“Das Spanische Viertel”
Jede Stadt hat bestimmte Bezirke, die auf irgendeine Art und Weise in Verruf geraten sind und dann über lange Jahre Schwierigkeiten haben, diesen schlechten Ruf wieder loszuwerden.
Bei näherer Betrachtung kann es durchaus so sein, dass es nur der Ruf ist, der schlecht ist, die eigentliche Sache als solches aber nicht…
Und so ein mit schlechtem Ruf behafteter Bezirk ist…
…das QUARTIERI SPAGNOLI in Neapel.
Wer einmal in Neapel war, der kommt von dem Zauber dieser Stadt nicht mehr los, einer der Gründe dafür ist auch das absolute Chaos in dieser Stadt, was ein Zeichen der Lebendigkeit und Grenzenlosigkeit dieser Metropole ist.
Das Quartieri Spagnoli (Spanische Viertel) ist ein Teil des Stadtteils Montecalvario und liegt westlich der Hauptachse Via Toledo, die Richtung Hafen führt.
Wenn man die Via Toledo vom P.za Dante Richtung Süden entlangschlendert, merkt man unwillkürlich ein leichtes kontinuierliches Gefälle – beim (manchmal ungewöhnlichen) Aufbau der Stadt ist die Lage Neapels von Norden kommend, Richtung Hafengebiet also immer von einem leichten “Bergab” geprägt.
In einer Seifenkiste sitzend, könnte man sich geruhsam die Via Toledo vom P.za Dante am Eingang in die Altstadt (San Lorenzo) bis hinunter zum Piazza del Plebiscito und noch weiter bis zum Hafen rollen lassen.
Warum nicht ?
Doch, wenn man in den unteren Bereich kommt, sieht man rechterhand das Spanische Viertel, bzw. die Gassen, die hineinführen.
Von den Fakten her ist dieses Quartier, was kein eigener Stadtteil ist (!), angelegt worden als Quartier für spanische Soldaten im 16. Jahrhundert – die damalige Stadtmauer wurde eingerissen und das Quartier wurde “außerhalb” (was heute innerhalb ist), zum Vomerohügel hin eingerichtet.
Deshalb steigt auch das Spanische Viertel Richtung Vomero (Westen) an.
Die schmalen Gassen des schachbrettartig angelegten Viertels gehen allerdings nicht den Hügel Richtung Castel Sant Elmo hoch – sie enden meistens in Sackgassen.
Ein Markenzeichen der Fotos der Gassen Richtung Westen ist, dass diese immer eine ansteigende Blickführung haben, wenn man Glück hat, kann man auch das weit oberhalb liegende Castel Sant Elmo sehen.
Durch die starke Arm-Reich-Struktur Neapels gibt es gewisse Stadtteile, die schon durch ihren Ruf ausgestoßen sind, das Quartieri Spagnoli gehört dazu.
Bei dem weit oberhalb liegenden Stadtteil Vomero ist es genau umgekehrt, dieser will mit dem unter ihm liegenden Neapel nichts zu tun haben.
Im Laufe der Jahre hat sich der schlechte Ruf der Kriminalität, Mafia und Prostitution (die gibt es in Deutschland auch) gelockert und es haben sich in die Dachgeschosse der meist 6–7stöckigen Häuser immer mehr Künstler, Intellektuelle und Besserverdienende niedergelassen.
Die Anzahl der Hotels ist niedriger als in anderen Stadtteilen, obwohl es bestimmt einmal interessant wäre, hier zu wohnen.
Es gibt einzelne Kirchen, Läden und Werkstätten in den unteren Etagen.
Das Viertel hat eine ungeheure Bevölkerungsdichte und eine ziemliche Enge in den Gassen, die nicht breiter als 4–5 Meter sind.
Dadurch gibt es wiederum das interessante Symptom des neapolitanischen Verkehrs.
Das Hauptverkehrsmittel ist neben den Füßen der Vespa-Roller.
