“Aus Alt wird Neu”
Es gibt gewisse Tricks, wie man aus Alt Neu macht.
Damit meine ich nicht unbedingt den Kleidungsstil mancher Menschen oder die Werbung für Kosmetika, sondern die Umwandlung von Schrott in Gold.
Dieses hat man ja im heimischen Deutschland auch schon versuchsweise gestartet, indem man in der Ruhrpott-Gegend, wo die wahre Kultur ja eher rar gesät ist, aus Schrotthalden “Industrie-Kultur” gemacht hat.
Eigentlich nur eine Veränderung eines Namens und ein bisschen Werbung und die Menschen kommen in Scharen.
In einzelnen Fällen ist dies im heimischen Ruhrpott-Germany sogar positiv anzusehen, denn was vormals vergammelt brach lag, “blüht” auf einmal unter Besucherströmen auf, auch wenn man dabei eher geteilter Meinung sein kann.
“Neues Leben erblüht aus den Ruinen”
Ein passendes Zitat, was ja schon immer angewendet werden konnte, denn erst wird immer alles mühevoll errichtet und dann wird alles wieder zerstört.
Und dieses Zitat passt auch auf einen Stadtteil von TALLINN…
…nämlich dem Rotermann-Viertel.
Wem das ganze nichts sagt und die, die jetzt denken, dies sei eine Zigarettenmarke (ohne Schock-Fotos), sei eine kurze Erläuterung gegeben.
Dieser Stadtteil Tallinns schließt sich östlich der Altstadt Richtung Hafen an und symbolisiert einen guten Übergang des modernen Tallinns mit seinen Zweckbauten zur mittelalterlichen historischen Altstadt mit ihren alten Stadtmauern, Wehrtürmen und den Fassaden aus der Zeit der Hanse.
Jetzt fragt man sich als erstes natürlich, wer denn dieser “Rotermann” war, wenn es keine Zigarettenmarke ist (?)
Hier die Antwort :
Christian Abraham Rotermann (1801–1870) legte an diesem Ort 1829 die Basis für das spätere Handelsimperium der Rotermanns – die wirtschaftlichen Aktivitäten waren sehr breit gefächert : Baustoffhandel, Wollstoffe, Sägewerke … sogar Nudeln wurden hier produziert (die müssen ja auch irgendwo herkommen!).
Hier kam sogar 1920 der erste Autohandel Estlands hinzu.
Parallel des Gedeihens der Firma, entstanden natürlich auch immer prunkvollere Bauten.
Durch den Zahn der Zeit, Kriege, Brände und Zerstörung verfiel immer mehr die einstige Pracht, was man ja von vielen Stätten einstiger Macht her kennt.
In den Zeiten der Sowjets ist dieses Viertel zusehends verfallen und es gehörte zu den heruntergekommendsten Gegenden von Tallinn.
Die gläserne Fassade des ehemaligen Warenhauses aus dem Jahre 1850 (!) am Viru Platz (Viru väljak) zeigt eine gute Fusion von Alt und Neu – das ehemalige Warenhaus hat eine neue Fassade bekommen und oftmals zeigen deren Spiegelungen, dass Alt und Neu nicht nur nahe beieinander liegen können, sondern auch gut fusionierbar sind.
Und dieses ist ja die eigentliche Grundidee des (heutigen) Rotermann-Viertels, denn hier findet sich neben einigen noch erhaltenen alten Fassaden und leerstehenden Fabrikhallen, vieles Neue.
Die alte Bausubstanz konnte Anfang der 90er Jahre gerettet werden und Architekten hatten keine Grenzen für ihre Fantasie.
Eine Mischung aus Gastronomie, Hotellerie, Geschäften, Ausstellungen und Cafes, einem kleinen Platz mit Brunnen – eine designhafte Umgebung eingebettet in alte Fabrik- und Lagerhallen-Atmosphäre.
Alles gleicht einem modernen “Einkaufsparadies” gemischt mit rostroten Fabrik-Backsteinbauten.
Kulturelle, kulinarische und konsumorientierte Angebote entwachsen dem Boden des ehemaligen, schon längst verblühten Handelsimperiums, eine gelungene Weiterführung, die Herrn Rotermann sicher gefallen würde.
Zudem gibt es auch Wohnungen und Büro-Flächen, sehr exklusiv mit sicher auch exklusiven Preisen.
“Rotermann-City” – eine treffende Wort-Kreation für den heutigen Stand dieses Viertels.
Den Zugang zum “Herzen” des Viertels erreicht man, wenn man von der Hauptstraße (Narva maantee) links abbiegt in die Hobujamaa (interessanter Straßenname).
Die erste Straße links (Rotermanni) bildet einen symbolischen Eingang, denn rechter Hand stehen noch alte Fabrikhallen, worin es auch Asiatisches zu futtern gibt, und linker Hand zeigt sich schon ein Casino und ein Großkino in mondäner Form (der Rubel muss halt rollen).
Die rostroten Fassaden neuerer Gebäude fusionieren gut mit der Erinnerung an das Alte.
Dass die Entwicklung und Sanierung des Viertels noch nicht abgeschlossen ist, zeigen zahlreiche Hinweise auf noch freie, zu nutzende Gewerbeflächen und noch teilweise brachliegende Abschnitte.
Das “Ultimative”, was man in der Werbesprache als “sich nicht mehr verbessernd lassend, das höchste Stadium einer Entwicklung darstellend”, übersetzen kann, ist hier somit noch nicht erreicht, auch wenn ein Werbeplakat für eine Party damit protzte und der moderne Touch dieses Plakates schon symbolisch für die Entwicklung dieser Umgebung steht.
…also weiter so !
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* Fotos von Tallinn in meiner Bilder-Galerie :