“Wer als Verliebter nach Venedig,
verliebt sich in Venedig”
VENEDIG besteht aus 6 “Stadtteilen”, auch wenn der Begriff “Stadtteil” ja nun für eine Stadt wie Venedig kaum zutrifft.
Jeder, der schon einmal da war, weiß, wie schwierig die Orientierung in dieser “Stadt” ist.
Viele der kleinen Gassen (Calle) gibt es vom Namen her mehrfach, dadurch steht in einer Adresse immer nur der “Stadtteil” und die Hausnummer, beispielsweise Dorsoduro 938.
In Venedig muss man immer ein paar Tricks parat haben – ein guter Trick zu erkennen, in welchem “Stadtteil” man sich gerade befindet, ist der, auf eine der unzähligen Lampen zu schauen, denn dort sind (fast) immer die Abkürzungen des jeweiligen Teiles von Venedig angebracht.
Die zwei Stadtteile (mal ohne Anführungsstriche), die zu den ruhigeren Teilen Venedigs zählen, sind CANNAREGIO (CN) im Norden und DORSODURO (DD) im Süden.
Dorsoduro bedeutet im übertragenen Sinn “harter Rücken”, das heißt, dass dieser Teil Venedigs nicht auf Holzpfählern gebaut ist, sondern auf Erde und Laguneninseln.
Dorsoduro beinhaltet mehrere große Vorteile gegenüber den anderen Teilen Venedigs, die für einen Aufenthalt sehr wichtig sind.
In Venedig sind nur 3 Punkte zur Orientierung ausgeschildert, nämlich SAN MARCO, RIALTO und Gallerie dell’ ACCADEMIA.
Diese Gallerie liegt direkt an der Accademia-Brücke (Ponte dell’Accademia), eine von den 3 Brücken über den Canale Grande.
Wenn man also ein Quartier in Dorsoduro in der Nähe der Accademia-Brücke hat, hat man mehrere Trümpfe in der Hand – erst einmal kann man sich gut orientieren, dann ist man schnell über den Canale Grande Richtung San Marco, drittens wohnt man im ruhigen Dorsoduro und man ist nahe der schönsten Fondamenta, die Venedig besitzt…
…nämlich der Zattere.
Zur Erläuterung … eine Fondamenta ist eine Gasse, die direkt an einem Kanal her führt.
Im Fall der ZATTERE ist es noch etwas anderes, sie führt nämlich den ganzen Süden des Stadtteiles Dorsoduro entlang mit dem Blick zur vorgelagerten Insel LA GIUDECCA am Canale della Guidecca.
La Giudecca gehört zum Stadtteil Dorsoduro.
Die Zattere hat von Westen nach Osten auch mehrere Namen.
Sie beginnt im Westen am Anlagepunkt S.Basilio mit dem Namen Fondamenta Zattere al Ponte Longo, geht dann weiter über in die Fondamenta Zattere Ai Gesuati und wiederum weiter nach Westen, in der Höhe der Accademia-Brücke, wechselt der Name in Fondamenta Zattere Allo Spirito Santo.
Da sie bis auf die Spitze Dorsoduros führt, wo der Canale Grande seine größte Breite hat, wechselt sie noch einmal den Namen in Fondamenta Zattere Ai Saloni, den sie dann auch weiter bis zur Spitze führt.
Wie oftmals in Venedig, kommt man ja schnell in Durcheinander, denn der Name Zattere Agli Incurabili (sh. Foto) taucht auf einem Plan von Venedig gar nicht auf.
Nur weiß jeder, der einmal in den Gassen dieser Stadt “verschollen” ist, dass man hier mit einem Stadtplan nichts anfangen kann.
“Incurabili” stammt ja aus dem Lateinischen (incurabilis) und bedeutet “unheilbar”.
Vielleicht ist es so gemeint, dass, wenn man abends diesen Teil der Zattere bei Sonnenuntergang abschreitet, man unheilbar in Venedig verliebt ist…
… womit wir beim Thema wären.
Man braucht ja nun nicht näher zu erläutern, welches Gefühl es sein kann, in Phase 1 einer Liebe bei untergehender Sonne von Westen nach Osten die Zattere “abzuschweben”.
Das grenzt schon fast an Wahn oder an Selbstmord, denn Venedig ist ja nun nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch die Stadt des Selbstmordes.
“Selbstmord ist keine Lösung…”, wie Schopenhauer schreibt, aber man weiß ja nicht, ob Schopenhauer einmal richtig verliebt war…(?)
Gott sei Dank war ich immer alleine in Venedig und nicht mit einer längst verblühten Liebe, denn dann könnte ich ja hier nicht mehr hinfahren.
Mein erster Aufenthalt in Venedig 2007 war von einer anderen Frau möglich gemacht worden, nämlich meiner Mutter, die das Ganze damals bezahlt hat.
Des Weiteren habe ich bei meinen vier Aufenthalten in Venedig immer wieder beobachtet, dass es drei Kerngruppen von Besuchern dort gibt…
…nämlich Pärchen in Phase 1 (no comment) … dann Pärchen, bei denen diese Phase schon lange vorbei ist und die versuchen, durch einen Besuch in Venedig längst Vergangenes wieder zurückzuholen.
Und als letztes, Pärchen im höheren Alter, die als Erinnerung noch einmal nach Venedig fahren (“…da müssen wir noch einmal hin!”).
Ich gehöre zu keiner der drei Gruppen.
Doch gibt es bei mir eine Besonderheit – nämlich die, dass meine Eltern Ende 1958 mit dem ersten Wagen (Ford Taunus 12 M Weltkugel) von Deutschland über die Alpen zum Lago Maggiore, nach Mailand und dann weiter über Brescia - Verona – Padua bis nach Venedig getourt sind.
Das hört sich heute einfach an, nur dass es 1958 etwas anders aussah, auch wenn das Benzin damals 8 Pfennig kostete, war ein eigener Wagen noch nicht ganz selbstverständlich, und dann so eine Tour …
Meine Mutter kam vom Land und war nie über den Kreis des Kuhdorfes hinaus gekommen und dann in Phase 1 in Venedig …
Das sind halt Stätten, da fährt man zu zweit hin und kommt zu dritt zurück…
Ich bin also quasi in Venedig gezeugt und werde (vielleicht) auch in Venedig sterben (?)
Dieses “vielleicht” ging mir dann im August 2013 am letzten Abend vor meiner Abreise bei meinem dritten Venedig-Aufenthalt wieder durch den Kopf, als ich noch einmal mit dem Blick herüber zum Hotel “Molino Stucky” auf La Giudecca die ganze Zattere abschritt…
…quasi nicht als Abschied aus dem Leben, sondern als Abschied von Venedig, aber nicht für immer, denn im Februar 2016 war ich zum Carnevale wieder dort.
Man kann es halt nicht sein lassen…
Was lernen wird daraus :
“Liebe ist nur ein Blendwerk der Natur, zur
Aufrechterhaltung der Brut”
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* Weitere Fotos Venedig und der Zattere in meiner Bildergalerie Venedig :