“Über die Verschiebung der Erhabenheit der Ästhetik
hin zur pathetischen Erhabenheit”
Schon früh geriet Richard Wagner mit den Werken VINCENZO BELLINIS in Kontakt. Als junger Hofkapellmeister in Dresden (1843–1848) standen die Werke “Norma”, “I Capuletti E I Montecchi”, “La Straniera” und “I Puritani” oft auf dem Spielplan und versetzte den damals noch jungen und unbekannten Konzertmeister in eine Art “Bellini-Fieber”.
Wagner schwärmt sogar lobend über Bellinis Werke insbesondere die “Norma”:
“Ist das nicht alles wahr und groß, was wir da empfinden ? Jedes Gefühlsmoment tritt plastisch hervor, nichts ist undeutlich ineinander verwoben…wie einfach grandios der Styl”.
Wenn man Wagners schon oftmals beleidigende Ergüsse gegenüber gewissen anderen Schöpfer bedenkt, ist dies ja schon eine Art Heiligsprechung von Bellinis Werken.
In den genannten Werken Bellinis sind Anklänge an Wagners “Tannhäuser” und den späteren “Tristan” mit seinem todeserotischen Sog.
…das qualvolle Ende
Das (qualvolle?) Ende im “Tristan” wird ja oftmals falsch bezeichnet als “Liebestod”, obwohl die Bezeichnungen “Isoldes Verklärung” oder “Isoldes Schlussgesang” der ganzen Scene wesentlich näher kommen würde (da Isolde ja nicht stirbt!).
Rückschließend auf das Finale in Bellinis “I Capuleti E I Montecchi” erkennt man die Wirkung der sogenannten “Gruft-Scene” in Wagners Erlösung durch den Tod und die Vereinigung beider Liebenden im Finale des “Tristan”.
Tristan ist schon lange tot und Isolde sinkt auf seiner Leiche nieder, in Bellinis Werk glaubt Romeo die tote Giulietta aufgebahrt vor sich, nimmt aus Verzweifelung Gift, um mit ihr vereint zu sein und erkennt aber, dass der Tod Giuliettas gar kein Tod ist, sondern nur Ohnmacht.
Als er stirbt sinkt Giulietta tot über ihm zusammen, hier ist der gemeinsamen Tod beider Protagonisten unschwer erkennbar, das wäre für Wagner zu einfach und er läßt es offen, ob Isolde stirbt oder nicht.
…die große Operndiva
Die große Operndiva Wilhelmine Schröder-Devrient spielte diese “Gruft-Scene” hervorragend, da sie die Kunst der dramatischen Darstellung perfekt beherrschte.
Wie es heißt, habe sie in der Freizeit in Museen alte griechische Skulpturen studiert, weil sie die Ausdruckskraft nicht mit Gesang erreichen wollte, sondern durch einen fast schon durch sie erfundenen Sprechgesang, wo nicht die Dichtung im Vordergrund steht, sondern der gestikulative Vortrag, die Mimik und die Körpersprache.
Dadurch, dass sie einzelne Worte nicht sang, sondern eher sprach, erreichte sie als eine der ersten die Deklamation zu perfektionieren, indem sie die Gestik über den reinen Gesang stellte.
Als Richard Wagner die Schröder-Devrient in der (Hosen-)Rolle des Romeo in Bellini “I Capuleti E I Montecchi” in Leipzig 1834 sah, war dies nach seinen Angaben (wieder einmal) ein Schlüsselerlebnis, wo er seine Ideen der Deklamation in Form dieser großen Operndiva vor Augen hatte (“Es gibt nichts, was ich dem zur Seite stellen könnte…”)
Dieses im 13. Jahrhundert angesiedelte und in Verona spielende Werk fällt unter die Kategorie Tragedia lirica (Lyrische Tragödie) und basiert von der Handlung her nicht direkt auf Shakespeares “Romeo und Julia”, sondern zeigt die Rivalitäten zweier Familien, der Capulets und der Montagues.
Es geschieht eine Verschiebung des ästhetisch Schönen hin zum Tragischen…denn Liebe kann schnell in die Nähe des Todes rücken (von mir!).
Dieser Stoff (Romeo und Julia) ist ja quasi schon Mythos und läßt sich ja an verschiedene Theater- und Literaturgattungen anpassen, von der Oper über Ballett bis zum Melodrama hin.
Versuche Wagners die Schröder-Devrient für Rollen in seinen frühen Werken zu engagieren, waren erfolgreich.
Somit spielte sie in Wagners “Rienzi”, im “Tannhäuser” und im “Fliegenden Holländer” markante Rollen.
Der Komponist (Bellini) geht in dieser “Gruft-Scene” immer kompositorisch mit jeder Note auf die Situation der Protagonisten und ihre dargestellten Worte ein, demgemäß wird für die Rolle eine Darstellerin benötigt, die diese Rolle richtig verkörpert.
Und dies war in der damaligen Zeit wie bereits erwähnt, die große Schröder-Devrient.
…Wagners Kompositionsstil
Wagners Kompositionsstil wendet sich (in event. Anlehnung an Bellini?) an das, was choreografisch bei den Protagonisten auf der Bühne zu erkennen ist, es hat also jede Note einen Bezug zum Handelnden auf der Bühne (bei Wagner).
Dadurch muss das Handelnde auf der Bühne genau kongruent zur Komposition stehen.
…das expressive Potential der Musik
Abschließend sei noch einmal Richard Wagner mit seinen berühmten Zitaten aus seinen umfangreichen Schriften zitiert.
Hiermit meint Wagner aber eher die Plastizität seiner Musik, die die Handlung voraussehen läßt, was man allerdings auch auf der Bühne dargestellte Gestikulation etc. beziehen kann.
Durch diese Mimik, Gestikulation, Choreografie, die eine Beherrschung von Körpersprache voraussetzt und eine scenische Dynamik fördert, bekommen die Handlungen ja mehr Ausdruckskraft und Nachvollziehbarkeit.
Dieses titulierte Richard Wagner mit dem Begriff…
“Die ersichtlich gewordenen Taten der Musik”
* Anmerkung :
Eine weitere Primadonna schrieb durch dieses Werk Musikgeschichte, nämlich Maria Malibran.
Wie man weiss, hatte der Textdichter Felice Romani auch für einen anderen Komponisten dieses Thema in Dichtung gefasst, nämlich Nicola Vaccai (1790–1848), der allerdings vom Erfolg her mit seinem Werk weit hinter Bellins Werk zurückblieb.
Maria Malibran (Romeo) nahm sich einfach das Recht heraus, diese dramatische “Gruft-Scene” am Ende des zweiten Actes in Bellinis Werk zu ändern und dafür das Finale von Vaccai Werk zu verwenden.
Sie fand, dass ihr Bellini nicht genügend Gelegenheit bot, Ihre stimmlichen Mittel zur Schau zu stellen.
Somit benutzte (bzw. sang) sie bei einer Aufführung von Bellinis “I Capuleti E I Montecchi” einfach die finale Todesscene von Vaccais Werk (ab 1832).
Dieses machte Schule und andere Sängerin taten das Gleiche.
Als solches gibt es das Werk in zwei Versionen, die normale Bellinische mit der finalen Gruft-Scene und dasselbe Werk in der sogenannten “Malibran-Version”.
Da es damals (leider) noch keine Tonträger gab, ist eine originale Darstellung nicht möglich.
Dieser bedeutenden Operndiva (Maria Malibran) ist in Venedig ein Theater gewidmet.
*Teatro Malibran Venedig
*siehe auch meine Beiträge :