“In Goethes Namen”
BOLOGNA besaß ja im frühen Mittelalter nicht nur ein ausgeklügeltes, modernes Kanalssystem, was nicht nur zur Fortbewegung, sondern vor allem zur Energiegewinnung zum Antreiben von Mühlen dienten, sondern auch einen “Wald” von Wehrtürmen.
Die Anzahl von ca. 180 Türmen (?) in der Blüte des 13. Jahrhunderts warf und wirft natürlich die Frage auf, welchen praktischen Zweck diese Türme gehabt haben (?).
Sie lagen ja zum größten Teil im Inneren der Stadt und nicht an den Wehrringen, was den Grund eines Wehrturmes aufkommen lassen könnte.
Als Goethe 1786 Bologna aufsuchte, glaubte er eine logische Erklärung für die Existenz dieser Türme gefunden zu haben.
Ich erlaube mir aus seiner “Italienischen Reise” zu zitieren :
“In den Zeiten der städtischen Unruhen war jedes große Gebäude zur Festung, aus der jede mächtige Familie einen Turm erhob. Nach und nach wurde dies zu einer Lust- und Ehrensache, jeder wollte auch mit einem Turm prangen, und als zuletzt die graden Türme gar zu alltäglich waren, so bauten man einen schiefen…” (J.W.v.Goethe “Italienische Reise”, S. 105)
Klingt von unserem Goethe ganz logisch und sogar menschlich – jeder will den anderen übertreffen, oder zu mindestens gleichkommen, dies hat Goethe ja gut erkannt.
Außerdem hat es dieses Symptom schon immer gegeben bis in die heutige Zeit hinein.
Von den Fakten her ist der Torre degli Asinelli mit seinen 97 Metern heute der höchste, vollständig erhaltene Turm Bolognas mit einer Neigung von 2,20 Meter.
Der Name “Asinelli” ist von den Familien geprägt, die den Turm im 12. Jahrhundert bauen ließen.
Der direkt daneben liegende, bzw. stehende Torre dei Garisenda hat heute eine Höhe von 48 Meter mit einer gefährlichen Neigung von 3,20 Meter.
Das Wissen, dass der Turm einst eine größere Höhe hatte und während des Baus teilweise wieder abgetragen wurde, lässt darauf schließen, dass er sich schon während des Baus geneigt haben muss.
Als Vergleich bietet sich natürlich Pisa an – der “Schiefe Turm von Pisa” hat eine Höhe von 55 Meter mit einer Schieflage von 3,90 Meter.
Bei einer Höhe von 97 Metern wäre der Turm von Pisa sicher schon eingestürzt.
Ein weiteres Faktum aus der heutigen Zeit ist, dass es in Bologna von den aus dem Mittelalter stammenden Türmen noch ca. 25 Turmreste, die bis zu einer Höhe von 60 Metern reichen, gibt.
Unterlagen und eine Karte ließen mich bei meinem Aufenthalt 2016 auf die Suche nach diesen “Türmen” bzw. einstigen Türmen gehen.
Manchmal gehört schon ein bisschen Fantasie dazu, einen (ehemaligen) Turm darin zu erkennen oder zu vermuten, in dem, was man heute noch sieht.
Die quadratischen Sockel sind bei vielen gleich, was darauf hin schließen lässt, dass sich dieses Bauprinzip für die Standhaftigkeit bewehrt hatte.
Die Fakten der noch erhaltenen Türme oder Turmreste sind umfangreich und mit unterschiedlichen Zahlen und Datierungen behaftet.
Nur zeigt sich an einigen Türmen, die ich aufsuchte, der Lauf der Geschichte.
Geschäfte, Restaurants, Hotels, Tore, Durchgänge – alles Umfunktionierungen, um den früher eher sinnlosen Türmen in der heutigen Zeit noch einen gewissen Sinn zu geben.
Ich suchte etwa 12–13 “Türme” an diesen heißen Augusttagen auf, die in größerer Anzahl eher in nördlichen Teil der Altstadt oberhalb der Via Ugo Bassi liegen.
Ohne in zu große Faktenaufzählungen abzugleiten, möchte ich einige von heutiger Besonderheit sich heraushebenden Objekte kurz aufzählen.
Der sehr zentral gelegene Torre degli Azzoguidi (61 Meter) in der Via Altabella ist neben dem Asinelli der höchste der noch stehengebliebenen Türme.
Er erschien mir als ein perfekt vertikal stehender Turm – durch eine schwere Holztür und einem Fenster, hatte ich den Eindruck, dass er bewohnt ist, was allerdings nicht genau zu definieren ist (ist aber doch keine schlechte Idee).
In einem Wehrturm zu wohnen hat sicherlich für jüngere (und ältere) Kinder seinen Reiz.
Die im nördlichen Teil der Altstadt liegende Via Piella weist ja gute Einblickspunkte in das ehemalige Kanalsystem Bologna auf, welches nur noch an wenigen Stellen in der Stadt zu finden ist.
