“Die Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners mit einem Vergleich der Chöre Vincenzo Bellinis”
- Teil 2 -
(B.) Bedeutung des Chores in den Werken Richard Wagners
Richard Wagner nahm erst Abstand vom klassischen Chor als Integrations-Element in seinen Werken.
In seiner umfangreichen Schrift “Oper und Drama” erteilt er dem Chor in der Oper eine Absage.
Dies sollte aber nicht so bleiben, denn rückblickend kann man sagen, dass in (fast) jedem Werk chorale Stellen sind, und zwar sehr geschickt platzierte, und wohl-dimensionierte und demgemäß sehr wirkungsvolle.
Der Chor wird hierbei von Wagner oftmals als einzelne Singstimme verwendet, das heißt, dass der Chor nicht einzeln steht, sondern direkt in die Handlung integriert ist (wie ein weiterer Statist).
Da die Komposition bei Wagner immer einen Bezug zum Handelnden auf der Bühne hat, hat der Chor eine weit bedeutendere Rolle in der Handlung, als normalerweise ein Chor allein stehend hat.
Bei der Zuschauer-Werk-Fusion in Wagners Idealbild, hebt sich der Zuschauer auf und begibt sich in eine Rolle, nämlich die Rolle des “mitwissenden Statisten”.
Der Zuschauer in der Masse ist schnell im Chor zu erkennen, da die Zuschauer ja (meistens) eine größere Anzahl von Personen sind und der Chor auch, und somit lässt sich das Stimm-Volumen steigern.
In einzelnen sehr umfangreichen Werken, wie zum Beispiel im “Ring des Nibelungen” gibt es komischerweise nur eine chorale Stelle, nämlich den Chor der “Gibichungen-Mannen” in der “Götterdämmerung” im 2. Act.
Im “Ungetüm” der Frühwerke “Rienzi, der letzte der Tribunen” steht der “Chor der Friedensboten” isoliert als eine der sehr wenigen Chorstellen in diesem 5 Stunden Werk.
Anders sieht das im “Lohengrin” aus, mit dem Wagner seinen angestrebten Kompositionsstil erreicht hatte.
Lohengrin – Chöre
Hier ist es nämlich eine besondere Art von Chor (“Lohengrin”) im Werk mit dem größten Choranteil aller Werke, da hier der Chor fast ständig auf der Bühne präsent ist.
Das Besondere ist allerdings auch das Fehlen großer ausgedehnter Chorsätze – man hat beim Hören das Gefühl, dass Wagner großen Chorsätzen geradezu aus dem Weg geht – es fehlt eine Selbstdarstellung des Chores, der reserviert und passiv dasteht.
Genauso fehlt ein chorales Tableau, was viele andere Komponisten im Übermaß verwendet haben.
Die eher kurzen Chorstellen (im “Lohengrin”) sind eher Reaktionen auf das jeweilige Geschehen.
Das Wirkungsvolle ist in diesem Werk die Platzierung und die Reaktivität des Chores (oder Teilchores).
Als Partner im Werk steht er hier sehr passiv da – eine Äußerung erscheint immer als Reaktion, nie als Aktion und stellt eine Unterordnung unter dem Orchester dar.
Er (der Chor) ist immer nur zur Reaktion fähig, nicht zur Aktion und ist der Melodik des Orchesters angepasst, er ordnet sich unter und agiert, wenn er zur Stellungnahme aufgefordert wird.
Hierdurch wird der Chor zum mitspielenden und mithandelnden Instrument des Werkes.
In der Orchestersprache der wagnerschen Komposition nimmt der Chor im “Lohengrin” nicht nur die Rolle einer handelnden Person ein, sondern auch die Rolle einzelnen Instrumente.
(C.) Wagner – Bellini
Vorbilder für seine Kunst hat Wagner immer vielfach verleugnet, weil er nicht als Kopierer des Werkes eines anderen Komponisten hingestellt werden wollte.
Als Ausnahmen kann man Wagners euphorische Verehrung für Beethoven und Carl. M. v. Weber, als Schöpfer der deutschen Oper, ansehen.
Bei den Italienern gibt es eigentlich nur einen, den Wagner (zwar nur hinter vorgehaltener Hand) anerkannt und verehrt hat, und das ist Vincenzo Bellini(von Spontini einmal abgesehen, den Wagner persönlich in Dresden kennengelernt hatte).
