“Es werde Nacht…”
Bei allen meinen Nacht-Exkursen der von mir besuchten Städte, ist eines gleich, sie fanden alle in der dunklen Nacht statt – klar, sonst wären es ja keine Nacht-Exkurse.
Beim diesjährigen TALLINN-Besuch sah dies allerdings anders aus, er fand zwar auch zu nächtlicher Stunde statt, nur mit dem Haken, dass es nicht dunkel wurde.
Klingt ein bisschen abwegig, nur Tallinn hat erst einmal eine Zeitverschiebung um eine Stunde nach vorne, zweitens war es Hochsommer und drittens liegt ja Tallinn sehr hoch im Norden, nur 80 km unterhalb von Helsinki, wo es generell im Sommer länger hell ist.
Die Teilung der Stadt in die Unter- und die Ober-Stadt, die einst die Keimzelle Tallinn war, lässt jeden, der ein nächtliches Panorama einfangen will, erst einmal in die Oberstadt eilen, dem sogenannten Domberg, oder…
…Toompea.
Nun stand ich in “nächtlicher” Stunde mit meinem Stativ bewaffnet, auf einem der Aussichts-Plateaus (Kohtuotsa Vaateplatvorm) der Oberstadt mit einem genialen Blick Richtung Norden, zum Hafen, zur Bucht in Richtung Finnischen Meerbusens.
Trotz der frischen Temperaturen dachte ich, besser am Busen der Natur, als am Arsch der Welt.
Man ist zwar hier nicht direkt in der Natur, aber trotzdem hat Tallinn immer noch relativ viel Grünfläche, auch innerhalb der Stadt.
Der Blick reicht bis zur Sängerwiese (Tallinna Lauluväljak) im Nord-Osten und zeigt auch mittelalterliche Pracht in Form der alten Stadtmauern und Türme.
Im Winter, wenn die Dunkelheit früher da ist, muss von hier oben eine beleuchtete Stadt mit illuminierten Fassaden zu bewundern sein, die das Herz eines jeden Fotofreundes höher schlagen lässt.
Doch trotz der nur eingeschränkten Beleuchtung, schlug mein Herz trotzdem weiter.
Wenn im lettischen Riga der Fluss Düna mit seinen Brücken für nächtliche Fotografie anzieht, liegt es auf der Hand, dass in Tallinn, was keinen Fluss besitzt, die höher gelegene Oberstadt (Toompea) vieles hergeben kann, am Tag und in der Nacht.
Und zwar nicht nur die Aussicht ist es, was reizt, sondern auch die Gassen, die sich um die Alexander-Newski-Kathedrale (Aleksander Nevski katedraal) und die Domkirche (Toomkirik) schlingen.
Und hier gibt es ja nicht nur ein Aussichts-Plateau, sondern gleich mehrere (Patkuli Vaateplatvorm, Kohtuotsa vaateplatvorm, Piiskopi vaateplatvorm).
Diese geben Besuchern Ausblicke in fast alle Himmelsrichtungen frei.
Neben den mittelalterlichen Stadtmauer-Resten und Türmen, stechen von diesem Panorama aus einige Kirchtürme ins Auge.
Nach Norden blickend, die weit sichtbare Olai-Kirche (Oleviste kirik) – diese hielt lange Jahre einen Rekord, sie war nämlich mit ihrem 159 Metern hohen Turm in den Jahren 1549–1625 das höchste Gebäude der Welt (!), man glaubt es kaum.
Nach Süden blickend, fällt der Blick bei zunehmender Dunkelheit auf die Nikolai-Kirche (Niguliste kirik), die auch ein Museum beherbergt (Niguliste kirik ja muuseum).
Diese ist dem Heiligen Nikolaus gewidmet, der Schutzpatron der Kaufleute und Seefahrer.
Der Blick nach Osten (Kohtuotsa vaateplatvorm) ist kaum möglich, ohne das Tallinner Rathaus (Tallinna raekoda), bzw. dessen Turm mit dem Schutzpatron dem “Eisernen Thomas” (Vana Toomas) als Wetterfahne gekrönt, zu übersehen…
Leicht links erspäht man den Turm der Heiliggeist-Kirche (Pühavai kirik), den man schnell mit dem Turm des Rathauses verwechseln kann.
…diese beiden schon fast minarettenartigen Türme bestimmen von diesem Blickpunkt immer das Panorama.
Die großen Kreuzschiffe zeigen sich im Hafen von Tallinn in ihrer ganzen Pracht, bei einem Blick nach Norden, der die roten Dächer Tallinns unter einem liegen lässt.
Was mich doch noch leicht entschädigte, war der herannahende Sonnenuntergang…
Schritt für Schritt ging langsam die Sonne mit dem Blick zum westlichen Stadtteil Kalamaja unter.
… Raekoja plats
Nicht weniger als 8 Straßen führen auf das Herz des mittelalterlichen Tallinns, dem Rathaus-Platz (Raekoja plats).
Der seit 1923 so benannte Rathaus-Platz von Tallinn weist an den verschiedenen Seiten interessante Häuser-Fassaden auf, Bürgerhäuser im Westen, die heute Restaurants und Geschäfte beherbergen, Cafes und eine der ältesten noch betriebenen Apotheken, die Rathaus-Apotheke (Raeapteek), die fast eine 600jährige Geschichte hat.
Die Ostseite des Platzes zeigt eine bunte Mischung von Fassadenformen, die am Tag und in der Nacht ihren Reiz haben und an die Zeit der Hanse erinnern.
In frühen Jahren waren dies die Häuser von Kaufleuten, Ratsherren, Bischöfe und dergleichen.
Dass sich hier einmal Studenten aufgehalten haben müssen, zeigt das sogenannte Studentenhaus (Tudengimaja), wo noch die Warenluke im Giebel zu sehen ist.
Was dies allerdings mit den Studenten zu tun hat, blieb mir im “Dunkeln”.
…Tallinna Raekoja
Beherrscht wird der ganze Platz natürlich durch das gotische Rathaus (Tallina raekoja), was bereits 1322 urkundlich erwähnt wird.
Von der Fassade her erinnert es schon an einen italienischen Palazzo mit einem sehr schlanken Turm.
Fantasievolle Dachrinnen, Wappen, Laubengänge und rotundenartige Anbauten, lässt das Gebäude schon von außen reizvoll erscheinen.
Man brauchte in damaliger Zeit als wichtiges Handelszentrum im Ostseeraum einen repräsentativen Bau.
Der Blick aus den östlich liegenden Gassen lässt den 64 Meter hohen Turm des Rathauses sehr wuchtig erscheinen, mit viel Fantasie fast schon wie der Mast eines großen Handelsschiffes der damaligen Zeit.
Auch umliegende Gassen der Tallinner Altstadt geben ein gutes Motiv für nächtliche Szenerien wieder, auch wenn das flächendeckende Kopfsteinpflaster das Stativ wackeln lässt.
Somit zeigt sich, dass Tallinn in der Nacht einen doppelten Reiz hat, nämlich oben und unten (klingt schon erotisch und nicht jugendfrei).
Die Oberstadt mit ihren Gassen und Aussichts-Plateaus und die Unterstadt mit ihren Gassen und dem zentralen Rathaus-Platz.
Aber erst muss es (richtig) dunkel werden, und dies war Ende Juni 2017 nicht der Fall.
Ein nächtlich später Blick aus dem Fenster meines Hotelzimmers unter dem Dach, gab dann doch noch etwas von dem wirklich nächtlichen Panorama Tallinns wieder…
…gute Nacht !
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* Fotos vom nächtlichen Tallinn in meiner Bilder-Galerie Baltikum :