Der Eingang in die Via Piella von der Via Bertiera aus, zeigt sich wie ein massives Wehrtor, doch beim zweiten Hinsehen erkennt man schnell, dass es sich wiederum um einen alten Turm handelt.
Die bei vielen anderen Türmen zu findende Sockelkonstruktion fehlt.
Es handelt sich hierbei um den Torresotto die Piella oder das Porta Govese.
Also ein Turm unterhalb der Via Piella (Torresotto) oder ein Tor in diese Straße hinein (Porta).
Demnach hat dieser (ehemalige) Turm noch einen praktischen Sinn als Eingangstor bekommen.
Wenn man von der Via degli Albari in die Via Albiroli geht, kommt es einem wie eine Vision des mittelalterlichen “Türmewaldes” vor, da die beiden Türme, der Casatorre Guidozagni (20 Meter hoch) und der Torre Coronata, auch Torre Prendiparte genannt (60 Meter hoch), nah beieinander stehen und man immer nach oben schauend sich ins mittelalterliche, von Türmen geprägte Bologna zurück versetzt fühlt.
Dieser Torre Prendiparte (an der Piazetta Prendiparte) hat den Beinamen Coronata (ital. Krone), also der “Gekrönte”.
Diese Bezeichnung leitet sich davon ab, dass in einer Höhe von ca. 50 Metern das Mauerwerk in Form einer Krone durch Verringerung des Mauerwerkvolumens abgesetzt ist.
Die damalige Familie Prendiparte wollte durch den Bau die Uneinnehmbarkeit und ihre Macht demonstrieren.
Er beherbergt heute ein kleines B&B‑Hotel, was ihm mit einer Dachterrasse auf ca. 60 Meter Höhe viel Reiz verleiht und als äußerst sinnvolle Weiterführung des ehemaligen Wehrturmes gelten kann.
Eine interessante Eingliederung eines damaligen Turmes in die Infrastruktur der heutigen Zeit, ist der Torre dei Galluzzi (ca. 30 Meter hoch) in der Corte de Galluzzi.
In einem Innenhof (corte) steht man vor dem Eingang des Turmes – laut Plan ist dieses auch der Hof des damaligen festungsartigen Komplexes der Familie Galluzzi.
Wenn man nun durch die gläserne Tür schaut, erkennt man unschwer, dass sich im Inneren ein Geschäft befindet.
Das Logo an der Glastür (eine Mischung aus A und M) zeigt auch noch ein Schild, dass sich der richtige Eingang (in das Geschäft) in der Via D’Azeglio befindet.
Wie ich unschwer beim Betreten des Geschäftes erkennen konnte, handelt es sich um einen Fachhandel für CDs, DVDs, Computerspiele etc. (was sonst?).
Mir fiel sofort linkerhand der eingebaute ehemalige Wehrturm der damals mächtigen Familie auf.
Man kann quasi (von innen) die einst äußere Wand des Turmes mit der Hand berühren.
Außerdem kann man sogar durch einen tunnelartigen Gang an die gläserne Tür von innen gehen und hinausblicken, wo ich vormals hineingeblickt hatte.
Diese 5 Beispiele sollen genügen, den Blick in die Vergangenheit zu öffnen und eine sinnvolle Weiterführung in der heutigen Zeit darzulegen.
Es gibt natürlich noch eine Anzahl weiterer Turmreste, die ich allerdings bei meinem diesjährigen Besuch aus Zeitgründen nicht aufsuchen konnte, weil es auch immer ein Suchen (mit Fantasie) ist, und das kostet Zeit.
Als Wahrzeichen gelten ja wie oben erwähnt, die beiden schiefen Türme (Torre Asinelli und Torre Garisenda).
Der erstere ist ja der einzig in voller Höhe erhaltene Turm, der natürlich zu einem Aufstieg einlädt.
Die Frage, die sich nicht nur Goethe stellte, ist die, ob die Türme (vor allem der Torre Asinelli) schief gebaut worden sind, oder durch äußere Umstände schief geworden sind (?).
Jetzt ist es natürlich die Frage, welchen der beiden Türme Goethe überhaupt bestiegen hat ?
Ich tendiere zum Asinelli (der weniger stark geneigt ist) – dass man den Torre Garisenda besteigen kann, gilt als sicher, trotzdem kann man nicht genau sagen, welchen der beiden Türme Goethe wirklich bestiegen hat.
Hierzu schreibt wiederum Goethe :
“…ich war nachher oben auf demselben (auf welchem?). Die Backsteinschichten liegen horizontal. Mit gutem, bindendem Kitt und eisernen Ankern kann man schon tolles Zeug machen.” (J.W.v.Goethe, Italienische Reise, Seite 105).
Mit Goethes Idee und der Frage der Herkunft der Schrägung des Turmes im Kopf, begann ich kurz vor meiner Abreise im August 2016 den Torre Asinelli zu besteigen.
