Essaouira – Marokko (Dez. 2016)

                          “Die blauen Türen von Essaouira”

Essaouira gilt ja insge­heim als Kontrapunkt zum hekti­schen Marrakesch und wird von vielen Besuchern der Stadt der roten Mauern besucht.

Die Stadt (Essaouira) liegt auf einer Halbinsel und hat eine teil­weise gut erhal­tene Festungsanlage zum Wasser hin (Scala del la Kasbah), die auf die portu­gie­si­sche Geschichte hinweist – mit dem Bau der Mauer wurde im 16. Jahrhundert begonnen, als die Portugiesen einige Landstriche hier eroberten.
In den Schießscharten stehen heute noch eine Anzahl von Kanonen, die wie zum Abschuss bereit zu stehen scheinen.

Scala del la Kasbah

Zeitweise war Essaouira der größte Seehafen Marokkos und gelangte durch den Karawanenhandel zu erheb­li­chen Wohlstand.
Aber wie man aus der Geschichte kennt, ist alles ein Auf und Ab, denn im 20. Jahrhundert verlor die Stadt zuneh­mend an Bedeutung, da die Handelsverbindungen unter­bro­chen wurden.

Wieder ins Gedächtnis gerufen wurde die Hafenstadt Ende der 60er-​Jahre als Zentrum der Hippie-​Bewegung, was ja heute schon lange in Vergessenheit geraten ist.

Intarsien Manufaktur

Genauso ist Essaouira noch heute das Zentrum der hohen Kunst der
INTARSIEN und deren Manufakturen.
Produkte aus dem harten Thuja-​Holz mit fanta­sie­reich einge­legten, minia­tur­großen Mustern aus Zitrusholz.

In einer Manufaktur bewun­derte ich hunderte von Hand ange­fer­tigte Produkte wie Tische, Zigarrenkisten, Buchstützen, Schachbretter, Regalen, bis hin zu größeren Möbelstücken.

Die aus den Berberdörfern zuge­wan­derte Bevölkerung lebt haupt­säch­lich neben dem Tourismus vom Fischfang.

Port d’Essaouira

Nach Süden erstreckt sich ein ca. 5 km langer Sandstrand – hier wurden für die Besucher alte Stadtpaläste in mondäne Luxushotels umge­wan­delt, denn das ganz­jährig milde Klima zieht viele auch zu einem längeren Aufenthalt in diese einst so mäch­tige Stadt.

Der symme­tri­sche Grundriss der Straßen und Gassen hinter dem zentralen Platz Moulay Hassan ist für eine marok­ka­ni­sche Stadt eher unge­wöhn­lich, wenn man an das Gewirr der Gassen und Souks im Handelszentrum Marrakesch denkt.

Moulay Hassan Square

Das erste, was mir beim Bummeln durch die Gassen auffiel, ist die große Anzahl von Katzen.
Wenn man die Tagesbesucher abzieht, scheint es hier mehr Katzen zu geben als Einheimische.

Aus vorher studierter Literatur wusste ich, dass Essaouira aus dem Arabischen über­setzt “die Eingeschlossene” heißt.
Eigentlich komisch, denn der Ort liegt ja frei zum Atlantik hin.
Vielleicht stammt das Wort aus früheren kriegs­tech­ni­schen Begebenheiten… (?)

Doch dann kam mir eine eher abwe­gige Idee der Herkunft des Namens.
Denn, was jedem Besucher ins Auge fällt, sind die unzäh­ligen blauen Türen und Tore.

47-fEs ist schon komisch, wie man mit etwas Fantasie den Namensursprung frei inter­pre­tieren kann, auch wenn die Idee des Eingeschlossen-​Seins eher abwegig ist, denn der Blick über das weite Meer und die oftmals hellen Häuser zeigen einem ja eher die Freiheit.

Dieses ließ mich an die berühmten Türschlösser Bolognas
denken, wo es auch inter­es­sant ist, einmal die mäch­tigen, torähn­li­chen Türen dort zu öffnen und hineinzuschreiten.

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In Essaouira sind die Türen aber fast ausschließ­lich Eingänge zu den Wohnungen der Einheimischen, wobei sich Türgriffe, Kachelkunst und schmie­de­ei­serne Gitter mit dem jewei­ligen Blauton der Tür oder des Tores vereinen.
Ähnliche noch geome­tri­schere Formen fand ich ein halbes später im nörd­li­chen Tallinn.

Dass die Türen in Essaouira schon mehr­fach leicht reno­vie­rungs­be­dürftig sind, macht ja eher ihren Reiz aus. Denn man erahnt die Schönheit von einst und sieht den Verfall von heute in dieser Art von Orten häufiger.

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Das Verfallene aus frühen Jahren hat wesent­lich mehr Aussagekraft, als das blitz und blank Herausgeputzte der heutigen Zeit.

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Wenn man bedenkt, dass Essaouira auch viele Künstler ange­zogen haben muss, ist es nicht verwun­der­lich, dass geschickt ange­legte, nur teil­weise reali­sierte Graffitis an den Wänden einzelner Gassen die Perspektive und die Vision der Szenerie erweitern.

 

Beim Durchwandeln der schmalen Gassen, glaubt man sich oftmals in einer anderen Welt und es kann auch durchaus sein, dass man die Orientierung dadurch verliert.

Erweiterung der Vision

Von den blauen Türen foto­gra­fierte ich über 20 Stück, doch irgend­wann wich für den Farbenlehren-​Interessierten der Blauton immer mehr ab. 

Blau und Rot ergibt Violett

Wie man aus der Schule wissen sollte, sind Blau und Rot Primärfarben im Farbkreis und deren Mischung ergibt die Sekundärfarbe Violett.
Mehr Rot-​Anteile ergibt ein eher rötli­ches Violett.

47-qMan sieht, dass man auch ohne Goethes und Newtons Farbenlehre zu kennen, von einheit­li­chen Blautönen irgend­wann einmal abge­wi­chen ist.

Über der rot-​violetten Tür, die die einzige ist, die ich unter den über 20 blauen Türen in diesem Farbton gefunden habe, stehen die Worte “La Cle de Voute”.

Wenn ich jetzt in der Schule Französisch als zweite Fremdsprache gehabt hätte, und mich nicht mit Latein hätte herum­quälen müssen, hätte ich schon in dem Moment wissen müssen, was ich erst im Nachhinein recherchierte.

Denn “La Cle de Voute” heißt nämlich allge­mein “Schlussstein” und im über­tra­genen Sinne “Dreh- und Angelpunkt”.

Gut, dass ich es vor Ort nicht gewusst habe, sonst wäre ich wieder ins Philosophische abge­glitten oder hätte einmal die Tür inter­es­sens­halber geöffnet und hineingeschaut.
Trotzdem komisch und frag­würdig, was dort hinter dieser Tür verborgen gewesen sein mag… (?)

Aber ein Geheimnis muss bleiben, was wieder eines meiner Zitate aus der (Intarsien-)Kiste springen lässt…

…denn, was lernen wir daraus :

                 “Faszinierend ist nur das Unergründliche”

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(HerrRothBesucht /​ Sonstiges)


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