Neapel II. (Sept. 2012)

Warum die Liebe bei einem zweiten Aufenthalt anhält”

Keine Stadt hat bei meinen zahl­rei­chen Reisen so einen ersten Eindruck auf mich gemacht, wie NEAPEL.

Städte sah ich, Länder durch­reist ich,                                                                             doch nie sah ich eine Stadt wie Neapel”                

Dieses Zitat, von wem es auch sein mag, trifft den Kern der Sache.
Es gibt halt Dinge auf dieser Welt, die sind einzig­artig, und Neapel gehört dazu.

Wie heisst es so schön, Venedig ist eine Traum, Neapel ein Rausch.
 
Nach dem orgi­as­ti­schen Rausch von 2009 wollte ich im September 2012 natür­lich alles wieder­holen, aber wie wir alle wissen, kann man schöne Dinge nicht wiederholen.
Doch da gibt es einen Trick.
Man fährt einfach an den selben Ort und macht etwas anderes.
Es gibt kaum einen Ort, der so abwech­se­lungs­reich ist, wie der Golf von Neapel.

Aber warum ist NEAPEL ein Rausch ?

Bergauf – Bergab


Zauber der Nacht

Es gibt einen Roman von Domenico Rea und der heisst “Neapel, zwischen Nacht und Morgen­grauen”.
Mit der Idee dieser kleinen Novelle im Kopf, tat ich bei meinem zweiten Aufententhalt etwas, was man sich bei einem Aufenthalt in dieser Stadt auf keinen Fall entgehen lassen sollte.
Ich stand gegen 4:00 Uhr morgens auf und bummelte bei lauen Temperaturen durch Neapel.

Dies ist wie ein post coitum triste – also der Zustand kurz nach einem Orgasmus.
Das heisst im über­tra­genen Sinne, dass Neapel tags­über wie ein orgi­as­ti­scher Rausch auf einen wirkt und dann so ca. gegen 2:00 Uhr nachts alles langsam zur Ruhe kommt.
Dann kommt die Stillstandsphase und gegen 6:00 Uhr beginnt dann wieder die Ekstase.

Zum Ende dieser “Zwischenphase” trifft man noch ein paar Prostituierte, Katzen schlei­chen um die Ecken und die ersten Straßenfeger mit ihren Reisigbesen werden aktiv.   Wieder in den frühen Morgenstunden im Hotel in meinem Bett liegend, begann draußen wieder das Leben.
Ein gutes Beispiel dafür, dass Neapel eine der leben­digsten Metropolen Europas ist.

Da ja nun alles seinen Preis hat, war ich ja schon im 1. Teil auf die starken Unterschiede der Immobilienpreise in den palaz­zo­ähn­li­chen Gebäuden der Altstadt eingegangen.

                                                  Arm – Reich

Neapel ist auch eine Stadt der schroffen Gegensätze. Und diese Gegensätze merkt man nicht nur in den Immoblienpreisen.
Somit gehört die Altstadt (San Lorenzo) und die Stadtteile (Quartieri) um die Altstadt Richtung Osten, und in Hafengegend, eher zu den ärmli­cheren Teilen Neapels, während die Teile nach Westen und an der Küste herunter zu den reicheren der 30 Stadtteile, die Neapel hat.

1. San Ferdinando               11. Pendino                 21. Pianura
2. Chiaia                                12. Porto                     22. Chiaiano
3. San Giuseppe                   13. Vomero                  23. Piscinola
4. Montecalvario                 14. Arenella                24. Miano
5. Avvocata                          15. Posillipo                25. Secondigliano
6. Stella                                16. Poggioreale          26. Scampia
7. S. Carlo all’Arena          17. Zona Industriale  27. S. Pietro a Patierno
8. Vicaria                            18. Bagnoli                 28. Ponticelli
9. San Lorenzo                  19. Fuorigrotta          29. Barra
10. Mercato                       20. Soccavo                30. S.Giovanni a Teduccio


Das schach­brett­artig ange­legte Spanische Viertel” (Quartieri Spagnoli), was als solches kein eigener Stadtteil ist, sondern im Stadtteil Montecalvario liegt, verdankt seinen Namen spani­schen Soldaten, die früher hier statio­niert waren. 

Es steht leicht im Schatten seines schlechten Rufes, weil die Kriminalität, Prostitution etc. hier sehr hoch sei.
Mir hat in Neapel nie jemand etwas getan, egal in welchem Stadtteil ich mich aufhielt und zu welcher Uhrzeit.
Die eher ärmli­chen Stadtteile haben eine unge­heuere Bevölkerungsdichte mit bis zu 30.000 Einwohner auf einem Quadrat-Kilometer.
Allein diese Tatsache kann natür­lich schon gewisse Probleme mit sich bringen.
Wenn man sich jetzt Richtung Westen bewegt, kommt man zum Posillipo, den sich an der west­li­chen Küste des Golfes herzie­henden Stadtteils.
Die am Hang liegenden Häuser haben nicht nur zum größten Teil Dachterrasse mit traum­haften Ausblick über den ganzen Golf von Neapel Richtung Vesuv, sondern auch Garagen für die Autos, was in Neapel eine große Seltenheit ist.
Die Immobilienpreise sind hier so, dass sich die Gebäude nur wirk­lich Wohlhabende oder Millionäre aus dem Ausland als Zweitwohnung leisten können.

