“Die verschwiegenen Kanäle von Bologna”
BOLOGNA besaß in seiner Blüte im Mittelalter des 13. Jahrhunderts mehrere Dinge, die nicht jede Stadt zu dieser Zeit besaß.
Sie war nicht nur die fünftgrößte Stadt Europas, sie beherbergte außerdem eine Universität, die heute als die älteste Universität der westlichen Welt aus dem Jahre 1088 n.Chr. gilt.
Desweiteren wurde das mittelalterliche Stadtbild von ca. 180 Türmen (!) geprägt…
Man kann bis heute nicht genau sagen, welchen praktischen Zweck diese gehabt haben, denn sie lagen ja innerhalb der Wehrringe, die zum Schutz der Stadt dienten und aufgrund des ständigen Wachsens der Stadt mehrfach erweitert werden mussten.
Wie J.W.v.Goethe in seiner “Italienischen Reise” beim Besteigen des 97 Meter hohen Torre degli Asinelli leicht zynisch schrieb, kann dies nur ein Protzen und Angeben einer jeden reichen Familie gewesen sein.
Außerdem wurde damals jedes Gebäude zur Festung, und da durfte ein Wehrturm nicht fehlen, auch wenn er als wirklicher Wehrturm gar nicht genutzt wurde.
Neben der Universität und dem “Wald” von Türmen, besaß Bologna aber auch ein modernes Kanalsystem, was die Stadt vom westlich liegenden Fluss Reno (könnte man als den italienische Rhein bezeichnen) über Jahrhunderte mit Wasser versorgte, denn dieses bedeutete die lebenswichtige Energie für das Blühen des Handels und der Manufakturen.
Es herrschte hier das Handwerk der Stoffproduktion und der Seidenweberei und dazu brauchte man Mühlen und zum Antreiben dieser, brauchte man Wasser.
Bologna war damals das größte Zentrum der Textilherstellung und dies dank eines komplexen Wasserversorgungssystems und eines modernen Netzes von unterirdischen Kanälen, quasi die damalige Form der heutigen Kanalisation, nur dieser weit überlegen.
Nicht nur für die Seidenmühlen war dieses Wasser notwendig, sondern auch zum Betreiben von Weizenmühlen unerlässlich.
Es handelte sich nicht nur um Ableitungen des westlich fließenden Flusses, sondern auch um die Bäche Moline, Aposa und Savena.
Der bedeutendste war der Canale di Reno, der von einer heute noch existierenden Schleuse in Croce di Casalecchio im Westen Wasser in die Stadt führte.
Eine heute noch existierende Einsicht liegt am äußeren westlichen Wallrand der Altstadt, wo es die sogenannten “Kirchen am Wasser” gibt, was schon zeigt, dass das Kanalsystem in frühen Jahren hier ausgeprägt gewesen sein musste.
Der Canale di Reno ist ganz im Westen (außerhalb des Äußeren Wallrings) noch voll erhalten, endet aber im Quatiere Saragozza, bzw. er verlässt das Tageslicht und fliest untertage weiter.
Die vierte und letzte der “Kirchen am Wasser” (S.Maria e San Valentino della Grada) liegt an diesem äußeren Wallring in der Via della Grada unterhalb des Porta San Felice.
Und hier gelangt der außerhalb im Westen verschwundene Canale di Reno durch ein Gitter (“grata”) im letzten Mauerring in die Stadt (sichtbar von der Via Monaldo Calari ).
Der berühmte Neptunbrunnen von Bologna (Fontana del Nettuno), als Wahrzeichen der Stadt, ist als Wassergott doch nicht so ganz fehl am Platz.
Wenn man nun weiter fortschreitet in die Neuzeit, waren aufgrund neuer Energiequellen die Kanäle irgendwann, zu mindestens für das Antreiben der Mühlen, nicht mehr notwendig.
Viele Kanäle wurden beseitigt, überbaut oder zugeschüttet – da zeigt sich wieder der Lauf der Geschichte, dass manches beseitigt wird, was vormals sehr sinnvoll und nützlich war.
Wenn man heute unter den Arkadengängen Bolognas bummelnd durch die Stadt schlendert, vermutet man kaum, einen Kanal unter seinen Füßen zu haben.
Ob er einst dort war oder heute noch ist, ist schwer zu sagen.
An der Namensgebung einzelner Straßen etc. sind die Spuren des Kanalsystems heute noch zu erkennen.
Ausblicke auf die Reste der Kanäle sind nur schwer zu finden, das heißt, dass der Interessierte mit der Kamera in der Hand, es doch nicht so einfach hat, eine Stelle für ein gelungenes Foto zu finden.
Im Bereich der Historischen Altstadt gibt es diese wenigen Stellen nur östlich der Via dell’ Indipendenza und leicht unterhalb der Via Irnerio, also mehr im nördlichen Teil der Altstadt.
