Der Fluch des Eros (2006–23)

Willkommen, unge­treuer Mann…” 

Über die Gestik und Mimik bei der Rückkehr-​Scene der
Venusgöttin im 3. Act von Richard Wagners “Tannhäuser”

(Festsaal Wartburg Eisenach)

Die Aufhebung des Zuschauers in die Rolle des mitwissenden
Statisten.
Dies war und ist eine der Grundideen, die Richard Wagner vorschwebte, um seine Werke dem Rezipienten näher zu bringen.
Man soll das Werk also nicht von weit her betrachten, sondern man soll mit im Werk inte­griert und impli­ziert sein, also körper­lich und geistig.

Durch die verschie­denen Fassung, die Wagner bei dem Umbruchswerk “Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg” geschrieben hat (alleine 4 fest­ge­legte auto­ri­sierte Fassungen, viele Misch-​Fassungen und unzäh­lige Misch-​Misch-​Fassungen), kann man schnell durch­ein­ander kommen.
Eine Fülle von Einzel-​Motive und Bruchstücke wider­streben noch der Idee des durch­kom­po­nierten Gesamtkunstwerkes, was Wagner mit dem folgenden Werk, dem “Lohengrin” erreicht hat.
Hier erscheint das Ideal die musi­ka­li­schen Nummern in der Kunst des Übergangs aufzu­lösen, und genau dies ist im “Tannhäuser” noch nicht erreicht. 

Das kompo­si­to­ri­sche Gerüst aus emotio­nalen Gefühlswegweisern der Vorahnung durch Erinnerung und der naht­losen Übergänge ist noch nicht zu der Geschmeidigkeit ausge­reift, wie in späteren
Werken.

Es wider­strebt der wagner­schen Idee, aber anders­herum kann man es auch positiv sehen, da der Protagonist Tannhäuser gespalten und hin- und herge­rissen ist.
Ein innerer Kampf mit sich selbst zwischen dem Trieb des Lustgewinnes und der Erlösung davon.
Das “Fegefeuer der Versuchung” erscheint schon in den peit­schenden Streicherklängen der Ouvertüre (der Dresdener Fassung) zum ersten Mal und nimmt  plaka­tiver Klanggestalt an.
In fast allen Fassungen kommt eine Scene durch ihre Dramaturgie, Gestik und  Mimik stark hervor und bildet nahe dem Finale eine Art letzten Umbruch.
Dadurch kann sie nicht ganz wegge­lassen werden.
Nämlich die Rückkehr der Venusgöttin in die Scenerie im heran­na­henden Finale des 3. Actes in der 3. Scene.

Eine Ausnahme bringt der Ur-​Tannhäuser von 1845, hier erglüht noch einmal der Venusberg nahe der Wartburg (Hörselberg), wenn Tannhäuser die Venusgöttin anruft (die in dieser Fassung nicht mehr erscheint).

Vaginale Symbolik im Hörselberg bei Eisenach (2006)

Im Vorfeld ist zu sagen, dass der Protagonist eine gespal­tene Persönlichkeit hat.
Im Rausch des Eros und im Bordell-​Glanz des Venusberges ist es Tannhäuser (nach Heinrich Heine) und in der geord­neten Gesellschaft der Wartburg ist es Heinrich von Ofterdingen.
Die Venusgöttin symbo­li­siert den rausch­haften Erostrieb, dem Tannhäuser entfliehen will und die Elisabeth  die reine Liebe der geord­neten Wartburg-Gesellschaft.
Dies zeigt, dass der Mensch im Trieb des Eros ein anderer ist, als im normalen Leben, man ist nicht mehr der, der man eigent­lich ist.
Man handelt nicht verstan­des­gemäß, sondern trieb­haft – sobald der Verstand einsetzt, ist die Lust vorbei und man knickt ab (im wahrsten Sinne des Wortes).

Man versucht die Lust hinaus­zu­zö­gern, sie zu verlän­gern bis in alle Ewigkeit, auf dass sie nie endet, was auch schnell zur Sucht werden kann und nur ein Schein und ein Wunschdenken ist.
Der Eros-​Trieb ist ein Trieb, der Wonne, Lust und Fluch glei­cher­maßen bedeutet, der aber auch nach Höherem trachtet und nach Erlösung strebt.

In jeder Frau ist ein Teil Hexe, Hure und Heilige, das Ewig-​Weibliche, was den Mann hinan– und hinab­zieht und auch zerstören kann – ein Stück Tannhäuser steckt auch in jedem Mann.
Da ja jeder Mensch Künstler ist, bietet der “Tannhäuser” auch viel Spielraum für Interpretationen, indi­vi­du­elle Auslegung und symbol­hafte Ergüsse.