Die schon ausgetretenen Holzstufen (497 Stück) des Torre Asinelli zeigen, dass nach Goethe hier schon einige Menschen den Turm bestiegen haben müssen.
Ab ca. 10 Meter weist der in Schalentechnik gebaute Turm einen inneren Hohlraum auf, der Platz für die Holztreppen bietet.
Mir ging es ja nicht nur um die Besteigung und den Ausblick von der Spitze (das hatte ich ja 2011 schon gemacht), sondern darum, von innen die Wände zu betrachten.
Ab ca. 60 Meter wird die äußere Mauer des Turmes dünner, was für die Stabilität des Turmes und die dadurch niedrigere Einsturzgefahr zeugt.
Ich bin kein Architekt, aber eine horizontale Bauweise von übereinanderliegenden Schichten, wie Goethe es schreibt, kann ich bestätigen.
Es kann sich aber natürlich auch um eine optische Täuschung handeln, denn bei einer allmählichen langsamen Neigung, hätten sich ja auch die Aufgangsstufen und Holzgerüste im Inneren mitgeneigt, wodurch dem Aufsteiger die Bauschichten ja horizontal erscheinen müssen.
Es ist also schwer zu sagen, ob die Schichten schräg gebaut worden sind oder schräg geworden sind.
Ich tendiere zu einem langsamen Schrägwerden, da der Aufstieg ja heute wie damals über ein mit schräg gewordenes Stufen-Holzgerüst erfolgen muss, ob nun bei Goethe oder bei mir, und somit steigt man ja in einem mit schräg gewordenen Aufstiegsgerüst in einem schräg gewordenen Turm in die Höhe, und man muss somit die Backsteinschichten horizontal sehen (!)
Genauso sind eiserne Anker nicht innen angebracht (was Goethe auch nicht direkt sagt), sondern nur von außen zur Stabilisierung zu erkennen.
Der untere Sockel ist ziemlich stabil und weist sogar Geschäfte auf, mit einem darüber liegenden, kleinen, den Turm umrundenden Balkon.
Goethes bauanalytische Studie lässt auch eine konkrete Antwort über das Symptom der Schräglage des Torre Asinelli offen.
Faktum ist allerdings, dass man damals, ohne das Wissen von heute, einfach drauf los baute, was Bauwerke entstehen ließ, die schon an Wunder grenzen und der Schwerkraft zu trotzen scheinen.
Goethes Beschreibungen lassen den Leser auch eher einen gewissen zynischen Humor über die “Torheit” der damaligen Zeit erkennen.
Nichtsdestotrotz ist es schon erstaunlich, dass die meisten gerade Türme in Bologna verschwunden sind oder nur noch einzelne in Restform erhalten sind, aber die beiden schiefen noch stehen, ob sie nun schief gebaut worden sind oder mit der Zeit sich geneigt haben.
Was lernen wir daraus :
“Das Unbewährte bewährt sich
oftmals eher als das Bewährte”
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* sh. auch meinen Beitrag zum Kanalsystem von Bologna des Mittelalters
* weitere Fotos zu Bologna in meiner Bildergalerie Italien :
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* Türme von Bologna
- Torre Accursi (auch Torre dell’Orologio) – Piazza Maggiore
- Torre degli Agresti – Piazza Galileo
- Torre degli Alberici – Via S. Stefano – P.zza della Mercanzia
- Torre degli Asinelli – Piazza Ravegnana, 82
- Torre degli Azzoguidi (sogenannt Altabella) – Via Altabella, 7
- Torre dei Bertolotti-Clarissimi – Via Farini, 11
- Torre dei Carrari – Via Marchesana
- Torre dei Catalani – Vicolo Spirito Santo
- Torre dei Conoscenti – Via Manzoni, 6 (am Innenhof vom Museo Civico Medioevale)
- Torre dell’Arengo – Piazza Maggiore
- Torre dei Galluzzi – Corte Galluzzi
- Torre della Garisenda – Piazza Ravegnana
- Torre dei Ghisilieri – Via Nazario Sauro
- Torre dei Guidozagni – Via Albiroli 1–3
- Torre dei Lambertini – Piazza Re Enzo
- Torre dei Lapi – Via IV Novembre
- Torre degli Oseletti – Strada Maggiore, 34–36
- Torre dei Prendiparte (genannt Coronata) – Via S. Alò, 7
- Torre dei Ramponi, Via Rizzoli, Ecke Via Fossalta
- Torre degli Scappi – Via Indipendenza, 1
- Torre dei Toschi – Piazza Minghetti hinter Casa Policardi
- Torre degli Uguzzoni – Vicolo Mandria, 1
Torresotti
- Torresotto di Castiglione – Via Castiglione, 47
- Torresotto di porta Nuova oder del Pratello – via Porta Nuova, via M. Finzi
- Torresotto dei Piella oder porta Govese oder del Mercato – via Piella, via Bertiera
- Torresotto di S. Vitale – Via S. Vitale, 56