Santo Spirito Florenz (Aug. 2014)

Die Ruhe im Süden”

Es gibt ja viele Städte, durch die ein Fluss läuft – Dresden, Düsseldorf, Riga, Budapest, Avignon , Verona

… und eben auch  FLORENZ.

Da fragt man sich, “…ist dies eine Teilung oder eine Vereinigung?”, was ja nahe beiein­ander liegen kann.
Liebe kann auch schnell in die Nähe des Todes rücken, was ja sicher viele in ihrem Leben schon einmal gespürt haben mögen.

Die Stadtteile weg von Zentrum, also z.B. ober­halb oder unter­halb des jewei­ligen Flusses, haben oftmals den Reiz, dass sie die Nobelteile der jewei­ligen Stadt sind oder eben von den Scharen der Menschenströme nicht erreicht werden.

So auch in der Kunstmetropole Florenz.

Der fran­zö­si­sche Schriftsteller STENDHAL alias Henri Beyle machte bei seiner Italienreise einen Stopp in Florenz und hat dort eine epochale Entdeckung gemacht, die ich mir erlaube zu zitieren :

Ich befand mich in einer Art Ekstase bei dem Gedanken in Florenz und den Gräbern so vieler Größen so nahe zu sein … ich sah sie aus nächster Nähe und berührte sie fast. Ich war auf dem Punkt der Begeisterung ange­langt, wo sich die himm­li­schen Empfindungen, wie sie die Kunst bietet mit leiden­schaft­li­chen Gefühlen gatten. Als ich die Kirche verließ, klopfte mir das Herz … mein Lebensquell war versiegt und ich fürch­tete umzufallen.”
(“Reise In Italien. Rom-​Neapel-​Florenz”, S.166)

Dies schrieb er in seinem Italienbuch sehr plas­tisch und fanta­sie­voll nieder, als er 1817 diese Kunstmetropole besuchte.

Dies kann ich auf zwei­erlei Weise gut nachvollziehen.

Wenn ich an meinen ersten Neapel-​Aufenthalt im Jahre 2009 zurück­denke und an den ersten Eindruck von dieser Stadt (Neapel), so komme ich den Beschreibungen des Herrn Stendhal sehr nahe.
Zum zweiten merkte ich bei meinem Florenz-Aufenthalt 2014 einen ähnli­chen Zustand, nur dieser kam daher, dass mir schwin­delig und schwarz vor Augen wurde, als ich die Preise in Florenz sah.

Mein Aufenthalt war als solches nur als Vergleich mit meinem hoch­ver­ehrten Bologna gedacht.
Um es kurz zu machen, man kann ca. 2–3 Mal nach Bologna reisen, für einmal nach Florenz.

Herr Stendhal ist mit seiner Feststellung sogar in die Geschichte einge­gangen, und zwar mit dem soge­nannten Stendhal-​Syndrom – ich werde wahr­schein­lich etwas länger brau­chen, um in die Welt-​Geschichte einzugehen.

Mein erster Eindruck von Florenz war der, dass ich das Gefühl hatte, Florenz sei ein Vorort von Tokio.
Außerdem ist an die so hoch beju­belten Kunstschätze kaum heran­zu­kommen, weil man erst einen Kredit aufnehmen und sich schon nachts vor die Tür setzen muss.
Das Centro Storico hat natür­lich seinen Reiz – vor allem in abend­li­cher Stunde mit seinem Platz (P.za della Signora) mit dem Pal. Vecchio und dem leicht verkrampft einher blickenden Neptun auf dem gleich­na­migen Brunnen (Fontana del Nettuno).
Und natür­lich wie überall in Florenz mit Michelangelos “David” vor dem Eingang des Palazzos.

Kaum zu verkennen…

Jetzt kam mir in den Sinn, an einem 37° Grad warmen Tag in Florenz, einmal die “Enklave” in Süden unter­halb des Arno aufzusuchen.

Und diese Enklave im Süd-Westen …

… ist der Stadtteil  SANTO SPIRITO.