“Geliebter komm, sieh dort die Grotte…” (Wikipedia)

Zwischen Liebesgenuss und Liebesfluch bzw. ‑tod ist Tannhäusers Weg im Werk aufge­zeigt. Dieses muss mit eksta­ti­scher Ausdrucksgewalt darge­stellt werden.
Eine Rolle des stetig Gespaltenen, der hin- und hereilt und sein Heil sucht.

Die Scene, um die es hier geht, ist die 3. Scene des 3. Actes.
Tannhäuser alias Heinrich von Ofterdingen ist verzwei­felt Wolfram von Eschenbach am berichten, wie ihm in Rom vom Papst die Sünden nicht vergeben worden sind (“Inbrunst im Herzen…”).
In seiner Verzweiflung kommt ihm die Erinnerung an die betäu­bende Wollust in den Armen der Venusgöttin, als letzte Hoffnung :

Dahin zog’s mich, wo ich der Wonn’ und Lust
so viel genoß, an ihre warme Brust ! -
Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder,
zu deiner Zauber holde Nacht ;
zu deinem Hof steig’ ich danieder,
wo nun dein Reiz mir ewig lacht!”

Wolfram v. Eschenbach versucht ihn verzwei­felt zurückzuhalten :
“Halt’ ein ! Halt’ ein ! Unseliger!”

Durch das flehende Anrufen Tannhäusers an die Göttin eröffnet sich langsam der Zauber des Venusberges.
Es ergibt sich ein wirres Anbeten, der verzwei­felte Versuch Wolframs des Zurückhaltens, ein Wortgefecht, was aller­dings das Erscheinen der Venusgöttin (außer in Ur-​Tannhäuser) nicht verhin­dern kann.

Die Scene des Erscheinens bzw. Wieder-​Erscheinens der Venusgöttin ist eine Scene, bei der die drei Darsteller der Rollen (Venus, Heinrich v. Ofterdingen und Wolfram) Höchstleistungen voll­bringen müssen.

Hier tritt das in den Vordergrund, was man Deklamation nennt.
Das eigent­liche Rezitativ wird nicht aufge­hoben, sondern es geht in die Form eines “Deklamatorischen Rezitativs” über (Wagner-Gesang).
Das bedeutet, dass die Gestik und Mimik (Deklamationsschiene) die Überhand gewinnt und die Wort- und Ton-​Ebene leicht in den Hintergrund rücken lässt.
Die Ausdruckskraft dieser Scene beruht nicht auf der Handlung, nicht auf der Komposition oder dem Libretto, sondern auf der Deklamation und vor allem auf der kongru­enten Fusion der drei Schienen (Tonebene, Dichtung und Deklamation), die wie drei verknüpfte Seile halten und fest zusam­men­ge­bunden sind (und sich zeit­weilig auch gegen­seitig stei­gern können). Dieses ist u.a. eine Folge der Tatsache, dass die wagner­sche Komposition immer Bezug nimmt auf das jewei­lige szeni­sche Geschehen.

Wartburg bei Eisenach

Nach soviel Theorie ist es nötig den Blick in den Festsaal der Wartburg zu werfen, an den Originalschauplatz des Werkes.
Seit dem Jahr 2006 besuche ich alljähr­lich die halb-​szenische Aufführung des Werkes.
Der 300 Personen fassende Saal beinhaltet keine Bühne, sondern ist ganz “Bühne”, man ist nicht mehr Zuschauer im herkömm­li­chen Sinnen, sondern man ist im Werk impli­ziert, man spielt mit, es verschwimmen die Grenzen zwischen Werk und Rezipient und man wird unwill­kür­lich mitwis­sender Statist.

Mein 12. Tannhäuser brachte wieder neue “Frische” durch zwei neue Gastsolisten (Tannhäuser und Elisabeth) und durch leicht verän­derte Scenenabläufe, die den vorge­ge­benen Gang der Handlung aber nicht veränderten.

Nachdem nun Tannhäuser die Göttin wieder ange­rufen hat, schreitet majes­tä­tisch langsam, Schritt für Schritt aus dem Dunkeln die Darstellerin der Göttin in feuer­rotem Kleid mit rotem Schleier durch das Mittel-​Spalier von hinten in den Saal ein (atem­lose Stille).
Sie erhebt langsam ihren rechten Arm und streckt ihn in Richtung Tannhäuser aus, als wollte sie ihn wieder magne­tisch zu sich         hinziehen.
Ihr unbe­wegter Blick richtet sich auf den mit Wolfram kämp­fenden Tannhäuser, quasi auf ihr Opfer.