Bellini ist ja nicht der Schöpfer der Werke, er hat sie als solches “nur” vertont, bzw. eine äußerst fruchtbare Künstlerfreundschaft gepflegt und zwar mit dem Textdichter Felice Romani.
Die Werke stammen (fast) alle von Felice Romani, wobei man sagen muss, dass es diese wundervollen Belcanto-Werke nicht geben würde, ohne die Hand Bellinis.
Die drei Elemente in diesen Werken sind die Kompositionslinie, der Belcanto-Gesang und der Chor.
Quasi eine Fusion kreativer Ergüsse zweier Schöpfer, was bei Wagner unvorstellbar wäre.
Zwei Paradebespiele sind die Werke “Norma” und “I Capuleti e i Montecchi”.
Beide sind lyrische Tragödien in 2 Acten mit einer Aufteilung nach Bildern oder Scenen mit Arien, Kavatinen, Romanzen und Chöre.
Was Wagner allerdings eher gereizt haben muss, ist das reine Belcanto bei Bellini, sodass er Bellini sogar einen Text in seinen gesammelten Schriften widmete (* “Bellini – Ein Wort zu seiner Zeit”).
Der sogenannte Wagner-Gesang ist absolut kein Belcanto mit Arien und Kavatinen, sondern eine besondere Form eines Rezitativs, es erscheint eine teilweise Opferung der Gesangslinie zugunsten der Deklamation.
Wie vielfach in der Literatur zu finden ist, stand Wagner allerdings nicht ganz ablehnend dem Balcanto-Gesang gegenüber, er hat sich oftmals dessen sogar für sein Schaffen bedient.
Somit sind die Chöre bei Bellini nennenswert und sicher ein Vorbild für Wagner gewesen.
Sie sind bei Bellini öfter als Verbindungsglied von einer Scene in die andere benutzt worden (Brücken-Effekt).
Des Weiteren erscheint der Chor bei Bellini oft als ein Statist auf der Bühne und fungiert antwortend, das heißt, dass eine Frage gestellt wird und der Chor antwortet geschlossen.
Was sicher nicht im Sinne Wagners war, ist, dass Bellini in einem frühen Werk (“Bianca e Fernando”) eine sehr gefühlvoll klingenden chorale Scene komponierte, bei der Konzeption der “Norma” benutzt er diese chorale Scene wieder mit anderem Text – eine derartige “Flickenteppich-Technik” ist bei Wagner nicht vorstellbar.
Dies zeigt, dass Wagner nicht alles blind übernahm, auch von einem Komponisten, den er verehrt.
Somit wird der Chor (“I Capuleti e i Montecchi”) als “Antwortender Chor” verwendet und von Bellini in den Dialog der Darsteller integriert (1. Act, 1. Bild), was wiederum Parallelen zu den Chören im “Lohengrin” erkennen lässt.
In einem aktuell von mir rezipierten späten Werk Bellinis/Romanis (“Beatrice di Tenda”) zeigt sich in dem eher unbekannten Werk kompositorisch am Anfang des Vorspiels eine ca. 30sekündige Dissonanz (Missklang), die 4–5 Mal noch im kompletten Werk oft fragmentarisch auftaucht (im 2. Act).
Eine Technik, die Wagner perfektioniert hat (Erinnerungsmotive) durch ein Gerüst von emotionale Gefühlswegweisern durch seine Werke.
Als Resümee kann man sagen, dass Wagner das Bellinische Belcanto überwindet und seine eigene Gesangsart (Wagner-Gesang) entwickelt, ohne Gesang, Arien etc., nur mit Dialogen und ohne Monologe.
Der vormals erwähnte “Antwortende Chor” und der Chor als Bindeglied in Bellinis Werken hat allerdings ohne Zweifel Wagner Fantasie für seine eigenen choralen Konstruktionen angeregt.
*Zu den sehr umfangreichen Schriften Wagners ist zu sagen, dass sie keinen Schlüssel zum Verständnis des Werkes darstellen, sondern die Werke eher ein Schlüssel zum Verständnis der Schriften.
Dadurch ist ein Heranziehen der Gesammelten Schriften schwierig und sie sollen hier im Hintergrund bleiben.
“Musik ist nicht die Darstellung einer Idee,
Musik ist die Idee selbst”
(Richard Wagner)
*Zur Weiterführung bitte lesen…
“Bewegte und antwortende Chöre” Teil 3 :