Historisches Zentrum Ferrara
Viele italienische Städte haben die Struktur der allmählichen Stadtentwicklung – dies bedeutet, dass es einen historischen Altstadtkern (Centro Storico) gibt und da herum bilden sich in den Jahren Neubaugebiete.
Viele Städte der EMILIA ROMAGNA zeigen sehr gut erhaltene zusammenhängende Altstadtkerne – allen voran natürlich BOLOGNA.
FERRARA liegt nördlich von Bologna und hat auch eine Universität, die bis ins 14. Jahrhundert zurückgeht.
Wie viele andere Städte in Italien gab es im Mittelalter konkurrierende Großfamilien, in Ferrara waren es die Estes, die die Zeit des Mittelalters bestimmten und somit auch deren Architektur.
Das CASTELLO ESTENSE ist das ehemalige Schloss der wohlhabenden Familie d’Este des 14. und 15. Jahrhunderts und diente in frühen Jahren als Residenz für die Stadt, die ein wichtiges kulturelles und politisches Zentrum damaliger Jahre war.
Es ist das Wahrzeichen des heutigen Ferrara.
Das besondere an der Architektur des Castells ist, dass es von einem Wassergraben umgeben ist, was an Wasserschlösser in Deutschland erinnert.
Durch die vorhandenen Zugbrücken kann man erahnen, dass dieser Wassergraben den Sinn des Schutzes vor Rivalisierenden haben sollte.
Das Castell mit seinen roten, heruntergezogenen Jalousien hinterlässt beim Betrachter schon einen bedrohlichen, Macht ausstrahlenden Eindruck und läßt die Zustände in früheren Jahren erkennen.
Als ich Ende August 2016 noch bei lauen Temperaturen, bei meinem dritten Bologna-Aufenthalt, aus dem Bahnhof von Ferrara schritt, strebte ich schnellen Schrittes die Via Cavour an, aber nicht nur aus dem Grund, weil sie direkt schnurgerade zum Historischen Zentrum führt, sondern auch aus dem Grund, weil Ferrara hier eher abstoßend wirkt und Nichts an Schilderungen aus der Literatur über diese mittelalterliche, traditionsreiche Stadt erkennen lässt.
Zum Ende der Via Cavour kommt rechter Hand ein kleiner Grünstreifen mit einer detaillierten Karte der Stadt, vor allem des Centro Storico.
Dieser leichte Wechsel der Aufnahme im emotionalen Gedächtnis ist allerdings gar nicht mehr nötig, weil man mit dem Blick der Straße nach, das mächtige Castello Estense nicht übersehen kann.
Wer kennt nicht den Moment des Staunens, wenn man sprachlos vor einem Bauwerk steht, was die Grenzen des Aufnahmevermögens sprengt.
Goethe wiederum hat in seiner “Italienischen Reise” Ferrara Richtung Rom nur mit wenigen Worten erwähnt :
“Heute früh sieben Uhr deutschen Zeigers hier angelangt, bereite ich mich, morgen wieder wegzugehen…” (Ital. Reise, 16. Okt. 1786).
…na ja, das strahlt nicht gerade Interesse oder gar Begeisterung aus.
“…zum ersten Mal überfällt mich eine Art von Unlust in dieser großen und schönen, flachgelegenen, entvölkerten Stadt.” (Ital. Reise, 16. Okt. 1786).
Das lässt auch nicht viel Positives bei Herrn Goethe ans Tageslicht kommen.
Des Weiteren erwähnt Goethe einige bedeutende Namen der damaligen intellektuellen Szene (Torquato Tasso, Ludovico Ariosto), die einst in Ferrara weilten.
Dieses allerdings nur mit einem negativen spöttischen Akzent.
Dieses geht in Goethes Italienbuch unter dem oben genannten Datum noch weiter durch Begriffe wie “ganz mürrisch geworden”, “wenig teilnahm…” etc.
Dieses zeigt den doch angeblich von Italien so begeisterten Goethe doch nicht so begeistert…
Außerdem zeigt es, dass Ferrara auch zu damaliger Zeit (1786) den interessierten Besucher nicht gerade zu Begeisterungshymnen führte.
Ohne direkt an Goethe zu denken, zeigte sich mir dies auch an dem Montag, als in Bologna die unzähligen Museen geschlossen hatten und ich aus diesem Grunde nach Ferrara auswich.
Nichtdestotrotz bringt die Stadt jemand anderen ins Licht, den nicht jeder kennt, genau wie ich, der ich diesen Namen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört hatte…
…und zwar Girolamo Savonarola.
Zur Erläuterung :
Girolamo Savonarola (1452–1498) ist der große Sohn der Stadt Ferrara (wusste ich bis dato auch nicht!).
Ein redebegabter Bußprediger, der mit flammenden Reden gegen die Verkommenheit der herrschenden Schichten hetzte und damals vom Volk bejubelt wurde.
Er entwickelte sich in ganz Oberitalien zu einem gesuchten Prediger, der eine grundlegende Kirchenreform forderte.
