“Goethes Garten”
Auf Goethes “Italienische Reise” kann man ja bei einem Italienbesuch sehr gut zurückgreifen.
Goethe hatte auf dem Hinweg allerdings nur eins im Kopf, nach Rom, nach Rom, nach Rom…
Dadurch sind einige andere bedeutende Städte ausgenommen Venedig (28.09.–14.10.1786), auf der Strecke geblieben, wo es sicher auch in damaliger Zeit einiges zu sehen gab und wofür ein Tag nicht ausreicht.
Und einer dieser Städte ist VERONA, wo unser Goethe zwischen dem 16. und 17.09.1786, also nur ein Tag weilte, aber doch relativ ausführlich seine Eindrücke beschreibt.
Bei meinem Verona-Besuch Anfang Oktober 2017 fragte ich mich, wie Goethe es geschafft hat, hier schon nach einem Tag abzureisen – ich war zwar auch nur 4 Tage dort, aber trotzdem ist Verona eine Stadt, wo man schon drei Tage braucht, um alle Kirchenkomplexe, Adels-Paläste, Museen und Aussichtspunkte ansatzweise aufzusuchen.
Doch eines ließ Herr Goethe und auch meine Wenigkeit sich nicht entgehen, und das ist der…
… Giardino Giusti.
Dieser besagte Garten liegt östlich der historischen Altstadt auf der anderen Seite der Etsch.
Der gesamte, auf verschiedenen Ebenen angelegte Gartenkomplex, ist durch den Palazzo Giusti von der Via Giardino Giusti zu erreichen.
Dieser Palazzo stammt aus dem Jahre 1570, auf einem Terrain, wo vormals eine Wollfärberei der wohlhabenden Familie Giusti stand.
Wollfärberei war einer der Hauptzweige des damalige Wohlstands Veronas.
Dieser “U‑förmige” Bau wurde Ende des 16. Jahrhunderts Sitz der noch heute aktiven Accademia Filarmonica von Verona.
Die Utensilien der aus der Toskana stammenden Familie aus dem Jahren 1880 – 1920 sind in einer Art Museum hier der Öffentlichkeit in den Räumen des Palazzos zugänglich.
Wenn man vor dem Palazzo auf der Straße steht, an dessen Außenwände der Putz abblättert, vermutet man gar nicht, welches Kleinod sich dahinter verbirgt.
Der Garten zeigt sich dem Besucher so, wie der Ritter und Edelmann Agostino Giusti (1548–1615) ihn 1570 entworfen und hat anlegen lassen.
Es vereinigt sich wie oftmals Natur, Kunst und Geschichte auf engem Raum und bietet eine architektonische Schönheit mit langer Tradition.
Der Garten wurde als Hintergrund des Palazzos Giusti konzipiert und steigt langsam nach Osten an und zieht sich den Hang hinauf.
Als solches ist der Garten nicht unbedingt groß, aber sehr abwechslungsreich, sodass jeder Standpunkt neue Eindrücke bietet.
Man hat auf mehreren Ebenen einige Terrassen angelegt, womit sich beim Aufstieg nach und nach gemäß des vorgegebenen Parcours ein anderer Blick über die Stadt freilegt.
Pavillons, Brunnen, Pergolen, Skulpturen, mythologische Figuren, Grotten, in Form eines Labyrinthes angelegter Buchsbaum-Hecken-Komplex und Aussichtsplateaus vereinigen sich und laden zum genießendem Bummeln ein.
In den Brunnen findet man etwas, wovon man auf den ersten Blick denkt, dass es sich um eine Verzierung aus Ton handelt, nur nach kurzer Zeit merkt man, dass es lebende Wasserschildkröten sind.
Wasserschildkröten können meines Wissens nach sehr alt werden und sind in der Anschaffung teuer.
Auch wenn man kein Zoologe ist, fällt einem auf, dass die Jungtiere einen bunter gezeichneten Panzer haben, als die älteren Tiere.
Wieder was dazu gelernt.
Wenn man nun durch den Torbogen in den atriumartigen Innenhof schreitet, merkt man, dass dieser in frühen Jahren gut für musikalische und theatralische Aufführungen und Veranstaltungen geeignet war und noch ist.
Hier fand im Jahre 1581 eine Aufführung der “Aminta”, einem Hirtenspiel in 5 Akten von Torquato Tasso statt.
Desweitere fällt jedem interessierten Besucher sofort eines auf, dass nämlich der ganze Garten von einer Baumart beherrscht wird, und zwar der Zypresse.
Die steil in den Himmel aufsteigenden Bäume sind bis zu 600 Jahre alt.
