“Das Leben entflieht, drum zeig dich nicht so wählerisch gegen das Glück,
das sich bietet, genieße es schnell.”
(Stendhal, Die Kartause von Parma, 1839)
Das Chaos und die Hektik in der Medina von Marrakesch lässt gewisse Ruhestätten notwendig werden – und diese Ruhestätten sind in der marokkanischen Handelsmetropole nicht unbedingt die unzähligen Museen und Paläste, sondern geschickt angelegte “Gärten”.
Der bekannteste “Garten” dieser Art ist der Jardin Majorelle im Norden, außerhalb der Medina gelegen, der 1980 vom französischen Modedesigner Yves Saint Laurent aufgekauft wurde und dessen Asche nach seinem Tode hier verstreut wurde (!)
Der Reiz des Jardin Majorelle ist für jeden Fotografen die Fusion der in Kobalt-Blau gehaltenen Mauern und Beet-Begrenzungen mit dem Licht-Schatten der unzähligen exotischen Pflanzen.
Im Jardin Majorelle ist der touristische Andrang natürlich sehr groß, weil er ja der bekannteste Jardin von Marrakesch ist – das Wandeln in den Gängen, unter Palmen und um geschickt angelegte Wasserbassins, lässt den eigentlichen Sinn des Gartens als Oase der Ruhe nur erahnen, da die Besucher in der Masse einen vom eigentlichen Sinn des Gartens ablenken.
Allerdings ist der Jardin Majorelle nicht der einzige Garten dieser Art in Marrakesch.
Bei meinem oftmals eher fluchtartigen Bummeln in der Medina zur Weihnachtszeit 2016, stieß ich auf ein nördlich des Jemaa el-Fna gelegenes “Objekt”, was sich aus mehreren Gründen bei einem Aufenthalt in dieser Stadt lohnt aufzusuchen…
…dem Le Jardin Secret.
Wieder leicht auf der Flucht vor herannahenden Händler, denen man hauptsächlich in der Medina ausgeliefert ist, traten in der Rue Mouassine im nördlichen Medina-Bereich, zwei wie englische Butler gekleidete Herren mir entgegen und ich glaubte wieder, entweichen zu müssen.
Nach dem Entrichten des eher kleinen Obolus, empfing mich hinter den Mauern doch ein Ruhepol und eine Oase der ganz besonderen Art.
Die Form und Struktur der marokkanischen Riads (arabisch “Garten”) sind nicht nur in den “Hotels” zu finden, sondern auch hier – d.h., dass der Jardin von hohen (fensterlosen) Mauern umgeben ist – diese architektonische Struktur ist früheren Zeiten entlehnt, als man auf die geniale Idee kam, die paradiesartigen Innenhöfe mit dicken Stampflehm-Mauern rötlichen Farbtons zu umbauen, um der im Sommer herrschenden Hitze Einhalt zu bieten – und nicht nur im Sommer…
Bei meinem Besuch zur Weihnachtszeit herrschten hier ca. 27° C, wogegen im Innenhof des Riads die Heizapparate liefen.
Der Jardin Secret ist eine Fusion aus Garten-Kunst, Architektur und einem geschickt angelegten Bewässerungs-System arabischer Herkunft aus der Dynastie der Sultane vor mehr als 400 Jahren.
Die Mehrfach-Funktionen des Bewässerungs-Systems der sogenannten “Hängenden Gärten der Semiramis”, oder auch die “Hängenden Gärten von Babylon” genannt, eines der sieben Weltwunder der Antike, hat der Menschheit gezeigt, dass Gärten mehr sein können, als nur Anpflanzungen in Beeten.
Der Jardin Secret besteht so gesehen aus zwei Garten-Komplexen.
Wenn man durch den pavilionartigen Eingangsbereich geht, der durch seine Architektur und Mosaikkunst, wie auch durch handgefertigten Stuck im geometrischen Design, ins Auge fällt, zeigt sich als erster Eindruck hierin ein enormes handwerkliches Können.
Alles knüpft an die Tradition vornehmer arabisch-andalusischer und marokkanischer Paläste an.
Der erste Komplex ist der leicht kleinere Exotische Garten.
Pflanzen aus 5 Kontinenten wachsen Seite an Seite, aus Ländern, die klimatisch den Gegebenheiten von Marrakesch gleichen.
Schon hier spürt der Besucher die Atmosphäre des Lichtes, der Luft, der Ruhe und des Friedens.
Der größere Komplex auch wie ein Quadrat angelegt, ist allerdings der Islamische Garten.
Dieser hat auch die Struktur eines mit hohen Mauern umgebenen Riads und hat vier quadratisch angelegte fast gleich große Beete.
Diese zeigen die stilistische Tradition des Mittleren Ostens, erdacht aus einer irdischen Paradies-Reflexion aus dem Koran.
Wenn man nun einen Sinn für Romantik und vor allem für das Metaphysische hat, dann erkennt man hier schon tiefgreifende Wurzeln aus Himmel und Natur.
Wasser ist ein fundamentales Element für die Existenz menschlichen und pflanzlichen Lebens.
Genauso ist Wasser ein Symbol und ein Zeichen natureller Kraft und Energie, was mir beim später genossenen frischen Minze-Tee auch klar wurde.
Die Natur macht nichts umsonst, denn ohne die beiden Grundelemente Wasser und Licht wäre das Leben auf der Erde bereits erloschen.
Was einem Besucher des Jardins auffällt, ist das in beiden Gärten geschickt angelegte Kanal-System, was frisches Wasser aus dem Hohen Atlas bringt.
Die kleinen künstlich angelegten Kanäle durchziehen beide Komplexe wie Adern und dienen hauptsächlich der Bewässerung der angelegten Beete.
Als Herz des Islamischen Gartens kann man den sprudelnden Brunnen ansehen, der mit marokkanischer Mosaikkunst (Zellig) gestaltet ist.
Das Wasser wird aus dem Hohen Atlas durch eine über tausend Jahre alte Technik unterirdischer Kanäle hierher geleitet.
Das hydraulische System der Wasserlenkung ist zum Überleben des Gartens nötig.
Die unterirdische Drainage versorgt nicht nur die Moscheen und Bäder in Marrakesch, sondern auch die Gärten und Brunnen.
Der Jardin Secret hat das Privileg eines eigenen Bewässerungs-Systems, was ein Zeichen von Wohlstand aus früheren Jahren ist.
Dieses ließ bei mir die Erinnerung an das Kanalsystem in Bologna hoch kommen.
Somit eröffnet sich einem die lange Tradition der altertümlichen Riads, die ein kluges Kanal-System und Wasser-Bassins mit verknüpften Rohren und Kanälen besaßen.
Diese Art einer Gartenanlage zeigt allerdings auch die Macht früherer Herrscher, die Besitzer dieser Riads und Komplexe waren.
Im Eingangsbereich ist durch eine Computer-Simulation das Bewässerungs-System dargestellt und gut für den Besucher nachvollziehbar.
Wenn man nach dem Besuch des Jardin Secret, der durch die eher wenigen Besucher auch seinen Namen verdient, wieder in die Hektik des Handelns und geschäftlichen Treibens zurückkehrt, ist es schon wie ein Auftauchen aus einem Paradiesgarten, was der Sinn dieses Gartens auch sein soll.
Was lernen wir daraus :
“Die Natur macht nichts umsonst”
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* sh. auch meinen Beitrag über den Jardin Majorelle
* sh. auch meine Bildergalerie Marrakesch
* Le Jardin Secret Marrakesch (http://www.lejardinsecretmarrakech.com/en/)