Pal. Contarini del Bovolo Venedig (Juli 2019)

Wer durch den Filter schaut, lernt neu zu sehen”

Der Palazzo Contarini del Bovolo gilt als histo­ri­sche Sehenswürdigkeit und ist ein goti­sche Palast im Stadtteil San Marco leicht unter­halb des Campo Manin in Venedig.

Schneckenform

Das Besondere an diesem leicht versteckt liegenden Palast ist eine Wendeltreppe (Scala Contarini del Bovolo), die alle Stockwerke erschließt und die so erscheint, als sei sie davor gebaut oder an einer Ecke des eher schmalen Gebäudes gesetzt worden.
Und wegen dieser Wendeltreppe ist er auch berühmt geworden und in die Kunstgeschichte eingegangen.

Nur die Treppe machts…

Laut Literatur soll der Palazzo, außer der touris­tisch genutzten Treppe, insge­samt in keinem guten Zustand sein. 

Der Palast als solches ist ein Gebäude des ausge­henden 15. Jahrhunderts der Familie Contarini.
In einem kleinen “Vorgarten” hat man als Ausstellungs-​Relikte einige Reste von Brunnenfassungen (“vere di pozzo”) ausge­stellt, eine davon trägt auch das Wappen der Contarini.

Der mit einem Gitterzaun umge­bene Vorhof soll eben etwas mehr Historisches für den Besucher darstellen, da sind ja alte Relikte immer nütz­lich, auch schon, um den Blick des Besucher anzu­lo­cken.
Ein weiterer kleiner Innenhof ist von dieser Seite nicht einblickbar. 

Zur Historie seien einige Fakten zu nennen :
Im Jahr 1499 hatte der dama­lige Hausherr (Pietro Contarini) die Idee diesen eher mager ausse­henden Innenhof mit einem wendel­för­migen Anbau in Form einer aufstei­genden Treppe zu verschö­nern.
Für dama­lige Zeiten eine eher unge­wöhn­liche Idee, die es auch zu dem Zeitpunkt in Venedig noch nicht gegeben hatte und als völlig neuartig anzu­sehen war.
Der Baumeister war ein gewisser Giovanni Candi (nach anderen Quellen Giorgio Spavento) zeigte sein Können hier eine Wendeltreppe im Stil der Renaissance errichten zu lassen, die eine eher unge­wöhn­liche Form haben sollte.
Es sollten eine Serie von Loggien sein, die sich anstei­gend durch Rundbögen öffnen.
Eine aufwän­dige Idee, aber große Werke in der Menschengeschichte waren ja immer nicht ganz so einfach.
Die Treppe endet in einer Art Kuppelraum, der einen hervor­ra­genden Blick über ganz Venedig (was ich aller­dings als etwas über­trieben ansehe) bietet. 

Blick ist im Preis enthalten

Im 19. Jahrhundert diente der Palast eine Zeit lang als Hotel und beher­bergt ein pädago­gi­sches Institut. 

Der Palazzo mit “Schneckenhaus”-Treppe (Bovolo - ital. Schneckenhaus) ist nicht ganz einfach zu finden (aber was ist in Venedig einfach zu finden?).
Als Haupt-​Orientierungspunkt ist der nach Pomnik Daniele Manin benannten Platz Campo Manin leicht ober­halb ratsam. 

Man muss sich am besten immer spontan durch die Gassen treiben lassen und hat dann oft mehr Erfolg etwas zu finden, als wenn man konzen­triert etwas sucht.

Bei meinen Venedig-Aufenthalten ist dies immer meine Devise gewesen, und somit habe ich auch das meiste gefunden ohne es zu suchen.
Denn Venedig ist ja als solches eher für den Wasserweg in dama­liger Zeit errichtet worden und nicht für Fußgänger, dadurch hat man es per pedes immer schwie­riger, als mit einem Boot. 

So auch in der zweiten Juli-​Woche diesen Jahres (2019), als ich durch eine kleine Seitengasse der Calle Locande auf die Wendeltreppe aufmerksam wurde.
Ein rich­tiger Aha-​Effekt, denn der Palazzo ist ja eher unscheinbar, bzw. fällt hier, wo ja alles voll ist mit Palazzos, weniger auf.
Vielleicht war dies ja auch ein Grund des dama­ligen Hausherren eine derartig unge­wöhn­liche Wendeltreppe anbauen zu lassen, also seinen Palast etwas mehr heraus­zu­heben aus der Masse aller anderen. 

