museen und Palazzos von Kunst-Mäzene.
Wo nun das Sein ist und wo das Nichts, ist schwer zu sagen.
Das Sein erkennt man aber daran, dass die Frauen hier kontinuierlich am Waschen sind, was ja bei der drückenden Hitze nicht zu umgehen ist.
Geschickt versteht man die Wäschen an den Leinen durch eine Rolle zu sich zu ziehen, um sie abzunehmen oder wieder neu zu bespannen.
Über den besonderen Geruch, der hier in der Altstadt von Neapel herrscht, kann man viel rätseln, da ja ein Geruch schwer zu beschreiben ist, für mich drückt er aber einen Art Sehnsucht aus – wenn man es plastisch versucht zu beschreiben, ist es wie dunkle Massivholz-Decken, weinrote mehrfach geschichtete Samt-Gardinen mit einem bisschen Waschpulver-Geruch gewürzt.
Dieser “Neapel-Geruch” kommt einem allerdings erst ab 30°C in die Nase, wenn hier die Luft steht und des Nachts die Temperaturen nicht unter 27° C Grad sinken.
Der Bezug zu Eier besteht hier nicht nur durch früher vielfach abgebautem Tuffstein, der dann für den Bau oder die Pflasterung der Bürgersteige benutzt wurde, sondern auch in den Farben der Fassaden.
Genauso die ungewöhnliche Farb-Kombination von Weinrot und Maus-Grau, die auch oftmals an Kirchen zu beobachten ist.
Bei meinem zweiten Aufenthalt in Neapel 2012, bin ich extra losgezogen und habe Motive mit dieser Farbkombination gesucht, die für Fassaden eher ungewöhnlich ist.
Wenn ich nun heute durch die Gassen Neapels im Internet virtuell wandele, dann höre ich als Untermalung oftmals dazu die “Faust-Ouvertüre” von Richard Wagner.
Ein früher symphonischer Versuch, wobei aus einer geplanten ganzen Faust-Symphonie letztendlich nur eine Ouvertüre von Wagner realisiert wurde.
Hierbei muss man als Hintergrundwissen bedenken, dass diese Ouvertüre in Paris (!) 1840 entstanden ist – und zwar in einem Stadium der Verzweiflung und des Hungers, als Wagner nämlich immer wieder versuchte an der Grand Opera, dem damaligen geistigen Zentrum der (westlichen) Welt, anzukommen und immer wieder mit seinen Werken abgelehnt wurde.
Sie ist eher trübsinnig und lässt auch Dr. Faustus Frust des Studierens in Goethes opus magnum (gut, wenn man Latein hatte) erkennen.
Untermalung der Gassen von Neapel mit den eher trübsinnigen Klängen eines in Paris schwermütig entstandenen Werkes…
Somit schließt sich der Kreis beginnend bei Sartre über Baudelaire – von Richard Wagner zu Goethe und von Paris in fast vergessener Vorzeit zum Rausch der Gassen von Neapel.
Was lernen wir daraus :
“Nicht Menschen machen Reisen,
sondern Reisen machen Menschen”
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