Sehr preis­güns­tiges Wohnen

Der Stadtteil Vomero auf dem gleich­na­migen Hügel ist quasi schon eine Stadt für sich – während das Quartiere Spagnoli darum kämpft, auch zu Neapel gehören zu wollen, will Vomero mit dem unter ihm liegenden Neapel gar nichts zu tun haben. 
Als ich bei meinem ersten Aufenthalt 2009 mit der Standseilbahn (Funicolare), die in der Geschichte Neapels eine lange Tradition hat, hoch nach Vomero fuhr, hatte dies schon seinen Reiz und dazu kam noch, dass im Wagen ein Herr mit einem Bandoneon für gute Stimmung sorgte.
Wenn man oben ist, meint man gar nicht in Neapel zu sein, wie man es kennt.
Vomero ist geprägt von prunk­vollen Alleen mit Plätzen und klei­neren Parks und sogar einem größeren, dem Parco di Villa Floridiana, was in Neapel schon eine große Seltenheit ist.

Was mir bei meinen zwei Neapel-​Aufenthalten 2012 aufge­fallen ist, ist die Problematik und die Sonderbarkeit (kommt von sonderbar nicht von beson­ders)  in der Anlage Neapels.

                                            Die Anlage Neapels

Neapel ist auf Höhen und Tiefen erbaut, hat viele abschüs­sige Straßen und dieses bringt gewisse Probleme mit sich.
Die Platzprobleme resul­tieren aus der immense Bevölkerungsdichte.
In den am Meer liegenden west­lich gele­genen Stadtteilen  Chiaia, Posillipo gehen die Straßen haar­na­del­artig den Berg steil zum Vomerohügel hinauf.
Aus früheren Schilderungen ist es so, dass man durch das ZickZack der Wege und Straßen erst vor dem Haus des Nachbarn hergeht (“… guten Morgen Herr Nachbar”) und dann kurze Zeit später nach dem ZickZack über dessen Kopf hinweg geht (“…Grüss Gott nochmal.”).
Man hat ihn also erst vor sich und schaut ihm ins Gesicht und dann unter sich und schaut ihm auf den Kopf.
Diese zwangs­mä­ßige Anlage des Wohnraums für die hier unter­zu­brin­genden Menschen hat Vor- und Nachteile.
Ob nun mit Auto oder zu Fuß, muss man immer gewisse Höhenunterschiede hinter bzw. unter sich lassen, bis man bei seiner Wohnung ist. 
Da ist natür­lich eine Standseilbahn keine schlechte Idee gewesen.
Auf der anderen Seite hat man hier natür­lich einen traum­haften Blick an fast jeder Stelle der aufstei­genden Straßen und Gassen – ein Wohnen mit Fernblick.

Wohnen mit Weitblick

Dies empfand nicht nur ich im September 2012, sondern auch der deut­sche Lyriker Carl Friedrich Benkowitz bei seiner inter­es­santen Beschreibung der Lage seiner Wohnung Anfang des 18. Jahrhunderts unter­halb des Castell Sant’ Elmo (“Helios der Titan” – Eine Zeitschrift aus Italien von dem Verfasser des Natalis – Drittes Heft, Leipzig 1804)

Was in meinem emotio­nalen Reisegedächtnis von meinem Besuch im Jahre 2012 hängen geblieben ist, sind die aufstei­genden engen Gassen, die ich nach einem Besuch des Stadtteils Vomero bestimmt eine Stunde herun­ter­ging. Der Blick über den Golf und auf den Jachthafen Napoli Mergellina zeigt sich quasi von jeder Stelle anders und ist atemberaubend.
Was die aufstei­genden Gassen in Neapel betrifft, ob nun hier in den west­li­chen Küstenstadtteilen
oder auch im Spanischen Viertel muss man sagen, dass dieses Motiv für den Blick eines Fotografen sehr reiz­voll ist.
Der eigent­liche Auslöser meiner Besuche von Neapel war nämlich ein Foto in einer Zeitschrift für Jazz und Klassik, wo Neapel als Musikstadt präsen­tiert wurde.
Als ich dieses Bild sah, wusste ich : “… da muss ich hin!”.

