“Die Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners
und der griechischen Tragödie
anhand von exemplarischen Beispielen”
- Teil 1 -
Vorwort
Der Chor an sich war schon immer ein wirkungsvolles “Instrument” für Einleitungen, Überbrückungen, Interludes in einem kompositorischen Werk.
Aber nicht nur Komponisten haben sich über dieses Symptom Gedanken gemacht, neben Philosophen gibt es auch Schriftsteller, für die das Symptom des Chores von Interesse war/ist.
Neben Fr. Schiller, allen voran natürlich Fr. Nietzsche, der in einem seiner frühen Werke den Chor sogar als Auslöser der griechischen Tragödie hinstellt.
Wenn man sich nun dem Werk Wagners nähert, wird man als Uneingeweihter nicht annehmen, welche immense Rolle die Chöre im Gesamtkunstwerk Wagners haben.
Hierbei geht es neben den menschlichen Stimmen und Stimmvolumen schon um einen Teil der Gesamtkomposition und der Choreografie durch die geschickte Platzierung, Bewegung und Dichte.
Hier sei neben soviel Theorie die Praxis anhand der alljährlich stattfindenden halb-szenischen Inszenierung von Wagners “Tannhäuser” im Festsaal der Wartburg bei Eisenach als exemplarisches Beispiel zu betrachten.
Denn diese Inszenierung bringt neben der hervorragenden Akustik, vieles, was eine normale Opernaufführung nicht erreicht und erreichen kann. Daher wird diese von mir als Musterbeispiel in Teil 3 verwendet.
Struktur : Vorwort
(*) Chorale Scenen in den Werken Richard Wagners
(**) Voranstellung
A.) Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie
B.) Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners
C.) Chöre Wagner - Bellini
D.) Chorale Scenen in Wagners “Tannhäuser” (5 Beispiele)
E.) Umsetzung choraler Scenen in der halbszenischen
Inszenierung im Festsaal der Wartburg Eisenach
(***) Resümee
(*) Chorale Scenen in den Werken Richard Wagners (8 Beispiele):
a) Rienzi der letzte der Tribunen : Chor der Friedensboten (2. Act)
b) Der Fliegende Holländer : Chor der Seeleute (1./3. Act)
c) Tannhäuser : Pilgerchor (1./3. Act)
d) Lohengrin : Brautzug (3. Act)
e) Tristan und Isolde : Chor der Seeleute (1. Act)
f) Die Meistersinger von Nürnberg : Aufzug der Zünfte Festwiese (3. Act)
g) Götterdämmerung : Chor der Gibichungen-Mannen (2. Act)
h) Parsifal : Chor der Knappen und Gralsritter (1. Act)
(**) Voranstellung
Im Vorfeld sei gesagt, dass in (fast) jedem Werk Richard Wagners chorale Scenen auftauchen, sich platzieren und in die Handlung eintreten.
Hierbei handelt es sich allerdings nicht um fest stehende Chöre als Einzelteil, sondern um geschickt platzierte und kompositorisch verwendete chorale Scenen.
Der Vollständigkeit halber seien hier einige genannt.
Schon im kriegerischen Frühwerk “Rienzi, der letzte der Tribunen” wird der sogenannte Chor der Friedensboten im 2. Act noch einzeln hingestellt, während in den Folge-Werken eine Einzelstellung selten wird.
Der Chor der Seeleute im “Fliegenden Holländer” im 1. und 3. Act symbolisiert das Tosen des Ozeans und die Verfluchtheit des Meeres, wobei einem der Wind schon ins Gesicht bläst und dieses im Chor auf seine Weise erscheint.
Im Problem- und Umbruchswerk “Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg” wird das weihe- und würdevolle im Pilgerchor gezeigt, der immer in Bewegung (!) in verschiedenen Acten auftritt.
Der “Lohengrin” zeigt gebündelt, wie ein Chor als einzelner Statist von Wagner geschickt eingesetzt wird, aber dem nicht genug, die besonderen Chöre in diesem frühen Werk agieren immer reaktiv und reagierend, sie treten antwortend ein, es wird eine Frage gestellt und der Chor antwortet und wird, wenn man es ernst nimmt, der Rolle eines Chores enthoben.
In “Tristan und Isolde” ist der Chor der Seeleute im 1. Act auch als einzelner mitspielender Statist zu sehen, es dreht sich alles um die Hauptfiguren (Tristan und Isolde) , aber die Außergewöhnlichkeit des Tristan ist, dass die Handlung in den Hintergrund tritt und der Hauptstatist auf der Bühne das Orchester wird.
Es wird die Beziehung kompositorischer Elemente zu außermusikalischen Verhältnissen von Wagner auf die Spitze getrieben.
Somit passt der Chor des 1. Actes auch sehr gut in die Gesamt-Struktur, da er ja ein Teil der Komposition ist, aber gleichzeitig als Handelnder auf der Bühne erscheint.
Die “Meistersinger von Nürnberg” ist das Werk, bei dem die meisten Statisten auf der Bühne sind, somit ist der Chor oftmals präsent, vor allem im Finale wo Hans Sachs die deutsche Kunst preist (“Huldigungsgesang”) und dem Aufzug der Zünfte in der Mitte des 3. Actes.