Man entrichtet den Eintritt ja haupt­säch­lich, um durch die Schranke gehend diese schne­cken­ar­tige Wendeltreppe zu erklimmen, schon alleine des Ausblicks wegen.

Ausblicke

Allerdings ist auch eine kleine Kunstausstellung im Sala del Tintoretto im Eintrittspreis enthalten. 

Zum Zeitpunkt meines 5. Venedig-​Besuches lief ja die 58. Biennale di Venezia, die vom 11. Mai 2019 bis zum 24. Nov. 2019 die Stadt mit eher moder­nerer Kunst-​Installationen berei­chert und viele Kirchen und Palazzos für den Besucher zur Betrachtung der Werke öffnet. 

So auch der Palazzo Contarini del Bovolo, bzw. dessen Wendeltreppe.

Ich staunte nicht schlecht…
Denn bei der Erklimmung der Wendeltreppe fielen sofort farbig trans­pa­rente Folien ins Auge, die vor die rund­bo­gen­ar­tigen Fenster gespannt waren. 

Trasformata in un faro multicolore

Tja, da ist man über­rascht, denn hier hat (wie ich später erfuhr) eine Künstlerin ihre Hand ange­legt, nämlich die aus Armenien stam­mende Narine Arakelian leis­tete mit dieser fanta­sie­vollen Installation den Beitrag zur dies­jäh­rigen Biennale für das Land Armenien.

Pharos Flower

Die arme­ni­sche Schöpferin nannte ihre Installation “Pharos Flowers”.
Wenn man jetzt etwas Gesamtbildung hat, dann weiß man, dass bei der Insel Pharos vor Alexandria in der Antike der größte Leuchtturm der dama­ligen Zeit stand und dieser gehörte zu den 7 Weltwundern, nämlich der “Leuchtturm von Alexandria”.

Roter Aufstieg

Ohne tiefer in die Interpretation dieses Werkes einzu­dringen und die Schaffensgründe der Schöpferin zu ergründen, ist natür­lich die Idee diese aufstei­gende Wendeltreppe in einen Leuchtturm zu verwan­deln, schon wirk­lich erle­bens­wert, bei Tag und bei Nacht.
Warum jetzt “Flower”, kann ich nicht definieren. 

Lila Ausblick

Wenn man mit krea­tiver Ader und mit Goethes Farbenlehre im Kopf, mit der Kamera direkt durch die trans­pa­rente Folie foto­gra­fiert, ergeben sich von bekannten vene­zia­ni­schen Motiven doch fanta­sie­vollen Bilder, die an Farb-​Filter für die Kameralinse erinnern.

….mal in Rot….


…mal in Gelb…


…mal in Blau…


…mal in Lila…


…mal in Grün.


Hierbei fusio­nieren sich ja drei Ebenen.
Erst einmal die goti­sche Wendeltreppe und der goti­sche Palazzo aus dem 14. Jahrhundert, dann die Idee der Verwandlung dieser Wendeltreppe in einen Leuchtturm durch die arme­ni­sche Künstlerin, und dann die eigenen Interpretationen, die man sich selbst hineindenkt.

Abschließend sei hier aus Nietzsches Unzeitgemäßen Betrachtungen“
zitiert :

Damit ein Ereignis Größe habe, muss zwei­erlei zusam­men­kommen :
der große Sinn derer, die es voll­bringen,und der große Sinn deren, die es erleben”

Doch hier in Venedig waren es sogar drei :
…der Schöpfer der Scala Contarini del Bovolo, die arme­ni­sche Künstlerin und derje­nige, der durch die einfar­bige Folie hindurch foto­gra­fiert.

Was lernen wir daraus ?

Große Werke entstehen immer erst im
Kopfe des Betrachters”



Palazzo Contarini del Bovolo
Corte Contarina, del Bovolo, 4303, 30124 Venezia VE, SM
täglich : Mo.–So.: 10–18 Uhr
Letzter Einlass 30 Minuten vor Schließung
Geschlossen : 1 Januar, 15 August, 1 November, 25 und 26 Dezember

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Fotos Venedig 2019

*home­page der arme­ni­schen Künstlerin Narine Arakelian


(HerrRothBesucht)

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