Quartieri Spagnoli Neapel (2009)

                         “Das Spanische Viertel”

Jede Stadt hat bestimmte Bezirke, die auf irgend­eine Art und Weise in Verruf geraten sind und dann über lange Jahre Schwierigkeiten haben, diesen schlechten Ruf wieder loszuwerden.
Bei näherer Betrachtung kann es durchaus so sein, dass es nur der Ruf ist, der schlecht ist, die eigent­liche Sache als solches aber nicht…

Und so ein mit schlechtem Ruf behaf­teter Bezirk ist…

…das  QUARTIERI SPAGNOLI  in Neapel.

Wer einmal in Neapel war, der kommt von dem Zauber dieser Stadt nicht mehr los, einer der Gründe dafür ist auch das abso­lute Chaos in dieser Stadt, was ein Zeichen der Lebendigkeit und Grenzenlosigkeit dieser Metropole ist.

Das Quartieri Spagnoli  (Spanische Viertel) ist ein Teil des Stadtteils Montecalvario und liegt west­lich der Hauptachse Via Toledo, die Richtung Hafen führt.

Wenn man die Via Toledo vom P.za Dante Richtung Süden entlang­schlen­dert, merkt man unwill­kür­lich ein leichtes konti­nu­ier­li­ches Gefälle – beim (manchmal unge­wöhn­li­chen) Aufbau der Stadt ist die Lage Neapels von Norden kommend, Richtung Hafengebiet also immer von einem leichten “Bergab” geprägt.
In einer Seifenkiste sitzend, könnte man sich geruhsam die Via Toledo vom P.za Dante am Eingang in die Altstadt (San Lorenzo) bis hinunter zum Piazza del Plebiscito und noch weiter bis zum Hafen rollen lassen.

Piazza Dante – Neapel

Warum nicht ?

Doch, wenn man in den unteren Bereich kommt, sieht man recht­erhand das Spanische Viertel, bzw. die Gassen, die hineinführen.

Von den Fakten her ist dieses Quartier, was kein eigener Stadtteil ist (!), ange­legt worden als Quartier für spani­sche Soldaten im 16. Jahrhundert – die dama­lige Stadtmauer wurde einge­rissen und das Quartier wurde “außer­halb” (was heute inner­halb ist), zum Vomerohügel hin einge­richtet.
Deshalb steigt auch das Spanische Viertel Richtung Vomero (Westen) an.
Die schmalen Gassen des schach­brett­artig ange­legten Viertels gehen aller­dings nicht den Hügel Richtung Castel Sant Elmo hoch – sie enden meis­tens in Sackgassen.

Gassen-​Schluchten mit Blick zum Vomero-Hügel

Ein Markenzeichen der Fotos der Gassen Richtung Westen ist, dass diese immer eine anstei­gende Blickführung haben, wenn man Glück hat, kann man auch das weit ober­halb liegende Castel Sant Elmo sehen.

Durch die starke Arm-​Reich-​Struktur Neapels gibt es gewisse Stadtteile, die schon durch ihren Ruf ausge­stoßen sind, das Quartieri Spagnoli gehört dazu.
Bei dem weit ober­halb liegenden Stadtteil Vomero ist es genau umge­kehrt, dieser will mit dem unter ihm liegenden Neapel nichts zu tun haben.

Im Laufe der Jahre hat sich der schlechte Ruf der Kriminalität, Mafia und Prostitution (die gibt es in Deutschland auch) gelo­ckert und es haben sich in die Dachgeschosse der meist 6–7stöckigen Häuser immer mehr Künstler, Intellektuelle und Besserverdienende niedergelassen.
Die Anzahl der Hotels ist nied­riger als in anderen Stadtteilen, obwohl es bestimmt einmal inter­es­sant wäre, hier zu wohnen.
Es gibt einzelne Kirchen, Läden und Werkstätten in den unteren Etagen.
Das Viertel hat eine unge­heure Bevölkerungsdichte und eine ziem­liche Enge in den Gassen, die nicht breiter als 4–5 Meter sind.

