“Operation AV”
Wie ich schon vormals erwähnte, steht als Wagner-Purist das Werk Richard Wagner im Zentrum meiner geistigen Welt.
Dadurch bin ich schon – immer auf den Spuren des “Meisters” – durch ganz Europa gereist, an die Orte, wo Wagner gewirkt hat oder die Ideen seiner genialen Werke hatte.
Orange
…besitzt, wie viele andere Städte in der Provence ein gut erhaltenes Amphitheater.
Man war ja in frühen Jahren in vielem der heutigen Zeit weit überlegen – die Sitzanordnung ist die beste von allen, da die optimale Optik mit dem Blick auf die Bühne und die optimale Akustik gewährleistet ist – warum man Opernhäuser heute nicht nach diesem Prinzip baut, ist unverständlich (?).
Wagner realisierte es in seinem mit Gottfried Semper selbst entworfenen Festspielhaus.
In dem Amphitheater in ORANGE findet jährlich ein Opernfest statt (Chorégies d’Orange) und das seit Urzeiten.
Als die Welt noch in Ordnung war, nämlich 1973, wurde dort auch das opus methaphysicum, nämlich Wagners “Tristan und Isolde” mit Birgit Nilsson als Isolde – Jon Vickers als Tristan aufgeführt – wie heißt es :
“Wer Tristan verstanden, ist zum wagnerianerischen Glauben bekehrt!”
Als ich dann Isoldes Schlussgesang im Finale, den sogenannten Verklärungs-Schluss (Tristan-Schluss) im Internet von 1973 sah, wusste ich … “… da muss ich hin !”
Da nun Birgit Nilsson und Jon Vickers schon längst tot sind, so lebt natürlich eins, und das für alle Ewigkeit, und zwar das Werk Richard Wagners.
Trotzdem hat eins die ganzen Jahrhunderte überstanden und zwar das …
Théâtre antique d’Orange
Bis 2014 war mir die PROVENCE nur vom Namen her bekannt, wogende Lavendelfelder, traumhafte Orte, schmale Gassen, VanGogh .…
AVIGNON ist eine Stadt, wie aus dem Bilderbuch, alte Baudenkmäler, Altstadtgassen, lauschige Plätze unter Platanen und vor allen Dingen, Kunstschätze für erschwingliche Eintrittspreise.
Der erste Eindruck, den ich nach dem Verlassen des Bahnhofs an dem sonnigen Oktobertag von Avignon hatte, war überwältigend. Die Stadtmauer ist komplett erhalten, zwischen 2 Wehrtürmen führt schnurgerade die Hauptmeile Rue de la République von Platanen gesäumt zum Herz der alten Papststadt, dem Place de l´Horloge und von hier aus gehen die Gassen der Altstadt wie Adern Richtung Papstpalast (Palais des Papes).
Ausserdem ist Avignon die Stadt der Theater, da sie über 30 Theater beherbergt, manche nur so groß wie eine Garage (*).
Der erste Eindruck zählt, somit stürzte ich mich im Hotel angekommen sofort unter die Dusche und dann sofort in die Gassen der Altstadt.
Die Atmosphäre einer Stadt ist für mich immer das Wichtigste.
Da bei mir jede Reise einen Namen bekommt, lief das ganze unter dem Decknamen “Operation AV”.
Dieses sollte nicht nur einen Besuch von Avignon zum Inhalt haben, sondern noch einiges mehr.
Die 17stündige Hin- und Rückfahrt vom Hbf. in Dortmund sollte man allerdings ausklammern, war auch nur ein Versuch.
Ein weiterer Teil war…
VILLENEUVE-les-AVIGNON
…der Nobel-Stadtteil auf der anderen Seite der Rhone mit dem Kastell Fort Saint-André, dem Sommersitz der Päpste.
Nun war es bereits Oktober, trotzdem ließen mich die Gassen von Villeneuve bei 27° C an meine Aufenthalte auf Capri erinnern.
Der Kern der “Operation AV” sollte allerdings eine Wanderung an der Rhone hoch nach ORANGE sein.
Nach zwei rauschhaften Tagen in Avignon und Villeneuve bin ich in den frühen Morgenstunden auf der anderen Rhoneseite los, vorbei am Wehrturm Tour Philippe le Bel, der einst geplant war als Endpunkt der berühmten Brücke von Avignon (Pont d’Avignon).
Aber was war nicht schon alles geplant …
In der Nacht hatte es geregnet, was sich allerdings als positiv herausstellte, da dadurch die Temperaturen leicht gefallen waren.
Genau wie Küsten haben Wanderungen an Flüssen natürlich den Vorteil, dass man sich um die Orientierung keine Gedanken machen braucht.
Der Strasse entfliehend, gibt es auf dieser westlichen Rhoneseite nur eine Alternative, die Strecke anzugehen, und die ist natürlich der Weg am Fluss entlang … klar, hört sich gut an.
Der Haken war aber der, dass der deichähnliche Weg mit dicken Kieselsteinen belegt war, damit bei Hochwasser hier nicht alles weggeschwämmt wird.
Keine Fußsohlenreflex-Massage hätte besser sein können, als die ersten 20 km auf diesem dickem Kiesel.
Die Strecke an der Rhone ‘gen Norden bis ROQUEMAURE war auf der einen Seite wie Sonntags Brötchenholen, flach weg zwischen Fluss und Feldern, andererseits merkte ich irgendwann meine Füße nicht mehr.
