“Klingsors Zaubergarten ist gefunden!”
Richard Wagner hat zu (fast) allen seinen Werken eine sogenannte “Inspirations-Legende” erfunden, die in den unzähligen Briefen, Tagebuch-Einträgen und in seiner diktierten Auto-Biografie festgehalten worden sind.
Der Haken daran ist der, dass man, wenn man so eine Legende in die Welt gesetzt hat, auch bei der Variante bleiben muss, weil man sonst als Lügner entlarvt wird, bzw. sich selbst entlarvt.
Wagners “Inspirations-Legenden” beruhen meistens auf einer sogenannte “zeitversetzten Überraschungssemantik”.
Dieses bedeutet, dass der Schöpfer des Werkes den Moment der Idee einfach an einen anderen Ort oder an einen anderen Zeitpunkt verlegt, als er wirklich war und dies mit einem Überraschungseffekt.
“In dem Moment hatte ich die Idee…”, wer will das Gegenteil beweisen (?)
Nur ist durch oftmaliges genaues Prüfen herausgekommen, dass Wagner es verstand, das Ganze geschickt zu verlagern, um einen größeren, schlagkräftigen Effekte zu erzielen, es also zum Mythos oder zur Legende zu erheben.
Bei einzelnen dieser Legenden hat Wagner sogar in späteren Jahren selbst zugegeben, dass er sich entweder geirrt (?) oder es erfunden habe.
Fast jede dieser Legenden hat auch einen Namen, das Assunta-Erlebnis, die Erleuchtung von Biebrich, die Rheingold-Legende von La Spezia, die Karfreitags-Legende usw.
Soweit eine kurze Erläuterung des Begriffes “Inspirations-Legende”.
Doch nicht alles war erfunden, es gibt auch einzelne festgehaltene Momente, die nachweislich unverfälscht wirklich stattgefunden haben und der Wahrheit entsprechen.
Und einer handelt am Golf von Salerno unterhalb von Neapel, und zwar im Garten der…
…Villa Rufolo in Ravello.
Zur kurzen Erläuterung.
Die Villa Rufolo ist eine aus dem 13. Jahrhundert stammende prunkvolle Wohnanlage der einst wohlhabenden und einflussreichen aus Rom stammenden Familie Rufolo, die diesem Palastkomplex den Namen gab.
Die Villa sollte damals mehr Zimmer gehabt haben, als es Tage im Jahr gibt (so die Geschichtsbücher).
Die Architektur ist im maurisch, arabischen Stil gehalten.
Davon ist allerdings nicht soviel übrig geblieben.
Einem schottischen Industriellen ist es zu verdanken, dass heute überhaupt noch etwas zu sehen ist, denn er nahm eine grundlegende Umgestaltung Mitte des 18. Jahrhundert vor, die dem heutigen Zustand nahe kommt, von den 365 Zimmern ist allerdings nicht viel zu erkennen.
Der ganze Komplex ist durch ein spitzbogenartiges Tor eines massiven Turmes (Torre d’ingresso) zu betreten.
Der etagenlose Turm diente schon in frühen Jahre nur als Schmuck-Element und hatte keine Verteidigungsfunktion, er symbolisiert einen prunkvollen Eingang in eine andere Welt, die einen jeden Besucher verzaubern soll.
Für einen heutigen Besucher ist dies auch zu erkennen, weil man durch diesen gotischen Turm in ein wahres Paradies kommt.
Wie man der obrigen Karte entnehmen kann, kann man den ganzen Komplex in einer Art Wander-Route ergründen und erforschen.
Im Innenbereich befindet sich ein durch einen überwachsenen Kreuzgang gesäumter Hof mit grün umrankten Nischen, Bänke und Pavillions, mit Arabesken und Doppelsäulen fantasievoll gestaltet.
Die Villa besitzt auch eine kleine Kapelle (Santa Maria delle Grazie), die unzählige Reise-Prospekte ziert.
Neben dem turmartigen Eingang (Torre d’Ingresso) gibt es einen weiteren 30 Meter hohen Wohn-Turm mit 3 Ebenen (La Torre Maggiore).
Dieser ist der älteste Teil des gesamten Komplexes, was auch symbolisch die damalige Macht der Familie Rufolo darstellt.
Den eigentlichen Reiz des gesamten Komplexes machen aber nicht die heute zum größten Teil nur noch in Ruinen erhaltenen Gebäude und Wohnbereiche aus, sondern die zauberhaft angelegten Gärten mit Zypressen, Aloen und Rosenhecken.
Alle Sinne werden mal wieder angesprochen, was an die Flora auf dem nicht weit entfernten Capri erinnert.
Das Prunkstück von allem ist der terrassenförmig angelegte Garten, der wie eine Art Balkon (Belvedere) mit einem zauberhaften Blick über den ganzen Golf von Salerno ragt.
Hierin erkennt man die Wahl des Bauplatzes der wohlhabenden Familie, die sich diesen Ausblick zu eigen machte, ob nun mit 365 Zimmern oder ohne.
In einigen Innenräumen der Villa finden heute Ausstellungen statt.
Die Villa ist heute auch Sitz des Centro Universitario Europeo per i Beni Culturali (Universitätszentrum kulturelles Erbe).