Interessantes Parken

Dadurch gibt es wiederum das inter­es­sante Symptom des neapo­li­ta­ni­schen Verkehrs.
Das Hauptverkehrsmittel ist neben den Füßen der Vespa-Roller.
Es herrscht eine stetige Bewegung und das Geräusch des konti­nu­ier­li­chen Hupens, was einen als Deutscher erst einmal stutzig macht (in Deutschland ist das Hupen zwecks Verständigungsgründen ja unter­sagt – was ist in Deutschland eigent­lich nicht untersagt?).
Dieses Hupen hat aller­dings auch einen Grund, denn durch die raster­för­mige Anlage der Gassen ist ein stän­diges Hupen als Vorwarnung der rasenden Roller nutzvoll.

Im Jahre 2009 arbei­tete ich bei der Rezeption des Gesamt-​Werkes Richard Wagners an dem Werk “Die Walküre”.
“Die Walküre”
ist von den 4 Ring-​Dramen neben der “Götterdämmerung” nicht nur ein Hauptstützpfeiler des kompletten “Ring des Nibelungen”, sondern auch das feurigste und aussa­ge­kräf­tigste der vier mit dem schwersten Abschied am Ende des 3. Actes.

“Das Rheingold” ist der Vorabend und der “Siegfried” das Bindeglied zwischen “Walküre” und “Götterdämmerung” (dem eigent­li­chen Ausgangswerk “Siegfrieds Tod”).
Von der Kompositionsstruktur herr­schen in “Die Walküre” zwei Grundthemen – und zwar das “Ritt-​Motiv” und das “Walküre-​Motiv”, beide liegen nahe beieinander.

Mit dem “Ritt-”  und dem “Walküre-​Motiv” in den Ohren, sprang ich vor den vorbei­ra­senden Vespa-​Rollern in die schmalen Hauseingänge, um mich in Sicherheit zu bringen.
Dieses hat die synäs­the­ti­sche Wirkung beider Seiten (dem Eindruck des Spanischen Viertels und der “Walküre”-Rezeption) verstärkt und blieb bei mir in meinem emotio­nalen Gedächtnis haften.

Der Walküre-​​Ritt in Neapel

Bei der Enge und den oftmals vorkom­menden Treppen, ist es schon eine Kunst, hier mit großer Geschwindigkeit milli­me­ter­genau um die Ecken zu rasen, ohne das etwas passiert – das sollte man in Deutschland einmal versuchen.

Als ich im August 2009 in den frühen Morgenstunden bei lauen 28° Grad Richtung Hafen ging, zwecks einer frühen Überfahrt nach Capri, durch­schlich ich auch das auf dem Weg liegende Viertel.
Es war schon ein Gefühl, was man kaum beschreiben kann, denn zwischen
Mitternacht und Morgengrauen ist Neapel immer noch am schönsten.

Quartieri Spagnoli – Neapel

Der italie­ni­sche Schriftsteller Domenico Rea beschreibt dieses in Kurzgeschichten in seinem Buch “Neapel zwischen Nacht und Morgengrauen” (sh. Anhang).

Es ist ein abso­lutes Muss für einen gelun­genen Aufenthalt in Neapel sich die Altstadt (das Quartieri Spagnoli gehört dazu) bei Nacht anzusehen.

Eines fiel mir noch in den dunklen Stunden auf, was ich nur in diesem Viertel wahr­nahm, nämlich eine sehr gute Idee…
Künstler hatten nämlich aus Metall und Blech utopi­sche Figuren geschmiedet, die oftmals wie Raubvögel und Drachen aussahen, diese waren an den Ecken der Häuser in gewisser Höhe ange­bracht, was mir tags­über schon aufge­fallen war.
Sie gingen aller­dings am Tag im Chaos und im Grau der Wände unter…
…doch jetzt kam der Clou – in den nächt­li­chen Stunden wurden die Figuren von einer dahin­ter­lie­genden kleinen Lampe so beleuchtet, dass sich der Schatten an die gegen­über­lie­genden Wände warf und eine Stimmung wie in einem Gruselfilm erzeugten.

Davon sollte man sich aller­dings nicht erschre­cken lassen und trotzdem sich dieses Schauspiel einmal des nachts ansehen.

Was lernen wir daraus :

Das Schlechte ist nicht unbe­dingt immer schlecht,
es führt auch oft das Gute herbei

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*Fotogalerie Neapel :

Neapel (2009/​2012)

* Zur Veranschaulichung des Verkehrs im Quartieri Spagnoli :


(HerrRothBesucht)

                                     
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