Die Bandbreite eines Genies zeigt sich ja immer durch Überraschungen und Gegensätze gegenüber den eigenen Regeln.
Denn die “Meistersinger” sind die einzige “Komische Oper” Wagners.
Komischerweise präsentiert der komplette “Ring des Nibelungen” mit seinen vier Werken und insgesamt über 16 Stunden reine Laufzeit, nur eine (!) chorale Scene, und die ist der “Chor der Gibichungenmannen” unter Hagen im 2. Act der “Götterdämmerung”.
Hier wächst der Chor innerhalb dieser choralen Stelle und nimmt an Personen ständig zu, sodass er immer mehr Volumen und (männliche) Macht symbolisiert.
Das dies die einzige Chor-Stelle ist, kann man darauf schieben, dass Wagner in der “Götterdämmerung” noch einmal mit dem gesamten kompositorischen Material, was sich in den 3 vorangehenden Werken angesammelt hat, arbeitet und sogar eine Terzett-Stelle (“Rache-Terzett” im 2. Act) einsetzt, was außergewöhnlich ist – es ist die einzige Terzett-Stelle in allen Werk (ausgenommen der Frühwerke).
Aber woran es wirklich liegen mag, weiß nur der Schöpfer selbst – es ist halt künstlerische Freiheit, die die Logik außer Kraft setzt.
Abschließend symbolisiert sich im Weltüberwindungswerk “Parsifal” das Weihevolle und Liturgische im Chor der Knappen und Gralsritter, der im Werk, vor allem in der Scenerie innerhalb des Gralstempels, fast immer zugegen ist.
Hier werden sogar junge Frauen eingesetzt, um die “Jungheit” der Knappen besser akustisch darzustellen.
Soweit ein kurzer Querschnitt choraler Scenen in Wagners Werken, der sicher noch weit ausbaubar ist.
(A.) Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie
Die Geschichte des antiken Griechenlands, das die Entwicklung der europäischen Zivilisation maßgeblich mitgeprägt hat, umfasst etwa den Zeitraum vom 16. Jahrhundert v. Chr. bis 146 v. Chr.
Die unzähligen Reste und Ruinen von griechischen Amphitheatern zeigen, dass in früher Vorzeit hier das geistige Leben gespielt haben muss (im wahrsten Sinne des Wortes).
Durch fehlende Instrumente, die zu dieser Zeit noch nicht erfunden waren, gab es nur ein Instrument, nämlich die menschliche Stimme, das Ur-Instrument des Menschen.
Eine Fusion im Volk und im Geist ließ auch eine Fusion aller Stimmen ans Tageslicht treten, was die ureigenste Geburt des klassischen Chores als gebündelte menschliche Stimme war.
Auch wenn diese (meine) Hypothese etwas gewagt klingen mag, zeigt sie allerdings, ohne viel Fachwissen, eine logische Erklärung der Erkennung der Wirkung eines Chores mit mehr Stimmvolumen.
Eine weitere These (die allerdings bewiesen ist) ist ja die Frage, warum gerade in einer (damals) so blühenden Hochkultur eher (oftmals traurige) Tragödien aufgeführt wurden (?), die sich bis heute (!) als Kunstform gehalten haben.
Der Grund ist psychologischen Charakters (oder auch massen-suggestiven), denn man wollte dem Volk (durch diese Werke) zeigen, wie gut es Ihnen noch geht im Vergleich mit den Menschen anderer Kulturen oder anderer Zeiten.
Eine gute Idee, die heute auch Anwendung finden könnte.
Nietzsche stellt im “Tragödien-Buch” die These in den Raum, dass die griechische Tragödie einst nur Chor war und aus dem Chor hervorgegangen ist.
“Diese Überlieferung sagt uns mit voller Entschiedenheit, daß die Tragödie aus tragischen Chore entstanden ist und ursprünglich nur Chor und nichts als Chor war…” (“Geburt der Tragödie” 1871)
Hiermit stellt Nietzsche (wie schon öfter) eine gewagte These auf.
Nietzsche bezieht sich in dieser Passage aber eher auf das Publikum, und zwar ein ästhetisches Publikum, welches sich darüber bewusst ist oder sein sollte, ein Kunstwerk vor sich zu haben und nicht die auf Erfahrung beruhende Realität.
Somit sollte im antiken Griechenland und in deren Kultur der mitwissenden Zuschauer geschaffen und geformt werden, der in seiner Anzahl sich im Chore wiederentdecken sollte.
Nietzsche bezeichnet dieses als höchste und reinste Art des Zuschauers.
Nach dieser These ist Nietzsches Idee, dass erst der Chor da war und dann aus diesem die Tragödie entstanden ist, gar nicht so abwegig und entfernt sich von einer gewagten These zu einer verstandesmäßigen Erklärung.
Nietzsches Wagnernähe manifestiert sich in diesem Frühwerk, in dem er unausweichlich Richard Wagner als Neubegründer einer griechischen vergleichbaren Kunst und Kultur sah, bzw. zu sehen glaubte.
Eine Idee, die er später verwarf.
“Das Werk Richard Wagners ist nicht irgendein Werk,
es ist das Werk an sich”
*zur Weiterführung bitte weiterlesen :
“Bewegte und antwortende Chöre” Teil 3 :
“Bewegte und antwortende Chöre” Teil 2 :