“Die Ruhe im Süden”
Es gibt ja viele Städte, durch die ein Fluss läuft – Dresden, Düsseldorf, Riga, Budapest, Avignon , Verona …
… und eben auch FLORENZ.
Da fragt man sich, “…ist dies eine Teilung oder eine Vereinigung?”, was ja nahe beieinander liegen kann.
Liebe kann auch schnell in die Nähe des Todes rücken, was ja sicher viele in ihrem Leben schon einmal gespürt haben mögen.
Die Stadtteile weg von Zentrum, also z.B. oberhalb oder unterhalb des jeweiligen Flusses, haben oftmals den Reiz, dass sie die Nobelteile der jeweiligen Stadt sind oder eben von den Scharen der Menschenströme nicht erreicht werden.
So auch in der Kunstmetropole Florenz.
Der französische Schriftsteller STENDHAL alias Henri Beyle machte bei seiner Italienreise einen Stopp in Florenz und hat dort eine epochale Entdeckung gemacht, die ich mir erlaube zu zitieren :
“Ich befand mich in einer Art Ekstase bei dem Gedanken in Florenz und den Gräbern so vieler Größen so nahe zu sein … ich sah sie aus nächster Nähe und berührte sie fast. Ich war auf dem Punkt der Begeisterung angelangt, wo sich die himmlischen Empfindungen, wie sie die Kunst bietet mit leidenschaftlichen Gefühlen gatten. Als ich die Kirche verließ, klopfte mir das Herz … mein Lebensquell war versiegt und ich fürchtete umzufallen.”
(“Reise In Italien. Rom-Neapel-Florenz”, S.166)
Dies schrieb er in seinem Italienbuch sehr plastisch und fantasievoll nieder, als er 1817 diese Kunstmetropole besuchte.
Dies kann ich auf zweierlei Weise gut nachvollziehen.
Wenn ich an meinen ersten Neapel-Aufenthalt im Jahre 2009 zurückdenke und an den ersten Eindruck von dieser Stadt (Neapel), so komme ich den Beschreibungen des Herrn Stendhal sehr nahe.
Zum zweiten merkte ich bei meinem Florenz-Aufenthalt 2014 einen ähnlichen Zustand, nur dieser kam daher, dass mir schwindelig und schwarz vor Augen wurde, als ich die Preise in Florenz sah.
Mein Aufenthalt war als solches nur als Vergleich mit meinem hochverehrten Bologna gedacht.
Um es kurz zu machen, man kann ca. 2–3 Mal nach Bologna reisen, für einmal nach Florenz.
Herr Stendhal ist mit seiner Feststellung sogar in die Geschichte eingegangen, und zwar mit dem sogenannten Stendhal-Syndrom – ich werde wahrscheinlich etwas länger brauchen, um in die Welt-Geschichte einzugehen.
Mein erster Eindruck von Florenz war der, dass ich das Gefühl hatte, Florenz sei ein Vorort von Tokio.
Außerdem ist an die so hoch bejubelten Kunstschätze kaum heranzukommen, weil man erst einen Kredit aufnehmen und sich schon nachts vor die Tür setzen muss.
Das Centro Storico hat natürlich seinen Reiz – vor allem in abendlicher Stunde mit seinem Platz (P.za della Signora) mit dem Pal. Vecchio und dem leicht verkrampft einher blickenden Neptun auf dem gleichnamigen Brunnen (Fontana del Nettuno).
Und natürlich wie überall in Florenz mit Michelangelos “David” vor dem Eingang des Palazzos.
Jetzt kam mir in den Sinn, an einem 37° Grad warmen Tag in Florenz, einmal die “Enklave” in Süden unterhalb des Arno aufzusuchen.
Und diese Enklave im Süd-Westen …
… ist der Stadtteil SANTO SPIRITO.
Über eine der zahlreichen Brücken gehend, bietet sich schon ein imposanter Blick über den Arno.
Schon der erste Eindruck der wesentlich ruhiger erscheinenden Straßen und Gassen, ließ einiges vermissen, kaum fliegende Händler, sehr wenige Hotels und kaum Touristen.
Dies zeigt, dass es eher der Stadtteil der normalen in Florenz lebenden Menschen ist – aber halt … immer wieder kam mir das deutsche Autokennzeichen M vor die Augen – zur Erläuterung : M wie München, Freistaat Bayern, West-Germany.
Man räumte eifrig Möbel in ein Haus ein – es scheint also doch noch erschwinglich zu sein, eine Zweitwohnung in Florenz zu erstehen, aber wahrscheinlich nur für Mitbürger aus dem südlichen Bayern.
Wenn man über die Plätze dieses Teiles der Stadt schlendert, merkt man doch den Unterschied zum Centro Storico, es strahlt wesentlich mehr Ruhe aus, also quasi die “Ruhe im Süden”.
Ein Herr Stendhal wäre hier sicher nicht in Ekstase geraten, hier kommt man eher zur Ruhe, auch wenn ich mich hier nicht zur Ruhe setzen kann, das dauert noch ein bisschen…
Santo Spirito ist zwar nicht autofrei, wie das Centro Storico, was allerdings auch gar nicht nötig ist.
Die schnurgerade fließende Borgo S. Frediano – Via Pisana zeigt an ihrem Anfang ein gut erhaltenes mittelalterliches Stadttor, was symbolisch zum Einschreiten durch große Holztore einlädt.
Die zahlreichen kleinen Plätze ließen bei mir die Erinnerungen an die Provence hochkommen.
Bei so viel Melancholie verliert man schnell das Gefühl für Raum und Zeit. Eines fällt jedem Besucher von Florenz auf, und das sind die unzähligen Gedenktafeln an den Hausfassaden, also die Stätten, wo einst große Künstler, Schriftsteller und Komponisten gewirkt haben.
Ein Name fiel mir ins Auge und mein Gedächtnis versagte für kurze Zeit … nämlich Louis Aragon.
Als ich meinen Schritt wieder Richtung Arno lenkte, ließ mir dies keine Ruhe…wo war mir dieser Name in früheren Jahren einmal begegnet ?
Am Arno stehend kam mir die Erleuchtung…
Der französische Surrealismus - der Stil der damaligen Zeit in der Kunst und auch in der Literatur, hatte mein Denken in früheren Jahren stark mit sich gerissen.
Dieser Stil hat ein großes Spektrum an Fantasie.
An der Seite von Andre Breton, Paul Eluard und Soupault prägte Aragon schriftstellerisch diesen Stil, und das anscheinend nicht nur in Frankreich, sondern auch hier im Süden von Florenz, wo er sicher mehr Ruhe zum Arbeiten fand, als in mancher Großstadt.
Doch erleichtert, dass mein Gedächtnis noch nicht ganz am Ende ist, schlenderte ich wieder über eine der Brücken Richtung Centro Storico.
Hier kam dann die Realität der touristenüberfluteten Plätze und Gassen zurück.
Man muss schon den richtigen Durchblick haben, ob nun Stendhal oder Louis Aragon … oder man selbst.
Diesen “Durchblick” fing dann allerdings meine Kamera auch ohne Schwindelattacken ein…
Was lernen wir daraus :
“Nie zeigt sich die Schönheit stärker, als im Moment ihres Vergehens”
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* weitere Fotos von Florenz in meiner Bildergalerie Italien :