Die aufstei­genden Blickführungslinien, die eier­scha­len­far­benen Fassaden mit der über die enge Gasse hängenden Wäsche, die Palmen, die vor jeder Tür aufstei­gend stehen, das Morbide, dies zeigte mir schon den rausch­haften Charakter dieser Stadt, obwohl ich noch gar nicht da war.
Das Foto aus der Zeitschrift habe ich mir ausge­schnitten und es steht jetzt seit dem Jahre 2009 in meinem Wandregal als auslö­sender Inspirationsmoment für meine Besuche in Neapel.

Ich habe natür­lich in diesen Stadtteilen vor Ort diese, und zwar genau diese Gasse zu finden versucht, um sie selbst zu foto­gra­fieren. Das ist natür­lich kaum möglich, aber beim Vergleich mit den hunderten von Fotos, die ich in Neapel gemacht habe, kommen einzelne dem Motiv nahe, ob es natür­lich genau die Gasse ist, kann man kaum sagen, weil sich hier ja auch alles konti­nu­ier­lich verändert.

Inspirationsmomente


Die Farben von Neapel

Wie schon gesagt, war es nicht nur die Perspektive und das Motiv des Fotos, was mich ansprach, sondern die Farben. 
In frühen Jahren war hier haupt­säch­lich der am Posillipo abge­baute Tuffstein das Material für jegliche Bauvorhaben. Und dieser Tuffstein ist gelb wie Eierschalen.
Und er ist nicht nur gelb­lich, sondern auch weich.
Dieses hatte zur Folge, dass in dama­ligen Jahren alle mit Tuffstein belegten Bürgersteige so weich waren, dass man barfuss durch die Stadt gehen konnte.

Die Fassaden Neapels weisen zwei Grundtöne von Farben auf, nämlich eier­scha­len­gelb und weinrot. Dazu kommen deren Mischtöne.
Oftmals sind die Fassaden an Fensterumrundungen und Seitenpfeilern mit maus­grauem Farbton abgesetzt.
Man glaubt es kaum, doch der wein­rote Fassaden-​Farbton mit maus­grau abge­setzten Pfeilern ist neben dem Neapel-​Geruch bei mir am stärksten haften geblieben.

Das soge­nannte Eier-​Kastell (Castel dell’Ovo) war in frühen Jahren eine kleine Gefängnisinsel.
Heute ist es durch einen Steg mit dem Festland verbunden und hat neben Gastronomie auch eine Plattform mit alten Kanonen und einem hervor­ra­genden Ausblick auf Neapel vom Meer her und einen ange­glie­derten kleinen Jachthafen.
Neben einigen Legenden ist es eher dahin­ge­hend Castel dell’Ovo benannt, weil auch hier Tuffstein zum Bau benutzt wurde.

Castel dell’Ovo

                                             Gesamtkunstwerk

Durch meine Beschäftigung mit dem Werke Richard Wagners trieb es mich schon durch ganz Europa.
Der Golf von Neapel ist ein Punkt auf der Wagner-​Europakarte, der durch mehrere bedeu­tende Stationen im Leben und Schaffen des Jahrtausend-​Genies von großer Bedeutung ist.

Wagner verbrachte 8 Monate in der Villa Doria d’Angri, einer mäch­tigen Villa der Fürstin d’Angri, die dem immer auf der Flucht seienden, hier Asyl bot.
Es ist also nicht die Villa Richard Wagners, doch ist sie durch seinen Namen in die Geschichte dieser Stadt eingegangen.
“…hier leben sogar die Ruinen”, soll er gesagt haben.
Wagner strebte ja mit seinem Werk eine Reform der dama­ligen Opernwelt an und prägte dafür den Begriff des Gesamtkunstwerkes.
Das bedeutet, dass alle opti­schen und akus­ti­schen Kunstformen vier­di­men­sional zu einem Werk verschmelzen.

Villa Doria d’Angri – Posillipo

Genauso ist Neapel ein Gesamtkunstwerk.
Dies ist mir sofort beim ersten Aufenthalt aufge­fallen, denn alles verschmilzt hier.
Es gibt keine Grenzen mehr zwischen Sehenswürdigkeiten, Einwohnern und Touristen, was ja in vielen Städten die drei Elemente sind.
Denn hier ist ja alles eine Sehenswürdigkeit und im Strom der Menschen ist zwischen Einwohnern und Nicht-​Einwohnern ein Trennen nicht möglich.

Dementsprechend haben die Gassen, vor allem der Altstadt und des Spanischen Viertels, einen Charakter wie Adern im Corpus Neapolis.
Sie sind oftmals nicht einmal vier Meter breit und haben auf Fotos hoch­kant immer denselben Aufbau – eier­far­ben­gelbe Fassaden links und rechts, über der Straße gespannte Wäscheleinen und in der Ferne geht alles in ein helles Nichts über…

Morbide Schönheit

Wenn man auf den Mauern des hoch über der Stadt liegenden Castel Sant’ Elmo Richtung Altstadt schaut, erkennt man unschwer die Spaccanapoli, den soge­nannten “Neapel-​Spalter”.
Die ganze Altstadt ist nämlich von Westen nach Osten von einer immer geraden Gassen, die wirk­lich mehrere hinter­ein­ander liegende gera­deaus führende Gassen ist, durchzogen.