Die D976 führt über die Rhone und direkt nach ORANGE.
Die Brücke musste erst einmal frei gehalten werden, weil eine große Anzahl von Fahrrädern kam, es muss ein Rennen gewesen sein, aber egal ob zu Fuss oder mit dem Rad, hat hier alles einen großen Charme, ob die Städte oder die Landschaft, was ich ein Jahr später in AIX en PROVENCE noch stärker zu spüren bekam.
Die letzten 5 Kilometer zogen sich in die Länge, auch wenn es bei mir erst ab 40 km interessant wird…
Das “Objekt der Begierde” war nicht mehr weit, doch sackte ich leicht ab, jeder kennt sich selbst am besten – wie man sagt, eine Tankstelle ließ mich zwar fluchen über den hohen Preis des Getränkes, trotzdem war es das erste nach viereinhalb Stunden, was ich zu Trinken bekam.
So langsam zeigten sich nach einer weiteren halben Stunde die Randbezirke von Orange.
Wieder einmal die Struktur, bei dem das Historische umgeben ist von Neubauten.
Doch so langsam zeigten sich die romantischen Häuser in türkis oder eierschalenfarben- gelb.
Seitlich sah ich schon die riesige Mauer des Amphitheaters. Ich hatte mir im Vorfeld drei Hotels im Altstadtbereich ausgesucht, eines wollte ich als erstes aufsuchen, was ich dann auch tat.
Zuerst natürlich wieder “do you have a room for me and how much did it cost ?”
Mit dem “…did it cost ?” ist es in der Provence so, dass die Hotels ziemlich teuer sind, allerdings ein Zwei-Sterne-Hotel eher als Drei-Sterne-Hotel zu bezeichnen ist.
Das traumhafte kleine Hotel lag direkt neben dem in den Felsen herein gebauten Theater.
Erst einmal nach der Dusche in die traumhaften Gassen dieses leicht verschlafenden Nestes in der Provence gestürzt – der erste Eindruck ist immer der wichtigste, auch wenn ich alles mal wieder lange vorbereitet hatte, ist es doch anders, aber diesmal noch besser, als ich es vermutet hatte.
Lauwarmer Abend (Oktober!), kleine Gassen, kleine lauschige Plätze mit Platanen umgeben, alles etwas kleiner und dörflicher als in Avignon.
Ich fragte mich, wo die 9.000 Menschen, die damals Wagners Opus gefolgt sind, die Nacht verbracht haben, denn Orange hat höchstens 3–4 kleine Hotels im historischen Kern ?
Am nächsten Morgen dann aber endlich ins Amphitheater und als erstes an die Bühne, auf die ich meine Kamera legte, um die Perspektive hinzukriegen, die damals Birgit Nilsson im Schlussgesang der Isolde (“Mild und leise, wie er lächelt .…”) hatte, die sogenannte Verklärung Isoldes als Finale von Wagners Tristan unter dem Dirigat von Karl Böhm.
Das Foto nannte ich dementsprechend :
“Die Bretter, die die Welt bedeuten” .
Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie man in frühen Jahren Bauwerke ohne die technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit aus dem Boden gestampft hat.
Die Amphitheater waren ja gar nicht für konzertante Aufführungen gedacht, weil es zu der Zeit der Römer noch gar keine Instrumente gab … außer einem Instrument, nämlich der menschliche Stimme.
Und somit spielt natürlich der Chor auch in Wagners Werk eine große Rolle, was von Schiller und von Nietzsche auch erkannt worden ist (“Die Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie” – “Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik”).
Das Orchester wird allerdings in einem Halbkreis vor die Bühne platziert, sodass der Klang gegen die 36 Meter hohe Mauer prallt und von da zurück Richtung Zuschauer.
Wenn man bedenkt, dass die Stufen des Theaters in den Felsen hereingehauen worden sind, dann möchte man nicht wissen, wie viele Menschen hier geschwitzt und geschuftet haben, um das Theater zu bauen.
Eines darf nicht fehlen :
“Bei schlechtem Wetter findet die Veranstaltung einen Tag später statt”
Tja, die klimatischen Veränderungen machen auch vor Wagner keinen Halt.
Genau, wie man die Inflation nicht leugnen kann, denn 1973 kostete eine Eintrittskarte der teuren Preiskategorie vielleicht 10 Deutsche Mark, während man heute unter 200 € gar nicht reinkommt.
Tja, früher war eben alles besser !
Auf einem Luftbild im Internet kann man auch genau erkennen, dass eine Menge der Plätzen bei heutigen Aufführungen leer sind, während damals über 9.000 Menschen nach den letzten Klängen des wogenden Orchesters unter Karl Böhm in Jubel ausbrachen.
Der Unterschied ist einfach der, dass so etwas damals ein Ereignis war, während heute alles im niveaulosen Massenkommerz untergeht.
Mit dem Schlussgesang aus Wagners Tristan und dem wogenden rauschhaften Klängen im Ohr, machte ich mich dann auf den Weg zum leicht außerhalb der Altstadt liegenden Bahnhof, um meine Rückfahrt nach Avignon anzutreten, um die “Operation AV” abzuschließen, und das bedeutete zwei Tage später die 17stündige Rückfahrt Richtung Heimat, die auch Wagners Heimat war.
Was lernen wir daraus
“Früher war alles besser”
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* Opernfest Orange (Choregies d’Orange)
* Fotos zum Provence-Ort Orange in meiner Bildergalerie Frankreich :