Es herrscht eine stetige Bewegung und das Geräusch des kontinuierlichen Hupens, was einen als Deutscher erst einmal stutzig macht (in Deutschland ist das Hupen zwecks Verständigungsgründen ja untersagt – was ist in Deutschland eigentlich nicht untersagt?).
Dieses Hupen hat allerdings auch einen Grund, denn durch die rasterförmige Anlage der Gassen ist ein ständiges Hupen als Vorwarnung der rasenden Roller nutzvoll.
Im Jahre 2009 arbeitete ich bei der Rezeption des Gesamt-Werkes Richard Wagners an dem Werk “Die Walküre”.
“Die Walküre” ist von den 4 Ring-Dramen neben der “Götterdämmerung” nicht nur ein Hauptstützpfeiler des kompletten “Ring des Nibelungen”, sondern auch das feurigste und aussagekräftigste der vier mit dem schwersten Abschied am Ende des 3. Actes.
“Das Rheingold” ist der Vorabend und der “Siegfried” das Bindeglied zwischen “Walküre” und “Götterdämmerung” (dem eigentlichen Ausgangswerk “Siegfrieds Tod”).
Von der Kompositionsstruktur herrschen in “Die Walküre” zwei Grundthemen – und zwar das “Ritt-Motiv” und das “Walküre-Motiv”, beide liegen nahe beieinander.
Mit dem “Ritt-” und dem “Walküre-Motiv” in den Ohren, sprang ich vor den vorbeirasenden Vespa-Rollern in die schmalen Hauseingänge, um mich in Sicherheit zu bringen.
Dieses hat die synästhetische Wirkung beider Seiten (dem Eindruck des Spanischen Viertels und der “Walküre”-Rezeption) verstärkt und blieb bei mir in meinem emotionalen Gedächtnis haften.
Bei der Enge und den oftmals vorkommenden Treppen, ist es schon eine Kunst, hier mit großer Geschwindigkeit millimetergenau um die Ecken zu rasen, ohne das etwas passiert – das sollte man in Deutschland einmal versuchen.
Als ich im August 2009 in den frühen Morgenstunden bei lauen 28° Grad Richtung Hafen ging, zwecks einer frühen Überfahrt nach Capri, durchschlich ich auch das auf dem Weg liegende Viertel.
Es war schon ein Gefühl, was man kaum beschreiben kann, denn zwischen
Mitternacht und Morgengrauen ist Neapel immer noch am schönsten.
Der italienische Schriftsteller Domenico Rea beschreibt dieses in Kurzgeschichten in seinem Buch “Neapel zwischen Nacht und Morgengrauen” (sh. Anhang).
Es ist ein absolutes Muss für einen gelungenen Aufenthalt in Neapel sich die Altstadt (das Quartieri Spagnoli gehört dazu) bei Nacht anzusehen.
Eines fiel mir noch in den dunklen Stunden auf, was ich nur in diesem Viertel wahrnahm, nämlich eine sehr gute Idee…
Künstler hatten nämlich aus Metall und Blech utopische Figuren geschmiedet, die oftmals wie Raubvögel und Drachen aussahen, diese waren an den Ecken der Häuser in gewisser Höhe angebracht, was mir tagsüber schon aufgefallen war.
Sie gingen allerdings am Tag im Chaos und im Grau der Wände unter…
…doch jetzt kam der Clou – in den nächtlichen Stunden wurden die Figuren von einer dahinterliegenden kleinen Lampe so beleuchtet, dass sich der Schatten an die gegenüberliegenden Wände warf und eine Stimmung wie in einem Gruselfilm erzeugten.
Davon sollte man sich allerdings nicht erschrecken lassen und trotzdem sich dieses Schauspiel einmal des nachts ansehen.
Was lernen wir daraus :
“Das Schlechte ist nicht unbedingt immer schlecht,
es führt auch oft das Gute herbei”
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*Fotogalerie Neapel :
* Zur Veranschaulichung des Verkehrs im Quartieri Spagnoli :