Vor dem Atrium aus dem 16. Jahrhundert liegt die berühmte Zypressenallee.
Und jetzt betritt neben vielen anderen Besuchern ein Protagonist die Bühne, durch den dieser Garten literarisch unsterblich geworden ist, nämlich J.W.v.Goethe.
Unser Goethe (wie man so schön sagt), betrat nämlich den Garten am 17.09.1786 bei seinem nur eintägigen Besuch von Verona und legt diesen Besuch auch in seiner “Italienischen Reise” ausgedehnt vor – ihn begeisterten vor allen Dingen die Zypressen.
Die sogenannte “Goethe-Zypresse”, die zu Goethes Besuch schon 300 Jahre auf dem Buckel hatte, ist besonders gekennzeichnet mit einem Schild, auf dem die Stelle aus seinem Buch in 4 Sprachen zitiert wird.
Jetzt erlaube ich mir diese Stelle aus der “Italienischen Reise” (etwas lesbarer) zu zitieren :
“Aber merkwürdiger Weise war mir’s, daß heute früh, da sie alle mit Blumen, Gemüse, Knoblauch und so vielen andern Markterzeugnissen durcheinander liefen, ihnen der Zypressenzweig nicht entging, den ich in der Hand trug.
Einige grüne Zapfen hingen daran, und daneben hielt ich blühende Kapernzweige.
Sie sahen alle, groß und klein, mir auf die Finger und schienen wunderliche Gedanken zu haben.
Diese Zweige bracht’ ich aus dem Garten Giusti, der eine treffliche Lage und ungeheure Zypressen hat, die alle pfriemenartig in die Luft stehen.
Wahrscheinlich sind die spitz zugeschnittene Taxus der nordischen Gartenkunst Nachahmungen dieses herrlichen Naturprodukts.
Ein Baum, dessen Zweige von unten bis oben, die ältesten wie die jüngsten, gen Himmel streben, der seine dreihundert Jahre dauert, ist wohl der Verehrung wert.
Der Zeit nach, da der Garten angelegt worden, haben diese schon ein so hohes Alter erreicht …” (“Italienische Reise” – Seite 51).
Wie man dem Text entnehmen kann, war Goethe damals so dreist und hat den Ast einer Zypresse mit Zapfen dran von diesem Baum abgebrochen und einfach mitgehen lassen, auf Deutsch gesagt, “geklaut”.
Man sieht, dass auch solch berühmte hochgeistige Persönlichkeiten vor gewissen “Taten” nicht zurückschrecken.
Nur zeigt sich hier Goethes schlechtes Gewissen, weil er das Gefühl hatte, dass, zurückgekehrt in die Stadt, alle auf den abgebrochenen Zweig schauten.
Ob dies nun stimmt oder nicht, zeigt es, dass Goethe doch ein gutes Herz hatte.
Schon auf dem Hinweg fiel mir ein kleines, unscheinbares Geschäft in der Via Giardino Giusti mit Tanz-Utensilien auf, und man denkt natürlich unwillkürlich, warum hier so ein Geschäft ist (?).
Die Antwort kam kurze Zeit später.
Denn am nördlichen Rand des Gartens steht ein kleines rotgefärbtes Gebäude, aus dem Musik erklang.
Dieses Gebäude beherbergt einen Teil der Tanzschule, was ja im Umfeld eines so
bezaubernden Gartens keine schlechte Idee ist.
Direkt neben dem Garten nach Norden, liegt allerdings eine Sekundarschule (Istituta Campostrini), die den Grund der Platzierung einer Tanzschule in diesem Garten schon etwas realistischer begründet.
Neben römischen Fundstücken locken auch interessante Blumen- und Pflanzen-Kollektionen, wie der Granatapfelbaum und Passionsblumen das Auge an und das nicht nur von Herrn Goethe.
Mindestens 2 Stunden Zeit sollte man sich schon nehmen, weil dieser Garten ergründet werden will, und von jedem Standpunkt sich ein neuer Blick ergibt, vor allen Dingen beim Aufstieg, der den Ausblick von der Terrasse des Castel San Pietro nördlich der Etsch gelegen, in nichts nachsteht.
Also bitte ein bisschen mehr Zeit nehmen als unser Goethe.
******************
* Giardino Giusti
Via Giardino Giusti, 2 , 37129 Verona – Italia
https://giardinogiusti.com/it/
info@giardinogiusti.com
Ganzjährig von 9 bis 19 Uhr geöffnet
* “Italienische Reise”
(Verlag C.H.Beck München 1981, 748 Seiten,
Kapitel “Verona bis Venedig, Seite 40 bis 51)
*************
* siehe auch meine Bilder-Galerie :