Ohne noch tiefer ins architektonische Detail zu verfallen, zeigt sich hier, wie an vielen anderen Orten in Italien, die reizvolle Fusion von einstig prunkvoller Macht und der Verfall von heute, alles vereinnahmt durch die umrankende Natur.
Das ganze scheint nicht ein Werk von Menschen zu sein, sondern mit seiner Verborgenheit und Zauberhaftigkeit von der Natur selbst geschaffen.
Als Abschluss meiner Wanderung 2012 an der Amalfiküste und einer Nacht in Amalfi, fuhr ich mit dem Bus zum hoch über dem Golf liegenden Dorf RAVELLO.
Genau wie auf Capri herrscht hier ja auch die fantasievolle Kunst der Keramik, von der überall verschiedene Gebrauchsgegenstände angeboten werden.
Nun betrat 132 Jahre vor mir noch ein anderer diesen “Zaubergarten”, und durch ihn wurde er eigentlich erst weltberühmt.
Denn am 26. Mai 1880 fuhr Richard Wagner mit der Familie nach Amalfi und unternahm mit der Eselskarre einen Aufritt nach Ravello.
Was er hier im Villen-Komplex vorfand, kann von dem, was einen heute hier bezaubert, kaum abweichen.
“Die Zeit ist da, schon lockt mein Zauberschloss den Toren…”
(Parsifal, 2. Aufzug, 1. Scene)
Als Wagner den Garten betrat, zeigte sich wieder einmal, dass Künstler immer mehr sehen, als andere – denn er glaubte, hier den Zaubergarten für den 2. Act seines “Parsifals” zu erkennen.
Man muss eben das sehen, was andere nicht sehen und dazu gehört schon etwas Fantasie, und diese haben ja meist große Schöpfer.
Nach dem Dialog von Kundry mit dem Zauberer Klingsor erscheint ein Zaubergarten mit holden, verführerischen Blumenmädchen.
Ich erlaube mir die Regieanweisungen Wagners zu zitieren :
Er (Klingsor) versinkt schnell mit dem ganzen Turme ; zugleich steigt der Zaubergarten auf und erfüllt die Bühne völlig. Tropische Vegetation, üppige Blumenpracht ; nach dem Hintergrunde zu Abgrenzungen durch die Zinne der Burgmauer, an welche sich seitwärts Vorsprünge des Schloßbaues selbst (arabischen reichen Stils) mit Terrassen anlehnen.
Auch wenn Wagners Schreibstil ja manchmal schwer verständlich ist, erkennt man ohne viel Fachwissen, dass es sich hier um einen Garten besonderer Art handeln muss.
Und das ist ja auch in der Villa Rufolo der Fall.
“Wie stolz er nun steht auf der Zinne !
Wie lachen ihm die Rosen der Wangen
Da kindisch erstaunt
In den einsamen Garten er blickt!”
(Klingsor, 2. Aufzug)
Genau wie alle Besucher und der Schöpfer des Werkes selbst, blickt auch der Protagonist des Werkes, Parsifal, wie gebannt und erstaunt in diesen Garten. Wen wundert es…
Doch am Ende des zweiten Aufzuges zeigt sich dann, dass uneingeschränkte Macht auch schnell am Ende ist.
“…in Trauer und Trümmer
Stürz’ er die trügende Pracht!”
(Parsifal, Ende des 2. Aufzugs)
Alles verdorrt zur Einöde und das Schloss versinkt wie durch ein Erdbeben.
Im Garten der Villa Rufolo erkennt man ja die einstige Macht, trotzdem ist ja nicht alles zerstört, sondern ist in einer zaubervollen Fusion von Einst und Jetzt der Nachwelt erhalten.
Nach diesem Erlebnis trägt Richard Wagner den berühmten Spruch in das Gästebuch der Villa ein.
Der immer mitreisende russische Maler Paul von Joukowsky malte daraufhin die Szenerie des Zaubergartens für das Bühnenbild des zweiten Actes, welches lange Jahre noch in Bayreuth für die Aufführungen verwendet wurde.
In Andenken an den Besuch Richard Wagners findet hier alljährlich das Ravello-Festival mit namhaften Musikern aus aller Welt statt.
Dazu wird eine Orchesterbühne erbaut, die weit über die südliche Mauer hinaus reicht, was den Besucher und Zuschauer den Blick über den Golf noch in erweiterter Form erscheinen lässt.
Das hätte dem damals schon multimedial talentierten Wagner sicher gefallen, denn die wahre Welt fängt immer da an, wo man aufhört sie zu sehen.
Was lernen wir daraus :
“Wer führt das Schwert des Sieges,
spürt schnell das Schwert des Todes”
* Kurze Erläuterung des Zitats :
Die einstige Macht der Familie war am Ende und alles verfiel,
genau wie Klingsor im Zauberschloss den Speer hütend die Macht
besitzt, wird seine Macht durch den Speer in der Hand eines anderen
gebrochen und er (Klingsor) endet im zusammenbrechenden Schloss.
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* sh. auch meine Bilder-Galerie Italien Ravello
* Ravello-Festival (http://www.ravellofestival.com)
* Fondatione Ravello (http://fondazioneravello.com/website/)
* Villa Rufolo Ravello (http://villarufolo.com)