In Reformpredigten wurden kirchliche Missstände und ungerechte Herrschaft in glühenden Reden vor dem begeisterten Volk angeprangert.
Und wie so oft in der Geschichte, wurde er von denen, nämlich vom Volk, die ihn erst begeistert hochjubelten, dann auch gestürzt, eingekerkert und gefoltert und zu böser Letzt in Florenz auf dem Piazza della Signoria gehängt und dann verbrannt. Seine Asche wurde in den Arno gestreut.
Schlimmer geht es nicht…
Wie so häufig werden derartige Märtyrer erst bejubelt und dann gesteinigt… und dann lange Jahre später wieder verehrt.
Und zwar dahingehend, dass seine Heimatstadt (Ferrara) ihm nicht nur einen Platz (Piazza Savonarola) gewidmet hat, sondern auch ein angsteinscheuchendes großes Denkmal.
Hierzu wiederum Goethe : “…ein fratzenhaftes, fantastisches Ungeheuer”, womit Goethe diesmal wirklich recht hat.
Das Gesicht des Märtyrers zu fotografieren, ließ meine Kamera nicht nur wegen der Höhe nicht zu.
Derartige Personen haben oft eine diabolische Ausdruckskraft, die auf der einen Seite die Masse begeistern kann und diese mobilisiert, und auf der anderen Seite abschreckend und beängstigend wirkt.
“…na ja, jetzt weiß ich wenigstens, wer Girolamo Savonarola ist!”, dachte ich beim Weitergehen.
Hätte ich auch nicht gedacht, dass der mir einmal über den Weg läuft, bzw. steht.
Die Cattedrale di Ferrara stieß mich eher ab und ließ einen Besuch unter den Tisch fallen, weil man sie gar nicht sehen konnte.
Dieses bedeutet nicht, dass sie unsichtbar geworden war, sondern, dass ihre Vorderfassade komplett wegen Renovierungsarbeiten zugehängt war.
So ein Anblick regt mich immer schnell zum Weitergehen an.
Der Palazzo Municipale, das Rathaus, was einst auch ein Palast der Este-Familie war, liegt gegenüber dem Dom am Piazza della Cattedrale.
Die Architektur gleicht auffallend den kastellartigen Bauten Bolognas mit ihren Laubengänge, Wehrtürmen und zinnengekrönten Mauern – symbolisch für das oberitalienische Mittelalter.
Da der Handel hier in frühen Jahren des Mittelalters blühte, erschien mir aus meinen vormaligen Lektüren noch etwas sehenswert, und zwar…
…die Via delle Volte.
Diese mittelalterliche Handelsstraße (bzw. Gasse) zieht sich über mehrere Kilometer im Süden der Historischen Altstadt parallel zum Canale di Burana, ein Seitenarm des Po, hin.
Die Häuser sind so angelegt, dass die Rückfronten damaliger Lagerhäuser der einen Straßenseite Richtung Kanal lagen/liegen und die Gebäude auf der anderen Seite der Gasse, Wohnungen und Werkstätten waren.
Keine schlechte Idee für die Produktion von Produkten jeglicher Art und deren Weitertransport.
In frühen Jahren kam man auch ohne großen technischen Aufwand sehr weit und das nur durch einfache gute Ideen.
Die Hausreihen sind regelmäßig durch überbaute Bögen verbunden, die wie schwebende Brücken wirken und die mittelalterliche Atmosphäre beim Hindurchgehen vor das geistige Auge führen.
Die anliegenden Gassen laden den Besucher unwillkürlich zum Weiterschlendern ein.
Dies ist eine Sehenswürdigkeit, bei der es sich zu mindestens lohnt, einmal hindurch gebummelt zu sein.
Diese anliegenden Gassen erweitern die Vision des mittelalterlichen Schaffens.
Der Flair dieser Altstadtgassen ist allerdings eher knapp bemessen, weil er beim Herausschreiten schnell verfliegt – die sehenswerte (zusammenhängende) Altstadt ist schnell gesehen.
Da hat Goethe nun wirklich recht mit dem Satz : “…bereite ich mich morgen wieder weiterzugehen…”, was stimmt, denn länger als einen Tag hält man es in Ferrara auch nicht aus, ohne dass Langeweile aufkommt, weil man dann nämlich alles gesehen hat.
Eine gute Idee aus heutiger Zeit ist die Gestaltung einer Einkaufsstraße, die mich wieder Richtung Bahnhof führte.
“…auch heute gibt es ja oftmals ganz gute Ideen.”, dachte ich bei der viel zu zeitigen Rückkehr zum Stazione di Ferrara.
Aber eins hat der Besuch doch gebracht…
…ich weiß jetzt, wer Girolamo Savonarola ist, hätte ich auch nicht gedacht…
Was lernen wir daraus :
“Ein abwesend Lebender ist besser,
als ein gegenwärtiger Toter”
*************
* weitere Fotos zur Stadt Ferrara in meiner Bildergalerie Italien :