Willkommen, unge­treuer Mann !
Schlug dich die Welt mit Ach und Bann ?
Und findest nirgends du Erbarmen,
Suchst Liebe du in meinen Armen?”

Durch die dezente Lichtregie wird der Saal in ein leicht wein­rotes rosiges Licht gehüllt. Sie schreitet immer näher auf ihr Opfer zu.

Nahst du dich wieder meiner Schwelle,
sei dir dein Übermut verziehen ;
Ewig fließe dir der Freuden Quelle,
Und nimmer sollst du von mir fliehn!”

Immer stärker wird der Kampf von Tannhäuser mit Wolfram und Tannhäusers Blick richtet sich einzig und allein zur Göttin.

O komm’! Auf ewig sei nun mein !

Die Göttin will ihr Opfer wieder voll für sich haben.

Komm’, o komm ! Zu mir!”

Beide stehen Auge in Auge gegen­über, die Göttin ist sich in ihrem Blick und ihrem Reiz der Macht bewusst und sicher den Ungetreuen wieder zurückzugewinnen.

Die Dramaturgie ist an dem Punkt kaum zu über­bieten, als der Abstand zwischen Göttin und Opfer (Tannhäuser) nicht mehr kleiner zu machen ist. Stur und steif bleibt sie stehen (welche Symbolik!).

Doch dann kommt der Umbruch.
Wolfram sagt die entschei­denden Worte, bzw. nennt den entschei­denden Namen der Erlösung : 
“Ein Engel bat für dich auf Erden, bald schwebt er segnend über dir.
…Elisabeth!”

Tannhäuser bleibt wie von einem heftigen Schlag gelähmt an die Stelle geheftet (Regieanweisungen) und wieder­holt den erlö­senden Namen :

Elisabeth…!”

Langsam erhört man im Hintergrund (noch außer­halb des Saals) den Trauerzug mit der Leiche Elisabeths.

Wolfram bestä­tigt noch einmal durch seine letzten Librettozeilen :

Dein Engel fleht für dich an Gottes Thron,
– er wird erhört !
Heinrich, du bist erlöst!”

Die Macht der Göttin ist gebro­chen und durch Ihre Gestikulation läßt sich dieses erkennen, ihre letzten Zeilen geben es auch verbal wieder :

Weh ! Mir verloren!” 

Sie merkt, dass sie nicht nur Tannhäuser verloren hat, sondern ganz verloren hat. Im Libretto verschwindet der Venusberg in seiner zaube­ri­schen Erscheinung.

Vor Ort dreht sich die Göttin (bzw. deren Darstellerin) blitz­artig herum und läuft schreiend durch das Mittelspalier aus dem Saal.
Am offenen Sarg der Elisabeth kniet Tannhäuser und stirbt :

Heilige Elisabeth, bitte für mich!”

Innenhof Wartburg (2006)

Wiederum aus dem Hintergrund verteilt sich langsam der in Kutten gehüllte Pilgerchor der aus Rom zurück­keh­renden Pilger in die Ränge und das Spalier zwischen die “Zuschauer” (die keine mehr sind).
Man fließt als mitwis­sender Statist in die Scene hinein und verlässt suggestiv die Rolle des Zuschauers und geht über in die Rolle des Mitspielenden.

Die Leistung und Aussagekraft der Darsteller, allen voran die Erotik der Venusgöttin, hat hier eine Dimension des fast Nicht-​zu-​Übertreffenden erreicht, was keine Opernbühne der Welt in dieser Stärke darstellen kann, von der im Festsaal herr­schenden Akustik ganz zu schweigen.

Die Schlüssel- und oftmals drama­tur­gisch schwie­rigen Scenen, wie der Holländer-​Monolg im 1. Act, die Totenfeier Titurels im 3. Act des “Parsifals”, genau wie das Wieder-​Erscheinen der Venusgöttin im Finale des “Tannhäusers”, zeigen immer die Qualität der Inszenierung.

Die wagner­sche Grundidee habe ich nirgendwo so darge­stellt gesehen und dem ersten “Tannhäuser” im Festsaal der Wartburg im Jahre 2006 kann ich bis heute nichts anderes zur Seite stellen…

Literatur :

* Martin Knust
“Ein Leben für die Bühne”, Böhlau-​Verlag Köln Weimar Wien, 2013

- “Sprachvertonung und Gestik in den Werken Richard Wagners”
Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft 16
Frank&Timme Verlag für wissen­schaft­liche Literatur 2007 

(HerrRothBesucht/​Sonstiges/​Tipps)

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