Über eine der zahl­rei­chen Brücken gehend, bietet sich schon ein impo­santer Blick über den Arno.

Blick über den Arno

Schon der erste Eindruck der wesent­lich ruhiger erschei­nenden Straßen und Gassen, ließ einiges vermissen, kaum flie­gende Händler, sehr wenige Hotels und kaum Touristen.
Dies zeigt, dass es eher der Stadtteil der normalen in
Florenz lebenden Menschen ist – aber halt … immer wieder kam mir das deut­sche Autokennzeichen M vor die Augen – zur Erläuterung : M wie München, Freistaat Bayern, West-​Germany.
Man räumte eifrig Möbel in ein Haus ein – es scheint also doch noch erschwing­lich zu sein, eine Zweitwohnung in Florenz zu erstehen, aber wahr­schein­lich nur für Mitbürger aus dem südli­chen Bayern.

Fassaden im Süden

Wenn man über die Plätze dieses Teiles der Stadt schlen­dert, merkt man doch den Unterschied zum Centro Storico, es strahlt wesent­lich mehr Ruhe aus, also quasi die “Ruhe im Süden”.

Ein Herr Stendhal wäre hier sicher nicht in Ekstase geraten, hier kommt man eher zur Ruhe, auch wenn ich mich hier nicht zur Ruhe setzen kann, das dauert noch ein bisschen…
Santo Spirito ist zwar nicht auto­frei, wie das Centro Storico, was aller­dings auch gar nicht nötig ist.
Die schnur­ge­rade flie­ßende Borgo S. Frediano
Via Pisana zeigt an ihrem Anfang ein gut erhal­tenes mittel­al­ter­li­ches Stadttor, was symbo­lisch zum Einschreiten durch große Holztore einlädt.
Die zahl­rei­chen kleinen Plätze ließen bei mir die Erinnerungen an die Provence hochkommen.

Ein Platz für Denker

Bei so viel Melancholie verliert man schnell das Gefühl für Raum und Zeit. Eines fällt jedem Besucher von Florenz auf, und das sind die unzäh­ligen Gedenktafeln an den Hausfassaden, also die Stätten, wo einst große Künstler, Schriftsteller und Komponisten gewirkt haben.

Die Stätten großer Schöpfer

Ein Name fiel mir ins Auge und mein Gedächtnis versagte für kurze Zeit … nämlich Louis Aragon.

Als ich meinen Schritt wieder Richtung Arno lenkte, ließ mir dies keine Ruhe…wo war mir dieser Name in früheren Jahren einmal begegnet ?
Am Arno stehend kam mir die Erleuchtung…
Der fran­zö­si­sche Surrealismus - der Stil der dama­ligen Zeit in der Kunst und auch in der Literatur, hatte mein Denken in früheren Jahren stark mit sich gerissen.
Dieser Stil hat ein großes Spektrum an Fantasie.
An der Seite von Andre Breton, Paul Eluard und Soupault  prägte Aragon schrift­stel­le­risch diesen Stil, und das anschei­nend nicht nur in Frankreich, sondern auch hier im Süden von Florenz, wo er sicher mehr Ruhe zum Arbeiten fand, als in mancher Großstadt.

Doch erleich­tert, dass mein Gedächtnis noch nicht ganz am Ende ist, schlen­derte ich wieder über eine der Brücken Richtung Centro Storico.
Hier kam dann die Realität der touris­ten­über­flu­teten Plätze und Gassen zurück.

Man muss schon den rich­tigen Durchblick haben, ob nun Stendhal oder Louis Aragon … oder man selbst.
Diesen “Durchblick” fing dann aller­dings meine Kamera auch ohne Schwindelattacken ein…

Durchblicke in Florenz


Was lernen wir daraus :

Nie zeigt sich die Schönheit stärker,                                                        als im Moment ihres Vergehens”

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* weitere Fotos von Florenz in meiner Bildergalerie Italien :

Florenz


(HerrRothBesucht)

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