Weitere frei einzublickende Stellen findet man auch nördlich des Wallrings, wo der Canale del Navile (die damalige Wasserautobahn) heute noch durch einen Park (Parco di Villa Angeletti) von Norden kommend bis fast unter die Eisenbahnschienen kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof Bolognas zu sehen ist und im bereits erwähnten westlichen Quatiere Saragozza.
Bei meinem diesjährigen Besuch in Bologna entdeckte ich auch kurz vor dem Hauptbahnhof (Bologna Centrale) bei Resten der alten Stadtmauer, nahe dem Stadttor Porta Galliera, einzelne Stellen, wo der Kanal noch zu sehen, bzw. zu hören ist.
Wie ich erst vor kurzem erfuhr, liegen an der Via Capo di Lucca, abzweigend von der Via delle Moline (benannt nach dem Bach Moline), einige Häuser, die früher von Müllern bewohnt wurden, womit wir wieder im oberen Altstadtbereich wären.
Und hier soll man noch das Rauschen des Kanalgefälles hören, was auch der Fall ist.
Wiederum ließ ich es mir nicht nehmen, beim diesjährigen Aufenthalt (2016) diese Stelle aufzusuchen, zwischen zwei Häusern war ein Gitter und so dreist wie ich bin, schob ich das unverschlossene Gitter (nachdem ich erst nach rechts und links geschaut hatte) auf und konnte doch noch einen Blick auf den Canale delle Moline werfen. Was tut man nicht alles, um Verborgenes ans Tageslicht zu bringen.
Die Via Piella zweigt von der Via Bertiera Richtung Norden und Süden ab – der Abzweig Richtung Norden führt als erstes durch ein Tor eines ehemaligen Wehrturmes (Porta Govese oder Torresotto dei Piella) in die Via Piella, wo man auf der rechten Seite nach ca. 25 Metern von einer Brücke einen guten Blick über den Kanal hat.
Genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite (Via Piella) ist rechts neben einer Trattoria das berühmte Fenster mit dem Einblick, was viele Prospekte ziert.
Hier zeigt sich das Mittelalter in mehrfacher Form.
Jeden Italienfreund lassen diese wenigen Ausblicke im Historischen Zentrum natürlich sofort an Venedig denken, oder an die über dem Arno hängenden Häuser der Ponte Vecchio in Florenz.
Die Gebäudeteile der Häuser zum Kanal hin (in Bologna) scheinen schon sehr waghalsig über dem Wasser des Kanals zu hängen.
Man sieht, was im frühen Mittelalter alles möglich war.
Ein weiterer schöner Einblick befindet sich auf der Via Guglielmo Oberdan von unten kommend, auf der linken Straßenseite, kurz vor der Kreuzung mit der Via Augusto Righi/Via della Moline .
Hier befindet sich sogar eine Beschilderung des Canale di Reno.
Von der Via Augusto Righi zweigt rechts ab die Via Malcontenti und kurz nach der Unterführung befindet sich auf der linken Seite auch ein kleiner Einblickspunkt, der mit einem goldenen Schild beschriftet ist.
Die Beschriftung der goldenen Platte weist mit einer Jahreszahl (1998) darauf hin, wann diese Kanalstelle restauriert und die Platte angebracht worden ist.
Auch wenn meine Italienisch-Kenntnisse sich in Grenzen halten, kann man von der Nennung der Straßennamen den Verlauf des Kanals ersehen oder erahnen (Via Malcontenti – Piella – Oberdan).
“Ansaloni” ist die Firma, die die Platte hergestellt hat.
Das alles ist aber nicht nur für Geschichtsforscher interessant.
So auch für mich, der ich bei meinem ersten Besuch in Bologna im August 2011 mit Temperaturen weit über 40° C zu kämpfen hatte.
Bei meinen Vorbereitungen, fand ich auch das Foto mit dem Blick durch die Mauer auf den Canale di Reno.
Das Herumirren und Suchen in durchgeschwitzter Kleidung mit der Kamera im Anschlag, brachte aber keinen Erfolg.
Ich hatte die ganze Sache mit dem schönen Einblick durch das Mauerloch schon aufgegeben, als der letzte Tag kam…
…und dann bummle ich meistens zum Abschied noch einmal durch die Gassen…
…und plötzlich stand ich dann doch vor dem Loch in der Mauer und konnte das langersehnte Foto machen.
Dies zeigt mal wieder, dass man manches findet, wenn man es gar nicht sucht.
Bei meinem diesjährigen Besuch Ende August 2016 ging ich besser vorbereitet und gewappnet an das Suchen der einzublickenden Stellen der verschwundenen Kanäle von Bologna heran…
…aber es ist besser, ich suche sie gar nicht, dann finde ich sie besser …
Was lernen wir daraus :
“Manches findet man eher,
wenn man es gar nicht sucht”
******************
* sh. auch meinen Beitrag zu den mittelalterlichen Türmen von Bologna :
* weitere Fotos zu Bologna in meiner Bildergalerie Italien :