Spaccanapoli

Die Spaccanapoli zu durch­schreiten oder besser zu durch­wan­deln ist ein Spaziergang durch die jahr­hun­der­te­alte Geschichte des Gesamtkunstwerkes Neapel.
Hier zeigt sich auch die Kunst des Krippenbaus, der in Neapel voll zur Blüte kommt.

                                             (Aber)Gläubigkeit

Genauso kommt in Neapel der Glaube, besser der Aberglaube voll zur Blüte. Mein zweiter Besuch in Neapel war ja ziem­lich abwechs­lungs­reich, er beinhal­tete die Amalfiküste ein Besuch auf der Märcheninsel Capri … aber ein Ereignis war der Grund meines Besuches Mitte September 2012.

Und das ist das berüh­mete Blutwunder von Neapel jähr­lich am 19. September.
Jede italie­ni­schen Stadt hat einen Schutzpatron, Neapel den Heiligen San Gennaro, dessen Blut in zwei Ampullen in den Katakomben des Domes (Santa Maria Assunta Al Duomo) seit seiner Enthauptung im Jahre 305 n. Chr. aufbe­wahrt wird.

Es soll angeb­lich getrocknet sein, und wenn es sich bei der Prozession nach dem leichten Schütteln verflüs­sigt, ist alles klar, wenn nicht, kommt eine Katastrophe auf die Stadt zu.
Italiener sind ja sehr gläu­bige Menschen, nur hier ist es eher Aberglaube.

Neapel 25
Das Blut San Gennaro (Postkarte)

Um dieses Blutwunder spinnen sich ja mal wieder viele Legenden, die einen sagen, alles Quatsch, die anderen glauben fest daran …
Dieses Gemisch, auch ohne Chemikalien herzu­stellen ist kein Problem und für eine Mittelstufenklasse eines jeden Gymnasiums lösbar.

Auf alle Fälle hatte ich mindes­tens schon drei Stunden unter den harrenden Zuschauern gewartet, als die Stunde der Wahrheit kam.
Der Kardinal schritt in Gegenwart eines weiteren Priesters in die Katakomben und kehrte mit den in einer größeren Glasampulle ruhenden zwei Ampullen aus den Katakomben zurück.
Nun wurde das Ganze vom Kardinal vor den gebannt wartenen Zuschauern im über­füllten Dom (und auch vor mir) hin- und herbe­wegt und zwar sehr vorsichtig.…
… und tatsäch­lich, es wurde flüssig.
“Gott sei Dank”, dachte ich. 
Kurze Zeit später ging der Priester vor den gebannten Zuschauern hin und her und zeigte jedem sehr nahe vor dessen Augen das flüs­sige Blut.
Hierbei konnte man die (äußere) Ampulle auch noch küssen, was ich dann nicht machte.
Man soll es ja nicht übertreiben.

 

Zum Schluß noch eine kleine Anekdote :

Einer (wirk­lich) lieben Arbeitskollegin versprach ich, mich in meinem Hotel nackt in das Fenster mit dem Blick zum Vomerohügel zu stellen und mich von innen zu fotografieren.
Grenzt schon an Pornografie, aber bei der Hitze hier rennen so oder so alle nackend herum.

Was man für Arbeitskolleginnen nicht alles tut

Das Ganze schei­terte nicht an meiner (nicht vorhan­denen) Moral, sondern daran, dass mein Zimmer im selben Hotel diesmal weiter nach rechts lag und ich somit genau vor die Wand der nahe­lie­genden Kirche (Chiesa di Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta) schauen (bzw. fassen) konnte.
Ich löste die Kamera trotzdem aus, aber meine starke männ­liche Potenz ist auf dem Foto leicht verdeckt, was keine Absicht war.
Vielleicht kann ich das Ganze bei einem weiteren Besuch in Neapel erfolg­rei­cher wiederholen.
Nun war es so, dass diese Kollegin Ende 2013 schwanger wurde und die Firma verließ.
Gott sei Dank nicht von mir, sonst würde ich sicher nicht mehr nach Neapel kommen…

Was lernen wir daraus :

“Um so höher das Schöne steigt,
um so seltener kommt es vor”


*sh. auch meinen Beitrag :

Neapel I. (Aug. 2009)


* weitere Fotos zu Neapel in meiner Bildergalerie Italien :

Neapel (2009/​2012)

(HerrRothInNeapel)  

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